Das komplexe Spiel mit den Grenzen

Kürzlich habe ich diesen Vortrag von Antje Schrupp über Meinungsfreiheit und political correctness gelesen. Er stammt vom Jahreskongress des Verbandes der Redenschreiber in deutscher Sprache. Sie analysiert darin vieles in unseren öffentlichen Debatten sehr treffend. Wenn etwa (das Thema hat mich ja auch schon beschäftigt) Sarrazin, Broder oder Hahne (der sich neuerdings um die Zukunft des Zigeunerschnitzels sorgt) und andere die Meinungsfreiheit bedroht sehen, weil andere ihnen nun ebenso öffentlich widersprechen, wie sie selbst sich seit Jahr und Tag äußern, dann hält sie dagegen:

… das Recht auf Meinungsfreiheit umfasst eben nicht das Recht, die eigene Meinung jederzeit und überall ohne jegliche Konsequenz sagen zu dürfen. Das ist es in Wahrheit, was viele Kritiker und Kritikerinnen einer angeblich grassierenden Political Correctness einklagen. Meinungsfreiheit umfasst nicht das Recht, dass alle einem zuhören müssen, sie umfasst nicht das Recht, dass alle einen ernst nehmen müssen, und sie umfasst nicht das Recht, von niemandem kritisiert zu werden.

Zweitens fasst dieser Absatz wunderbar zusammen, wie man als Blogger ständig über die Grenzen zwischen dem Diskutablen und dem Indiskutablen entscheiden muss. Darin konnte ich mich sehr gut wiederfinden (gewiss zum Ärger des einen oder anderen, der diesen Blog gern für als Plattform seine – in meinen Augen jedoch indiskutablen – Themen und Positionen benutzt hätte):

Bloggen ist im Übrigen eine ganz hervorragende Übung darin, ein Gespür dafür zu bekommen, wie diese Grenze immer wieder hergestellt wird. Denn mit jedem Kommentar, den ich als „indiskutabel“ weglösche, markiere ich ja diese Grenze. Und mit jedem Kommentar, bei dem ich überlege, weil er eben „grenzwertig“ ist, wird mir bewusst, wie schwierig das ist. Je nachdem, was ich an Beiträgen freischalte und was nicht, ziehe ich nämlich automatisch bestimmte Leserinnen und Leser an und schrecke andere ab. Wenn ich antifeministische Kommentare lösche, dann nicht deshalb, weil ich Zensur ausübe und die Meinungsfreiheit einschränke, wir mir dann manchmal entgegengehalten wird, sondern um eine bestimmte Gesellschaft zu umreißen. Denn würde ich diese Grenze nicht ziehen, würde ich andere Leserinnen und Kommentatorinnen verlieren, nämlich die, die auf „so eine Gesellschaft“ keinen Wert legen. Deren Beiträge sind mir aber wichtiger. Im Übrigen wird ja auch niemand daran gehindert, seinen von mir gelöschten Kommentator gleich nebenan in seinem eigenen Blog doch noch zu veröffentlichen.

Es lohnt sich, den Text ganz zu lesen, schon um der vielen gut gewählten Beispiele willen. Schließlich finde ich auch ihr Fazit sehr hilfreich:

Ich versuche, bei dem, was ich sage, diese Grenze argumentativ so weit zu dehnen, wie es in dieser konkreten Situation und mit den konkreten Menschen, mit denen ich es jeweils zu tun habe, möglich ist, ohne dass die Beziehung abbricht. Weil sonst nämlich keine Debatte mehr möglich ist.

Die meisten Menschen sind durchaus interessiert daran, nicht immer nur die ewig gleichen Wahrheiten serviert zu bekommen. Sie möchten auch in ihren Ansichten herausgefordert werden, sind interessiert an Aspekten und Argumenten, die sie bis dahin noch nicht kannten.

 

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