Der Häftling aus Zelle XV legte die Zeitung kopfschüttelnd zur Seite. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Diese Zwischenbilanz ist bestenfalls Kreisklasse. Ich habe mehr von ihm erwartet.“
„Wieso,“ fragte der Zellennachbar aus XIV durch die Gitterstäbe, „er hat doch keine schlechte Presse?“
„Ja, aber er kommt nicht so recht aus dem Knick“, antwortete der Typ mit dem wilden Bart und den lange Haaren. „Er scheint noch üben zu müssen für den großen Wurf. Und er verkrümelt sich in der Provinz, weit im sicheren Norden.“
„Na, sicher sieht anders aus, bei den vielen Rebellen dort im Hügelland“, hielt der andere dagegen. „Irgendwann werden sie sich sammeln und nach Süden ziehen.“
„Ob das für uns beide noch reicht? Die scheinen uns vergessen zu haben. Kein Wunder, aus diesen dicken Mauern dringt ja auch nichts nach außen. Ich frage mich allmählich, ob ich einem Schauspieler auf den Leim gegangen bin. Wenn er wirklich unser Mann wäre, säße ich dann noch hier? Ich meine, lies doch mal diesen Bericht: Ich kenne kaum die Namen der Käffer, die dort aufgezählt werden.“
Der aus XIV ließ sich die Zeitung durchs Gitter reichen. „Ich auch nicht“, sagte er nach einer Weile. „Und was mich noch mehr wundert: Er scheint die völlig falschen Leute zu rekrutieren.“
„Sag‘ ich doch“, grummelte der Bärtige. „Es sind jetzt schon acht Monate, dass sie mich hier eingesperrt haben. Langsam muss mal was passieren, sonst komme ich noch um in diesem Gemäuer. Die warten nur darauf, dass ich draußen vergessen werde, und dann bringen sie das zu Ende.“
„Du warst für mich immer der Größte“, sagte der andere. „Keiner hat denen da oben so deutlich die Meinung gesagt wie du. Und doch sind sie alle gekommen, um dich reden zu hören. Ich meine, sogar das Wachpersonal und der Alte erstarren noch in Ehrfurcht, wenn du den Mund aufmachst. Deswegen kommt er ja immer wieder mal vorbei. das macht er bei keinem anderen von uns.“
„Ja, der Alte kommt vorbei. Aber Er hat mich anscheinend vergessen. Oder er ist zu schwach. So oder so ist es deprimierend. Ich dachte, zu zweit hätten wir eine reelle Chance, hier etwas zu reißen. Ohne ein gewaltiges Blutbad hätte uns niemand ausschalten können. Wir hätten uns die Bälle zugespielt: Ich übernehme den aggressiven Part, er gibt den Versöhner, das kann er besonders gut. Aber eben nicht mehr als das, wie man sieht.“
Der Bärtige wurde plötzlich still. Durch das Gewölbe drangen Stimmen an ihr Ohr, die allmählich näher kamen. Er lauschte angestrengt, dann hellte sich seine Miene auf: „Endlich! Das sind Simon und Philipp. Sie haben ein paar Nachforschungen angestellt für mich. Mal sehen, ob sie gute Neuigkeiten haben.“
Es klapperte, und ächzend schwang die schwere Tür auf. Zwei junge Männer kamen herein, hinter ihnen steckte ein Wärter den Kopf in den Flur und legte dann wieder den Riegel von außen vor. Die beiden sahen müde und etwas verstaubt aus. Als sich ihre Blicke mit denen des Bärtigen trafen, flackerte Unsicherheit auf. Der eine blickt zu Boden, der andere fuhr sich mit der Hand durch das Haar und räusperte sich umständlich.
„Habt Ihr ihn gefunden?“, fragte der Bärtige. Die beiden nickten, und mit einer kleinen Verzögerung bestätigte Philipp: „Ja, aber ich bin mir nicht sicher, ob Dir seine Antwort gefällt.“
Es ist das Jahr 29, Herodes Antipas (der „Alte“) hat Johannes der Täufer in der Festung Machärus inhaftiert. Jesus unternimmt nichts, um Johannes zu befreien. Wenig später wird der Täufer hingerichtet. Ob er an Jesus verzweifelte oder ob ihn die Antwort Jesu aus Mt 11,2-6 tröstete, erfahren wir nicht. Wer möchte, kann hier weiter hören.
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