Die kleine Katze

Anne Lamott erzählt in dem autobiografischen Buch „Traveling Mercies“ von ihrer Begegnung mit Gott. Nach einer zerbrochenen Beziehung entdeckte sie, dass sie schwanger war und ließ das Kind abtreiben. Es kam in den folgenden Tagen zu Komplikationen, sie fühlte sich schwach und hatte Schmerzen. In ihrem verdunkelten Hausboot spürte sie allmählich, dass sie nicht allein im Raum ist. Irgendwie war Jesus bei ihr, so nahe, als könne sie die Hand nach ihm ausstrecken.

Sie reagierte empört. Was würden ihre Freunde und Bekannten denken, wenn sie Christ werden würde? Also drehte sie sich zur Wand und sagte laut: „Lieber sterbe ich.“ Sie spürte, dass Jesus immer noch in der Ecke geduldig und liebevoll wartete. Sie schloss die Augen (es half nichts), schließlich schlief sie ein. Am nächsten Tag war er weg. Anne Lamott schob die seltsame Erfahrung auf den Blutverlust, den Alkohol und ihre Abscheu gegenüber sich selbst. Aber von da an, schreibt sie,

… hatte ich überall, wo ich hinging, das Gefühl, dass mir eine kleine Katze folgte, die wollte, dass ich mich bückte und sie aufhob, dass ich ihr die Türe öffne und sie hereinlasse. Aber ich wusste, was dann passiert: Du lässt eine Katze einmal herein, gibst ihr ein bisschen Milch, und sie bleibt für immer.

Eine Woche später ging sie in die Kirche. Entgegen ihrer Gewohnheit verließ sie den Gottesdienst nicht vor der Predigt, mit der sie dennoch nichts anfangen konnte. Dafür berührte sie das Schlusslied – als würden die Menschen zwischen den Tönen gleichzeitig lachen und weinen und als würde der Gesang sie umarmen wie ein verängstigtes Kind. Was dann folgt, beschreibt sie so:

Ich begann zu weinen und (…) rannte nach Hause und fühlte die kleine Katze mir auf den Fersen, und ich lief den Bootssteg entlang, vorbei an Dutzenden von Topfpflanzen, unter einem Himmel, der so blau war, als stammte er aus Gottes eigenen Träumen, und ich öffnete die Tür zu meinem Hausboot, und da stand ich eine Minute, dann ließ ich meinen Kopf hängen und sagte: ‚Ich gebe auf.‘ Ich atmete tief durch, dann sagte ich laut: ‚In Ordnung, du kannst reinkommen.‘ Das war mein wunderbarer Augenblick der Bekehrung.


„Traveling Mercies: Some Thoughts on Faith“ (Anne Lamott)

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Seltsame Erlösung

Der 85jährige Staranwalt Rolf Bossi plädiert im Focus für die Einführung der Todesstrafe für Täter mit „sadistisch-perversen Tötungsimpuls“.

So weit nichts Neues, das hört man ja an jedem Stammtisch. Verblüffend ist die Begründung, zu der Bossi „sein spät entdeckter christlicher Glaube“ gebracht hat: „Sterben muss jeder. Dann kann man diese Menschen auch gleich erlösen.“

Hat Bossi sich in Texas bekehrt oder wie ist das zu erklären?

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Galeonsfigur

Time widmet seine Titelstory Rick Warren, der Obama und McCain demnächst befragen wird, und seinen P.E.A.C.E Plan. Ein erfreulich sachlicher Bericht über den wohl einflussreichsten Kirchenmann in den USA und die stetig fortschreitende Lösung der evangelikalen Bewegung von der Religiösen Rechten.

Ich hoffe, die Kollegen von der Zeit lesen das auch, bevor sie wieder so einen Artikel fabrizieren, der alles in einen Topf wirft.

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Urlaubszeit

Staus, Streiks, Abgase und Hitze. Passend dazu dieser Zwischenruf auf jetzt.de:

Wer nicht auf Anhieb fünf Dinge nennen kann, die ihn an der heimatlichen U-Bahn faszinieren, was will so jemand bei den Pyramiden in Ägypten? Was gäbe es da zu sehen für ihn, der doch schon zuhause nichts sieht? Nichts gäbe es. Wer achtlos an jedem Aufkleber, jeder technischen Neuerung, jeder Veränderung in seinem Lebensumfeld vorbeimarschiert, was will er auf den Inseln der Karibik? Ihm bleiben nur des Kaisers neue Kleider: Weil jeder sagt, wie schön der Urlaub war, wird auch er es sagen, denn er will nicht als der Depp dastehen, der nicht dazugehört. Solange Reisen dieses ungeheure, sich selbst aufrechterhaltende Lügengebäude ist, solange bitte zuhause bleiben.

