Gelegentlich begegne ich Leuten, die ich lange nicht gesehen habe. Manchmal kannten wir uns gut, manchmal nur flüchtig. Wenn man einen Weile nichts von einander gehört hat, ist es ja interessant, ob und wie sich der/die andere verändert hat. So gesehen kann die freundliche Aussage „bleib, wie du bist“ oder „immer noch ganz der alte“ ein recht zwiespältiges Kompliment sein.
Am meisten staune ich tatsächlich über die, die auch nach Jahrzehnten noch genau dieselben Ansichten und Einstellungen haben. Dann frage ich mich, ob die Veränderungen in der Welt und die Begegnungen im Laufe des Lebens spurlos an ihnen vorübergegangen sind und sie die diversen Disruptionen schlicht nicht zur Kenntnis genommen haben, oder ob sie mit den Landkarten von früher auch nach all den tektonischen Verschiebungen noch leidlich navigieren können.
In solchen Situationen höre ich manchmal den Satz: „Sie/er ist sich treu geblieben“. Dann frage ich mich, ob das so stimmt: Bleibe ich mir treu, indem ich bestimmten Ansichten treu bleibe (statt „mit der Zeit zu gehen“, wie es auch manchmal heißt)? Oder bleibe ich mir treu, indem ich meine Ansichten verändere bzw. durch Ereignisse und Einsichten verändern lasse? Sind beide Wege am Ende gar gleichwertige Arten, sich selbst treu zu bleiben? Oder haben die, die auf bestimmten Positionen verharren, eher das Bedürfnis, einer bestimmten Idee (Dogma?) treu zu bleiben, einer darauf gegründeten Gemeinschaft (Kirche?) anzugehören? Ist ihnen der Frage, ob sie sich selbst treu bleiben, also gar nicht so wichtig?
Wenn ich über mich selbst und andere nachdenke, für die das Leben eine Reise voller Veränderungen ist, Glaube ein Wachsen und sich Wandeln, Nachfolge ein Ablegen bestimmter Dinge und ein Aufnehmen anderer, und der Gott der Bibel ein nomadischer Gott, ein Nichtsesshafter, dann steckt ja auch darin eine Idee, der wir treu bleiben. Freilich sehen die meisten das nicht als etwas an, das außerhalb des Selbst liegt. Obwohl es mehr und größer ist als das individuelle Selbst, fühlt es sich eher wie ein innerer Kompass an.
Ab und zu gibt es auf den verschlungenen Pfaden des Lebens Begegnungen, wo sich solch ein gegenseitiges Erkennen und Verstehen ereignet. Wieder ist es nicht unbedingt der Inhalt der Erfahrungen und Einsichten, der kongruent sein muss, sondern die fragende und suchende Haltung dabei. Und die Bereitschaft, über Grenzen und Selbstverständlichkeiten hinaus zu denken.
In solchen Momenten fällt mir das Familienwappen meines Großvaters ein. Darauf steht „Immer Vorwärts„. Das wirft eine Menge Fragen auf, aber es spricht eben auch eine ausgeprägte Sehnsucht an: Wir sind noch nicht angekommen. Alles ist vorläufig – ein Provisorium, das wir wieder aufgeben werden. Es ist noch nicht die Zeit, sich niederzulassen und zur Ruhe zu setzen. In dieser heiligen Unruhe (die etwas anderes ist als ein Getriebensein!) bleibe ich mir gerne treu.
Mein Arbeitszimmer ist so aufgeräumt wie schon Jahre nicht mehr: In der Isolation der letzten Wochen (und mit viel mehr Vorlauf als gewohnt) eine Predigt zu schreiben, ließ jedes Staubkorn interessant erscheinen. Dass gefühlt alles gerade im Ungewissen und in der Schwebe ist, macht es schwer, etwas zu niederzuschreiben, ohne es umgehend wieder unter Vorbehalt zu stellen. Aber irgendwann klärten sich die Gedanken und die Worte auf dem Bildschirm dann doch. Die Ausnahmesituation setzt sich beim Sprechen im sterilen Studio fort: Keine Gemeinde vor Augen, kein Tageslicht, schalltoter Raum. Dank der moralischen und fachlichen Unterstützung von Melitta Müller-Hansen ließ sich zum Glück noch etwas Restadrenalin mobilisieren. Und die ersten Rückmeldungen waren ganz positiv. Aber hört (oder lest) selbst, wenn Ihr mögt…
Der rastlos Reisende sitzt fest. Paulus, der Apostel, hat gerade einen Gefängnisaufenthalt überstanden. Und jetzt muss er in Athen schon wieder warten, bis sein Team nachkommt. Erst dann kann es weitergehen übers Meer. Nun sitzt er am Hafen von Piräus, und sieht, wie die Schiffe an- und ablegen. So wie ich in den letzten Wochen den wenigen Flugzeugen am Himmel hinterhergeschaut habe. Voller Fernweh. Und voller Ungeduld: Wann werde ich mich wieder wie gewohnt frei bewegen können? Reisen? Besuche machen?
Irgendwann entschließt Paulus sich, in die Stadt zu gehen. Athen im ersten Jahrhundert nach Christus, das ist so eine Art Weimar des römischen Reiches. Politisch und wirtschaftlich unbedeutend, aber voller Erinnerungen an ein goldenes Zeitalter der Kunst und Philosophie. Und die Wiege der Demokratie – auch wenn das schon längst wieder Geschichte ist.
Dieses Athen bietet großartige Architektur, wohin man auch schaut. Als Tourist oder Flaneur käme Paulus jetzt voll auf seine Kosten. Aber er sucht nicht den Kunstgenuss, sondern Gott auf den Straßen und Plätzen. Sein Blick fällt auf die zahllosen Götterbilder und Tempel. Er sieht sie nicht nur als kulturgeschichtliche Attraktionen. Für ihn sind sie in Stein gemeißelte Machtverhältnisse. Die Götter des Olymp sind Sinnbilder der antiken Klassengesellschaft: Freie stehen über den Sklaven, Männer über den Frauen, Eingesessene über den Zugewanderten. Diese Götter sind Schutzmächte jenes Systems, in dessen Namen er kürzlich erst verhaftet und ausgepeitscht wurde.
Auf dem Marktplatz, wo einst schon Sokrates die Passanten mit seinen Fragen nervte, kommt Paulus ins Gespräch mit den Einheimischen. Gebildet sind sie und kunstbeflissen, die Athener. Kritik und Skepsis wurden hier erfunden und in alle Welt exportiert. An die alten Göttermythen indes glaubt hier kaum noch einer. Eher, dass die Vernunft es möglich macht, sich dem Wahren, Guten und Schönen zuzuwenden.
Ein bisschen verwöhnt sind sie auch. Jeden Augenblick könnte eine antike Version des Philosophen Richard David Precht um die Ecke kommen – gutaussehend, wohlsituiert und eloquent. Wahrheitssuche darf in Athen gern unterhaltsam sein: „Wo du schon mal da bist: Beeindrucke uns, wenn du kannst!“, sagen die Gesten und Gesichter. „Was hast du zu sagen über Gott und den Kosmos? Über das Glück und das tugendhafte Leben?“
Der Newcomer Paulus schlägt sich in seiner ersten Diskussion auf dem Markt in Athen so gut, dass er zur Begutachtung auf den Areopag geladen wird. Hier, unterhalb der Akropolis wird nicht Smalltalk, sondern Politik gemacht und Recht gesprochen. Es wird ernst:
Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Denn ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.
Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, dass sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.
