Gestern morgen las ich in der Zeitung, dass nach einer Studie des Innenministeriums inzwischen über 14% der jungen Frauen und über 26% der jungen Männer keine Kinder wollen. Gegenüber 1992 ist das ein Zuwachs von etwa 50% bei Frauen und über 100% bei Männern. Und es steht ja zu vermuten, dass die, die keine Kinder wollen, ziemlich sicher keine bekommen werden, während sich umgekehrt ja leider längst nicht bei allen anderen, die sich eigentlich Kinder wünschen, dieser Wunsch auch erfüllt.
Ob und wie sich dieser Trend umkehren lässt wird die Experten beschäftigen. Ich denke aber auch, dass die Zahlen deutlich zeigen, dass die Männer hier das größere Problem sind (und schon immer waren) – nicht die Frauen. Wie bringt man Männer dazu, gerne Verantwortung zu übernehmen?
Jetzt nicht in dem Sinne von Karriere, wo alle gern „mehr Verantwortung“ übernehmen wollen, aber eigentlich Status, Macht und Kohle meinen. Sondern die Art von gelegentlich ohnmächtiger Verantwortung mit merkwürdigen „Incentives“, die Elternschaft so mit sich bringt. Vor allem, weil es so langfristig ist: Unter 20 Jahren kommt man da auf keinen Fall weg.
Diese Woche radelten zwei kleine Jungs an mir vorbei und unterhielten sich lautstark. „Wenn wir groß sind und den Führerschein machen“, sagte der eine, „dann fahren die Autos von alleine.“ Der andere fragte: „Willst du heiraten? Denn wenn du heiratest, kannst du keinen Ferrari kaufen. Da passen nur zwei rein, und ihr bekommt ja wahrscheinlich Kinder.“ Aber die Chancen stehen offenbar nicht schlecht, dass sich sein Freund für den Ferrari entscheidet. Oder ein anderes Statussymbol der Konsumgesellschaft.
Seit einiger Zeit beschäftigt mich die merkwürdige Beobachtung, dass es gerade Eltern mit mehr als 2 Kindern sind, die sich an vielen Stellen engagieren, obwohl sie doch zuhause genug zu tun hätten (und haben!). Dagegen sind (natürlich nicht alle, aber doch deutlich häufiger) Paare mit einem Kind (oder ohne Kinder) schon total am Anschlag und möchten sich keine zusätzliche Verantwortung aufladen lassen. Etliche Freunde bestätigen dies.
Das führt zu der Frage nach Henne und Ei: Lernt man in einer größeren Familie, mit Belastungen umzugehen und Verantwortung zu tragen, oder haben diese Leute nur größere Familien, weil sie schon so gestrickt sind?
Wer rettet unsere Gesellschaft vor Verantwortungsflüchtlingen? Wer rettet sie selbst davor, sich spätestens im Alter Aufmerksamkeit und Anteilnahme kaufen zu müssen? Wie können wir solch überzogenen Individualismus überwinden, der ja auch in vielen anderen Lebensbereichen dafür sorgt, dass Solidarität (um mal ein anderes Wort zu verwenden) und Gemeinschafts- oder „Bürgersinn“ es schwer haben zu überleben? Aber vermutlich wird es hier erst dann einen Aufschrei geben, wenn eindeutige Wirtschaftsdaten beweisen, dass wir uns dieses Leben nicht leisten können. Ist Geld die einzige Sprache, die der Deutsche wirklich versteht…?
Ich frage mich, ob die Verantwortungsflucht ein „deutsches Problem“ ist oder ob es in ganz Europa ähnlich ist?
Das es ein Problem ist, wurde immerhin auch schon von den Politikern entdeckt, die seit einiger Zeit das „Ehrenamt“ fördern wollen. Habe leider vergessen, wie die Förderung aussieht.
Derzeit wird viel über die Nachkriegszeit berichtet. Da drängt sich der Zusammenhang zwischen den Erlebnissen in den Trümmerjahren und der funktionierenden Gemeinschaft einerseits, den Wohlstandskindern und dem zunehmenden Individualismus andererseits geradezu auf.
Andererseits waren früher sicher auch schon Leute mit einem tollen Auto, einem großen Haus und einer gute Position besser angesehen als jemand mit vielen Kindern, richtigen Freunden und einer Hingabe im Ehrenamt…