Der erste Stein

Meine Angst

in deinen Augen

Meine Scham

in deinem Erröten

Mein Schweiß

auf deiner Stirn

Mein Zittern

in deinen Händen

Mein Zwiespalt

in deinem Abgrund

Mein Hochmut

in deinem Fall

Meine Sehnsucht

in deinem Herzen

Mein Kurzschluss

in deiner Reaktion

Meine Last

auf deinen Schultern

Mein Chaos

in deinen Trümmern.

Dein Blut

an meinen Händen?

Ich

kann

diesen Stein

nicht werfen.

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Glauben ist alles…?

Slavoj Žižek beschreibt in der Zeit heute die ganze Absurdität der wirtschaftlichen Systemkrise:

Märkte leben von dem, was die Marktteilnehmer glauben, und von dem, was sie glauben, dass andere Marktteilnehmer glauben. Wenn also nun alle Welt darüber grübelt, »wie die Märkte reagieren werden«, dann hängt die Antwort auf diese Frage nicht nur von den realen Auswirkungen der Maßnahmen ab, sondern davon, ob die Märkte selbst an die Wirksamkeit dieser Maßnahmen glauben. Das ist der Grund, warum sogar ein Rettungspaket, das ökonomisch unsinnig ist, am Ende funktionieren könnte.

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Unmoralische Moral?

Die „Welt“ kommentiert Sarah Palins Verhalten im Troopergate, ich spare mir jetzt die passenden Bibelstellen dazu, nachdenklich stimmt das ganze allemal (und natürlich gilt das auch für alle, die sich jetzt über Palin entrüsten):

Wie kommt es aber, dass ein Mensch, der so viel Wert auf die Moral legt, ja, der die Frage der Moral – allerdings vor allem der Sexualmoral – wieder zum Thema des Wahlkampfs machte, selbst so unmoralisch handeln konnte? Die Antwort ist, gerade weil Palin sich für moralischer hält als ihre politischen Gegner, sieht sie ihre eigenen Handlungen als moralisch an.

(…) Weil diese Einstellung bei Gutmenschen die Regel ist, gilt auch die Regel. Wer aus politischen Fragen moralische oder aus moralischen Fragen politische macht, dürfte in der Regel ein paar miese kleine Geheimnisse haben. Wohlgemerkt: Die haben andere auch, die haben wir alle. Aber die kann man jenen verzeihen, die nicht so tun, als wären sie bessere Menschen.

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Evangelisation: bitte mehr – und besser…

Neulich saß ich in einer Gesprächsrunde über christliches Engagement in der Gesellschaft. Mehrere Leute hatten Ideen und Wünsche, und ab und zu kam zwischen den Zeilen oder auch ganz explizit durch, dass man diese oder jene Sache nicht als „Evangelisation“ (meine Worte) verstanden wissen wollte. In dem Kontext dieses Gesprächs war das auch richtig: Freundschaften sind keine Mittel zum missionarischen Zweck, sonst sind sie keine echten Freundschaften. Dasselbe gilt für praktische Nächstenliebe und Diakonie in allen ihren Formen.

Trotzdem war ich am Ende sehr nachdenklich. Hat Evangelisation allgemein (also nicht einfach die peinlichen Karikaturen, die wir auch alle kennen und gerne vermeiden) bei diesen Überlegungen auf der Strecke, weil wir es gar nicht mehr wagen, uns zu wünschen (Karl Valentin lässt grüßen), dass Menschen zum Glauben finden? Keiner aus unserer Runde hat das so verstanden. Aber es ist nötig, dass wir neu bestimmen, was genau wir meinen.

Brian McLaren nennt in Finding Our Way Again vier Ansätze, Gottes Absichten mit uns zu verstehen:

A. Gott geht es darum, die Welt zu heilen. Er sucht dafür Mitarbeiter, die gesund sind (und nicht noch mehr Krankheiten verbreiten) und Krankenpfleger, die ihre Gesundheit nicht als Selbstzweck verstehen. Leider gibt es das nicht in Reinkultur, also fängt Gott mit Kranken an, die allmählich genesen, um dann anderen (und damit der Welt) zu besserer Gesundheit zu verhelfen.