(Apg 17, 22-28)
Die Anspannung, der Missmut und die Ungeduld über das unfreiwillige Warten erscheinen wie weggeblasen, als Paulus zu dieser Rede ansetzt. Ich bin ein bisschen beschämt darüber. Wie oft ist mir das in den zurückliegenden Wochen nicht gelungen, meine Verstimmung über die ernste bis deprimierende Corona-Pandemie aus persönlichen Gesprächen herauszuhalten? Auch wenn völlig klar ist, dass mein Gegenüber genauso unter der Situation leidet und ebensowenig dafür kann wie ich. Ich spüre, wie ich einsilbiger werde, wenn ich genervt bin.
Paulus hingegen schimpft und droht nicht, er zieht sich aber auch nicht zurück. Er hat etwas Positives entdeckt, etwas Verbindendes. Und das rückt er jetzt in den Mittelpunkt. Hat ihn das Kraft gekostet? Ich stelle mir vor, wie er auf dem Weg vom Markt zum Areopag tief durchatmet. Wie er ein Stoßgebet um die richtigen Worte zum Himmel schickt. Wie er in Gedanken nach dem richtigen Einstieg sucht und plötzlich diesen Moment vor Augen hat: Auf seinem Streifzug durch Athen steht er vor dem Altar eines unbekannten Gottes. Ohne die üblichen Bilder, ohne klangvollen Namen. Welches Geheimnis verbirgt sich hier?
Gott als Joker?
In Athen gibt es für alles einen Gott. Selbst für das, was man nicht bedacht hat. So gesehen ist dieser Altar für den unbekannten Gott wie der Joker in einem Kartenspiel, der für jede beliebige andere Karte zum Einsatz kommen kann. Ich denke an Dietrich Bonhoeffer, der vor 75 Jahren ermordet wurde. Er hat es abgelehnt, Gott als Joker zu benutzen. Ihn als „Gott der Lücken“ ins Reich des Unerklärlichen, Unbeherrschbaren und Übernatürlichen abzuschieben. Da erfüllt er durchaus noch seinen Zweck, da brauchen wir ihn noch: An den Außengrenzen, wo wir nicht weiterwissen, absolut ratlos sind, wo nichts mehr beherrschbar oder berechenbar ist. Da brauchen wir ihn als „Gott der Lücken“, um uns abzusichern. Zugleich aber überlassen wir das Alltägliche, das Natürliche, das Politische und alles Zwischenmenschliche sich selbst.
Die Lücken in unserem Wissen und die Grenzen unserer Welt- und Selbstbeherrschung rücken gerade wieder in den Blick. Das Corona-Virus macht sie sichtbar. Schlagzeilen wie „Ökonomen im Blindflug“ gehören inzwischen zum Alltag. Man könnte auch manch andere Zunft hier einsetzen, Virologen vielleicht ausgenommen. Noch vor wenigen Wochen schien ein Kontrollverlust dieser Größenordnung völlig undenkbar.
Manche Prediger sehen eben darin Gott am Werk und wittern neue Chancen für den Glauben. Aber wenn wir Gott als Krücke und die Verheißung ewigen Lebens als Beruhigungspille anpreisen, dann werden viele ihm den Rücken kehren, wenn die Lage sich wieder stabilisiert. Dann hat Gott seinen Zweck ja auch erfüllt. So wie wir heute für Menschen in Pflegeberufen Beifall klatschen und uns morgen darüber beschweren, dass der Beitrag für die Krankenkasse steigt oder der Staat uns die Steuern erhöht, um sie besser zu bezahlen.
Bonhoeffer wollte dieses Spiel nicht mitspielen. Er schrieb:
„Ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen … Gott ist mitten in unserm Leben jenseitig. Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf.“
Er hatte seinen Paulus gut gelesen, denn das ist genau der Weg, den der Apostel einschlägt – mitten auf dem Areopag.
Ein Fragezeichen aus Stein
Paulus deutet den Altar des unbekanntes Gottes positiv: Als Fragezeichen hinter den vermeintlichen Gewissheiten der Athener. Der Altar markiert eine Leerstelle: Was haben wir übersehen? Gibt es noch mehr zu entdecken als das, was wir schon kennen? Kluge Menschen haben auch ein Gespür für das, was sie alles nicht wissen.
Zugleich ist der Altar ohne Bild Ausdruck einer Sehnsucht. Wie bei Fernweh: du siehst ein Schiff, ein Flugzeug, du suchst mit deinen Augen den offenen Horizont. Aber du weißt nicht, wohin es dich zieht. So auch die Sehnsucht nach dem unbekannten Gott: Sie kann noch gar keine genauen Koordinaten für das Ziel der Expedition nennen. Das Unbekannte hat keine Adresse, keinen Namen und kein Gesicht. Wie der geheimnisvolle Gott, der in der Wüste aus dem brennenden Busch zu Mose, dem Nomaden, über die Freiheit in einem fernen Land spricht. Der Gott der Juden, und damit auch der Gott Jesu von Nazareth.
Manchmal spüren Menschen so eine Sehnsucht, aber bringen sie nicht mit Gott in Verbindung. In der Popkultur etwa stoße ich auf Texte, die sich an eine zukünftige Partnerin oder einen Partner richten. Die Titel heißen „Dear Future Husband“ oder „I Haven’t Met You Yet“. Da geht es um die Suche nach jemandem, der mich spüren lässt, dass ich etwas Besonderes bin. Und ein bisschen auch die Sehnsucht nach jemand, der mich vor mir selbst rettet. Wie beim „Gott der Lücken“ wird da im Grunde aber jemand gesucht, der all das liefert, was mir gerade fehlt.
Das Gegenstück dazu wäre jemand – Gott oder Mensch –, mit dem ich alles teilen kann, nicht nur meine Leerstellen und Defizite. Die zarte, tastende Sehnsucht nach einem solchen Gegenüber besingt das Folkduo „The Civil Wars“:
Du hast mir gefehlt Aber ich bin dir noch nie begegnet Doch das würde ich so gern Liebe(r) Wer-immer-du-auch-bist Noch warte ich geduldig
Ich habe in diesen Tagen der allgemeinen Zwangsentschleunigung auf vieles gewartet und warte noch: Auf den ersten Friseurtermin seit Ewigkeiten. Dass es irgendwo Hefe zu kaufen gibt. Aufs Anstoßen mit Freunden im Biergarten. Und darauf, meine alten Eltern in den Arm zu nehmen. Im Moment empfinde ich das erzwungene Warten so anstrengend, dass das freiwillige Warten – die Stille, das Gebet, die Meditation – unter dem Sehnsuchtsstau leidet. Ich bete in diesen Tagen lieber draußen, unter den Bäumen, die da ruhig und unverrückbar stehen, und bei den Vögeln, die über den offenen Himmel fliegen.
Sympathische Sehnsucht
Die Sehnsucht ist eine besondere Art der Verbindung. Es gibt sie nur in Beziehungen, in denen man das Gegenüber nicht besitzt und im Griff hat. Deswegen ist die Sehnsucht nach Gott auch nie ganz zu stillen. Die Sehnsucht, der Durst nach Geist und Leben macht Menschen anziehend und schön. So lange wir träumen, ist in aller Traurigkeit noch Kraft und Hoffnung auf Veränderung. Vielleicht sagt meine Sehnsucht ja mehr über mich aus als das, was ich schon erreicht habe.
