Hochleistungschristen

In der katholischen Kirche wird – mal wieder – über den Zölibat diskutiert, den Pflichtzölibat für Priester freilich, nicht den „freiwilligen“ der Ordensleute. Nun antwortet Kardinal Meisner aus Köln (danke an Simon de Vries für den Tipp!) den Kritikern und macht unmissverständlich deutlich, dass daran nicht zu rütteln ist, weil es hier um die Identität der katholischen Kirche, im Grunde aber des ganzen Christentums geht. Überraschen wird das niemanden. Interessant dagegen ist, wer da wie argumentiert. Wir finden etwa gegen Ende des Textes das Alles-oder-nichts-Argument:

Vergessen wir nicht: Ohne Priester keine Eucharistie, und ohne Eucharistie keine Kirche.

Ins gleich Horn stößt Matthias Matussek im Spiegel, der jedes Rütteln am Zölibat mit der „Abrissbirne“ gleichsetzt. In beiden Fällen kann das als Reduktion von Kirche auf die Hierarchie verstanden werden, die das Volk aus dem Blick verliert oder zu Statisten und Zuschauern degradiert. Und ein klitzekleines bisschen erinnert es an den einen oder anderen Despoten, der sich als letztes Bollwerk gegen das Chaos der Anarchie zu inszenieren versucht.

Kein Wort verlieren beide darüber, dass die Kirche bis 1139 auch ohne den verpflichtenden Zölibat aller Priester auch ganz ordentlich lebte. Viel spannender ist aber das Einstiegsargument Meisners, das ebenfalls eine steile Alternative aufmacht, die ihrerseits (um das Unwort des Jahres zu bemühen) für alternativlos erklärt wird:

Vor dem Zölibat gibt es nur eine Alternative: Entweder es gibt Gott, oder der zölibatär lebende Mensch ist verrückt. Eine andere Alternative gibt es nicht!

Nun gibt es nachweislich Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen allein oder enthaltsam leben und weder katholisch noch verrückt sind. Zudem kann durchaus auch beides zutreffen, es gibt ja leider eine große Bandbreite an religiösen Neurosen – also gilt keineswegs ein so klares Entweder/Oder. Aber wenn der unverheiratete Priester zum lebenden Gottesbeweis stilisiert wird, ist er damit nicht zum „Erfolg“ dieser Lebensform verdammt, weil ein Scheitern auch ein Verrat an Gott wäre? Matussek wählt etwas andere Worte und sieht im kirchlich geregelten Zölibat einen Gegenentwurf zur bürgerlichen Existenz:

Der zölibatäre Priester lebt im Angesicht des Heiligen. Er ist nicht der Kumpel, den man in der Kneipe trifft. Er ist die auratische Respektsperson, der man aus einer Andachtsdistanz heraus begegnet. Wollen wir das aufgeben für die ganz gewöhnlichen Klarsichtfolien-Betriebsnudeln, denen man in Bundestagsausschüssen oder auf Kirche-von-unten-Flohmärkten begegnen kann?

Ich kann verstehen, dass immer weniger Menschen diesen Heldenmut in sich entdecken, der einen die Einsamkeit des Säulenheiligen (oder Krimi-Kommissars) wählen lässt, des Spitzenasketen, an dem andere sich orientieren sollen und der einzig bei immer weniger und immer überlasteteren Kollegen Schwäche zeigen darf. Und scheitern nicht auch viele Leistungssportler an dem Erwartungsdruck, ständig Höchstleistungen produzieren zu müssen?

Aber warum sollte Heiraten nicht mindestens ebenso subversiv sein – oder noch subversiver? Zygmunt Bauman etwa sprach jüngst davon, dass das Konsumdenken längst auch zwischenmenschliche Beziehungen dominiert:

Es gibt keinen Grund, einem Produkt gegenüber loyal zu sein, wenn es seinen Zweck nicht mehr erfüllt und vielversprechendere Alternativen vorhanden sind. Da alle oder zumindest fast alle Mitglieder in unserer Gesellschaft von Konsumenten dieses Muster akzeptieren, ist es kein Wunder, dass wir auch selbst von den anderen gemäß diesem Muster behandelt werden … Wir wollen selbst nachgefragt werden und damit begehrenswert für andere sein. Darum müssen wir uns ständig in möglichst attraktiver Form präsentieren. Der Mensch verwandelt sich in eine Ware.