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Wenn Wissen zum Glauben drängt

ZEIT Campus interviewt Armin Maiwald von der „Sendung mit der Maus“. Der gelernte Theaterwissenschaftler erklärt seine Vorliebe für Karl Popper, gibt seine Ansichten zum Niveau des Fernsehens preis und erzählt unter anderem auch, dass er Gott und Glauben nie zum Thema gemacht hat, weil das eben nicht ein Gegenstand unter anderen ist. Und dann sagt er auf die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Wissen:

Ich bin kein gläubiger Mensch im Sinne der kirchlichen Institutionen. Aber je mehr ich in wissenschaftliche Grenzbereiche eindringe, desto mehr zweifele ich, dass das alles nur Zufall sein kann. Ich habe mal eine Geschichte über Frösche gedreht. Der Biologieprofessor konnte auf den Tag genau sagen, wann ein Frosch lurcht. Aber auf die Frage: »Warum macht er das?«, kam nur die Antwort: »Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Da kann man nur gläubig werden.«

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Lieber leicht gerötet als satt gebräunt…

Während die US-Evangelikalen gerade versuchen, sich von der Religious Right und den Neocons zu distanzieren, zeigt die Zeit, dass es auch hier für Christen nichts Dümmeres geben könnte, als (wieder mal…) mit einem Konservativismus zu liebäugeln, der sich nach rechts nicht konsequent abgrenzen will und kann. Der ideologische Erzfeind lauert nämlich nicht, wie so oft vermutet, links von der Mitte:

Wenn nicht alles täuscht, dann steckt im – fast durchgängigen – Hass auf den Monotheismus der Schlüssel zum Verständnis des rechtsradikalen Weltbildes. Jesus Christus, schreibt der auch hierzulande gern zitierte Chefdenker der »Nouvelle Droite«, Alain de Benoist, sei der erste Bolschewist der Geschichte gewesen. Bis heute knüppele sein Fußvolk – Kommunisten, Linke, Liberale, Aufklärer – mit der Moralkeule alles Starke und Mächtige nieder und lasse die Welt in Gleichheit erstarren.

Der Artikel beschreibt ausführlich die biologistische Logik, auf der die Polemik gegen Juden und Christen fußt – eine Art Dawkins meets Odin. Bizarr auch, wenn die Rechten eine „Verweiblichung politischer Eliten“ beklagen, und Mannsein als die Fähigkeit zu Hass und Grausamkeit definieren. Wo Christen auch nur ansatzweise in diese Richtung tendieren – und das beginnt schon beim Vokabular – da wird es brenzlig.

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Alptraum-Lektüre

Wolfgang Simson hat zum nächsten literarischen Streich ausgeholt: Die Starfish-Vision. Sie besteht so ungefähr darin, die Hälfte der Weltbevölkerung durch exponentiales Wachstum der Christenheit für ein Jesus-Imperium (!) zu rekrutieren.

Das ist in verschiedenen Schattierungen Wolfgangs Traum, so lange ich ihn kenne, und er hat ihn mit einer neuen Metapher zum x-ten Mal recycelt. Nur der Ton wird schärfer und ungeduldiger, je älter er wird. Das gibt zu denken. Der Stein der Weisen wechselt bei ihm, und diesmal hat er offenbar Starfish and Spider gelesen. Zwar beschwert er sich immer wieder über das Einsickern unbiblischer Ideen, aber diese Theorie (die er nicht als solche deklariert) ist „prophetisch“ und der Seestern immerhin Gottes Schöpfung, das muss reichen. Früher hatte er über die Reproduktionsraten von Karnickeln geschrieben…

Natürlich wäre das alles schon eingetreten, wenn die Christen nicht so gut wie alles falsch gemacht hätten. Kein Wort davon, dass das Wachstum der Christenheit am Übergang von der vormodernen zur modernen Welt stattfindet und sich das schwerlich in Europa des 21. Jahrhundert mal so locker reproduzieren lässt. Stattdessen sind die traditionellen Kirchen und Konfessionen schnell als Das Problem ausgemacht. Und wenn Wolfgang an denen bisher schon kein gutes Haar gelassen hat, schreibt er sie in dieser „Vision“ nun in Grund und Boden.

Es geht, so Simson, nicht darum, die Welt zum Guten umzugestalten, sondern darum, in ihr das Imperium Gottes aufzurichten. Dem leidlich sensiblen und sprachlich problembewussten Leser stellen sich die Nackenhaare auf bei der Flut autoritärer Termini, die auf ihn einprasseln. Oder bei solchen plumpen und gar nicht neuen Parolen wie dieser:

Jesus hat uns beispielsweise aufgetragen, „seine geringsten Brüder“ (Mt 25) zu kleiden, Gastfreundschaft zu gewähren, ihnen Essen zu geben und sie (im Gefängnis) zu besuchen. Ein „Bruder von Jesus“ beschreibt allerdings einen Menschen, der Teil von Gottes Haushalt ist, nicht aber jemanden, der nicht zu Jesus gehört. Trotzdem viele geradezu kämpferisch das Gegenteil beteuern, hat Jesus uns nicht aufgetragen, die Hungrigen der Welt zu ernähren, alle Krankheiten dieser Welt zu heilen, die Armut abzuschaffen, und dafür zu sorgen, dass jeder Mensch des Planeten eine Ausbildung, sicheres Trinkwasser und medizinische Grundversorgung erhält. Das sind Dinge, die uns unser gefallenes und verwundetes Rechtsempfinden diktiert, nicht aber Gott.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Kranken und armen Nichtchristen helfen zu wollen ist Folge sündhaften Orientierungsverlustes und behindert Gottes eigentlichen Plan. Spätestens da kann man das Buch getrost wieder weglegen und darauf warten, dass Wolfgang den nächsten Stein der Weisen findet. Ich tippe auf 2012. Bis dahin reicht es mir aber auch erst mal.