Der Altar des unbekannten Gottes ist das Eingeständnis, dass man nicht alles wissen kann oder noch nicht alles erkannt hat. Eines interessierten Nichtwissens. So sieht Paulus die Athener. Er sieht ihre Sehnsucht und sie ist ihm sympathisch. Gott nicht ganz erkannt zu haben ist keine Schwäche, deren man sich schämen müsste. Statt belehrend und besserwisserisch aufzutrumpfen, betont er noch einmal die Gemeinsamkeit: Gott braucht kein Haus, schon gar kein prunkvolles, sagt er. Und er braucht auch keine Priesterkaste, die ihn hofiert wie die Lakaien ihren Kaiser. Was für ein Gott wäre das, der das nötig hätte?
Paulus weiß, das die Athener das wissen. Er zeigt es ihnen, indem er aus den „Himmelserscheinungen“ eines damals bekannten und beliebten Dichters, Aratus von Soloi, zitiert: „In ihm leben, weben und sind wir“, und „Wir stammen von ihm ab“: Der eine, wahre Gott ist überall am Werk, mitten im Leben und im Guten. Im Menschsein, das uns alle verbindet. Nicht in den Dingen, die uns unterscheiden und trennen. Wozu noch Tempel? Wozu noch andere Bilder? Gott lässt sich auch nicht mit Konzepten oder Begriffen dingfest machen. Wenn wir ihn in solche Gräber sperren, kommt er wieder heraus und sie sind leer.
Gott – mitten im Leben
In den letzten Wochen konnten wir uns nicht wie gewohnt zum Gottesdienst in den Kirchen versammeln. Viele haben das vermisst. Manche sind in eine der offenen Kirchen gegangen, um eine Kerze anzuzünden und still zu beten. Viele beten jetzt wieder, wenn die Kirchenglocken läuten – zuhause, wo sich gerade viel mehr Alltag als sonst abspielt. Neben dem Warten ist auch das eine der Lektionen dieser Tage: Wir leben, bewegen uns und sind in Gott. Gottesdienste und Kirchenräume dienen nicht dazu, dem Alltag zu entfliehen. Sondern mir gerade genug Abstand zu ermöglichen, dass ich Gottes Spuren im Gewöhnlichen entdecke: Beim Einkauf, im Grünen, beim Gespräch über den Gartenzaun oder übers Internet, wenn ich nachts wach liege.
Oder wenn mir schlechte Nachrichten unter die Haut gehen. Letzte Woche etwa kommentierte die Journalistin Mely Kiyak die elende Lage tausender Geflüchteter auf Lesbos, darunter viele Kinder:
Menschsein ist universell und spricht eine Sprache. Kinder sind Schutzbedürftige. Dieses Wissen nicht in seinem Lebenskompass eingeschrieben zu haben, bedeutet einen unglaublichen Verlust von Würde, zunächst einmal sich selbst gegenüber.
An diesem Punkt geht Paulus einen Schritt über die Einigkeit mit den Athenern hinaus. Gott ist nicht nur Grund und Urheber der Welt, sondern er verfolgt auch ein Ziel. Ja, Menschen spiegeln Gott oft und in vieler Hinsicht wider. Ja, es gibt Wahres, Gutes und Schönes unter ihnen. Manchmal aber ist es schlichtweg zum Heulen, was sie einander antun. Die Würde aller nimmt Schaden, wenn Gerechtigkeit mit Füßen getreten wird. Wenn die Gewalt der einen und die Gleichgültigkeit der anderen sich die Hand reichen, folgt die Selbstzerstörung. Und am Umgang mit leidenden Menschen zeigt sich auch, wie es um unser Verhältnis zu Gott bestellt ist.
Deswegen offenbart sich Gott ausgerechnet im leidenden und gekreuzigten Christus. Paulus reißt das nur knapp an, quasi im Telegrammstil, und die Athener haben erkennbar Mühe, ihm zu folgen:
„Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht. Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er richten will den Erdkreis mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.„ Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören. So ging Paulus weg aus ihrer Mitte. Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.
Apg 17, 29-34
Für diesen sperrigen Christus gibt es keine passende Nische. Er stört, also wird er beseitigt. Gottes Sohn nimmt es in Kauf, selbst unter die Räder zu kommen. Und damit deckt er den herzzerreißenden Zwiespalt der Menschheit auf: So großartig und doch auch so grausam sein zu können. Aber gerade da stößt Gott nun die Tür zu einer neuen Welt auf. Im Auferstandenen erscheint sie, inmitten in der alten, kaputten Welt. Immun gegen das Virus der Unmenschlichkeit.
Unser Licht leuchten lassen
Das also macht die Osterbotschaft aus: Eine andere Welt ist nicht nur theoretisch möglich. Der Anfang ist schon gemacht. Wenn Paulus vom kommenden Gericht spricht, sagt er damit: Gott wird der Unmenschlichkeit ein Ende setzen und seine aus den Fugen geratene Welt zurechtbringen.
Die Zeit des Leidens ist begrenzt. Aber sie ist – bei aller österlichen Erleichterung und Vorfreude –noch nicht zu Ende. Wir warten nicht auf das Ende der Corona-Krise und darauf, dass dann alles wieder „normal“ wird. Die gefühlte Normalität der Jahre vor Corona war in Gottes Augen schon längst Krise. So kann es nicht weitergehen. Wir warten sehnsüchtig auf ein Ende der Ungerechtigkeit. Wir warten auf eine Welt, in der Kinder und Alte, Frauen und Männer, Menschen und Natur in Würde und Frieden leben. Das Ende der Pandemie ist nur ein Schritt dahin.
Zu Ende ist allerdings die Zeit des Abwartens und Taktierens. „Egal, was ihr vorher gemacht habt,“ sagt Paulus den Athenern, „jetzt ist es Zeit, sich der Bewegung des Auferstandenen anzuschließen.“ Lukas nennt namentlich zwei Personen, die der Einladung folgen: Dionysius, Damaris.
Und ich? Ich muss nicht bis nach Corona warten, um es ihnen gleichzutun. Mit vielen anderen auf dieser Welt bin ich unterwegs. Zum Beispiel Joan Baez, die vom Glauben an Gott singt, der sich zwar oft nicht begreifen lässt, aber uns hilft, unser Licht leuchten zu lassen.
Einige von uns verbringen ja krisenbedingt mehr Zeit im Wald. Das kann den Horizont durchaus erweitern. Der Herald brachte kürzlich ein Interview mit Peter Wohlleben über dessen Anschauung von Bäumen. Der Mann wird ja immer wieder kritisiert, weil er angeblich zu menschlich von Bäumen spricht. Er beschreibt sie als soziale, kommunikative Wesen und benutzt dabei – anders als viele seiner Kollegen – Metaphern aus unserem menschlichen Miteinander. Zum Beispiel, wenn er einen Baumstumpf, der über das Wurzelgeflecht benachbarter Bäume am Leben erhalten wird, als „Ruheständler“ bezeichnet.
Freilich ist er damit eher auf der poetischen Seite des wissenschaftlichen Spektrums. Dort wird allerdings nicht weniger metaphorisch geredet. Es sind lediglich andere Metaphern, die bevorzugt werden: Mechanistische (Wohlleben nennt das „Bioroboter“) oder ökonomische Vorstellungen – Konkurrenz, Synergie, Effizienz zum Beispiel. Immer wieder ist zu lesen, diese oder Lebewesen seien darauf aus, ihre Gene so weit wie möglich zu verbreiten. Auch in solchen Formulierungen steckt eine Art Intentionalität, aber eben keine primär soziale.
