Moderne Mythen-Macher

Die Zeit befasst sich mit Steve Hawking und seinem Anspruch einer wissenschaftlichen Welterklärung aus der Gottesperspektive. Wohlgemerkt: Einer Perspektive, die behauptet, alles erklären zu können und Gott damit „überflüssig“ zu machen. Das ist, schreibt Eduard Kaeser, jedoch schädlich für die Wissenschaft, und er erklärt auch warum: Die Wissenschaft produziert ihren eigenen Mythos, ohne sich und anderen dies einzugestehen.

Kürzlich schrieb ein Kommentator hier, dass man die Welt „ohne Feen und Götter“ erklären wolle. Leider passiert es ausgerechnet dann nur allzu schnell, dass die ganze Natur personalisiert und mystifiziert wird, und schwupps ist eine Quasi-Gottheit draus geworden, die irgendwas so oder so „gewollt“ oder „eingerichtet“ hat. Mit welchen Recht belächelt man da primitive Kulturen, die hinter den Naturphänomenen, die sie unmittelbar betrafen (wie das Wetter und die Sterne) Geister und Götter vermuteten? Es hat sich nur die Projektionsfläche und das Vokabular geändert.

Eduard Kaeser bringt es schön auf den Punkt, wie das Verwechslungsspiel läuft:

Wenn die Entstehung des Universums ein physikalischer Vorgang ist, dann brauchen wir physikalische Gesetze. Das ist so weit einleuchtend. Aber ein physikalisches Gesetz beschreibt und erklärt nur ein Ereignis, es erzeugt es nicht, auch nicht in den ersten Millionstelsekunden der Welt. Selbst eine Theorie »von allem« erklärt vielleicht alles, aber sie erzeugt nichts. Betrachten wir eine Analogie aus dem Fußball. Wir können die Flugbahn des Balles bei einem Freistoß ziemlich gut beschreiben, indem wir sie aus den Gesetzen der Mechanik und den Anfangsbedingungen – Schusswinkel, Kraft des tretenden Beins und so weiter – berechnen. Aber selbstverständlich »erzeugen« nicht die Gesetze die Bewegung, sondern die Fußballspieler. Es wäre absurd, zu sagen: Da es Bewegungsgesetze gibt, benötigen wir nicht noch so etwas wie den Fußballspieler als Beweger.

Beim Universum ist das etwas anders: Es entsteht in einem physikalischen Prozess, aus einer »spontanen Fluktuation« des Urvakuums. Dazu ist kein Akteur nötig. In diesem Punkt hat Hawking sicher recht. Aber wenn er nun das Universum sich selbst »erzeugen« lässt, also der Gravitation gewissermaßen eine Schöpferrolle überträgt, personifiziert er insgeheim die Gesetze der Physik. Anders gesagt, er erzählt uns einen Mythos in der Sprache der Physik. Daran wäre an sich nichts auszusetzen, verbände Hawking damit nicht den Anspruch, die Wissenschaft habe die Mythologie überwunden.

Hawking (und andere Vertreter des Pop-Science) vermarkten ihre „Fundamentalismen“, wie Kaeser es nennt, geschickt. Dagegen plädieren etliche seiner Kollegen, darunter der Nobelpreisträger Robert Laughlin, dafür, die Suche nach der Weltformel einzustellen. Die Welt ist zu komplex. Emergente Phänomene lassen sich nicht berechnen oder vorhersagen. Unser Wissen stößt an Grenzen. Wir sind nicht Gott. An den kann man nun glauben oder nicht, aber man sollte sich nicht an seine Stelle setzen.

Share

5 Antworten auf „Moderne Mythen-Macher“

  1. hawking hat einen gravierenden punkt übersehen: er hat damit ja klar gezeigt, dass die schöpfung aus dem „nichts“ möglich ist. worauf übrigens schon walter thirring vor etlichen jahren hingewiesen hat. allerdings weltanschaulich von der entgegengesetzten seite kommend. hawkings aussagen sind also keineswegs so revolutionär wie er das darstellt. aber er will ja seine bücher verkaufen…

    im übrigen nervt die militanz der populärwissenschaftlichen atheismus-fundis gewaltig. ist schon lustig, wenn sie mit militanter fundamentalistischer intoleranz religion ausrotten wollen, weil die ja so militant, fundamentalistisch und intolerant ist. aber auch diese mode wird vorübergehen…

  2. Man mag vielleicht manchmal die unglückliche Wortwahl kritisieren, den Grundvorwurf, dass die Natur als Gottersatz konstruiert wird, ist weitgehend unsinnig. Er basiert auf dem falschen Ansatz, dass einfach jeder an irgendwas Göttliches glauben muss, auch wenn er das verneint.
    Dafür, dass Hawking in seinem Buch etwas personifiziert, hat Kaeser keinerlei Belege abgesehen von der Wahl des Wortes „create“, das man aber problemlos auch weglassen könnte. Ein Mythos ist eine Erzählung mit handelnden Personen und deren Absichten, so wie sie sich in der Bibel und in unzähligen anderen Schöpfungsgeschichten finden. Bei Hawking findet sich nichts dergleichen bzw. kann man das, WAS er beschreibt, auch komplett in nüchterne wissenschaftliche Sprache umformulieren und auf Worte wie „create“ oder „god“ verzichten, am Inhalt der Aussage würde sich nichts ändern. Bei echten Mythen würde das nicht funktionieren.

