Einige von uns verbringen ja krisenbedingt mehr Zeit im Wald. Das kann den Horizont durchaus erweitern. Der Herald brachte kürzlich ein Interview mit Peter Wohlleben über dessen Anschauung von Bäumen. Der Mann wird ja immer wieder kritisiert, weil er angeblich zu menschlich von Bäumen spricht. Er beschreibt sie als soziale, kommunikative Wesen und benutzt dabei – anders als viele seiner Kollegen – Metaphern aus unserem menschlichen Miteinander. Zum Beispiel, wenn er einen Baumstumpf, der über das Wurzelgeflecht benachbarter Bäume am Leben erhalten wird, als „Ruheständler“ bezeichnet.
Freilich ist er damit eher auf der poetischen Seite des wissenschaftlichen Spektrums. Dort wird allerdings nicht weniger metaphorisch geredet. Es sind lediglich andere Metaphern, die bevorzugt werden: Mechanistische (Wohlleben nennt das „Bioroboter“) oder ökonomische Vorstellungen – Konkurrenz, Synergie, Effizienz zum Beispiel. Immer wieder ist zu lesen, diese oder Lebewesen seien darauf aus, ihre Gene so weit wie möglich zu verbreiten. Auch in solchen Formulierungen steckt eine Art Intentionalität, aber eben keine primär soziale.
Die Ökonomen sind indes schon wieder einen (zweifelhaften) Schritt weiter in Richtung Börsenpoesie. Immer wirde mal heißt es, der DAX stemme sich gegen Risiken oder schlechte Nachrichten. Während es sicher kein Fehler ist, von Bäumen als Lebewesen zu sprechen, kann man einem Börsenindex schwerlich so etwas wie Bewusstsein oder Wille nachsagen. Der bildet nur das bunte Treiben vieler Akteure auf dem Markt ab.
Es ist also akzeptabel, vom DAX personifizierend oder vermenschlichend zu reden, aber nicht vom Wald. Ich vermute, dafür gibt es nur eine Erklärung: Er steht den meisten von uns einfach näher als die Natur. Wir erkennen uns selbst in ihm wieder (klar – er ist ja unser Geschöpf!) und wir erwarten uns von ihm mehr Trost, Hilfe und Beistand als von unseren kleinen und großen Mitgeschöpfen. Das wäre eine durchaus besorgniserregende Tendenz.
Um so mehr wünsche ich allen schöne und bewusstseinsbildende Spaziergänge im Wald. Habt keine Scheu, mal mit einem Baum zu reden. Peter Wohlleben sagt zwar, dass die Bäume uns nicht verstehen. Aber das ist auch gar nicht der Punkt: Das Reden könnte uns helfen, sie wieder als Lebewesen zu sehen und nicht als Baumaterial oder stimmungsvolle Kulisse für Freizeitaktivitäten. Und das Hören auf den Wind in den Baumkronen, das Knarren der Äste, das Rascheln im Laub.
In diesen Sinn – einen gesegneten GrünDonnerstag!