Destruktive Beziehungsideale

In der Welt setzt sich Matthias Kamann mit dem Scheitern von Ehen auseinander. Neben einer Aufzählung der fatalen Folgen vieler Trennungen fragt er auch nach den Gründen, die die Durchhaltebereitschaft deutscher Paare nach etwa 1.000 Tagen Ehe immer weiter abnehmen lassen. Denn ab dem dritten Jahr beginnen die Krisen, ein Jahr später die Scheidungen.

Eine herausragende Rolle spielt dabei das “Ideal der reinen Beziehung”, die nur sich hat und alles aus sich heraus (nicht etwa aus “äußeren” Verpflichtungen) begründet und ableitet: Hohe Erwartungen an emotionale Erfüllung und harmonische Zweisamkeit, die fast zwangsläufig enttäuscht werden: “… wo man sich zurückzieht und es bei den Ritualen des Status quo belässt, da beginnen sofort die Entzweiungen und Seitensprünge (mit sehr wenig Sex und viel Enthusiasmus). Nicht an Gewalt, nicht an Bindungsunfähigkeit, sondern an unerfülltem Bindungsverlangen (und in dessen Folge erst am Fremdgehen) scheitern die meisten Ehen.

Anders gesagt: Würden wir etwas pragmatischer und realistischer an die Ehe herangehen (die sich nach wie vor die große Mehrheit der jungen Deutschen wünscht), könnte das nur von Vorteil sein. Etwa wenn wir verstehen, dass ein Teil unseres Bedürfnisses nach Nähe und erfülltem Leben auf Gott gerichtet ist und einen Partner schlicht überfordert. Unvermeidliche Enttäuschungen müssen dann nicht reflexartig in den Rückzug führen.

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Umgekehrte Prioritäten

Während im Normalfall meine familiären Pflichten sich um meine Arbeit herum gruppieren – auch wenn die in mancher Hinsicht flexibler ist als viele andere Jobs – hat sich das diese Woche umgekehrt. Martina ist fünf Tage weg und nun stehen Essen kochen, Küche aufräumen, Hilfe bei den Hausaufgaben, Taxidienste, Einkaufen und Krankenpflege (Manuel hat Fieber) auf dem Plan.

Für Arbeit bleibt auch noch Zeit, ich habe ein paar Tage frei genommen und verteile alles über die ganze Woche, aber jetzt arbeite ich, wenn ich vom Rest mal Luft habe. Eigentlich eine gute Erfahrung – aber es ist ja auch erst der zweite Tag.

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Alles Deins…

Ich kann gar nicht sagen, wie viele Menschen, die ich kenne oder von denen ich gehört habe, in den späten Teenagerjahren oder Anfang Zwanzig Wahrheit außerhalb ihrer Religion erfahren und daraufhin dem ganzen den Rücken kehren, weil sie denken, das wäre ein Entweder-oder. (…)
Sie erleben Wahrheit auf alle möglichen neuen Weisen, und sie brauchen einen Glauben, der groß genug ist, um das zu stemmen. Ihr Schema wird gesprengt, und der Glaube, den man ihnen vermittelt hat, hat keinen Platz für das, was sie lernen.
Aber es ist kein Entweder-oder, weil Jesus sagte: “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben”. Wenn du auf die Wahrheit triffst, egal in welcher Form, liegt sie nicht außerhalb deines christlichen Glaubens. Dein Glaube ist gerade größer geworden. Christ zu sein, bedeutet sich Wahrheit zu eigen zu machen, wo immer man sie findet.

Rob Bell, Velvet Elvis : Repainting the Christian Faith, S. 81

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Schamlos

“So kommen wir ins Finale” sagte Luis Figo über das bisher peinlichste aller WM-Spiele, die “Schlacht von Nürnberg”. Na, das wollen wir mal nicht hoffen. Vielleicht haben die Engländer ja Lust darauf, sich doch noch mal mit Ruhm zu bekleckern – das Viertelfinale wäre ein guter Zeitpunkt.