    Den Unterschied zwischen einem Glaubensansatz und einem wissenschaftlichen könnte man auch anhand eines kleinen Nebensatzes in Kaesers Artikel erfassen. Er schreibt ja, dass Hawking selbst früher die Ansicht vertrat, dass eine solche Theory of Everything nicht sinnvoll sei. Ist er nun plötzlich zum militanten fundamentalistischen Atheismus bekehrt worden, der Religion ausrotten will? Oder verhält er sich nicht einfach so, wie man sich sinnvollerweise verhalten sollte, nämlich, anstatt starr an einmal Geglaubten festzuhalten und es lieber für heilig zu erklären und gegen Kritik zu immunisieren, immer die aktuelle Beleglage heranzuziehen? Hawking hat sich auch schon in anderen Bereichen immer mal korrigiert und jetzt ist er halt der Ansicht, dass die neuere M-Theorie doch eine gute Chance auf eine „unified theory“ Chance bietet.

    Darüber kann man ja geteilter Meinung sein, dann aber bitte mit wissenschaftlichen Argumenten und nicht mit an den Haaren herbeigezogener Sprachkritik. Die Fußballer-Analogie geht IMO sogar ganz grundsätzlich am Problem vorbei, denn es geht ja explizit NICHT um die Beschreibung eines bestimmten Subsets physikalischer Phänomene sondern die GRUNDLEGENDEN Bedingungen, die also den Fußballer automatisch mit beinhalten MÜSSEN.

    1. @mountainking: An dem Punkt waren wir ja schon mal. Der Mythos liegt nicht nur darin, dass die Natur hier hypostasiert erscheint, sondern darin, dass Wissenschaft nach eigenem Anspruch deskriptiv arbeitet, also beobachtet und beschreibt. Hawking und andere überschreiten diese Grenze, wenn in diesem Fall die Gravitation zur voraussetzungslosen Ursache erklärt wird statt einfach nur das wie zu beschreiben, darum drehte sich die Fußball-Analogie, die hast Du aber falsch verstanden bei Kaeser. Damit beschreibt sie nicht mehr das wie, sondern das warum und woher. Und das ist eine philosophische Frage, zu der darf er sich auch äußern, dann muss er aber auch einräumen, dass es eine philosophische Frage ist, statt letztere mit „Wissenschaft“ ersetzen zu wollen. Aber da seid Ihr Euch ähnlich in diesem Wissenschaftspositivismus. Ich halte das für Etiekttenschwindel – es sind Spekulationen und (auch wenn sie keinen persönlichen Gott zum Inhalt haben) dennochGlaubensaussagen. „Götter“ müssen keineswegs persönlich sein, das haben die griechischen Philosophen schon vorgemacht. Und Glaubensaussagen werden nicht durch ihren Inhalt definiert, sondern ihre Struktur: Dass sie letztgültige Wirklichkeiten beschreiben wollen und axiomatischen Status haben, als Annahmen machen, die sich auf sich selbst beziehen.

  3. Und wie im anderen Beitrag beschrieben, gehören die Aussagen zur Existenz oder Nichtexistenz Gottes NICHT zu diesen Annahmen, weil sie aus anderen Annahme abgeleitet werden. Wo beschreibt Hawking denn „Woher“ und „Warum“ statt „wie“ des Universums?
    Das Problem ist, dass bei der von dir beschriebenen Trennung, die ja vor allem von Gläubigen so betrieben wird, ebenfalls insgeheim eine Annahme getroffen wird, nämlich die, dass es überhaupt Sinn macht nach „Warum“ und „Wie“ zu fragen. Man setzt einfach voraus, dass es eine diesbezügliche Erklärung geben MUSS, dass diese Sinnfragen eine Antwort haben müssen und zwar weitergehend eine, die nur von der Philosophie und/oder Religion bereitgestellt werden kann. Wer legt das warum und mit welcher Begründung fest?
    Der objektive Ausgangspunkt müsste auch hier eigentlich die Nullhypothese sein. Die M-Theorie erklärte, falls sie weiter belegt würde (was Hawking ja auch nicht verschweigt) die Entstehung des Universums anhand von uns bekannten und zugänglichen Erkenntnissen. Nicht mehr und nicht weniger. Deswegen wäre ein Gott für die Entstehung des Universums nicht mehr notwendig. Und mehr behauptet Hawking auch nicht. Dass man dann die Frage stellen kann, wo die Gesetze herkommen und davor dann wieder Gott basteln kann, wird ihm auch klar sein.

  4. @Mountainking: Durch Wiederholung wird das Argument nicht besser. Es war ja ausgerechnet die Wissenschaft, die gezeigt hat, dass es keine Objektivität gibt, sondern dass der Standpunkt des Beobachters mit darüber entscheidet, was er überhaupt beobachtet. Ich habe auch nicht von Sinnfragen geredet (das wäre ja die nach dem „wozu“), nach Ursachen fragen Naturwissenschaftler ganz selbstverständlich – kausales statt finales Denken also. Der Anfang dieser kausalen Kette, die letzte Ursache, bleibt jedoch eine Frage, die sich derzeit sicher nicht eindeutig entscheiden lässt. Das zu verschleiern und aus Hypothesen (also einer Form von Glaubenssätzen) Gewissheiten zu machen, geht nicht an. Mehr wollte ich nicht sagen und mehr sagen auch die meisten ernsthaften Theologen nicht.

Kommentare sind geschlossen.