„Religionen finde ich gut…“

sagte unterhalb der Nürnberger Burg heute ein junger Mann hinter mir zu seiner Begleiterin, „aber mich stört, dass alle meinen, sie seien die richtige“. Worauf sie mit einem dumpfen, abgrundtiefen Stöhnen antwortete: „Ja!“

Ich habe mich nicht in das Gespräch eingemischt, das ich unfreiwillig mitgehört hatte. Aber was hatte der Gute erwartet? Natürlich gibt es da eine gewisse – in der Regel zivilisiert ausgetragene – Konkurrenz. Er hätte auch sagen können: Mich stört an den Bundesliga-Vereinen, dass sie alle Meister werden wollen. Oder dass Politiker Wahlen gewinnen und Läden etwas verkaufen wollen.

Bei Religionen geht es um Überzeugungen – wen interessiert da eine Weltanschauung, deren Grundprinzip der Selbstzweifel wäre und die sich der Stimme enthielte, wenn es über die Grundfragen unserer Existenz diskutiert wird. Wer sich für eine Position entschieden hat, wird ja vermutlich noch wissen, welche Gründe dafür sprachen. Das kann man in aller Bescheidenheit dann auch sagen. Nichts zu sagen, um sich nur nicht angreifbar zu machen, ist keine Lösung.

Der ärgerliche Punkt ist an dieser Art von Konkurrenz ist, dass man sich (wie in allen anderen Lebensfragen) nicht sämtliche Türen offen halten kann, sondern sich festlegen muss. Wir tun das im Beruf, bei der Wahl des Ehepartners, wenn wir zwischen Keks oder Schokolade wählen – es sei denn, ein cleverer Süßwarenkonzern erlöst uns aus dieser Verlegenheit. Ich finde das schwierig: Einerseits scheinen viele zu erwarten, dass ganz andere Gesetze gelten, wenn es um Glauben geht (z.B. dass völlig widersprüchliche Aussagen gleichmaßen als wahr gelten – rot ist gleich blau ist gleich grün – und es einem so erspart bleibt, sich mit den Fragen selbst auseinanderzusetzen) und man gleichzeitig steif und fest behauptet, Religion sei irgendwie weltfremd.

Wirklich weltfremd ist doch diese Denke. So lange man noch vor dem Regal steht und sich ob des reichen Angebots die Haare rauft, ist dieser „Wahlzwang“ ein ärgerliches Luxusproblem. Bis man sich daran erinnert, dass die wirkliche Alternative zu diesem Pluralismus das totalitäre System ist. Der Weg von der Burg zum Reichsparteitagsgelände ist so weit nicht…

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6 Antworten auf „„Religionen finde ich gut…““

  1. Meine Vermutung ist ja, dass der junge Mann und seine Begleiterin über etwas anderes gesprochen haben als das, was du hier schreibst. Sie sprechen über Religionen und meinen dabei die aus ihrer Sicht höchst individuelle religiöse Gestaltung des eigenen Lebens, die voraussetzt, dass wir in unser pluralistischen Gesellschaft verschiedenste Überzeugungen haben. Es geht ihnen aber um die religiöse Gestaltung des Lebens selbst, nicht um die Inhalte oder die Wahrheitsfrage. Deswegen würden sie wahrscheinlich auch allergisch auf jegliche Argumentation reagieren, die die Wahrheitsfrage in den Mittelpunkt stellt.

    Darum geht es aber dir ja – du schreibst dann ja irgendwann auch von Glaube anstatt von Religion und benutzt dann auch einen Glaubensbegriff als Äquivalent für „Für-Wahr-Halten“. An der Stelle sehe ich Chancen für einen Dialog mit den beiden, wenn wir uns davon verabschieden, dass es beim Glauben nur um ein „Für-Wahr-Halten“ geht, sondern auch um ein Beziehungsgeschehen und um Glaube als Vertrauen, und wenn wir dann plausibel machen können, dass es, wie du schreibst, bei „Religionen auch um Überzeugungen geht“, würde das dem Gespräch sehr dienen. Letzteres setzen wir oft voraus, was viele andere Menschen aber eben nicht tun, und das führt dann m.E. oft dazu, dass der Dialog nicht gelingt und die Fronten sich zu schnell an der Wahrheitsfrage verhärten.

    Dass es tatsächlich auch um Überzeugungen geht, ist meiner Erfahrung nach Menschen im Hinblick auf fremde Religionen oft schneller einsichtig als im Hinblick auf unsere eigene und es leuchtet doch vielen Menschen ein, dass sich ein großer Teil von Muslimen beispielsweise nicht ernstgenommen fühlt, wenn ich seine Religion auf das Rituelle reduziere und seine Überzeugungen nicht ernst nehme.

  2. Danke, Simon. Ich denke, man kann „Beziehungsgeschehen“ und „für wahr halten“ gar nicht im Sinne von Form/Inhalt trennen. Das Gegenüber (oder meine Vorstellung von diesem Gegenüber) prägt ja den Charakter dieser Beziehung immer mit.

    Deshalb habe ich den Begriff „Überzeugung“ verwendet, das ist für mich mehr als nur intellektuelle Zustimmung zu Glaubenssätzen. Ich kann bei unterschiedlichen Wegen nur einen beschreiten – vielleicht ist das ein besserer Begriff als „Position“.

    Genau das aber ist der Punkt, den die total individualisierte und privatisierte Religiosität heute systematisch verschleiert. Ich denke, hier wird das eh schon fragwürdige „Religion ist Privatsache“ der Aufklärung unter den Bedingungen der Konsumgesellschaft zur „Geschmackssache“, und dann lässt sich darüber natürlich nicht mehr streiten. Religion mit einem wie auch immer gearteten Anspruch über die bloße Innerlichkeit hinaus ist dann irgendwie unanständig.

  3. öhm, nö. ich muss mich nicht entscheiden. bzw. ich nehme heute das und morgen was anderes. so leben wir. und das erwarten wir anscheinend auch von religion.

    und bei beruf und partner: wo legen sich die leute denn heute fest?

  4. Guter Punkt, Peter. Vielleicht kann man aber das eine oder das andere mehr betonen.

    Ich denke aber und das war mir wichtig, dass wir zunächst wieder dafür werben müssen und es einsichtig gemacht werden muss, warum Religionen ohne Überzeugungen uns letztlich nicht glücklich machen werden. Dies einfach zu behaupten leuchtet sehr vielen Menschen einfach nicht mehr unmittelbar ein.

    Und wie in der Partnerschaft auch lassen sich doch dann im Dialog auch einige gute Gründe finden, warum es auch hier sinnvoll ist, aus Überzeugung einen bestimmten Weg zu gehen.

  5. Klar, da stimme ich Dir völlig zu. Ich habe noch eine Weile überlegt. Die Überzeugung, dass es sich um eine Beziehungssache handelt, setzt ja schon ein Verständnis voraus, dass unseren buddhistischen Freunden eher schwer fallen dürfte (der Weg dagegen schon). Und genauso, wenn wir sagen, dass es eine Beziehung auf Augenhöhe ist (weil Menschen zum Bild Gottes geschaffen sind und Gott in Christus Mensch geworden ist), da müssen die unsere muslimischen Freunde schlucken, wenn Gottes Souveränität so ausgeleiert erscheint. Soll heißen: mit Deiner Unterscheidung hast Du bestimmte Konflikte sofort „gesetzt“. Sie ist damit keinesfalls falsch. Sie verschiebt bloß die Verwerfungen.

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