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AUFgesplittert

Kleine Ereignisse werfen ihre Schatten hinterher: Kürzlich erfuhr ich von der Gründung der AUF-Partei. Das ganze liegt schon Monate zurück, aber die Schockwellen brauchten ihre Zeit bis nach Erlangen.

Bisherige politische Schwergewichte wie PBC und Zentrum reagierten pikiert. Die Initiatoren versprechen dagegen die geistig-moralische Wende, ohne konzeptionelle Neuigkeiten zu bieten.

(PS: Die Zeitschrift Aufatmen ist unschuldig)

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Fürs Archiv: Atheismus

Es ist zwar schon eine Weile her, aber so schnell erledigt sich das Thema ja nicht: Die FAZ hat vor einer Weile die Antwort von Alistair McGrath auf Richard Dawkins‘ Gotteswahn sehr aufmerksam rezensiert.

Ein paar Tage später dann erschien dort auch noch ein Artikel des englischen Philosophen John Gray über den neuen Atheismus und die Folgen, der Dawkins, Hitchens & Co als säkulares Spiegelbild der religiösen Fundamentalismus versteht, nicht als dessen positive Überwindung.

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Feindbild-Kosmetik

Alle reden wieder vom Bayern-Dusel. Ob zu Recht oder nicht, ob das 1:1 in der Nachspielzeit kein Dusel war und ob Toni in den Ball gestolpert ist oder ihn perfekt gespielt hat, das alles spielt hier keine Rolle.

Wohl aber das Thema Vorurteile: Die Zeit bringt derweil anlässlich des Pokalsiegs einen interessanten Kommentar zu dem schwäbischen Choleriker, an dem sich die Geister scheiden wie an keiner anderen Persönlichkeit der Liga: Uli Hoeneß. Den dürfen sich ruhig auch Bayern-Hasser mal reinziehen.

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Männertugenden

Heute las ich diesen Satz (und wer die Neigung zur Alliteration erkennt, ahnt vermutlich schon, woher er stammt):

The Bible’s view of manhood can be summarized by five characteristics: compassion, consistency, cooperation, commitment, and courage.

Aha. Gut, dass wir das nun wissen.

Aber woher kommt dieses penetrante Bedürfnis, Mannsein mit ein paar Schlagworten zu definieren? Und warum müssen es, wie in diesem Fall, Tugenden sein, keine Eigenschaften – nichts, was man(n) schon immer ist, sondern etwas, das man mit erheblichem Aufwand erst werden muss?

Mal abgesehen von der Frage, ob Frauen, die diese Tugenden besitzen (und da scheint es mir gar nicht wenige zu geben), dann noch Frauen sind, scheint Weiblichkeit der unproblematischere Begriff zu sein. Oder täusche ich mich da, und es ist inzwischen genauso verfahren?

Nichts gegen diese Tugenden, ich wünsche mir selbst jede einzelne davon. Weil es dabei um menschliche Reife geht. Aber doch nicht ums Mannsein!

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Kommt herüber und helft uns

Morgen wählt Italien – mal wieder.

Je nach Ausgang der Wahl könnte sich die Frage einer deutschen Intervention dort stellen, findet der Bürgerrechtler und Komiker (in Italien muss man offenbar beides sein) Beppe Grillo in diesem sarkastischen Aufruf, den die Zeit vor einer Weile veröffentlicht hat.

Nach Müll aus Kampanien soll Deutschland nun die dringend nötige Entsorgung korrupter Politiker übernehmen Immerhin: Grillos Blog ist auf Technorati die Nummer 15. So kann man auch Oppositionsführer werden.

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Wie im richtigen Leben?

In den letzten Tagen habe ich John LeCarres The Mission Song gelesen, in dem es um einen Umsturzversuch im Osten des Kongo geht. Nicht sein bestes Buch, aber weil man dem Autor meist gute Sachkenntnisse nachsagt, doch beunruhigend – wie zuvor schon der „Ewige Gärtner“.

Heute stolpere ich über einen Bericht der „Welt“, nach dem der Sohn von Margaret Thatcher im Jahr 2004 einen Putschversuch im benachbarten Äquatorialguinea unterstützt haben soll:

89 Männern aus Europa, Asien und Südafrika wirft die Regierung vor, als Söldner für einen Putsch gegen Präsident Teodoro Obiang Nguema angeheuert zu haben. (…) Anführer der Söldnertruppe soll der mit Mark Thatcher befreundete ehemalige britische Eliteoffizier Simon Mann sein, Eton-Absolvent, wie Thatcher 54 Jahre alt und dessen Nachbar in Kapstadt.

Nun droht ihm möglicherweise die Todesstrafe. So weit ging nicht einmal LeCarre…

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