Die Ökonomen sind indes schon wieder einen (zweifelhaften) Schritt weiter in Richtung Börsenpoesie. Immer wirde mal heißt es, der DAX stemme sich gegen Risiken oder schlechte Nachrichten. Während es sicher kein Fehler ist, von Bäumen als Lebewesen zu sprechen, kann man einem Börsenindex schwerlich so etwas wie Bewusstsein oder Wille nachsagen. Der bildet nur das bunte Treiben vieler Akteure auf dem Markt ab.
Es ist also akzeptabel, vom DAX personifizierend oder vermenschlichend zu reden, aber nicht vom Wald. Ich vermute, dafür gibt es nur eine Erklärung: Er steht den meisten von uns einfach näher als die Natur. Wir erkennen uns selbst in ihm wieder (klar – er ist ja unser Geschöpf!) und wir erwarten uns von ihm mehr Trost, Hilfe und Beistand als von unseren kleinen und großen Mitgeschöpfen. Das wäre eine durchaus besorgniserregende Tendenz.
Um so mehr wünsche ich allen schöne und bewusstseinsbildende Spaziergänge im Wald. Habt keine Scheu, mal mit einem Baum zu reden. Peter Wohlleben sagt zwar, dass die Bäume uns nicht verstehen. Aber das ist auch gar nicht der Punkt: Das Reden könnte uns helfen, sie wieder als Lebewesen zu sehen und nicht als Baumaterial oder stimmungsvolle Kulisse für Freizeitaktivitäten. Und das Hören auf den Wind in den Baumkronen, das Knarren der Äste, das Rascheln im Laub.
Als ich heute laufen ging, war ich viel zu warm angezogen. Die letzten Tage waren sonnig, aber da wehte noch ein eisiger Wind und ich hätte mich um ein Haar erkältet. Und da sind wir schon bem Problem – es gibt ja keine unschuldige Erkältung mehr, sondern jeder Huster steht unter Seuchenverdacht. Er könnte das erste Symptom einer Krankheit sein, die (bei schwerem Verlauf) für mich gefährlich sein könnte oder mich zur Gefahr für andere Menschen macht.
Mir wird meine Anfälligkeit gerade sehr bewusst. Die mag geringer sein als die manch anderer Menschen mit höherem Infektionsrisiko. Und doch – das Jesuswort aus der Bergpredigt „Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?“ ging mir in letzter Zeit immer wieder durch den Kopf. Jetzt wo so viel still steht und zugleich so viel von Krankheit und Tod die Rede ist, rückt diese Anfälligkeit und Verletzlichkeit allen Lebens, auch meine eigene, mit Macht ins Bewusstsein. Ich denke an diese Zeilen von Sting, auch wenn es gerade nicht regnet draußen:
On and on the rain will fall Like tears from a star like tears from a star On and on the rain will say How fragile we are how fragile we are
Eine ganz ähnliche Melancholie findet sich auch in dem Klassiker von Kansas aus dem Jahr 1979, sie erinnert nebenbei ein bisschen an das „alles ist eitel“ aus dem Buch Prediger:
Now don’t hang on Nothin‘ last forever but the earth and sky It slips away And all your money won’t another minute buy Dust in the wind All we are is dust in the wind
Diese Anfälligkeit hat einen gewissen Schock verursacht. Vor ein paar Wochen war Covid-19 noch weit weg, dann waren es Einzelfälle, jetzt ist es potenziell überall. Weil es unsichtbar ist, weil jede(r) es haben und verbreiten kann, auch wenn er sich kerngesund fühlt, weil es keine Impfung gibt und die Pandemie so unkontrollierbar ist, legen wir alles, was geht, auf Eis.
Wir werden wieder sensibel für unsere Anfälligkeit. Die Anfälligkeit des Organismus für das Virus, die Anfälligkeit der Emotionen angesichts ungewisser Umstände, die Anfälligkeit der Systeme: Gesundheitswesen, Börsenkurse, Arbeitsmarkt, Bildung, Kirchen, sogar der Nationalstaaten, von denen derzeit der größte Teil des Krisenmanagements ausgeht. Hartmut Rosa spricht im aktuellen Philosophiemagazin von der „typisch modernen Logik, eine unbegrenzte Herrschaft über die Welt auszuüben.“ Die kommt uns gerade abhanden. Ich bin nicht mehr Herr meiner Welt, wir sind nicht mehr die Herren unserer Welt.
Die Wahrheit ist: Wir waren es nie. Wir hatten nie die vollständige Kontrolle. Das große Projekt der Moderne (seit dem Erdbeben von Lissabon 1755) hat nur Teilerfolge gebracht und an anderen Stellen die Risiken vergrößert. Die Folgen der Klimakatastrophe mögen zeitlich noch weiter weg liegen, aber sie werden nicht minder heftig ausfallen.
Covid-19 und seine Folgen sind nicht einfach eine Bedrohung von außen, sondern aus dem System heraus entstanden. Wenn wir nun vor leeren Supermarktregalen stehen oder uns darum sorgen, ob unsere Verwandten bei einer Infektion überhaupt behandelt werden, sollten wir begreifen, wie existentiell krisenanfällig der Kapitalismus ist und wie sehr die ökologische und die soziale Frage zusammenhängen.
Der Kontrollverlust wird uns noch lange und in vielen unterschiedlichen Formen beschäftigen. Ein neues Selbstbild wird dazu nötig sein: Wir sind nicht die Herren der Welt, sondern verletzliche, endliche Geschöpfe. Wir sind anfällig und angewiesen auf die Liebe und Fürsorge anderer. Und auf einen achtsamen, fürsorglichen Umgang mit den menschlichen und außermenschlichen Mitgeschöpfen.
Etwas weniger melancholisch als Sting und Kansas drückt sich diese Erkenntnis bei Rich Mullins aus. Im Refrain heißt es
We are frail, we are fearfully and wonderfully made Forged in the fires of human passion Choking on the fumes of selfish rage And with these our hells and our heavens, so few inches apart We must be awfully small and not as strong as we think we are
Ich denke, es ist völlig in Ordnung, dieser Melancholie ein bisschen Raum zu geben. Sie muss nicht, aber sie könnte heilbar sein. Auch der Abschied von einer Illusion ist mit Trauer verknüpft. Aber es gibt schon jetzt – schon immer! – eine große Gruppe von Menschen, die sich ihres Angewiesenseins auf andere bewusst ist und darüber nicht schwermütig wird: Kinder.
Jesus – Kinder – Gottes neue Welt… da war doch was?
In den letzten Tagen haben mich immer wieder Stücke aus der Bergpredigt beschäftigt, zum Beispiel die Worte vom Sorgen und vom Beten. So fing ich an, darüber nachzudenken, wie man die Seligpreisungen für heute umformulieren müsste. Zuerst dachte ich an Sätze wie
Selig, die keine Vorräte bunkern
Selig, die Abstand halten
Selig, die keine Gerüchte, Verschwörungstheorien und Fake News streuen
Doch dann merkte ich dass der moralisierende Charakter gar nicht zum Original passt. Jesus lobt ja nicht bestimmte Haltungen, die Menschen für eine besondere Rolle in Gottes Plan und Reich qualifizieren. Sondern er beschreibt Gruppen von Personen und Zustände, die von ihren Zeitgenossen gerade nicht als vom Glück verwöhnt gepriesen wurden: Die Armen, die „Minderbemittelten“, die Wehrlosen, die Trauernden. Oder jene, die als Friedensstifter zwischen allen Stühlen sitzen.