B. Gott geht es primär darum, einzelne zu heilen. Je mehr einzelne sich heilen lassen, desto heiler wird auch die Welt

C. Gott interessiert sich nur für die Welt, einzelne sind ihm egal. Mein „Privatleben“ spielt keine Rolle, so lange ich mich nur für soziale Gerechtigkeit einsetze, je nach System oder Ideologie sieht das anders aus.

D. Gott geht es nur um einzelne, die Welt geht irgendwann bald zugrunde.

Die beiden letzten Standpunkte sind natürlich indiskutabel, kommen aber vor. Die Positionen A und B verbinden die Gegensätze von C und D, allerdings mit verschiedener Akzentuierung. A ist für mein Empfinden die bessere Lösung, weil es deutlich macht, dass Evangelisation und Diakonie, persönliche Transformation und Gesellschaftstransformation von Anfang an zusammen gehören.

Also brauchen wir Evangelisten, die Leute davon überzeugen, dass es auch für sie höchste Zeit ist, ein Teil der Lösung der Probleme unserer Welt zu werden, weil genesende Heiler gesucht werden und mehr als unsere eigene Kraft und unser wankelmütiger guter Wille nötig sein wird, um tatsächlich etwas zu bewegen und damit gute Nachricht zu sein. Dazu fehlt vielen die Hoffnung, dass ihr Beitrag mehr ist als nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und wäre wir nur isolierte Individuen und hätten wir nicht Gott auf unserer Seite (besser noch: wir auf seiner Seite), dann wäre vielleicht wirklich der Fall. Die gute Nachricht ist also auch die: Du kannst etwas bewegen, zusammen mit Gott und vielen anderen. Lass Dir nichts anderes einreden!

Leute wie Nicky Gumbel und Bill Hybels haben diesen Ansatz längst übernommen. Nun müssen wir alle dafür sorgen, dass er sich auch überall an der Gemeindebasis und in der Verkündigung durchsetzt.

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Mehr Fehler, bitte!

Ich hatte diese Woche ein Telefoninterview mit idea, das irgendwann demnächst im Druck erscheint. Eine Frage war, wie ich zu der Kritik an „der“ emerging church (die es selbstverständlich als einheitliche Größe gar nicht gibt) stehe, man könne den herkömmlichen Formen von Kirche kein schlüssiges neues Konzept entgegensetzen und stelle viele Fragen, ohne Antworten zu wissen.

Ich halte das für einen wichtigen Punkt in der Diskussion: Fragen kommen vor Antworten, gute Antworten findet nur der, der gute Fragen stellt, und oft genug braucht man Zeit und eine ganze Reihe von Fehlversuchen, um Lösungen zu finden. Wer versucht, diesen Prozess abzukürzen und meint, er könne es sich und anderen nicht zumuten, eine Weile lang auf wichtige Fragen keine Antworten mehr zu wissen (oder nur Bruchstücke zu haben), wird sich in der gegenwärtigen Situation schwer tun.

Google spuckt ganz unterschiedliche Zahlen aus, wenn es um Edisons Fehlversuche bei der Erfindung der Glühbirne geht – zwischen 250 und 9.000 auf den ersten drei Trefferseiten. Die Legendenbildung treibt offenbar ihre Blüten, es waren eben ziemlich viele. Natürlich verkraftet keine Gemeinde so viel Scheitern, aber es wäre ja schon ein Gewinn, wenn wir die Fehlertoleranz moderat anheben könnten. Was mir an der emerging conversation gefällt, ist die Freiheit, Sachen mal ins Unreine zu sagen, unkonventionelle Dinge möglichst unvoreingenommen zu betrachten und schließlich auf die Fähigkeit zur Selbstkritik, die man in dieser Intensität nicht in vielen Bewegungen findet. In diesem Netzwerk von Entwicklern lernt also einer aus den Fehlern des anderen, und zwar doppelt: Er vermeidet ähnliche Fehler – oder er entdeckt, dass Dinge, die an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit nicht passen, in einem anderen Kontext zum Renner werden können.

