Nachgelegt: Strafe und Versöhnung

Sam hat zum Post von neulich über fromme Brillen gefragt, warum ich Gott als (strafenden) Richter ein Problem nannte. Ich hatte geschrieben, Gott als Kläger und Richter ist ein “Problem”, weil sich der Gedanke in unserer Kultur aufgrund der anderen Situation (Demokratie statt Monarchie bzw. Feudalismus, Dekonstruktion vieler offenkundig missbrauchter “Absoluta”, und nicht zuletzt der Wirkung von Jesu Ethik der Gewaltlosigkeit!)) sehr schwer vermitteln lässt. Viel schwerer als zu Anselms Zeiten oder im ersten Jahrhundert.

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Warum also in der christlichen (und, zugespitzt: nach eigenem Verständnis sogar missionarischen) Verkündigung immer diesen Einstieg wählen, statt erst einmal den Weg über plausiblere Metpahern zu gehen und das Schwierige (das in der Bibel auch vorkommt) später anzuschneiden? Ganz abgesehen davon, dass bei der “klassischen” Akzentuierung eben die erwähnte Schwierigkeit bleibt, was noch vergeben werden muss, wenn doch bezahlt wurde. Dazu habe ich einfach noch keine befriedigende Erklärung gehört.

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Ich würde es daher anders herum relativieren und den Straf- oder Satisfaktionsgedanken (was der Angelsachse “penal substitution” nennt) vom Gedanken der Sühne (der stammt aus dem Kult, nicht aus dem Strafrecht) unterscheiden. Das Opfer bzw. die Sühne ist eine komplexere Sache. Gott hat sie im Rahmen seines Bundes mit Israel von sich aus (!) eingesetzt, um das belastete Verhältnis der Menschen zu ihm zu bereinigen. Vor allem enthält sie im Unterschied zur Strafe neben dem stellvertretenden Tod des Opfertieres das Element der Hingabe: Dessen Blut (Symbol für das Leben) wird ja nicht irgendwo vergossen, sondern auf den Altar (Symbol für Gottes Gegenwart) oder gar ins Allerheiligste (am jom kippur, dem großen Versöhnungstag vgl. Lev 16) gesprengt. Das weist schon in eine etwas andere Richtung.

Wenn wir aber fragen, wie Jesus seinen Tod interpretiert hat, dann finden wir in den synoptischen Evangelien wenig Hinweise auf ein “Strafleiden”. Beim verlorenen Sohn keine Spur von Schuldkompensation, das macht es ja so empörend für den älteren Bruder. Im “Lösegeldwort” greift Jesus, wie der Kontext zeigt, primär die Machtthematik auf (und nicht in erster Linie die Schuldfrage – Gott tätigt den Freikauf und erweist darin seine Macht) und im Abendmahl die Passatradition. Dort geht es zwar auch um das “Blut” (des Passalamms), aber das beschreibt mehr, wie Gott als Befreier agiert. Jesus sieht sich auch nicht als Opfertier (wie der Evangelist Johannes dann, oder der Hebräerbrief und die katholische Tradition bis zum Messopfer), sondern in den Fußstapfen des Mose. Der Gedanke des Gerichts gegen die Ägypter ist bei Jesus zudem nicht auf die Römer übertragen, wie man es hätte erwarten können. Und wenn er vom neuen Bund in seinem Blut (vgl. Sach 9,11) spricht, geht es nicht um Sühne, sondern um die Besiegelung dieses Versprechens nach alttestamentlichem Brauch.

Nun sprechen die Propheten – und mit ihnen Jesus – durchaus von Gericht. Jürgen hat ja auf die Rolle des Satans als Verkläger hingewiesen, aber auch Gott kann so auftreten. Der Kontext für das Gericht ist Gottes Bund mit Israel – und Israels Weigerung, seiner Berufung zum Segen für alle Völker nachzukommen. Stattdessen imitierten die Könige die Imperien, die sie umgaben, und versuchten, mit den Großen zu konkurrieren. Nach innen verursachte das Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung. Die Machtphantasien, politisch der Hass auf die Unterdrücker und die Kollaborateure (Zöllner, Herodes…) bzw. religiös die Verachtung und Ausgrenzung der ethisch ungenügenden “Sünder” oder dogmatisch defizitären Samaritaner bis hin zu den “richtigen” Heiden (die sah man als barbarisch, Götzendiener, unrein und definitiv nicht gemeinschaftsfähig an), waren immer noch ein Indiz dafür, dass man nach wie vor imperial dachte und nur selbstgerecht die Verhältnisse (Sieger/Verlierer, Täter/Opfer, oben/unten, drinnen/draußen) umkehren wollte – wie so oft in der Geschichte.