Müsste da heute eher so etwas stehen wie…
Selig, die gern in den Arm genommen werden würden
Selig, die vor leeren Regalen stehen
Selig die Erschöpften und Überforderten
Selig, die nicht wissen, wie sie Miete, Rechnungen und Angestellte bezahlen sollen
Selig, die sich auch noch den Kummer der anderen anhören
Denn genau da ist Gott mit euch. Obwohl ihr es vermutlich nicht (oder nicht immer) spürt. Und mitten in dieser Beuruhigung, dem Durcheinander, der Ratlosigkeit wird die Saat ausgestreut für Neues – für etwas Heilsames und Lebensfördendes. Und auch wenn es noch dauert: Der Tag wird kommen, an dem ihr die Früchte dessen seht und genießt.
Ich bin in Kirchen gegangen und habe mich gezwungen zu beten. Zuvor hatte ich das noch nie getan, eine unglaubliche Erfahrung. Am Anfang habe ich mich lächerlich gefühlt. Aber diese Lektüre verströmt eine wahnsinnige Kraft – selbst dann, wenn man sie für sinnlos hält. Das Vaterunser ist ein unglaublicher Text, beinahe wie ein Mantra.
Das Gebet ist auch ein zentrales Thema für Johann Baptist Metz in seinem 2017 erschienenen Band „Memoria Passionis“. Für Metz hat die Gebetssprache Vorrang vor der abwägenden Sprache der Theologie. Das gilt auch und besonders dann, wenn sie nur ein Schrei, selbst ein stummer Schrei ist. So beschreibt Metz sein eigenes Schlüsselerlebnis – den traumatischen Moment als 16jähriger Soldat kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, der seine Kameraden tot auffindet: „Seitdem gibt es für mich Rückfragen an Gott, an den Gott Abrahams, isaaks und Jakobs, an den Gott Jesu, Rückfragen, für die ich zwar eine Sprache habe, aber keine Antworten. Und so habe ich sie mir als Gebete zu eigen gemacht.“
Christen müssen darauf achten, dass der Kern der großen religiösen Sprachformen – vor allem auch die der Bibel – eine Leidens- und Krisensprache ist. Das ist deswegen so wichtig, weil die Glut der Theodizeefrage auch heute nicht erloschen ist.
… Diese Sprache der Gebete ist nicht nur universeller, sondern auch spannender und dramatischer, viel rebellischer und radikaler als die Sprache der zünftigen Theologie. Sie ist viel beunruhigender, viel ungetrösteter, viel weniger harmonisch als sie. Als solche ist sie viel widerstandsfähiger, viel weniger geschmeidig und anpassungsbereit, viel weniger vergesslich als die zumeist idealistische Sprache, in der die Theologie sich bei ihrer Gottesrede um Modernitätsverträglichkeit bemüht und mit der sie ihre Verblüffungsfestigkeit gegenüber allen Katastrophen und allen leidvollen Erfahrungen der Nichtidentität probt.
Diese Gebetssprache ist weitaus risikofreudiger als der Logos der Theologie. Sie kennt die unglaubliche Bandbreite der Verrätselungen der menschlichen Existenz und deren Fragwürdigkeit im Blick auf Gott. Sie ist die seltsamste und doch verbreitetste Sprache der Menschenkinder, eine Sprache, die keinen Namen hätte, wenn es das Wort „Gebet“ nicht gäbe. Die Gebetssprache ist die einzige Sprache ohne Sprachverbote. Sie ist umfassender als die Spache des seiner selbst gewissen Glaubens. In ihr kann man auch sagen, dass man nicht glauben kann.
Vielleicht ist es ja das, was August Diehl gespürt hat, als er sich in das Leben des betenden Rebellen einfühlte. Und unsere Aufgabe in den verschiedenen Kirchen, diesen Aspekt – Fragen und Klagen, Schreien und Schweigen – wieder neu ins Zentrum zu rücken. Diese unglaubliche Erfahrung könnte vielen gut tun.
Das Jahr 2020 ist schon ein paar Wochen jung und mit ihm die Jahreslosung aus Markus 9. Ich habe nochmal einen Blick darauf geworfen und das in erzählender Form hier festgehalten. Gründe für einen verzweifelten Aufschrei gibt es gerade täglich neu, im Großen wie im Kleinen.Und genau da liegt womöglich die Hoffnung.
Wir haben es nicht gleich gemerkt, dass unser Sohn nicht so ist wie andere Kinder. Das erste, was uns auffiel, war, dass er nicht reagierte, wenn wir mit ihm redeten. Als ob eine unsichtbar Hand ihm Ohren und Mund zuhielt. Er fing später an zu laufen als Gleichaltrige, aber es gab immer wieder unerklärliche Stürze. Als ob eine unsichtbare Hand ihm plötzlich einen Schubs gab. Keine Sekunde konnten wir ihn aus den Augen lassen. Ohne die Hilfe von Nachbarn und Familie hätte es schon längst tödlich ausgehen können. Der nächste Brunnen und das nächste Herdfeuer sind immer nur ein paar Schritte entfernt.
Irgendwann sind dann auch unsere Klagen verstummt. Hilft ja nichts. Es muss halt irgendwie weitergehen. Manchmal höre ich meine Frau nachts weinen. Ich wage nicht, sie zu trösten, weil sie dann vielleicht noch viel schlimmer weint, und dann wachen die Kinder auf, und am Ende weine ich auch noch mit. Einer muss doch stark bleiben. Einer muss das Gleichgewicht halten, wenn alles aus dem Lot ist.
Aber dann zog dieser Prophet durch die Dörfer in der Nähe. Einer vom alten Schlag wie Elija und Elischa, der Wunderkräfte hatte. So hörte ich es jedenfalls. Also nahm ich den Jungen eines Tages an der Hand und wir machten uns auf die Suche. Wir stießen am Fuß des Berges Tabor auf eine Gruppe seiner Nachfolger. Der Meister, sagten sie, habe sie beauftragt, die Kranken zu heilen. Und es schien zu funktionieren!
Bis sie es mit meinem Kind versuchten. Sie versuchten es drohend und flehend, mit stillen und lauten Gebeten, und ich sah allmählich dieselbe Erschöpfung in ihren Augen wie in den Augen meiner Frau. Plötzlich hörte ich Stimmen näherkommen. Der Meister war zurück. Niemand musste mir erklären, wer der Mann war. Irgendwie leuchtete er von innen heraus, als hätte er da oben mehr Sonne in sich aufgenommen als wir anderen.
Aber als er zu reden anfing, erstickten seine Worte meine aufkeimende Hoffnung mit einem Schlag. Unwirsch tadelte er seine Leute für ihre Unbeholfenheit. Die zogen die Köpfe ein und sagten nichts. Ich schaute zu meinem Sohn hinüber, den die unsichtbare Hand gerade wieder heftig zu schütteln begann. Und ich sah, dass Jesus – der Prophet – ihn auch ansah. Unsere Blicke begegneten sich. Er fragte, wie lange das schon so geht. Ich erzählte es ihm so, wie ich es euch gesagt habe. Und dann brach es aus mir heraus: „Hilf ihm doch, wenn du kannst!“ Denn nach so viel Erschöpfung und Enttäuschung wagt das Herz nicht mehr, rückhaltslos zu hoffen.