Natürlich kann man auf Nummer sicher gehen und die Microsoft-Strategie fahren: Lass andere riskante Innovationen entwickeln (Apple, Netscape, Sony, Google) und warte ab, um dann den Markt mit Imitaten zu fluten. Keine Frage, das kann auch funktionieren. Vielleicht aber hat Gerhard Scheucher doch Recht, wenn er im Spiegel sagt, und wir tun nicht nur unseren Gemeinden, sondern auch den Christen allgemein einen Gefallen, wenn wir etwas riskofreudiger werden:

… es sollte viel hemmungsloser gescheitert werden! Wir müssen es immer wieder zum Thema machen, eine kleine Scheiterrevolution vom Zaun brechen! Rückschläge sind doch Teil der Erfolgsgeschichte. Es gibt nicht nur den geraden Weg. In allen Lebenssituationen ist es so, dass der Weg zum Erfolg ein mühevoller mit vielen Rückschlägen ist. Der gelassene Umgang mit Unebenheiten im beruflichen Werdegang gehört eindeutig zu den Kompetenzen, die man im 21. Jahrhundert besitzen muss.

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Willowmergent

Bill Hybels erklärt im aktuellen Willow Audio-Journal „Mutig Führen“, dass er Brian McLarens Everything Must Change“ (das in Kürze auf Deutsch erscheint unter dem Titel Höchste Zeit, Umzudenken!) gleich paketeweise gekauft hat und sagt:

Dieses Buch hat mich begeistert. Ich habe 50 oder 60 Exemplare gekauft und es als Pflichtlektüre eingeführt für leitende haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter, Vorstandsmitglieder und Älteste. Außerdem habe ich es überall empfohlen. Ich sehe es als wichtigen Beitrag für den Denkprozess von Christen und christlichen Leitern, die die Sache wirklich ernst nehmen.

Natürlich kommt der übliche McLaren Disclaimer – „ich glaube nicht alles, was er schreibt“ – aber dann entwickelt sich ein gutes Gespräch zwischen Hybels, Beach und McLaren, das zeigt, wie breit die Front des Umdenkens inzwischen geworden ist und dass Emerging Church keine Spielwiese für Exoten mehr ist, sondern tatsächlich den evangelikalen Mainstream erreicht und durchdringt. Wie das mit Bewegungen eben so ist.

Wenn jetzt alle möglichen Leute das emergent/emerging Label in dieser oder jeder Schattierung für entbehrlich halten, dann doch auch deshalb, weil man inzwischen außerhalb dieser kleinen Brutkästen für Querdenker über die Themen reden kann, vor die uns der gesellschaftlichen Wandel stellt. Und darüber kann man sich eigentlich nur freuen!

Kleiner Nachtrag: Ich finde, es ist auch ein Kompliment, wenn man es als Autor schafft, mehr zu sagen, als viele andere auf Anhieb glauben können. Das bedeutet doch auch, dass wir noch ein paar Jahre mit – im guten Sinne – provozierenden Gedanken versorgt werden.

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Erzähl‘ mir eine Geschichte

Wer die postmoderne These vom Tod der Metaerzählungen als überholt betrachtet, wird von der FAZ eines besseren belehrt. Es gibt dieses Sterben noch immer, und zugleich kommen wir nicht ohne Geschichten aus:

Jeder, der mit Kindern lebt, weiß, dass Geschichten nicht erzählt werden, um Informationen zu transportieren. Das behaupten wir nur unter Erwachsenen: dass ein Text oder eine Rede dazu da ist, etwas Neues über die Welt zu sagen. Aufklärung ist aber nur eine Funktion von Geschichten. Eine andere ist der Trost, das Bändigen der unbekannt nahenden Zukunft, damit man sich einen Reim macht auf die Dinge des Lebens. (…) Gesellschaften sind manchmal wie Kinder, liegen zusammengekauert in der Embryonalstellung, den Blick auf das orangene Glühlämpchen in der Steckdose gerichtet – und wollen eine Stimme hören.