Interessant auch, dass die niederländischen Journalisten im ARD Pressespiegel selbstkritische Töne finden, während die Portugiesen über den Schiedsrichter mosern, aber ihr Team als Helden feiern. Ich glaube, ich tausche mein Portugal-Trikot wieder um…

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Freundliche Selbstbespiegelungen

Wer meint, die emerging church hätte es mit der Selbstreflexion auf die Spitze getrieben, muss mal den deutschen Blätterwald ansehen. Auf mysteriöse Weise hat sich die Abwärtsspirale der Selbstkritik umgekehrt.

Eine Nation entdeckt die Begeisterung
über die eigene Nation
und ist davon total begeistert

Das können wirklich nur wir 🙂

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Prophetisches Christsein (4): Zwischenauswertung

Brueggemanns Analyse hat mich sehr an “Matrix” erinnert: Wir haben es mit einer Situation zu tun, wo vor lauter “Sachzwängen” Alternativen kaum noch denkbar scheinen, wo Sattheit und Abstumpfung dafür sorgen, dass Menschen sich fügen in die Gefangenschaft einer Welt, die andere für sie “managen” – nicht ohne dabei den eigenen Vorteil zu sichern.

Kleine Fußnote: In Watership Down kommen die flüchtigen Kaninchen in eine Bau, wo ungewöhnlich große und distinguierte Artgenossen leben, aber eine unnatürliche Traurigkeit über allem liegt. Schließlich stellt sich heraus, dass Menschen sie halten und dafür immer wieder mal ein Tier “ernten”. Nur wird über dieses Thema nicht geredet. So wie bei uns über die wahren Kosten von materiellem Wohlstand, Erfolg und Sicherheit. Oder die Diskussion am Ende der Truman Show: Soll man unechte Sicherheit gegen riskante Freiheit eintauschen?

Der Prophet erinnert an Gottes Freiheit gegenüber diesen brüchigen Welten. Er legt mit seiner Poesie die Risse und Sollbruchstellen der gängigen (manipulierten) Weltbilder und Denkstrukturen frei, er kontert die Apathie der herrschenden Götzen mit Gottes Leidenschaft, die an die Wurzeln unseres Selbstverständnisses und Weltbilds gehen. Er weckt die tieferen Träume und Sehnsüchte, die unter den allgegenwärtigen Zerstreuungen verschüttet waren oder aus Kostengründen abgeschrieben beziehungsweise auf Eis gelegt wurden – heilige Unzufriedenheit und Unruhe.

Wahrer Hoffnung und wahrer Trost können auf dieser Grundlage erst richtig gedeihen. Davon handelt dann der nächste Post.

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Propheten (3): Die Abstumpfung überwinden

Die satte und leidenschaftslose Mentalität, die Salomo und Pharao an den Tag legen, verdrängt das Wissen von der eigenen Endlichkeit und Begrenztheit. Der Prophet muss zu allererst die Freiheit schaffen, sich eine Alternative überhaupt wieder vorzustellen. Eine kreative Aufgabe:

Ich vermute, dass unser Selbstkonzept als Propheten in spe meistens zu ernst, realistisch und sogar verbissen ist. Doch […] der charakteristische Weg eines Propheten in Israel ist der der Poesie und Lyrik. Der Prophet engagiert sich im Ausmalen der Zukunft. Der Prophet fragt nicht, ob die Vision umgesetzt werden kann, denn Fragen der Umsetzung sind ohne Folgen, bis man sich die Vision vorstellen kann. […] Unsere Kultur kann fast alles implementieren, aber fast nichts imaginieren.

Phantasie und Vorstellungskraft sind eine Bedrohung für jedes Regime, weil es an der Stabilisierung seiner Macht interessiert ist, nicht an dem was sein könnte.

