Marktkonformes Christentum?

Kürzlich sprach ich mit einem befreundeten Juristen über die unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen von Kirche und Staat/Gesellschaft. Er erinnerte an den Versuch der Gleichschaltung der Kirchen im Dritten Reich, mit dem der Staat die Kirchen instrumentalisierte. Heute ist dieser Kult um die Nation keine akute Gefahr in Deutschland, darin waren wir uns einig.

Beim Weiterdenken (ich erinnerte mich an diese Worte von Jürgen Moltmann) fiel mir auf: In Zeiten der „marktkonformen Demokratie„, die nicht mehr durch äußeren Zwang herrscht, sondern einen inneren Anpassungsdruck erzeugt (um bloß nicht den Anschluss zu verlieren im gnadenlosen und unablässigen globalen Wettbewerb), liegt die größte Versuchung für dir Kirchen darin, vorauseilend die eigene Nützlichkeit und den „Mehrwert“ des Glaubens zu beteuern: Als leistungssteigernde Wellnessoase, als erfolgsrelevante Bildungseinrichtung, als eine Art legales Glücksdoping und metaphysicher Stimmungsaufheller im Zeitalter der allgemeinen Selbstausbeutung.

Ich habe das vor kurzem auf einer christlichen Website im Grunde genau so formuliert gefunden. Glaube fungiert dann als Lösung und Therapie für das Leben im neoliberalen System, als Schmierstoff fürs Räderwerk, aber eben nicht mehr als Störung, als Irritation, als subversiver Akt der Auflehnung gegen die anonymen und angeblich objektiv alternativlosen Zwänge.

Und all das ganz freiwillig – das ist das Verrückte. Aber irgendwie war die Fusion von Glaubenseifer und nationalem Pathos ja vor hundert Jahren auch freiwillig, wie selbstverständlich, ja sogar fröhlich bis euphorisch. Die oben erwähnte Website hat ihren Text inzwischen ausgebessert. Vielleicht ist das ja ein Hoffnungszeichen?

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6 Antworten auf „Marktkonformes Christentum?“

  1. wir müssen aber zugeben, dass wir alle immer wieder in diese falle tappen und das Evangelium verharmlosen… Gerhard Schöne bringt es auf den Punkt:

    „Jesu, meine Freude,
    meines Herzens Weide, Jesu wahrer Gott.
    Wer will dich schon hören? Deine Worte stören den gewohnten Trott.
    Du gefährdest Sicherheit!
    Du bist Sand im Weltgetriebe – Du mir deiner Liebe.

    Du warst eingemauert.
    Du hast überdauert Lager, Bann und Haft.
    Bist nicht tot zu kriegen!
    Niemand kann besiegen deiner Liebe Kraft.
    Wer dich foltert und erschlägt, hofft auf deinen Tod vergebens,
    Samenkorn des Lebens!

    Jesu, Freund der Armen, groß ist dein Erbarmen mit der kranken Welt.
    Herrscher gehen unter, Träumer werden munter, die dein Licht erhellt.
    Und wenn ich ganz unten bin, weiß ich dich an meiner Seite!
    Jesu, meine Freude.“

  2. Ich sehe die von dir beobachtete Tendenz „vorauseilend die eigene Nützlichkeit und den „Mehrwert“ des Glaubens zu beteuern“ als einen (hilflosen) Versuch die Notwendigkeit des Glaubens zu begründen. Früher war das einfach: „Egal ob du es glaubst oder nicht – denk dran, dass am Ende Gott über dich richtet“ hat als Begründung ausgereicht. Das „zieht“ heute nur noch bedingt 😉
    Also müssen andere Gründe her. Und da ist ein „Es tut dir gut zu glauben“ (das in der überspitzten Form die „leistungssteigernde Wellnessoase“ darstellt) nicht mal der schlechteste Ansatz.

    1. @Daniel: ja, es gibt bestimmt schlechtere… Die gemeinsame Problematik beider Ansätze ist die, dass sie im Unterschied zur Bibel bei den Bedürfnissen und Interessen des Individuums ansetzen – an einem Platz im Himmel oder einem erfolgreichen Leben nach den Maßstäben unserer Gesellschaft.

      1. Die anderen Ansatzpunkte wären ja:
        „Bedürfnisse und Interessen von Gott“ (A) oder „Bedürfnisse und Interessen der (ich nenn es mal vereinfachend) Gesellschaft“ (B).

        Variante A stelle ich mir (in der Vermittlung ans Individuum) so vor:
        „Hör mal es gibt da einen Gott und der findet, dass du…solltest“. „…“ wäre dann im besten Fall z. B. „ihn mal kennenlernen“ und im unangenehmsten „das und das anders als bisher machen“. Und in beiden Fällen wird sich das Individuum dann fragen „Warum sollte ich das tun?“ und dann wären wir wieder bei dem Ansatz am Individuum.

        Variante B stelle ich mir (in der Vermittlung ans Individuum) so vor:
        „Hör mal, es wäre besser für die gesamte Gesellschaft, wenn du…“. Das „…“ hier könnte dann z. B. sein „deinen Reichtum mit ärmeren teilst“. Solange das dem Individuum einsichtig ist, ist das alles kein Problem. Wenn aber andere Interessen des Individuums dem widersprechen (z. B. „Wenn ich teile, dann kann ich mir kein iPhone 6 Plus leisten“) dann kommt es zum Konflikt und die große Frage ist dann, welcher Ansatz die Oberhand gewinnt. Auch hier ist doch ein „weil es dir langfristig gut tut, dich auch um andere und nicht nur um dich selbst zu scheren“ kein schlechter Ansatz.

        Oder gibt es noch einen anderen (evtl. sinn-volleren) Blickwinkel?

        1. Es geht nur in der Kombination aus beidem, denke ich. Daher erzählen Altes und Neues Testament ja die Geschichte Gottes mit seiner Welt und laden die Hörer dann ein, sich auf diesen Weg mitnehmen zu lassen, den Gott beschreitet, um die Welt zurecht zu bringen. Wenn es für alle ein Gewinn ist, dann sicher auch für das Individuum, entscheidend ist dann aber, dass der einzelne sein Schicksal nicht von dem der anderen abkoppeln kann. Das ist keineswegs so klar, wenn man andersherum beginnt. Also mit A+B beginnen und C dann integrieren.

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