Traurige Bekehrungen

Durch einen Tweet von Frank wurde ich aufmerksam auf diese „Bekehrungsgeschichte“ einer gewissen Rechelle, die der religiösen Rechten in den USA, zugleich damit aber dem christlichen Glauben insgesamt den Rücken gekehrt hat.

Wirklich bewegend liest sich Rechelles Entschuldigung an alle, die sie in den Jahren ihres Christseins verurteilt und abgelehnt oder unter Druck gesetzt hatte: Homosexuelle, Nichtchristen allgemein, Sonntagsschüler, Angehörige, die Notleidenden dieser Welt.

Freilich kann man auch Christ sein, ohne allen anderen mit der Hölle zu drohen und all die anderen Dinge, die Rechelle nun als das erkannt hat, was sie sind: Mist. Sie selbst scheint diese Möglichkeit jedoch nicht zu sehen. Kirche ist für sie ganz offenbar eine durch und durch zwanghafte, gesetzliche, ausgrenzende Institution, die das Leben der einzelnen und der Gesellschaft vergiftet. Sie bedauert es, solchen Menschen auch noch Geld für ihre Zwecke gegeben zu haben. So weit Rechelles Erfahrung reicht, ist das wohl leider auch ganz zutreffend.

Warum erwähne ich das hier alles? Ihre Story wird von Atheisten hierzulande erfreut aufgegriffen und nicht ganz ohne Häme kolportiert. Rechelle wird das kaum stören, aber natürlich ist es billig, so zu tun, als gäbe es nur diese Karikaturen des Christentums oder einzelne – wenn auch große – problematische Strömungen als das Ganze auszugeben. Um all diese Fehler, die Rechelle nun behoben hat, gibt es ja auch unter Christen mit Recht heftigen Streit, und wer sich nur mal oberflächlich umsieht, trifft auf dessen Spuren. Ich fürchte aber, dass wir in Zukunft öfter mit solchen Situationen konfrontiert sein werden, weil Leute immer weniger über den christlichen Glauben wissen und weil solche krassen Geschichten lieber erzählt werden und leichter hängenbleiben als andere.

Jedenfalls hat es mich neu daran erinnert, solche Schwarz/Weiß Geschichten kritisch zu lesen, auch dann, wenn die Betreffenden zum christlichen Glauben gefunden haben, und mein Bild anderer Weltanschauungen nicht allein auf das zu stützen, was Aussteiger darüber sagen. Und was Rechelles toxisches Christentum angeht, vor dem einen wohl nur Demut und Kritikfähigkeit schützen, wurde ich heute an Mt 23,15 erinnert. Der Hölle sind offenbar die besonders nahe, die ständig von ihr reden, und da ist Jesus plötzlich gar nicht lieb und „tolerant“:

Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr zieht über Land und Meer, um einen einzigen Menschen für euren Glauben zu gewinnen; und wenn er gewonnen ist, dann macht ihr ihn zu einem Sohn der Hölle, der doppelt so schlimm ist wie ihr selbst.

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6 Antworten auf „Traurige Bekehrungen“

  1. Die ganze Situation ist tatsächlich eine einzige Tragik. Ich verstehe die Wut Jesu, weil diese Form der „Schriftenlehre“ soviel zerstört. Man selbst muss dann erstmal Tonnen von (theologischem) Schutt entfernen, bis man überhaupt die Chance hat, eine klarere Sicht auf Jesus und das Christentum zu bekommen. Ich verstehe auch die Entschuldigung von Rechelle, finde sie sogar im Ansatz richtig gut, zumal ich vermute, dass sie tatsächlich viele Menschen im Namen ihrer Religion verletzt hat. Es ist nur so schwer, gegen all diesen Missklang anzubrüllen, der da im theologischen All herumschwirrt. Wie immer ist die Stimme der Vernunft zu leise, um gehört zu werden. Vielleicht ist deswegen ja auch das Motto des Kirchentags „Damit ihr Hoffnung habt“ ^^.

  2. Ich vermute, Rechelle ist in sehr rechten Christenkreisen aufgewachsen und hat das wahre Wesen von Religiosität nie erfahren (können). Lediglich ein Buchstabenwissen, verbunden mit moralinsauren Auserwähltheitsparolen und Verachtung und Abscheu für alles , was nicht in IHRER Gemeinde organisiert und akzeptiert ist.
    Ich finde den Brief auch sehr ergreifend und traurig, wenn man sie seelischen Qualen bedenkt, die jemand mit ihrem Verantwortungsbewußtsein haben muss.
    Das die Kehrseite der Paulus-Schule und zeigt die Bedeutung des uralten Streites zwischen Gotterfahrung aus Mystik (wie z.B. Franziskus,Basilius,Bernhard und Antonius) und den Vertretern der Schriftgelehrsamkeit, die im hauptamtlichen Kirchenbereich zu finden sind. Also viele Päpste, Bischöfe, Professoren etc.

    Gruss Frank

  3. „lebe vor mir und sei ganz“, ein erinnertes, frei übersetztes zitat aus dem AT. das fällt mir dazu ein. sei ganz.

  4. Ja, es schmerzt, mit solchen Karikaturen des christlichen Glaubens konfrontiert und identifiziert zu werden. Gleichzeitig bin ich froh um solche Statements – vor allem, wenn sie so einfühlsam und klar geschrieben sind. Rechelles Entschuldigung ist doch die optimale Vorlage, um das eigene Denken und Handeln zu reflektieren. Würde sich für manchen Gemeinde-Workshop eignen.

    Was das öffentliche Echo angeht: Auch da bin ich gar nicht so undankbar, dass wir es mit einer kritischen Öffentlichkeit zu tun haben. Gerade bei uns in Deutschland sind rechtsgerichtete christliche Parolen ein No-go. Und so werden sie meist nur intern in den Grenzen der entsprechenden Gruppen hochgehalten. Das darf ruhig so bleiben.

    Insgesamt sehe ich in dem allen einen Appell, dass wir uns als Christen an unserem Handeln messen lassen müssen. Was tun wir zum Wohl der Menschen? Und was da Gutes geschieht, kann auch einer kritischen Öffentlichkeit standhalten (wenn auch nicht jeder Fundamental-Kritik).

  5. Hmm – so etwas macht mich selbst wütend, weil Jesus (seine Gemeinde, ich) mit solchen Menschen über einen Kamm geschoren werden. Weil die Taten/Reden von Menschen die sich Christen nennen mit Jesus und dem Glauben an Jesus gleich gesetzt werden.

    Wie oft muss ich mir anhören, was die „Christen“ schon alles verbrochen haben (das Hauptargument von Atheisten) – was natürlich schon wieder bedeutet, dass Jesus und mein Glaube auf der Seite von Mördern und Verbrechern stehen. Grummel.

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