Narrative Theologie

Ich schreibe gerade als Co-Autor an einem kleinen Buch über die große Frage „Was ist das Evangelium?“ Es sind ja sehr unterschiedliche Versionen im Umlauf und damit stellt sich sogleich die Frage, wie sich unsere heutigen „Evangelien“ zur Verkündigung Jesu vom nahen Reich Gottes und zur Botschaft der Apostel verhalten.

Nun stellt sich damit auch die Frage, was noch notwendige Elementarisierungen und was schon fahrlässige Verkürzungen der guten Nachricht sind, und ob sie dabei noch eine gute Nachricht bleibt. Und es stellt sich nicht nur die Frage nach dem „was“, von dem da die Rede ist sondern auch nach dem „wie“ – wie es angemessen zur Sprache gebracht werden kann und wie nicht (ein gutes Beispiel der – trotz Bibelzitaten – quasi kontextfreien Totalpropositionierung sind zum Beispiel die „Vier geistlichen Gesetze„).

Roger E. Olson hat einen griffigen kleinen Post zum Thema „Narrative Theologie“ geschrieben, den ich in diesem Zusammenhang sehr hilfreich finde. Ein paar Kerngedanken greife ich kurz heraus.

  • Narrative Theologie gibt der Geschichte Gottes mit seinem Volk, die sich im biblischen Kanon niederschlägt, die zeitliche und sachliche Priorität gegenüber Propositionen, also eher abstrakten dogmatischen (oder ethischen) Lehrsätzen.
  • Lehrsätze können aus dem narrativen Kontext dieses großen Dramas nicht gelöst werden, ohne dabei miss- oder unverständlich zu werden. Ob eine Proposition sachlich angemessen ist, muss immer von der Erzählung her beurteilt werden.
  • Diese Geschichte kann nicht in Lehrsätze überführt werden, sondern sie muss gemeinschaftlich gelebt und weitergeführt werden, Olson spricht von einer „Improvisation“ der weiteren Geschichte.

Ich würde hinzufügen, dass wir diese Geschichte sicher unvollkommen auffassen und verinnerlichen, dass sie auch bei strikt analytischer Betrachtung in eine Vielzahl von Texten und Teilhandlungen zerfällt, uns aber doch immer wieder trotz aller Inhomogenität als ein „Ganzes“ berührt und anspricht. Und so lange es ein lebendiger Umgang mit Gottes Story ist, werden wir immer wieder an den Punkt kommen, wo wir (zunächst oft ohne es im Detail rechtfertigen zu können) intuitive Schlüsse daraus ziehen und genial improvisieren, oder auch spüren, dass irgendetwas einfach nicht richtig ins Muster der Gesamtstruktur passt, selbst wenn man den Fehler in der Herleitung bestimmter Aussagen über Gott noch nicht gefunden hat. George Lindbeck hat das als die Intuition von Heiligen bezeichnet.

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12 Antworten auf „Narrative Theologie“

  1. Wikipedia hat mir gesagt, dass der Ansatz der Narrative Theologie in der aktuellen wissenschaftlichen Debatte kaum mehr eine Rolle spielt. Vielmehr seien es die emergenten Theologen, die sich noch damit beschäftigen…Die Mars Hill Bible Church hat den Begriff ja auch in ihrem Statement of faith. Was ich bislang über den Ansatz gehört habe macht mich sehr neugierig – aber wer schreibt denn in diese Richtung? Auf den ersten Blick habe ich keinen Verlag gefunden, der Titel zu dem Thema führt.

  2. @Jason: Was mal wieder die Frage aufwirft, wer diesen Wikipedia-Artikel mit welchem Interesse geschrieben hat 🙂
    Die Stichwortsuche ist schwierig: Den narrativen Ansatz findet man zum Beispiel bei Hans Urs von Balthasar, der von Theodrama spricht. Kevin Vanhoozer hat das aus evangelikaler Perspektive ähnlich angesetzt. Für N.T. Wright (Das Neue Testament und das Volk Gottes) steht auch der Begriff der Story im Zentrum. Das sind aber nur die Namen, die mir sofort einfallen.

  3. … die „Intuition von Heiligen“ hat dann wesentlich mit dem Heiligen Geist zu tun, oder?! (Der ja etwa in den „Vier Geistlichen Gesetzen“ entweder ganz ausfällt oder einen überwiegend statischen Charakter bekommt.) Auch darin sehe ich eine Chance der Narrativen Theologie.

  4. Kleine Ergänzung: Charles Van Engen von Fuller hat im Bereich der Missiologie etwas dazu geschrieben: „The Footprints of God: A narrative Theology of Mission“ Ein anderer ist Chris Wright in: Mission of God: Unlocking the bible´s grandnarrative.
    Im Literaturverzeichnis von Van Engen gibt es bestimmt noch viele Hinweise zu narrativer Theologie.

  5. Danke, Gerri!

    Es sind vermutlich auch unterschiedliche Auffassungen von Narrativer Theologie im Umlauf. Manche verstehen darunter das, was Walter J. Hollenweger „narrative Exegese“ nannte. Und das ist wirklich schon ein Weilchen her.

  6. Interessant, dass sich aus der Darstellung einer Theologie, die das Primat von Lehrsätzen in Frage stellt, eine Diskussion von Lehrsätzen zur Definition dieser Theologie entwickelt. 🙂

  7. @Andreas: „Der“ Primat. Und freilich ist Abstraktion und reflektierende Sprache erlaubt. Es geht ja nur darum, ihre Grenzen im Blick zu behalten.

  8. Komme gerade von einem Kurs über „Älterwerden – und Weiterwachsen“ aus dem Kloster Münsterschwarzach zurück. Wir, die Teilnehmer, haben uns hauptsächlich erzählt: über unsere je eigene Vorstellung von Gott, darüber wie wir mit den Problemen unseres Lebens umgegangen sind, unseren Umgang mit dem Älterwerden und mit unseren Ängsten. Am Schluss meinte unser geistlicher Begleiter: Wir waren Kirche, erzählende Kirche, Erzählgemeinschaft.
    Wenn Gott der oder das ist, was größer nicht gedacht werden kann (Anselm v. C.), dann ist es müßig ihn mit unserer ratio, mit unserer menschlichen (zweiwertigen) Logik, mit Dogmatik, „Theologik“ erkennen, verstehen, begreifen (!) zu wollen. Wir können nur von ihm erzählen, wie es die alte Schrift und dann dieser Jesus gemacht haben. Wir können nur versuchen zu erzählen, wie und wo wir ihn in je unserem Leben gespürt, gefühlt haben – oder schweigen. Wenn es anders möglich wäre, hätte Jesus wahrscheinlich eine neues Lehrbuch über Metaphysik geschrieben anstatt Gleichnisse zu erzählen. Wir bräuchten dringend eine neue „narrative Theologie“, die uns die heutige Welt erklärt – oder uns die alten Erzählungen neu auslegt.

    1. Bald: es erscheint zur Buchmesse im Oktober im Francke-Verlag, der Titel heißt: „Evangelium. Gottes langer Marsch durch seine Welt“

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