„Wenn du kannst?“, wiederholte er und sah mich herausfordernd an – hatte ich ihn in seiner Ehre gekränkt? Dann sagte er: „Alles ist möglich, wenn einer glaubt“ Was das eine Ohrfeige für mich oder die ausgestreckte Hand? In seiner Stimme lag eine Gewissheit, die allen anderen fehlte. Ich schluckte den Drang herunter, ihn zu besänftigen oder mich zu rechtfertigen. Stattdessen fiel mir ein: „Gott hilft“ – das sagt doch schon der Name Jeschua. Und da brach es aus mir heraus: Ein heiserer Schrei, in dem das Weinen meiner Frau, die Alarmrufe der Nachbarn und das unartikulierte Stöhnen meines Sohnes, wenn er sich verletzt hatte, mitschwang und meine eigene Sprachlosigkeit durchbrach:
„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“
Dann wollte ich mich nur noch neben meinen Sohn auf den Boden legen und nie wieder aufstehen. Aber zu meiner grenzenlosen Überraschung sah sich der Mann Gottes kurz um, beugte sich zu ihm hinunter und begann mit fester Stimme zu sprechen. Und ob ihr es glaubt oder nicht, ich konnte sehen, wie sich der Griff der unsichtbaren Hand löste, Finger um Finger. Schließlich lag er regungslos vor uns; so völlig entspannt, dass ich kurz dachte, er sei tot. Aber dann packte Jesus ihn an der Hand – und er stand auf!
Jesus war schon weg, als ich endlich den Blick abwenden konnte von dem Menschenskind, das aufrecht und frei vor mir stand. Gott hat geholfen. Wir gingen zusammen nach Hause. Ich ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Aber diesmal nicht aus Sorge, sondern weil ich meinen Blick nicht losreißen konnte von dem Wunder.
Es ist schon fast ein Jahrzehnt her, dass die schottische Sängerin Annie Lennox ein Weihnachtsalbum herausbrachte. Das einzige Stück aus eigener Feder heißt „Universal Child“. Lennox setzt sich schon lange für Kinder in Not ein und hat durch ihr Engagement viele Kinderschicksale kennengelernt. Das schlichte Lied handelt von dem Wunsch, Kinder, die versuchen, wieder auf die Beine zu kommen, vor Schaden zu beschützen. Und davon, dass in ihrer Unschuld ebenso wie in ihren Tränen der Zustand der ganzen Menschheit erkennbar ist.
Zwischendrin geht die Poesie freilich über das Konkrete hinaus, wenn sie singt:
And I can see you, you’re everywhere, your portrait fills the sky, oder: I can feel you, you’re everywhere, shining like the sun.
Sonne und Himmel kommen ins Spiel – und ich frage mich, ob „Universal Child“ nicht eine schöne Beschreibung für jenes Kind ist, das sich später als „Menschensohn“ bezeichnen wird. Über die menschliche Natur Christi ist ja in der Theologie viel gesagt worden. Vielleicht geht es dabei ja weniger um bestimmte Eigenschaften, die Menschen von Tieren auf der einen und Gott auf der anderen Seite unterscheiden. Sondern vielmehr darum, dass diesen Menschenkind ein Leben führt, in dem die ganze Schönheit und der ganze Horror vorkommen, die menschliches Leben ausmachen – die Anmut und die Abgründe.
Vielleicht ist dieses Neugeborene – im überfüllten Bethlehem, später auf der Flucht in Ägypten, auf dem Berg der Verklärung und auf Golgatha – so betrachtet ein ganz passender Repräsentant, in dem wir uns alle wiederfinden können. Und vielleicht könnte das Menschen zusammenführen und all die Konflikte beenden helfen, unter denen vor allem die verwundbaren Kinder so leiden müssen.
Und hat Jesus nicht gesagt: Wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf?
„Universal“ heißt auf Deutsch allgemeingültig, (welt)umfassend. Dieses vom Leid gezeichnete Kind wird zum Portrait, zum Gesicht der Menschheit am Himmel – vor Gottes Angesicht. Und aus der fürsorglichen Zuneigung von Annie Lennox spricht die zärtliche Liebe Gottes zu den Menschenkindern:
I’m gonna try to find a way to keep you safe from harm. I’m gonna be a special place, a shelter from the storm.
Das trifft die Weihnachtsbotschaft doch ganz gut, denke ich beim Zuhören. Und summe leise mit.
Immer schon hat es mich in den Wald gezogen. Grünkraft habe ich gespürt noch lange, bevor ich den Begriff der Hildegard von Bingen kannte. Wenn die Geräusche der Stadt und der Straßen in die Ferne rücken, nur noch die Vögel singen und der Wind rauscht, kommen mir die besten Gedanken. Und manchmal lehne ich mich ganz still an eine der großen Eichen oder Buchen und schließe die Augen. Ich gehe betrübt hinein und komme getröstet heraus. Oder besser: ich ging.
Dieses Jahr funktioniert das nicht mehr so richtig. Ich komme meist mit schwerem Herzen aus dem Wald zurück.
Im Herbst konnte man schon sehen, dass die Dürre ihren Tribut gefordert hat. Im Winter warfen ein paar Tage stürmisches Wetter hundert Jahre alte Fichten einfach um. Die Wurzeln konnten sie nicht mehr im Boden halten. Ein paar hundert Meter von unserem Haus klafft seither ein Loch im Wald, das größer ist als ein Fußballplatz. Als nach dem Winter wieder alles Grün wurde, war das auch längst nicht mehr alles. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meinem Leben so viele kranke und tote Bäume gesehen zu haben. Überall in der Region: Die Erlanger ereiferten sich im Frühjahr über die kranken Bäume an den Kellern. Und ganz Zabo redete sich die Köpfe heiß über den mächtig ramponierten Siedlerwald.
Der Waldzustandsbericht sollte doch besser wieder in „Waldschadensbericht“ umbenannt werden. In der aktuellsten Fassung sind die Schäden der letzten Monate noch gar nicht verzeichnet. Aber schon im vergangenen Jahr waren nur 28% der Waldbäume frei von sichtbaren Schäden, im Zeit-Bericht aus Thüringen lese ich von aktuell 19%. Buchen und Eschen sterben von den vertrockneten Wurzeln her.
Die Fieberkurve auf der Website von Robin Wood wird weiter ansteigen. Die Folgen liegen auf der Hand: „Je labiler die Wälder werden, desto geringer ist auch ihr Beitrag, die Klimaerwärmung zu begrenzen.“ Es geht ja nicht um ein bisschen grüne Kulisse zum Relaxen.
Geh aus mein Herz und suche Freud – das fällt schwer im Sommer 2019. Die reine Freude ist es nur noch sehr punktuell.
Ich gehe trotzdem in den Wald und denke an Joana Macys Active Hope. Dort spricht sie davon, dass auch der Schmerz über die Zerstörung einen Raum bekommen muss (Martin Horstmann hat das hier zusammengefasst). Es gibt die Verbindung zu unseren Mitgeschöpfen nicht nur über Empfindungen wie Schönheit, Freude und Dankbarkeit, sondern auch darüber, dem Schaden ins Auge zu sehen und den Kummer mitfühlend auszuhalten. Ohne dieses Aushalten gibt es keine rechte Transformation.
Und dann gehen mir biblische Aussagen über Bäume durch den Kopf: Die stolzen Zedern des Libanon, die „Bäume der Gerechtigkeit“. Wenn Gott seinen Geist ausgießt, sagt Jesaja, dann wird Wüste zu Ackerland und Ackerland zum Wald. Was für ein Upgrade der Botanik: Ein Wald, der jubelt und Bäume auf dem Feld, die in die Hände klatschen.
Aber das liegt in der Zukunft. Stoff für einen neuen Blogeintrag vielleicht. Und für Hoffnungsbilder, die ich dem neuen Waldsterben entgegenhalte, um die schmerzliche Gegenwart aushalten zu können.