Diesmal ist es die neoliberale Story, die zusammengebrochen ist, und zugleich stellt sich die Frage, aus welchen Geschichten die neue Welt ihre Gestalt gewinnt. Es ist schon erstaunlich, wie viele religiöse Untertöne sich in die Kommentare zur globalen Finanzmarktapokalypse mischen. Und es ist wirklich eine Apokalypse: Ein krankes System wird enthüllt, demaskiert, Irrtümer und Fehler bloßgelegt. Hier für alle die Kurzversion dessen, was keiner mehr glauben kann:

Die Gier, von der so viel die Rede ist, war eine Gier danach, die Geschichte vom wahnsinnigen Wachstum des Geldes immer weiter erzählt zu bekommen, wie bei Harry Potter sollte immer noch ein beruhigend schwerer Band kommen von der großen neoliberalen Erzählung über Geld und Magie. In dieser Geschichte ist das Geld wie Red Bull, es verleiht Flügel: Vergiss deine bescheidene Herkunft, die engen Leute da, als Investmentbanker blickst du aus hellen Höhen auf die ganze Welt hinunter. Was dich belastet, was dich da unten hält, wo es nach Weichspüler riecht – das nennen wir Kosten.

Die Vergangenheit, die Gepflogenheiten, die örtlichen Gegebenheiten, das kannst du in Kosten verwandeln – und loswerden. Geld ist der Rohstoff der ultimativen Verwandlung, macht alles, und vor allem dich, zu glänzender Flüssigkeit, wie in „Terminator II“, du erstehst neu, unbesiegbar. Der Staat will das eindämmen, er hindert die Tüchtigen. Er hat keine Chance: Geld ist unser Zaubertrank. Alle Menschen werden fit.

Und ganz am Schluss fragt der Autor dann:

Neue Sachen passieren: Geld fließt von unten nach oben, Banken werden verstaatlicht, als habe man hierzulande die Weisheit von Hugo Chavez erkannt. Nur die passende Geschichte ist noch nicht gefunden. Besser wäre es, wir hätten einen ganzen Reigen davon zur Verfügung. Der neue Tag ist fern, wir brauchen etwas, das tausendundeine Nacht dauern kann. Was soll denn vorkommen in unserer Geschichte, fragt man manchmal die Kinder, und dann muss man etwas dichten, aus einer Katze, einem Feuerwehrauto und einem Baby. Was macht uns glücklich?

Dies ist die Stunde der Literatur: Unsere wichtigsten Papiere sind heute die Bücher.

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Brave Männer kommen in die Kirche, böse…?

Ich arbeite an einem Artikel über die Frage, warum in vielen Gemeinden so wenig Männer sind. Meine ersten, spontanen Einfälle zum Thema fasse ich hier kurz zusammen, ich hatte es ja schon verschiedentlich gestreift. Ihr könnt gern munter drauflos kommentieren.

Manchmal scheint das Klischee zu sein: Brave Männer kommen in die Kirche, böse überall sonst hin. Die Bibel gibt m.E. zu dieser Fragestellung keine direkten Aussagen im Sinne von Anweisungen her, was zu tun ist, um mehr Männer zu „erreichen“. Außer vielleicht der Beobachtung, dass wir das Evangelium so weit privatisiert haben, dass viele Männer finden, für ihre Lebenswirklichkeit spielt es keine Rolle – es sei denn, sie sind (und das ist jetzt nicht ironisch gemeint) gerade im Erziehungsurlaub. Also doch: ?