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Sie lieben uns

Die Engländer. Sogar viele Holländer. Sie finden uns Deutsche tatsächlich sympathisch! Bevor die Zuneigung die K.O. Phase möglicherweise doch nicht überlebt, schnell nochmal hier nachlesen 😉

PS: Danke, Franz…

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Gegenkultur und prophetisches Bewusstsein

Nach dem ersten Kapitel von Brueggemann würde ich sagen, dass prophetisches Reden mehr ist, als nur etwas von Gott zu “hören” – das können im Prinzip alle Christen. Wenn man Prophetie und “hörendes Gebet” verwechselt, entsteht die Situation, dass man viele ziemlich belanglose Beiträge in Veranstaltungen bekommt, die keinen Ruck durch eine Gemeinde gehen lassen, sondern eher zerstreuend und belanglos wirken, als würde Gott plappern, um den frommen Betrieb in Schwung zu halten (Das gilt m.E. auch dann noch, wenn erwartungsgemäß in einer größeren Gruppe der eine oder andere sagen wird, er habe damit “etwas anfangen können”).

Im zweiten Kapitel setzt sich Brueggemann mit der herrschenden imperialen Mentalität auseinander (“royal consciousness”). Mose war mehr als ein sozialer Aktivist, weil es ihm um die Veränderung der Denkstrukturen ging, die ein unterdrückerisches Regime wie in Ägypten erst möglich machten. Zur Zeit Salomos jedoch ist Israel dabei, dem Vorbild der Nachbarstaaten nachzueifern (politische Ehen, Steuerprovinzen, Bürokratie, stehendes Heer, Faszination der Weisheit, Frondienste).

Salomo erreichte, was man nicht für möglich gehalten hätte, denn er nahm die mosaische Innovation und machte sie völlig zunichte. Im Jerusalem des zehnten Jahrhunderts ist es, als hätte die Revolution und das soziale Experiment nie stattgefunden. (S. 31)

Die drei wichtigsten Faktoren, die der prophetischen Gegenkultur des Mose entgegenstehen, sind: Wohlstand (1. Kön 4,20ff), Ausbeutung und Unterdrückung (1. Kön 5,13ff) und eine Religion der Immanenz (1. Kön 8,12f). Sie bedingen einander gegenseitig.

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Was ist eigentlich prophetisch?

Mit ein paar Leuten bin ich im Gespräch darüber, was wir unter dem Begriff “prophetisch” verstehen. Mir scheint eine Klärung wichtig, weil die gängigen Bestimmungen recht unbefriedigend sind. Theologisch liberal gedacht geht es darum, Unrecht anzuprangern und Soizalethik zu predigen, konservativ geht es um die reine Lehre und ein bißchen Moral, für andere ist es eine Art Orakel (oft bei Charismatikern und auch Esoterikern), in der Regel mit Botschaften für einzelne.

Hirsch und Frost beschreiben es funktional als “questioner” und “disturber” – das gefällt mir schon deutlich besser. Noch weiter geht Walter Brueggemann hat sich in “The Prophetic Imagination”. Für ihn geht es darum, ein alternatives Bewusstsein zu bewirken, das sich von dem Zeitgeist der herrschenden Kultur abhebt. Mehr noch, es geht um eine alternative Gemeinschaft von Menschen. In unserem Fall der materialistischen Konsumgesellschaft ist das Gegenstück dazu ein Leben ohne Geschichte und ohne Hoffnung, immer im Augenblick, aber daher auch müde und unfähig zu echter Veränderung.
„Was ist eigentlich prophetisch?“ weiterlesen

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Dicke Lippe

Ich hatte zwischenzeitlich schon Sorge, dass ich heute nicht predigen können würde: Gestern war ich recht flott mit dem Rad unterwegs, als ich mit einer – ebenfalls mit hohem Tempo entgegen kommenden – Biene oder Wespe zusammenstieß. Das Tier touchierte meine Unterlippe (ein Glück, dass es nicht in den Mund flog…), nicht ohne einen schmerzhaften Stich zu hinterlassen. Die Wunde lag ja günstig zum Aussaugen während der Fahrt, aber heute morgen war die Lippe dann doch wieder dick. Trotzdem – es hätte schlimmer kommen können.