Matusseks (und Meisners) Beschreibung des Heiligen wirkt auch deshalb befremdlich, weil sie letztlich vielleicht doch einer zwar religiösen, aber nicht genuin christlichen Logik folgt, wie der Priester und Kirchenhistoriker Arnold Angenendt in der SZ erläutert:

Die Forderung der Ehelosigkeit für alle Altardiener kommt von woanders her, aus dem Feld der kultischen Reinheit. Diese besagt: Heiliges darf nur „rein“ berührt werden. Als Inbegriff dafür stehen die „reinen Hände“. Unreinheit zieht man sich zu durch das Essen bestimmter Nahrungssorten, durch Berühren von Toten, besonders aber durch Beflecktwerden mit Sexualstoffen, mit Mannessamen sowie Menstruations- und Geburtsblut. Wir begegnen hier einem weltweiten Religionsphänomen, anzutreffen genauso in Japan wie in China, in Griechenland wie in Rom, insbesondere in Israel.

Jesus hat dieses Reinheitsverständnis überwunden und die ersten Christen hatten mehrheitlich verheiratete Amtsträger, die Spätantike brachte das „Alte“ aber zurück. Das zweite Laterankonzil begründet das Verbot der Ehe bei Priestern mit dem Hinweis, es sei „unwürdig, dass sie sich geschlechtlichen Ausschweifungen und Unreinheiten hingeben“, schreibt Angenendt. Laien durften mit der Zeit bei der Kommunion die Hostie nicht mehr in die unreine Hand bekommen, sondern vom Priester direkt in den Mund. Er folgert:

Wer indes noch grundsätzlich darauf besteht, Priestertum sei nur zölibatär möglich wie auch die Mundkommunion die einzig mögliche Empfangsform, leugnet die religionsgeschichtliche Revolution Jesu Christi.

Als ich diesen Satz gelesen hatte, habe ich Matusseks Text noch einmal durchgesehen – von Jesus ist da ehrlicherweise gar nicht die Rede. Und Meisner nennt Jesus zwar als Vorbild zölibatären Lebens, schweigt aber zu Jesu Kritik an „Menschensatzungen“, damaligen (und heutigen!) Vorstellungen von ritueller Reinheit und einem hierarchischen Verständnis von Kirche in Sinne einer Heiligkeitspyramide, an deren Spitze unverheiratete Männer stehen müssen.

Was beide auch nicht thematisieren, ist die unübersehbare Kluft, die sich derzeit zwischen Hierarchie und Kirchenvolk auftut – weniger die Kirchenaustritte, sondern eher die verbreitete Resignation an der Basis. Die hat auch damit zu tun, dass zwar von offizieller Seite hohe Ideale propagiert werden, während man zugleich verschweigt oder gar vertuscht, dass viele Priester daran scheitern – nicht nur in Afrika. Klar kann man das damit abtun, dass hier jemand sich eben in seiner Berufung geirrt hat oder dass die Kritik am Zölibat, mangelnde Achtung vor dem Amt beziehungsweise die Sexualisierung der Gesellschaft daran schuld seien.

Angenendt argumentiert anders als seine Kontrahenten. Sachlicher und biblischer – während Matussek polemisiert und Meisner verklärt. Aber da die katholische Kirche den Priestermangel ja nun mit iPhone Apps zur automatisierten Beichte kompensiert, kann man sich das vielleicht auch leisten. Vielleicht aber auch nicht, schließlich sind in den letzten Jahrzehnten schon etliche starre Systeme ins Straucheln geraten, wie Walter Färber hier so schön dargestellt hat. Meisner suggeriert, das Unbehagen mit dem Zölibat sei eigentlich in der Furcht begründet, dass Gott einem zu nahe kommen könnte. Das könnte sein. Könnte aber auch gut sein, dass die Furcht vor Reformen, vor einem Ende der Hierarchie in ihrer gegenwärtigen Form, genau dieselben Ursachen hat…

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6 Antworten auf „Hochleistungschristen“

  1. Danke für diesen interessanten Artikel. Ich finde allerdings die erstaunliche Tatsache nicht genug gewürdigt, dass ein solches Essay Matusseks überhaupt veröffentlicht wurde – im SPIEGEL!!! Ungläubiges Kopfkratzen war die spontane Reaktion meinerseits… Aber schon klar, alles für die Quote, bzw die Klickrate.

  2. Wieso überrascht das? Matussek ist ja ein alter Spiegel-Haudegen und hat da viele geniale Sachen geschrieben, zwischendurch auch immer mal den Papst in Schutz genommen. Nur diesmal ist ihm wirklich nicht viel Konstruktives eingefallen.

