Der Unterschied zwischen der politischen Theologie von Jürgen Moltmann, Dorothee Sölle, Johann Baptist Metz u.a. und einer (neu)rechten politischen Theologie, die wieder bei Carl Schmitt anknüpft, liegt in der Differenz zwischen apokalyptischer und eschatologischer Orientierung:
Apokalyptiker sehnen den Endkampf zwischen Gut und Böse herbei. Eschatologiker hingegen sind von einer Theologie der Hoffnung erfüllt. Sie arbeiten nicht an der Apokalypse, sie verstehen sich vielmehr als geduldige Mitarbeiter am kommenden Reich Gottes.
Rolf Schieder in feinschwarz.net
Was das Motiv vom „Endkampf“ bewirkt, hat sich am Freitag in Christchurch gezeigt. Trotzdem ist das mit den Begriffen, die Schieder hier benutzt, so eine Sache. Wir haben es ja durchaus mit verschiedenen Apokalypsen zu tun: Die rechte Apokalypse ist der angebliche Verrat der globalen Eliten an Volk und Nation. Das rechtfertigt den Ausnahmezustand, fördert eine identitäre „Resakralisierung des Politischen“ und dient als „Radikalisierungsmanual“, erklärt Schieder. Sein Gegenmodell des „Eschatologischen“ trifft sicher auch auf die oben genannten Protagonisten zu, die politische Theologie in den Siebzigern sozial- und institutionenkritisch betrieben.
Fingierte und reale Apokalypsen
Ich bin trotzdem nicht ganz zufrieden mit dieser Differenzierung. Zumindest nicht im Blick auf die Gegenwart. Denn da reden wir ja nicht nur vom rassisch-völkischen Wahn und seinen halluzinierten Abendlandsapokalypsen, sondern von mess- und in groben Zügen auch berechenbaren Apokalypsen, die uns ins Haus stehen – wenn wir nicht gegen die Klimakatastrophe unternehmen, die schon längst im Gang ist. Wo buchstäblich die Elemente der Welt aufbegehren gegen menschliche Gier und politische Verantwortungslosigkeit. Hier ist Geduld ein problematischer Begriff, weil die Zeit tatsächlich drängt. Ungeduldige Beharrlichkeit ist da schon eher angesagt.
Politisch-kulturelle Veränderungen lassen sich umkehren, und viele arbeiten daran ja mit großem Eifer und in unterschiedlichen Richtungen. Sind ökologische Kipppunkte aber erst einmal überschritten, kommt jegliches Umdenken zu spät. Ulrich Beck bezeichnete das kurz vor seinem Tod in Die Metamorphose der Welt schon einmal mit dem Wort „Katastrophismus“. Damit verband er die Hoffnung, es könne ein emanzipatorischer Katastrophismus werden. Ob sie sich erfüllt, ist noch nicht entschieden.
Bruno Latour denkt das in seinem terrestrischen Manifest weiter und spricht vom geosozialen Zeitalter. Erdboden und Atmosphäre werden zu eigenständigen „Attraktoren“, die das Politische neu ausrichten. Und zwar quer zu alten Polaritäten wie konservativ/progressiv oder lokal/global:
„Die Frage stellt sich, ob mit dem Auftauchen und der Beschreibung des Attraktors des Terrestrischen politisches Handeln wieder sinnhaft und richtungsweisend werden kann – und so der Katastrophe zuvorkommt.“
Bruno Latour
Ausnahmezustände
Entsprechend ist die auch Botschaft der Jugendlichen von Fridays for Future, die (verhältnismäßig junge) Politiker wie Christian Lindner oder Paul Ziemiak und ihre herablassenden Sprüche festgefahren und fossil aussehen lässt, eine Botschaft des Ausnahmezustands. Symbolisch wird das Thema Ausnahme an der Schulpflicht durchgespielt. Vor allem aber werden drastische Schritte eingefordert, um einen noch drastischeren Verlauf der schon im Gang befindlichen Katastrophe noch abzuwenden. Freilich mündet das, anders als bei Carl Schmitt und seinen neurechten Wiedergängern, nicht in den Ruf nach dem starken (und natürlich weißen) Mann. Der hat die Katastrophe mit seiner imperialen Lebensweise ja überhaupt erst herbeigeführt.
Haben sich Forscher, Volksvertreter und Aktivisten beim Klimawandel eher vornehm im Entdramatisieren geübt, während von Rechts Gefahren ebenso unablässig wie hemmungslos beschworen und dramatisiert werden? Viele waren besorgt, nicht zu radikal zu wirken. Die Auto-, Kohle- und Agrarlobby konnte ihr Wunschpersonal derweil in den einschlägigen Ministerien platzieren. Aber nun besteht die Hoffnung, dass der Widerstand lauter, breiter und entschlossener werden könnte.
Dem Schlamassel ins Auge blicken
Schieders Unterscheidung eschatologisch/apokalyptisch trifft also im Zeitalter der Verstockung auf die Frage nach dem „Woher“ zu. Sie greift aber noch zu kurz im Blick auf das „Wohin“. Da liegt noch Arbeit vor uns. Inspirierend erscheint mir etwa diese Analyse von Wolfgang Palaver. Von René Girard angeregt schreibt er über Wege, einer rechten Politik der Angst beizukommen. Er verweist auf eine Spiritualität, die Menschen dezentriert und damit Toleranz fördert, und einem „reiterativen Universalismus“, der Gott auf vielfältige Weise am Werk sieht in der Welt. Das lässt sich mit der Klima-Thematik gut verbinden.
Vielleicht möchten einige von Euch diesen Faden aufnehmen und weiterspinnen. Im September haben wir von Emergent Deutschland aus Con:Fusion 2019 geplant. Als kleinen Beitrag zur großen Aufgabe. Wir brauchen ja nicht nur eine neue Theorie, sondern wir müssen einander Mut machen. Und wir brauchen auch einen spirituellen Ort, wo Klage laut werden darf, Abstumpfung geheilt wird, so dass schließlich wieder Neues gedeihen kann.
Nicht nur in der Politik, auch in der politischen Theologie stehen wir vor neuen Aufgaben.