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Zeitgemäß Feiern

Weil niemand weiß, wie lange wir noch Grund zum Feiern haben bei dieser WM, tun wir nach jedem Spiel so, als wäre das schon der Titel. Verkehrskollaps in den Innenstädten, lärmende Verbrüderung mit konkurrierenden Teams, Schwarz-Rot-Gold allenthalben und so weiter.

Heute habe ich zwei Autos mit portugiesischer Fahne hupend vorbeifahren sehen. Vor ein paar Jahren (EM? WM?) hat Italien ein Viertelfinale gewonnen und die Tifosi haben in Nürnberg den Altstadtring dicht gemacht. Ich blieb im Verkehr stecken, weil ich nicht mit so viel Siegestaumel gerechnet hatte.

Warum fahren eigentlich nicht nächstes Jahr an Ostern mal Christen aus allen Gemeinden mit dem Auto hupend in die Stadt, schwenken Fahnen (‚tschuldigung, auf kanaanäisch: “Banner”), nehmen ein paar Flaschen Abendmahlswein mit (und Traubensaft…), grölen “so ein Tag” und verbrüdern sich mit jedem, der vorbei kommt – Materialisten, Muslimen, Mormonen, …?

Da muss man nicht viel organisieren, das bleibt anders als viele Gottesdienste nicht unbemerkt und es macht manchen von uns sogar Spaß. Vielleicht eine etwas flottere Version der Fronleichnams-Prozessionen

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Zähe Träume

John Gottman hat viele gute Ratschläge und Ideen. Diesen Gedanken zu scheinbar unlösbaren Konflikten fand ich bemerkenswert: Es geht darum, die dahinter liegenden Träume beider Partner zu suchen…

Ein guter Hinweis darauf, dass Sie mit einem verborgenen Traum kämpfen, ist, dass Sie den Eindruck haben, Ihr Partner sei ganz allein an dem ehelichen Problem schuld. Wenn Sie sich selbst zum Beispiel sagen hören, dass das Problem einfach sei, dass er blöd sei, oder dass sie sich unverantwortlich oder maßlos fordernd verhielte, dann ist das ein Zeichen für einen verborgenen Traum.
(…) Oft bleiben Träume nach einer Eheschließung unausgesprochen oder werden verschüttet, weil wir annehmen, dass das notwendig sei, damit die Beziehung funktioniert. (…W)enn Sie sich der Ehe anpassen, indem Sie einen Traum begraben, dann wird er einfach in einer anderen Verkleidung wieder auferstehen, nämlich als ein Konflikt mit einer Pattsituation.

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Mein Höhlengleichnis

Gestern waren wir zu viert in der Schönsteinhöhle. Ein eindrückliches Erlebnis: atemberaubende Tropfsteinformationen, glitschige Kletterpartien, schließlich auf dem Bauch durch den Schlamm robben. Zwischendurch habe ich fast einmal den Koller bekommen, aber Thomas war ein guter Führer. Alleine hätte ich mich hoffnungslos verfranst. Weil er so viel Ruhe ausgestrahlt hat und mir glaubhaft versicherte, dass hinter einer unangenehmen Kriechpassage ein lohnenswertes Ziel (oder der Rückweg) zum Eingang lag, habe ich meine eigenen Widerstände überwinden können.

Beim Nachdenken hinterher fiel mir auf, dass es Lebenssituationen gibt, wo es wie in einer Höhle zugeht, aber ganz unplatonisch: Der größte Fehler, den man machen kann, ist es allein zu versuchen. Die Gefahr, sich zu verirren, in “ein Loch zu fallen”, stecken zu bleiben oder (noch wahrscheinlicher) durchzudrehen ist erheblich. Also brauche ich jemanden, der ruhig bleibt, der den Weg kennt, der selbst die Engpässe durchgestanden hat und weiß, dass dahinter ein weiter Raum liegt. Dann kann ich meine Angst und Fluchtgedanken herunterschlucken und mich auf das konzentrieren, was vor mir liegt, und es wird schließlich eine gute Erfahrung.

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