Deutsch zum Abgewöhnen: “Es menschelt”

“Es menschelt” ist der verharmlosende Ausdruck dafür, dass sich jemand daneben benommen hat. Meist geht es um Eitelkeiten, Rivalität, Lügen und Intrigen. Und um den Betreffenden zu schonen, tarnt man die Sache semantisch als Kavaliersdelikt, indem man das Verhalten für “menschlich” erklärt. Halb so schlimm: Es menschelt eben überall.

Nobody’s perfect – aber die Banalität dieser Aussage wird nun nicht mehr mit stoischer Gelassenheit oder heiligem Zorn, sondern mit einem verschmitzten Augenzwinkern quittiert, das den Täter wegen Geringfügigkeit des Delikts nicht nur freispricht, sondern pauschal einen Freibrief für weitere Bagatellvergehen erteilt.

Und ich frage mich: Sind nun eigentlich die, die sich nicht gehen lassen, die sinnvolle Spielregeln einhalten und dafür auch einen Preis zu zahlen bereit sind – sind die nun Unmenschen? Ist es also gerade das, was einen als Menschen auszeichnet, dass man in kritischen Augenblicken selbstbezogen reagiert?

Oder ist die Fähigkeit, nicht den niedrigeren Instinkten zu folgen oder den Weg des geringsten Widerstands zu wählen, eben das Besondere an Geschöpfen, die zu Ebenbildern Gottes bestimmt sind? Ich würde das lieber glauben, wenn es mal wieder irgendwo unmenschelt: Dass wir es besser können und es uns selbst wie unseren Mitmenschen zum Wohle aller auch gönnen sollten, unsere dunkle Seite zu zähmen.

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4 Antworten auf „Deutsch zum Abgewöhnen: “Es menschelt”“

  1. Mein lieber Seelsorgedozent und Buchautor Willy Weber (Entdecke das Kind in dir) hat einmal in einem Vortrag über das „menscheln“ in der Gemeinde gesagt, dass er nach 30 Jahren Gemeindebegleitung eher davon sprechen würde, dass es tierisch zugeht und dass man eben dieses Verhalten nicht durch ein so nettes Wort verharmlosen dürfte. Denn mit Menschsein hätte vieles an Konflikten und Verhaltensweisen in unseren Gemeinden nicht mehr viel zu tun. Wie empfinden wohl Opfer von Machtintrigen und geistlichem Missbrauch einen solchen euphemistischen Ausdruck? Sprache sollte immer auch wahrhaftig sein. Danke für deinen Anstoß.

  2. Es kommt darauf an, von welcher Seite aus man startet denke ich. Lebt man in einer ‚Weißer-Riese-Gemeinde‘, die so rein und heilig ist, dass in ihr kein Platz für die (übrigens unvermeidliche!) menschliche Schwäche ist, mag dieser Spruch etwas Wahres und sogar tröstendes haben.
    Kommt es aber aus der liberalen Ecke, dann mag tatsächlich der Eindruck entstehen, dass damit Dinge verharmlost werden sollen. Nichts desto – wenn ich drauf warte, dass andere sich an gute Regeln halten, bevor ich damit anfange, wird das eh nix werden ;-). Ich versuchs zumindest auch dann, wenn ich der einzige sein sollte (bin ich ja zum Glück nicht – oder?)

  3. Hm. Für mich ist das gar keine Frage der Theologie. Die bestimmt höchstens, an welchen Punkten man falsche Nachsicht walten lässt gegen sich und andere…

  4. „Es menschelt“ (genau diese Formulierung) hat mir mit 17 Jahren etwas abgewöhnt, dass ich ca. 2 Jahre lang hatte: Die Illusion, dass Christen in ihren Gemeinschaften anders sind als die Jugendfeuerwehr, die ich bis dahin kannte. Ich war und bin von Gott fasziniert, darum bin ich schätzungsweise geblieben – nicht wegen dem menscheln auf das ich auch heute noch sehr gut verzichten kann.
    Wir hatten neulich ein Gespräch darüber und für mich erstaunlicherweise wurde die Forderung nach einem Verhaltenskodex laut. Regeln, die zwischenmenschliches Verhalten ordnen. Wir brauchen das scheinbar als Menschen – die Liebe als oberstes Prinzip auch des menschlichen Miteinanders ist vermutlich zu unkonkret, auch wenn das schade ist. Die Mönchsregeln waren hier doch sehr konkret, wenn ich mich recht erinnere – die Regula Benedicti (http://www.benediktiner.de/regula/) ist sehr konkret zumindest was die Strafen für Verfehlungen angeht. Bei diesem Orden mag es menscheln, aber man tut etwas dagegen, nicht dafür!
    Danke für diesen Post – bin selbst am schreiben über diese Dinge…
    Grüße nach Erlangen!

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