Ich halte die Unterschiede zwischen Männern und Frauen an sich für vernachlässigbar. Die sozial konstruierten und historisch geformten Rollen und im Zusammenhang damit die verschiedenen Lebenswelten sind der Knackpunkt. Wir haben ja auch herzlich wenig „Karrierefrauen“ in den Gemeinden, die keinen sozialen Beruf haben. Predigtinhalte bewegen sich in der Regel im Bereich apolitischer Individualethik (Ehrlichkeit, Treue etc.) und wenn es dann wirklich mal „politisch“ wird, geht es um Familie oder Abtreibung – schon wieder ein „Frauenthema“. Über Arbeit und Beruf wird selten gesprochen und wenn, dann geht es wieder oft um Moral, und für „typisch männliche“ Sünden (die haben in der Regel des Klischees mit Sex zu tun) gibt es dabei deutlich weniger Verständnis. Wirtschaftsethik fehlt dagegen.
Unsere dominierende Metapher für Gemeinde ist die Familie. Nur bedeutet Familie im 21. Jahrhundert „Kernfamilie“ (wenn nicht gar „Rumpf-Familie“), also emotionaler Nahbereich, das war im ersten Jahrhundert und bis vor wenigen Generationen noch ganz anders. Viele Männer fühlen sich, gerade wenn sie einen Job mit Verantwortung haben, in der eigenen Familie aber schon fremd, folglich erst Recht in der Gemeinde. Da kommt dann noch die ausgesprochen intime Lobpreiskultur dazu, mit viel Herz und weniger Anforderung an den Intellekt. Im NT ist ekklesia ein Begriff aus der Politik, und wir sind nicht nur Gottes Familie, sondern sein Volk. Diese weitere Dimension fehlt heute an vielen Stellen, wo das Evangelium auf Lebenshilfe im Beziehungsbereich reduziert wird. Dabei war es mal eine Botschaft, deren Träger wegen Hochverrats als Staatsfeinde hingerichtet wurden. Heute meiden viele Christen alles, was Joseph Myers zum öffentlichen Bereich zählt, und wegen manch missglückter Politisierung zur Rechten und Linken legt man in vielen Gemeinden Wert darauf, überhaupt nicht politisch zu sein.
Christliches Machotum oder fromme Cowboy-Erlebnispädagogik ist für mich keine ausreichende Lösung. Damit richtet man nur Biotope in einer immer noch widrigen Umgebung ein. Vermutlich auch nicht die autoritätslastigen, patriarchalischen Männerideale vom Haupt oder „Priester“ der Familie, die bei vielen (wenn sie mal Familie haben, das steht mit 20 ja in der Regel noch aus) die „normale“ Überforderung noch potenzieren. Das Problem sind nicht die Männer (zu weich, zu hart, was auch immer) und auch nicht die Frauen (zu viele, zu stark, …). Das Problem ist, dass wir Glauben privatisiert, moralisiert und in einer ganz bestimmten intimen Tonlage emotionalisiert haben. Also: Keine Biotope, sondern ein grundlegender Kulturwandel in der Gemeinde, der auch vielen Frauen gut tun wird.

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Leute, wo bleibt die Freiheit?

Heute nachmittag blätterte ich bei meinen Eltern in einem christlichen Magazin und fand einen Artikel, der sich mit dem deterministischen Menschenbild mancher Neurobiologen befasste. Wir sind nichts als das Produkt unserer ererbten Hirnstruktur. Schlagzeile und entsetzte Schlussfolgerung waren: Dann gibt es keine Sünde mehr!

Ich verstehe diese Art zu denken einfach nicht. Viele unserer Zeitgenossen kämen super klar in einer Welt, in der es keine Sünde mehr gibt (und folglich, das ist der tiefere Grund der nachvollziehbaren Freude, keine Moralapostel, die einem ein schlechtes Gewissen machen). Aber natürlich liegt das Problem an einer anderen Stelle: Es gibt keine Freiheit mehr, wenn wir total programmiert sind. Es gibt keine Persönlichkeit und Individualität mehr, nur zufällige, unveränderliche Verkabelungen. Es gibt keine Hoffnung mehr auf Veränderung (oder nur durch erzwungene Reprogrammierung), es gibt keine Liebe mehr (die ist nur eine nützliche romantische Illusion zur Brutpflege und Arterhaltung) und es gibt keine Verantwortung mehr, keine Gerechtigkeit, keine Wahrheit – weil jeder nur noch die Wahrheit erkennen kann, auf die er programmiert ist.

Und wenn man das alles gesagt hat, kann man meinetwegen auch sagen, dass es keine Sünde mehr gibt. Wer es andersherum versucht, gerät schnell in den Verdacht, dass er diese negative Folie braucht, um andere damit zu tyrannisieren oder die eigenen Ängste und Komplexe daraus zu speisen. Um die Unfreiheit der Sünde in die Bevormundung durch fromme Moral und soziale Kontrolle zu überführen. Und jenseits aller (nur zu berechtigten, wie ich fürchte) Verdachtshermeneutik stellt sich hier die theologische Frage, ob hier eine ganze Glaubensrichtung den Sündenfall der Menschheit zum theologischen Urdatum erklärt hat und nicht die Güte der göttlichen Schöpfung.

Ehrlich – das kann doch niemand ernsthaft wollen?

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