Was bedeutet „evangelikal sein“? (2)

Das Manifest zählt nun „defining features“ auf:

  1. Die Glaubenshaltung der Hingabe ist so wichtig wie die Glaubensinhalte
  2. Glaube drückt sich in Gottesdienst und Handeln genauso aus wie im (theologischen) Bekenntnis
  3. Die evangelikale Bewegung ist nicht auf definierbare Bewegungen begrenzt, sie ist nicht hierarchisch, vielfältig und anpassungsfähig – kulturell wie konfessionell
  4. Weil evangelikales Christsein nicht an eine Kultur gebunden ist, kann es auch nicht kulturell (etwa im Gegensatz von konservativ und progressiv), sondern es muss theologisch definiert werden
  5. Es definiert sich nicht aus der Abgrenzung heraus, sondern von Gottes Ja zu menschlichem Leben mit seinen Hoffnungen (und nur deshalb einem Nein zu allem, was Gottes Ebenbild in Menschen zerstört).
  6. Daher existiert evangelikales Christsein in einem doppelten Gegensatz: Zur Kapitulation des Liberalismus vor modernistischer Wissenschaftsgläubigkeit und der spiegelbildlichen Reaktion des konservativen Fundamentalismus, der seine problematischen, weil militanten Entsprechungen in anderen Religionen und im Atheismus/Säkularismus hat.
  7. Evangelikale sind gleichermaßen der Vergangenheit verbunden und offen für die Zukunft – innovativ, ohne dabei alles Neue automatisch als besser zu betrachten.

So verstanden (das hat mich beim Lesen überrascht) ist der Begriff Evangelikal weiter als „protestantisch“ und das evangelikale Prinzip der selbstkritischen Reflexion und Bereitschaft zu nötigen Veränderungen reicht weiter als es der Begriff „Protestant“ auszudrücken vermag.

Was es bedeutet, das protestantische Prinzip in der heutigen Situation anzuwenden, das wird im folgenden Abschnitt erklärt.

(Fortsetzung folgt)

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3 Antworten auf „Was bedeutet „evangelikal sein“? (2)“

  1. Hallo Peter,
    vielleicht darf ich hier einen kurzen geschichtlichen Exkurs geben: In der angelsaechsischen Welt stand der Begriff ‚evangelical‘ seit Jahrhunderten (seit der Reformation?) fuer biblisches Christentum – zu deutsch ‚evangelisch‘. Anfangs waren es demnach lediglich Reformierte (Presbyterianer, Kongregationalisten und Reformierte Baptisten), die sich ‚evangelical‘ nannten.
    Im 18. Jahrhundert kamen dann die Methodisten hinzu, ebenso wie die General Baptists, was von reformierte Seite, wegen der Ansicht ueber den freien Willen, eher als Irrlehre und daher nicht als ‚evangelical‘ angesehen wurde (Calvinismus Arminianismus). George Whitefield sagte einmal, dass der Arminianismus uns wieder zurueck in die Roemische Kirche fuehre.
    Im 19. Jahrhundert kam es dann zum Streit zwischen der zunehmenden liberalen Stroemungen in saemtlichen Kirchen und den ‚Evangelicals‘, welche darauf, man kennt es heute ja aus den Medien, als ‚Fundamentalists‘ bezeichnet wurde. Man beachte: Die Glaubenslehren der ‚Evangelicals‘ hatte sich nicht geaendert, dennoch wurden sie zu ‚Fundamentalists‘.
    Im 20. Jahrhundert dann machte sich ein Mann auf, den Glauben wieder zu den Massen zu bringen – Billy Graham. Er, der zuvor dem fundamentalistischen Lager zugeordnet war, versuchte durch auslassen der strittigen Doktrinen, den Glauben an den Herrn Jesus Christus wieder populaer zu machen. Seine Linie wurde damals als ‚New Evangelicalism‘ bezeichnet, hat sich heutzutage im Mainstream aber als ‚Evangelicalism‘ durchgesetzt. Mit dem ‚Evangelicalism‘, der schon lange davor existiert hatte, hat dies nichts mehr zu tun.

    Letze Anmerkung: ‚protestantisch‘ werden alle nicht Roemischen Kirchen genannt. z.B. ist die Anglikanische Kirche per Definition auch protestantisch. Wer aber einmal ein Gottesdienst von ihnen Besucht, mekt schnell, dass der Unterschied zwischen Anglikanern und Roemern ziemlich gering ist.

  2. Danke für die Belehrung. 🙂

    Schon klar, dass im Englischen „Evangelisch“ und „Evangelikal“ dasselbe Wort ist. Nur ist eben das englische „protestant“ die Entsprechung des deutschen „evangelisch“ im konfessionellen Sinn. Was man auch daran sieht, dass sich viele protestants heute nur sehr ungern als evangelicals bezeichnen lassen würden.

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