Kein sicherer Ort?

Vor ein paar Wochen saß ich in einer Gesprächsrunde. Zwei der Anwesenden hatten bis vor ein paar Jahren hauptamtlich eine Gemeinde geleitet. Der eine arbeitet nun in einem christlichen Werk, der andere in der Wirtschaft. Übereinstimmend erzählten beide, wie froh sie über die Veränderung sind, wie gut ihnen (und ihren Familien) das neue Umfeld tut, und dass sie auf keinen Fall wieder zurück möchten – nicht in diese Gemeinde und auch in keine andere.

Ich kann nicht genau sagen, was es war, aber dieses Gespräch hat mich noch lange beschäftigt. Erst nahm ich die Sache fast persönlich, weil ich den Eindruck hatte, dass hier Gemeindearbeit (intuitiv identifizierte ich mich damit) abschätzig bewertet wird. Später wurde mir klar, dass es so wohl gar nicht gemeint war. Ein Unternehmer sagte mir, er würde sich so einen Job nie zutrauen. An seiner Sozial- und Führungskompetenz konnte das sicher nicht liegen und mit einem laschen Glauben hatte es auch nichts zu tun. Ich begann, mich zu fragen, was eigentlich schief läuft in vielen Gemeinden, wenn Leute, die dort über viele Jahre überdurchschnittlich engagiert und auch nicht unbedingt erfolglos gewirkt haben, so abgelöscht sind. Oder waren sie einfach nur nicht am richtigen Platz?

Diese Woche traf ich dann einen evangelischen Pfarrer. Ich erzählte ihm von dem anderen Gespräch und vermutete, dass so eine Entwicklung vielleicht mit den Eigenarten charismatischer Gemeinden und deren (oft wenigstens) freierer Struktur zusammenhinge. Er meinte, er sehe keine großen Unterschiede. Viele seiner Kollegen bewerben sich derzeit auf irgendwelche Referentenposten ohne Gemeindebezug. Und oft sind es die guten und begabten Leute, die solche Entscheidungen treffen.

Ich denke nicht, dass es hier simple Antworten gibt. Trotzdem sollten wir uns fragen, wo die Probleme liegen, und warum viele Gemeinden nicht einmal für ihre Führungskräfte „safe places“ sind. Denn auf Dauer können wir uns solche Verluste kaum leisten . Es geht also nicht um Schuldzuweisungen, schon gar keine einseitigen. Aber was muss eigentlich passieren, damit junge Theologen und Leiter, die jetzt am Anfang ihres Dienstes stehen, auch in 15 oder 20 Jahren noch fröhlich und motiviert dabei sind, und weniger „auf der Strecke bleiben“ als es in meiner Generation den Anschein hat? Wo müssen Rollen überdacht und korrigiert werden? Was müssen die (Nachwuchs-)Leiter lernen, und was müssen die Gemeinden lernen? Und von wem eigentlich?

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12 Antworten auf „Kein sicherer Ort?“

  1. Ist wohl schwer, hier Antworten zu geben, weil diese letztlich nur pauschal sein können.
    Aber mal aus meiner Warte:
    Möglicherweise mangelt es hier und da an vertrauensvoller und ermutigender Begleitung.
    Gerade Leitungspersonen stehen öfters alleine da. Selbst, wenn sie mal selbst verschuldet alleine stehen, brauchen sie jemanden, der sie trösten kann, der ihnen wieder Mut machen kann, der ihre Träume und Wünsche kennt und sie ggf. wieder in Erinnerung bringen kann …
    Ein Freund, ein guter Freund –
    oder bei genügend Knete halt einen Coach. 🙂

    Gby,
    Dirk.

  2. Vielleicht geht ja meine Antwort an dem Thema vorbei …

    Aber mich beschäftigt schon seit einiger Zeit die Frage nach den „Kernkompetenzen“, den „Basics“ unserer (ev. freikl. Bapt.) Pastoren … aus aktuellem Anlass.
    Vor drei Jahren berief meine Gemeinde ein Pastorenehepaar – zugegeben, nicht mit 100% der stimmberechtigten Mitglieder, aber immerhin doch mit einer klaren 3/4 Mehrheit.
    Ich gehöre zu den Befürwortern und empfand Predigt und Leitungsstil unserer Pastoren als wohltuend und gut. Anderen Gemeindemitgliedern erging es aber völlig anders, sie vermissten den gewohnten Stil, ihnen mangelte es an „geistlichem Gehalt“ und sie übten offen und vernehmbar Kritik. Die Gemeindeleitung reagierte und setzte die Pastoren so unter Druck, dass diese „freiwillig“ kündigten.
    Das Geschehen an sich ist schmerzlich und, wie ich finde, einer christlichen Gemeinde nicht angemessen. Ich könnte dennoch damit leben, wäre da nicht der Anspruch der „Kritiker“ nach „geistlichem Gehalt“, will meinen, einen ganz bestimmten Stil geistlichen Lebens.
    Ich will nicht vorenthalten, dass die Kritiker allesamt aus dem „Lager“ der „geistlichen Gemeindeerneuerer“ kommen, für die eine ganz bestimmte geistliche Ausrichtung unabdingbar zu sein scheint.
    Und hier beginnt „mein“ Problem.
    Ich frage mich nämlich, ob mein „geistliches Leben“ überhaupt in Ordnung ist, wenn ich die Kritik NICHT nachvollziehen kann. Lebe ich aus dem Heiligen Geist – wenn mir doch unsere Pastoren vollauf „geistlich“ genügen, oder fehlt mir doch etwas?