  3. Ein Priester ist ein Gegenentwurf zur bürgerlichen Existenz, weil er zölibatär lebt? Das ist aber eine sehr auf einen Aspekt reduzierte Sicht der „bürgerlichen Existenz“. Ein Gegenentwurf wäre für mich, wenn ein Priester Privilegien aufgibt, aber zu großen Teilen hat er doch an Privilegien bürgerlicher Existenz teil – nicht zuletzt durch seine sehr abgesicherte finanzielle Position – solange er sich an die Spielregeln des Systems hält.

    Weiß Matussek wie sehr viele Priester unter der Isolation leiden, die ihnen das „Säulenheiligendasein“ beschert? Wenn ja, dann sind seine Äußerungen zynisch. Wenn nein, dann sollte er besser den Mund halten.

    Und die Herleitung der Ehelosigkeit von der kultischen Reinheit ist auch etwas merkwürdig, denn die Priester in der hebräischen Bibel lebten nicht zölibatär. Die kultische Reinheit wurde anders als durch nicht-heiraten hergestellt. Deshalb ist auch die Schlußfolgerung, Jesus habe diese Reinheitsvorstellungen überwunden, schief, weil sie sich auf geschichtliche Vorfälle bezieht, die zur Lebenszeit von Jesus noch nicht stattgefunden haben (Zerstörung des Tempels).

  4. Zu Meisners Aussage: „Vor dem Zölibat gibt es nur eine Alternative: Entweder es gibt Gott, oder der zölibatär lebende Mensch ist verrückt. Eine andere Alternative gibt es nicht!“
    Ich denke nicht, dass er damit sagen will, dass allein zu bleiben verrückt ist, sondern dass das Zölibat verrückt ist, wenn es keinen Gott gäbe. In meinen Augen ist es ein starkes Zeichen, dass Prister ihren Wunsch nach Familie nicht in einer eigenen Familie verwirklichen, sondern in der großen Herde Gottes, deren Hirten sie sind. Das spiegelt doch einen starken Glauben wieder, wenn ich Gott so nahe bin, dass ich bereit bin, das zu tun, oder? Es zeigt doch, dass dieser Glaube einen Menschen so erfüllen kann, dass er bereit ist auf seine eigene „Verwirklichung“ zu verzichten und Gottes Berufung anzunehmen. In einem verheirateten Prister würde mir das schwerer fallen zu sehen, denn er hat alles: eine Familie, Kinder, feste Arbeit, geregeltes Einkommen, eine sinnvolle Tätigkeit, soziales Ansehen. Selbst wenn es keinen Gott gäbe, wäre das doch eine nette Zukunftsperspektive, oder?!

    Zu der iPhone App, die ist weder von der katholischen Kirche herausgegeben worden, noch ist sie dazu da, den Pristermangel zu kompensieren. Die App dient allein der Gewissenerforschung, wie es ein analoger Fragenkatalog auch tun würde, nur eben digital und etwas aufgepeppt. Der einzige Bezug zur Katholischen Kirche ist, dass ein amerikanischer Bischof sie als „unbedenklich“ eingestuft hat.

  5. @lizzeliz: Alle Achtung vor jedem, der seine Berufung so versteht und lebt. Das Problem entsteht da, wo sie als eine prinzipiell höhere Berufung und nicht als eine qualitativ andere verstanden wird und man es (gegen 1 Tim 3) zur Norm macht, dass der „Hirte“ um der „Herde“ willen ehelos bleiben muss.

    Paulus sagt ja sinngemäß in 1. Korinther 7, dass ehelos lebende Christen sich auch einiges an Lasten, Schmerzen, Kummer und Konflikten ersparen. Ehe und Familie ist (das ist das Problem der verklärenden Sicht beider Seiten bei Meisner) eben nicht immer das reine Zuckerschlecken. Was ist, wenn Dein(e) Partner(in) schwer krank wird oder stirbt, was machst Du, wenn Deine Kinder (selbst)zerstörerische Dinge tun? Beide Entscheidungen, die für und die gegen Familie, haben ihre angenehmen und ihre harten Seiten. Man kann sich auch in Modelleisenbahnen, einem gepflegten Weinkeller und der Zigarrenkiste, seiner CD-Sammlung, der Bibliothek, in Hochgebirgstouren oder anderen Dingen irgendwie verwirklichen. Tun ja auch viele. Familie dagegen taugt zur Selbstverwirklichung wirklich nicht – die machen nämlich, was sie wollen.

    Wenn Meisner aber nur sagen wollte, dass es verrückt wäre, um Gottes Willen ehelos zu bleiben, wenn es gar keinen Gott gäbe, dann hat er natürlich Recht, zugleich wäre das doch schlicht eine Banalität.

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