Ein Dienstag im September um kurz nach sieben am Morgen: Ich stehe auf einem Bahnsteig am Hauptbahnhof. Ein paar Strahlen der Morgensonne glitzern in den Tränen, die mir herunterlaufen. „Hoffentlich spricht mir jetzt niemand an und fragt, was mir fehlt“, denke ich, als ich dem ausfahrenden EuroCity nachblicke. Drinnen sitzt mein Sohn, der vermutlich auch einen Kloß im Hals hat. Der Zug bringt ihn nach Frankfurt und von dort fliegt er nach Japan. Neuntausend Kilometer weit weg. Ein Jahr lang werden wir einander jetzt nicht mehr direkt in die Augen schauen oder in den Arm nehmen. Ich senke den Blick und gehe die Treppe Richtung Ausgang hinunter.
So ist das, wenn Kinder flügge werden. Es ist großartig und es ist schrecklich. Du bist stolz und es bricht dir das Herz. Wenn sie dann wiederkommen, sind sie gewachsen: Stärker, unabhängiger, selbstsicherer. Sie setzen sich ein Weilchen auf den Nestrand, dann fliegen sie wieder los.
Aber es beginnt alles mit dem Loslassen.
Flügge werden
Die Konfirmation ist einer der ersten Schritte in die Selbständigkeit für Euch wie für Eure Familien. Irgendwann folgt der Schulabschluss, der Auszug von zuhause, das erste selbstverdiente Geld, oder die Gründung einer neuen, „eigenen“ Familie. Zwischendrin ist die eine oder andere Schrecksekunde oder Schramme zu überstehen. Bruchlandungen gehören schließlich auch zum Erwachsenwerden. Aber das wisst Ihr ja schon, seit Ihr Laufen und Radfahren könnt.
Es ist gut, dass das Flüggewerden im Glauben den anderen Schritten in die Erwachsenenwelt vorangeht. Wegen der Schrammen und Schrecksekunden einerseits. Und auf der anderen Seite, weil das Euch den Mut zum Absprung geben kann. Denn es ist keine ungefährliche Welt, in die Ihr Euch aufmacht.
Dass diese Welt nicht nur schön, sondern auch schrecklich ist, hat mit uns Älteren zu tun. Wir – die Generationen vor Euch – haben es nicht geschafft (und oft auch gar nicht ernsthaft genug versucht), sie für Euch in einen guten Zustand zu bringen. Wenn der Begriff „Erbsünde“ heute irgendeine Bedeutung hat, dann vielleicht die: Dieser Planet hat Fieber, und es wird gerade ziemlich schnell schlimmer. Hass und Gewalt, Armut und Ungerechtigkeit machen vielen Menschen das Leben zur Hölle (freilich ist Nürnberg im Vergleich zu Aleppo oder Kabul eine Art Insel der Seligen. Aber die meisten haben inzwischen verstanden, dass das mit den Inseln nicht mehr funktioniert). Und wir sind allesamt verletzlich und verführbar. Allzu leicht lassen wir uns mitreißen von der Angst und der Gier anderer.
Wer garantiert also, dass Ihr das besser macht? Und wenn es keine Garantie dafür gibt, solltet Ihr es überhaupt versuchen – oder doch besser gleich die Hände in den Schoß legen, Euch ins Unvermeidliche fügen und all den Lindners und Poschardts Recht geben, die gerade in jeder Talkshow erzählen, dass Ihr auch nicht besser seid als sie?
Kraftvolle Erinnerung
Vor über 2.500 Jahren gab es eine in vieler Hinsicht ähnliche Situation. Das Volk Israel befand sich im babylonischen Exil. Die ältere Generation, allen voran der König, hatte sich im Polit-Poker verzockt. Jerusalem wurde zerstört, die Menschen wurden verschleppt in den heutigen Irak. Der Tempel, das sichtbare Zeichen für Gottes Nähe, war ein Trümmerhaufen. Mitten in dem Schlamassel wuchs eine neue Generation auf. Bürger zweiter Klasse, ohne Perspektive, an einem gottverlassenen Ort.
Aber dann spricht Gott. Durch einen Propheten, eine Stimme der Hoffnung. Mitten in der totalen Sackgasse. Das sind seine Worte:
Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber«? Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Die Adler, die am Himmel ihre Kreise ziehen, sind so ein Sehnsuchtsbild, das auch uns abgebrühte Menschen des digitalen Zeitalters in den Bann schlägt. Ein Jahr nach meinem Bahnsteig-Erlebnis waren meine Frau und ich ein paar Tage an der Westküste Schottlands. Fast jeden Abend saßen wir auf einer Klippe gut hundert Meter über dem Atlantischen Ozean. Meine Frau suchte das Wasser nach Walen ab. Ich war weniger geduldig und lief umher. Und dabei sah ich sie: Ein Seeadler-Paar ließ sich vom Wind mühelos weit in die Höhe tragen, um kurz darauf pfeilschnell herabzustoßen und dann wieder fast ohne Flügelschlag zu steigen und zu steigen, bis ich sie aus den Augen verlor. Ein paar Minuten waren sie in der Nähe, dann zog es sie zurück zu ihrem Nistplatz.
„Die Adler kommen!“ Wer den Herrn der Ringe und/oder den Hobbit gelesen bzw. gesehen hat, erinnert sich an diesen Ausruf. Wenn die Adler kommen, wendet sich das Blatt zum Guten. Immer. Die Adler sind in Tolkiens Märchen die Himmelsboten. Aber Jesaja sagt uns: „Ihr müsst nicht auf die Adler warten. Ihr könnt selber welche werden. Wartet auf Gott!“
Was uns müde macht
Sehen wir uns kurz das Gegenbild zu den Adlern an: Müde Krieger. Erschöpfte Kerle. Das vermeintlich „starke Geschlecht“ am Ende seiner Kräfte. Die, die nie zugeben würden, dass sie nicht mehr können, können nicht mehr – ob sie es zugeben oder nicht. Die große Müdigkeit hat sie befallen.
Wer Euch bei der Konfifreizeit oder der Kirchenübernachtung erlebt hat, könnte meinen, dass Müdigkeit und Erschöpfung so ziemlich das Letzte sind, über das Ihr Euch Gedanken machen müsstet. Aber so einfach ist es nicht. Das liegt an der Welt und der Zeit, in der wir leben.
Vor ein paar Jahren schrieb ein Philosoph aus Berlin, Byung Chul Han, ein kleines Buch mit dem Titel „Müdigkeitsgesellschaft“. Was uns heute – oder viele von uns, früher oder später – so müde macht, ist nicht Armut oder äußere Unfreiheit, sondern das Gegenteil, sagt er: Ein „Zuviel“ an positiven Dingen macht krank. Anders krank als früher, als es der Mangel war oder die Infektion von außen. Heute kommen die Störungen von Innen – Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität sind Zustände, gegen die man nicht impfen kann. Und wer in der Leistungsgesellschaft nicht mehr können kann, wird depressiv. Dazu muss man nicht erst alt werden.
Immer mehr, immer weiter?
Die Leistungsgesellschaft ist längst auch ein Freizeitphänomen. Ich habe ja gestern davon erzählt, dass viele meiner Freunde irgendwann Marathon laufen wollten. Marathon reicht inzwischen vielen nicht mehr. Jetzt muss es schon ein Triathlon sein. Denn warum nur Laufen, wenn man auch noch Schwimmen und Radfahren kann dazu? Wie viel kann ich aus mir herausholen? Wie weit lässt sich die Grenze des Möglichen dehnen? Der Überfluss an Möglichkeiten und Angeboten erzeugt erst den Schaffensdruck. Der wächst sich aus zur Erschöpfungsdepression, neudeutsch: Burnout. Aus Hyperaktivität wird Hyperpassivität. Einigen meiner Freunde ist das so ergangen. Es hat ihren (und meinen) Glauben auf eine harte Probe gestellt, dass Gott und alles Gute und Schöne für ihn sie diesen Momenten gefühlt Lichtjahre weit weg war.