Ich glaube, wir bekommen nur dann eine vernünftige Perspektive, wie wir Jesu Leiden und Tod (also: “das Kreuz”) verstehen können, wenn wir seine Verkündigung der Gottesherrschaft (d.h. das Ende des Exils für Israel, Erfüllung der Verheißung, Beginn der universalen Neuschöpfung) als Bezugsrahmen ernst nehmen. Und nicht meinen, er sei hauptsächlich dazu Mensch geworden, um möglichst umgehend zu sterben. Dabei sind zwei Dinge interessant:

Jesus kündigte die Gegenwart des Reiches Gottes erstens schon vor seinem Tod an, sein Leiden ist also die Konsequenz bzw. die Vollendung dieses Geschehens. Es ist aber nicht (im Sinne einer notwendigen Bedingung) so, dass es Gott erst ermöglicht hätte, im Sinne der Neuschöpfung zu handeln bzw. zu vergeben. Scholastiker würden jetzt vielleicht sagen, das sei eine Art vorläufige Abbuchung aus dem Schatz seiner “Verdienste”, aber diese Hilfskonstruktion sucht man in den Evangelien vergebens. Bei Paulus ist bestenfalls der Heilige Geist eine Anzahlung auf die ausstehende Neuschöpfung aller Dinge. Aber auch das ist sachlich doch etwas anderes.

Zweitens fehlt in Jesu Botschaft der Aspekt der Vergeltung (= Strafe) in fast schon provozierender Weise. Von der Versöhnung sind allenfalls die ausgeschlossen (und präzise an diesem Punkt redet dann auch Jesus vom drohenden Gericht), die sie für sich selbst bejahen, den Feinden jeglicher Art aber nicht gönnen. Das wird in mehr als einem Gleichnis damit begründet, dass Gott auf Vergeltung verzichtet (!), aber nicht damit, dass der Blitz stattdessen einfach nur an anderer Stelle einschlägt. Sein Tod bedeutet daher zuerst, dass Gott lieber Gewalt leidet als Gewalt übt. Insofern tilgt das Kreuz menschliche Schuld, Hass und Verirrung weniger, sondern es legt sie offen und zeigt ihre tödliche Konsequenz – um dann Gottes Überwindung des Todes (und damit der Schuld) in der Auferweckung sichtbar werden zu lassen. Jesus erfüllt Israels Berufung, weil Israel selbst dazu nicht fähig und bereit war. Und genau deshalb stellt sich Gott zu ihm.

Ich breche hier einfach ab. Vermutlich hätte ich erst einmal dreißig Bücher lesen müssen, bevor ich hier laut zu denken anfange und mir die Finger verbrenne. Und dann natürlich die “richtigen” Bücher. Aber das überlasse ich für den Augenblick Euren geschätzten Kommentaren. Oder Ihr lest weiter bei Kim Fabricius bzw hört Euch N.T. Wright an: Hier und hier.
🙂

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2 Antworten auf „Nachgelegt: Strafe und Versöhnung“

  1. Ich finde, es wird wirklich Zeit, dass wir uns an den Kern der abendländischen theologischen Tradition herantrauen, von wo aus uns immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Es geht nicht nur um ein bisschen mehr Menschenfreundlichkeit und Beweglichkeit in der Gemeinde! Sondern schon im theologischen Kern ist was schiefgelaufen, und das teilen so ziemlich alle unsere theologisch/kirchlichen Richtungen. Insofern finde ich es sehr hilfreich, dass hier solche grundsätzlichen Fragen gestellt werden. Was das Evangelium ist, das steht eben nicht schon immer selbstverständlich fest!
    Ich denke, wir müssen den Tod Jesu in den Bezugsrahmen seines ganzen Lebens einordnen und nicht umgekehrt. Der Tod gehört zum Gesamtbild eines Menschenlebens dazu, und zwar als ein sehr wesentlicher Bestandteil. Was einer gewesen ist, das kann man eigentlich erst dann wirklich sagen, wenn sein Leben zu Ende ist.
    Dietrich Bonhoeffers theologische Gedanken etwa – um ein Beispiel zu nehmen, das uns zeitlich nahe ist – bekommen ihre Überzeugungskraft ja auch (!) aus unserem Wissen, dass sie es ihm erlaubt haben, voll Zuversicht seinen Weg ganz bis zum Ende zu gehen. Sie haben die letzte Prüfung bestanden.
    In diesem Sinne, denke ich, muss man den Tod Jesu als die letzte und entscheidende Bestätigung sehen, dass Jesus seinen Weg wirklich bis zum Ende gegangen ist und nichts davon zurückgenommen hat. Er ist nicht im letzten Moment noch zusammengebrochen, er hat sich nicht in seinen letzten Lebensminuten noch von Gott abgewandt, weil der ihn in dieses Schlamassel gebracht hat, sondern er ist auf die Weise gestorben, auf die er gelebt hat. Der Chef des Hinrichtungskommandos hat das genau wahrgenommen (Mk. 15,39 „als er ihn so – auf diese Weise! – sterben sah“).
    Somit ist der Tod Jesu der entscheidende Schlussstein seines Lebens, und zu diesem ganzen Leben sagt Gott dann in der Auferstehung ja.
    Wenn man so in den Evangelien nach der Heilsbedeutung des Todes Jesu sucht, dann kommt man tatsächlich nicht zu so etwas wie einem Strafleiden, sondern der entscheidende Faktor ist: hier besteht die neue Lebensweise des Reiches Gottes, die Jesus brachte, unter den denkbar härtesten Bedingungen ihre entscheidende Prüfung. Wir hätten das nicht gekonnt – deshalb macht Jesus das stellvertretend für uns. Er trägt das, was wir uns seit Adam eingebrockt haben, und was wir nie hätten ertragen können (das ist der Sinn in der Rede vom stellvertretenden Leiden Jesu). Aber nachdem Jesus uns so vorangegangen ist, hat er einen Weg gebahnt, auf dem wir ihm nachfolgen können.
    So hat er „durch seinen Tod den entmachtet, der die Gewalt über den Tod hat“ (Hebr. 2,14), weil seine Art zu sterben uns, die wir „durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten“ (15) befreit hat. D.h., wenn man so sterben kann wie Jesus, dann wird dem (und denen), die den Tod kontrollieren, das entscheidende Argument aus der Hand geschlagen. Illustriert wird das dann umgehend in der Apostelgeschichte durch den überraschenden Mut der Jünger gegenüber der herrschenden Gewalt.
    Ich denke, das etwa ist die Linie der Evangelien, und von dort her sollten wir auch die anderen Zeugnisse in den Briefen lesen (und nicht umgekehrt).