    Was ich damit sagen möchte: Gehen die Anforderungen nach“geistlichen Höchstleistungen“ an die Pastoren nicht doch zu weit, oder stehe ich – geistlich gesehen – auf der Bremse?
    Überfordern die der charismatischen Gemeindeerneuerungsbewegung zugehörigen Gemeindemitglieder möglicherweise permanent sowohl die Pastoren, wie auch sich selbst?
    Zählt „nüchterne Besonnenheit“, gute Lehre und saubere Exegese heute nichts mehr?
    Müssen immer neue „Rekorde“ herhalten?

    Ich weiß es wirklich nicht. Aber ich möchte meine Bedürfnisse nach „nüchterner Kost“ auch ernst nehmen, meine Lust am Bibelstudium nicht als „nicht geistlich genug“ verstanden wissen, meine Begeisterung für eine klare und exegetisch hervorragende Predigt nicht als „ungeistlich“ interpretieren.

    Niemand, denke ich, kann ständig geistliche Höhenflüge „produzieren“, wird ihm das aber abverlangt, führt das ganz schnell zu Burn-out-Erscheinungen oder zu Verbiegung … und was einmal aus der Fülle des heiligen Geistes passierte, verkommt zu einer emotionalisierten und pseudo-geistlichen Veranstaltung. Daran zerbrechen nicht nur überforderte Pastoren, sondern auch die Gemeinden, die nur noch auf den „Höhenwegen“ unterwegs sein wollen.

    „Lasst uns Hütten bauen!“ meinten die Jünger auf dem Berg der Verklärung – und mussten doch wieder in die Niederungen des Tales.
    Vielleicht haben viele vergessen, dass sich unser Leben hier sehr irdisch abspielt …

  3. Danke, Rika. Ich denke nicht, dass das am Thema vorbei geht. Es stecken eine ganze Reihe guter Fragen und Beobachtungen drin. Zum Beispiel, nach welchen Kriterien wir bewerten und wie transparent und nachvollziehbar diese sind.

  4. Ich denke auch, es spielt eine große Rolle, welche Position man sich selbst gibt. Es ist schon auch eine Verlockung, der tolle zu sein, mit Gott ganz besonders ‚im Bunde‘ zu stehen und von den anderen von unten angesehen zu werden. Man wird auch bewußt oder unbewußt in diese Rolle gedrängt (so geht es mir jedenfalls). Mich kostete es sehr viel Aufmerksamkeit und Energie, eben nicht den religiösen ‚Vorkasper‘ zu machen, der den anderen ihre geistliche Pflicht für Geld abnimmt. Es hat schon was skurriles… man leistet sich als freie Gemeinde einen Pastor / Leiter, der dann für Geld für einen selbst fromm ist und einem immer schön sein geistliches Leben vorkaut und serviert.
    Bei der anderen Variante hat man tatsächlich sehr schnell die fromme Front gegen sich. Ich habe mich bewußt gegen jeden frommen Schein gewehrt, habe auf alles verzichtet, was mich irgendwie ‚besonders‘ machen soll. Ich hab immer auch gesagt, dass das ein Job ist, den ich da tue. Ja, und zwar für Geld! So! Das ist ein wunderbarer Schutzraum, weil er mich auch mal aus der blöden Pflicht nimmt, immer besonders engagiert zu sein. Jeder hat mal einen Hänger und wenn man das auch gelassen genug nimmt, dann kommt man da auch gut durch und am anderen Ende gestärkt wieder raus. Und wenn ich das – so unromantisch und ungeistlich es eben ist – auch nach außen hin so transparent lebe, komm ich erst gar nicht in Konflikte mit allzu überzogenen geistlichen Erwartungen. Sollen sie doch von Gott Großes erwarten, aber doch nicht von mir!! Wer bin ich denn schon? Niemand besonderes! Wenn ich dann doch ab und zu einen Geistesblitz bekomme – umso besser^^.

