Schön gerechnet

Letzte Woche schlug für die beiden großen Kirchen die statistische Stunde der Wahrheit. Es wurden Zahlen über Ein- und Austritte, Taufen und Todesfälle veröffentlicht und vielstimmig kommentiert. Für die katholische Kirche sah es etwas besser aus, für die EKD etwas schlechter.

Verblüffend fand ich allerdings, wie der Sachverhalt im Twitter-Account der EKD dargestellt wurde. Der handelte nämlich von einer „erfreulichen Entwicklung in der kirchlichen Statistik“. Das sah dann so aus:

Die Zahlen stimmen und die Tendenz zum Vorjahr ist günstig – 20.000 Austritte weniger. Wer das Bild anschaut, könnte zur Annahme verleitet werden, die EKD wachse wieder moderat. Freilich fehlt der größte Faktor: 340.000 Sterbefälle. Mag ja sein, dass es schon mal schlimmer war, aber gut ist es noch lange nicht, das zeigt auch der merkwürdig verdruckste Umgang mit den Zahlen.

Wenigstens im Lutherjahr hätte man mit dem Glaubenssatz von der Rechtfertigung des Sünders (und damit auch des Gescheiterten, des Verlierers, des Irrelevanten oder Abgehängten) an die eigene Statistik herangehen können. Anerkennen und aussprechen, was der Fall ist: Fast doppelt so viele Sterbefälle wie Taufen, gut siebenmal so viele Austritte wie Eintritte.

Statt sich am statistisch geschönten Schopf aus dem demografischen und areligiösen Sumpf ziehen zu wollen, könnte man in aller Ratlosigkeit und Enttäuschung ehrlich klagen und trauern. Um sich dann mit einem Kyrie Eleison der Gnade des barmherzigen Gottes anvertrauen. Und dann fröhlich und mutig überlegen, was nun zu tun ist.

Das könnte uns auch vor einem anderen Missverständnis der Rechtfertigung bewahren: Wenn wir bei der Gnade beginnen, befreit uns das von der Versuchung, Sündenböcke zu finden. Also die Misere exklusiv all denen in der Kirche anzulasten, die anders denken als wir selbst.

Share