  2. Wie Paulus sagt, ist das Kreuz eine Torheit. Also kann ein Schlüssel sein,sich etwas „dumm“ zu machen um Einblick in das Geheimniss zu bekommen? Oder mit anderen Worten schlichter und mit dem Herzen zu schauen. So im Sinn von: Kann jemand so dumm sein, etwas was vom moralischen Standpunkt aus gesehen so hoch und vielleicht unerreichbar ist, einfach zu schenken….?!?
    Man müsste das Wort Strafe wie es in Jesaja 53,3 . „Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm“ vorkommt genauer untersuchen. Vom hebräischen Wortlaut her könnte man auch ohne Mühe Züchtigung im Sinne von „korrigiert werden“ gelten lassen. Also dann könnte das etwas so tönen: Er übernahm die Verantwortung für das GANZE Ausmass der Korrektur damit wir wieder zu Frieden gelangen konnten:Er selber stellte sich mit Haut und Haar zur Verfügung und wurde durch Tod und Auferstehung quasi perfekt gemacht um die Türe, die Kraft und der Weg in Person zu werden die uns zu diesem sich nach uns verzehrenden Gott zurückzubringen.
    Das Blut das floss ist nicht eine pragmatische Sache; zu unserer „Reinigung“, sondern in erster Linie die offene Wunde seiner Liebe, sein zerborstenes Herz an welchem der Schmerz unserer Entfremdung nicht einfach spurlos vorbeiging. Davon redet das Blut das wir auf unser Gewissen sprengen etc. Es soll klar sein dass seine Liebe grösser ist als ALLES und es ist so weil er König ist und es so will.

    Was seinen Wandel vor der Kreuzigung anbelangt: Er bot der Menschheit schon bevor er ganz perfekt gemacht war, an gerade zu machen was krumm war.

    Was ihn als Richter anbelangt, könnte man versuchen es aus folgendem Blickwinkel zu betrachten: Als Er sich, dem drängen von Mose, Ihn zu kennen, nachgebend, ihm auf dem Horeb tiefer offenbarte, dann zeigte er sich in den Eigenschaften welchen Er selber den Vorzug gab: „Und als der HERR vor seinem Angesicht vorüberging, rief er: Der HERR, der HERR, der starke Gott, der barmherzig und gnädig ist, langsam zum Zorn und von großer Gnade und Treue“…..

    Der Vater sandte Jesus um sich in ihm zur Menschheit am Ort ihres Gefallenseins zu beugen um sie neben sich auf den Platz als Seine königlichen Braut zu heben. Das ist kein moralischer Akt. Darum ist darin kein Platz für einen Ankläger und auch keinen für einen Richter.
    Erst im dritten Kapitel der Heilsgeschichte wird Platz frei für diese Aspekte Gottes: Wer den von Gott bevorzugten Weg mit der ganzen Thematik umzugehen, abgelehnt, verweigert sich ihm als Braut und muss sich verantworten seinem königlichen Anspruch nicht stattgegeben zu haben. Und wird quasi dem Gericht übergeben.

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