  5. Ich denke, wie du Peter, dass es keine simplen Antworten gibt. Da spielen sicher viele Faktoren eine Rolle. Ich glaube auch nicht, dass Leitungsverantwortung in Gemeinden früher ein „safe place“ war. Was man manchmal hört, welche zeitliche Belastung und welche emotionale Belastungen durch Streitereien (ja, das gab’s früher auch schon!) manche ältere Pastoren durchmachen mussten – das war auch nicht einfach.
    Ich vermute, dass ein Punkt einfach der ist, dass wir heute nicht mehr so belastungsfähig, leidensfähig und geduldig sind wie früher. Oder anders gesagt: Wir sind anspruchsvoller geworden. Was im Materiellen geschehen ist, das geschah auch auf der geistlichen Ebene. Und das gilt sowohl für die Pastoren, als auch für die Gemeinden. Die Pastoren werfen schneller das Handtuch und suchen sich einen einfacheren Weg. Sie sind nicht mehr bereit jahrzehntelang in schwierigen Situationen auszuharren und weiterzukämpfen. Dazu kommt dann allerdings noch, dass heute mehr Gemeinden als früher eher abnehmen als dass sie Wachstum erleben. Wenn zu einer schwierigen Situation dann auch noch die Enttäuschung der „Erfolgslosigkeit“ der eigenen Arbeit kommt, dann schaukelt sich das noch mehr hoch.
    Aber auch die Gemeinden sind anspruchsvoller geworden. Wenn einem der Prediger, der Musikstil oder der Frömmmigkeitsstil einer Gemeinde nicht mehr passt, dann sucht man sich halt eine andere Gemeinde. Es gibt ja inzwischen genügend Auswahl an freien und „erfolgreichen“ Gemeinden. Da kann man sich dann für die nächsten paar Jahre eine neue geistliche Heimat heraussuchen, in der man sich wohler fühlt. Mit dieser Haltung steigt automatisch der Druck auf die Gemeinde und auch auf den Hauptamtlichen. Wie rika das schön beschrieben hat: Wenn man mit dem Prediger nicht so zufrieden ist, dann ist man nicht mehr bereit das zu ertragen, sondern dann muss entweder der Prediger gehen oder man geht selbst…

  6. Vielleicht müssten wir einmal eine Landkarte der kollidierenden Ansprüche und Erwartungen aufstellen. Zum Beispiel die nach einem starken Führer, der jedem seine uneingeschränkte Freiheit lässt. Vielleicht sind da noch ein paar solche alltäglicher Schizophrenien dabei.

  7. @Peter Das wäre wirklich mal interessant, diese kollidierenden Ansprüche und Erwartungen zu sammeln. Mir fallen da (ebenfalls überspitzt) noch ein: Wie Stephan geschrieben hat geistlicher Überfliegen und trotzdem einer wir alle („wahrer Gott und wahrer Mensch“ ;o) Oder visionärer Vordenken, der trotzdem möglichst alle in Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse miteinbezieht. Oder einfach nur der immerhin bezahlte Pastor, der gewisse Dinge einfach zu erledigen, aber trotzdem immer Zeit haben soll.

    Mir ist neulich erst wieder schmerzliche bewusst geworden, wie stark solche Ansprüche schon innerhalb einer kleinen Gruppe auseinanderdriften können. Wahnsinnig unterschiedliche Erwartungen, die vor allem (aber nicht nur) dann, wenn sie nicht gemeinsam herausgearbeitet werden, immense Spannungen verursachen können.

    PS: Dein SPAM-Blocker sagt, dass 6+8!=14 wäre und verwehrt mir den Kommentar.

  8. @dasaweb: Die Spannung ist immer da, mal mehr, mal weniger. Es kann sogar ein und dieselbe Person die Ansprüche wechseln, das macht es nochmal komplizierter: Quasi-Heiliger und transparenter Sünder (aber bitte keine hässlichen Sünden, sondern nur lässliche), für Klarheit und Ordnung sorgen und dabei maximale Vielfalt und Freiheit garantieren…

    So, und jetzt mal sehen, ob ich die Rechenaufgabe löse. Ist doch schön, wenn die Leser schlauer sind als der Spamblocker 🙂

  9. Naja, auf DIESEM Niveau schlauer zu sein sollte sogar dem gemeinen Grundschüler vergönnt sein. Hat mir jetzt nicht wirklich viel gegeben ;o)

    Zu den Spannungen: Das stimmt, eine einzelne Person kann sogar bei verschiedenen Punkten gleichzeitig sehr verschiedene Ansprüche haben. BTW: Vielleicht weist das Wort „Anspruch“ auch schon auf ein prinzipiell strukturelles Problem hin…

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