Niemand von uns sollte meinen, dass so etwas nur den denen passiert, die nicht clever oder cool genug sind. Es kann jeden treffen. Denn im Gegensatz zu Gott sind wir Menschen endliche Wesen. Diese Wahrheit hat in der Leistungsgesellschaft, die liebend gern „yes we can“ ruft, kaum einen Platz.
Paradoxerweise wachsen die Flügel des Glaubens in dem Moment, wo wir uns bewusst machen, dass wir nicht Gott sind und es auch nicht werden müssen. Wo wir uns mit unserer Endlichkeit anfreunden, weil uns der unendliche und unermüdliche Gott so geschaffen hat. Wo wir um Kraft bitten und sie uns schenken lassen, statt wie die Duracell-Hasen ohne Unterbrechung zu rödeln. „Der Exzess der Leistungssteigerung führt zum Infarkt der Seele“, schreibt Herr Han. Da hilft dann auch kein Energy Drink mehr.
Vom Gas gehen
Glaube ist keine Steigerung, sondern eine heilsame Unterbrechung. Die Fähigkeit, zu zögern und sich zu unterbrechen, unterscheidet den Menschen vom Roboter. Das wird in der Welt, in die ihr gerade hineinwachst – der künstlichen Intelligenz, selbstfahrenden Autos und was nicht alles – ein lebenswichtiger Unterschied werden. Der Sabbat und der Sonntag erinnern uns daran, dass wir solche Unterbrechungen brauchen. Und zwar nicht, um etwas zu leisten, zu produzieren oder zu konsumieren. Sondern um wieder leer zu werden von dem, was uns sonst pausenlos besetzt.
„Die auf den Herrn harren“ – was für ein altertümliches Wort! Das „Harren“, von dem hier die Rede ist, ist eine Art konzentriertes Warten. Also Ausharren und Stillhalten können, nicht auf jeden Reiz anspringen, sich nicht dauernd ablenken zu lassen. Aber auch: Nichts liefern zu müssen, um Likes und Follower zu ernten, oder Euren Wert bestätigt zu bekommen. Frei werden von dem Druck, den wir uns selbst schon machen noch längst bevor andere es tun.
Auch hier geht es ums Loslassen: Ansprüche, Erwartungen, Ungeduld, Angst…
Dafür ist Gott euer Komplize und Ihr könnt seine Komplizen sein. Das heimische Nest zu verlassen, ist einfach. In dieser verrückten Welt nicht die Hoffnung und die Lebensenergie zu verlieren, nicht einfach von ihren Kräften und Strömungen mitgerissen zu werden, ist eine gewaltige Herausforderung. Statt zu fliegen, kommt man schnell auf dem Zahnfleisch daher.
… und plötzlich fliegst du!
Menschen sind paradoxe Sehnsuchtswesen. Wir sind endlich und vergänglich, aber auf etwas Unvergängliches und Unendliches hin angelegt. Ich glaube, diese Sehnsucht, über uns hinauszuwachsen, hat Gott in uns hineingeschaffen:
Die Sehnsucht nach Erlösung und Heilung der Welt, die so eindrücklich im Zentrum eures Vorstellungsgottesdienstes stand.
Die Sehnsucht, liebevoll angesehen werden und mich zeigen zu können, wie ich bin.
Die Sehnsucht, etwas beizutragen zu dieser Welt, das wirkt und bleibt; für etwas leben zu können, das größer ist als ich selbst.
Gestern habe ich vom Atem Gottes gesprochen, von Heiligen Geist. Er ist der Wind unter Euren Adlerflügeln. Interessanterweise haben die ersten Christen am ersten Pfingsten genau das getan, bevor Sturm und Feuer, Mut und Begeisterung ausbrachen: Warten, ausharren, und dabei durchlässig und empfänglich werden.
Gottes Geist – die Kraft, die Jesus von den Toten auferweckt hat – ist ein Vorgeschmack auf die Neuschöpfung dieser kaputten Welt. Ich muss als Christ nicht „alles aus mir herausholen“. Ich kann etwas Größerem in mir Raum geben. Nur so wachse ich über mich hinaus, ohne dabei innerlich hohl zu werden.
Das letzte Jahr war die Übungsrunde – jetzt fliegt ihr selber. Wie die Adler – von der Erde, aber nah am Himmel. Gottes Atem in Euch und Sein Wind unter Euren Flügeln.
Und all die Grenzen, die am Boden gezogen werden – Mauern – Stacheldrähte – Checkpoints (sozial – politisch – ethnisch – religiös/konfessionell), werden in ihrer Kleinlichkeit und Vergänglichkeit sichtbar.
Das ist der Sinn und Nutzen von Kirche und Gottesdiensten, darum brauchen wir einander: Einander immer wieder daran zu erinnern, dass wir zum Fliegen geschaffen sind. Und dass wir es mit Gottes Hilfe und in seiner Kraft auch können. Hier könnt Ihr immer landen. Und immer wieder losfliegen.
habe ich den gesammelten Werken von Walter Benjamin entnommen. Vielleicht findet Ihr es auch so anregend wie ich:
Wenn der Schlaf der Höhepunkt der körperlichen Entspannung ist, so die Langeweile der geistigen. Die Langeweile ist der Traumvogel, der das Ei der Erfahrung ausbrütet. Das Rascheln im Blätterwalde vertreibt ihn. Seine Nester – die Tätigkeiten, die sich innig der Langenweile verbinden – sind in den Städten schon ausgestorben, verfallen auch auf dem Lande. Damit verliert sich die Gabe des Lauschens, und es verschwindet die Gemeinschaft der Lauschenden.
Langeweile haben wir, wenn wir nicht wissen, worauf wir warten. Daß wir es wissen oder zu wissen glauben, das ist fast immer nichts als der Ausdruck unserer Seichtheit oder Zerfahrenheit. Die Langeweile ist die Schwelle zu großen Taten.
Langeweile ist ein warmes graues Tuch, das innen mit dem glühendsten, farbigsten Seidenfutter ausgeschlagen ist. In dieses Tuch wickeln wir uns wenn wir träumen. Dann sind wir in den Arabesken seines Futters zuhause.
Zehn Jahre auf dem kontemplativen Weg liegen hinter mir. Ich frage mich hin und wieder, ob ich ohne die Entdeckungen, die ich dabei gemacht habe, heute überhaupt glauben könnte – geschweige denn Pfarrer sein. Verschiedentlich habe ich hier über Erfahrungen geschrieben. Vieles hat sich vertieft und gefestigt, also versuche ich heute eine Zwischenbilanz. Und am Ende versteht Ihr vielleicht, was das mit dem Fliegen und dem Hosenboden auf sich hat.
Wie beim Labyrinth: weniger verwirrend, als es auf den ersten Blick scheintAshley Batz
Die äußeren Stationen
sind schnell erzählt und wer mag, kann sie überspringen. Angeregt von Stans Möhringer, der Beauftragten für Meditation im Dekanat Erlangen habe ich mich 2009 zu den Jesuiten nach St. Andrä in Kärnten gewagt zu Wanderexerzitien. Da ist man den größten Teil des Tages in Bewegung, während man schweigt, und anders hätte ich den Einstieg wohl auch kaum geschafft. 2012 habe ich dann zehn Tage im oberfränkischen Gries verbracht, 2014 auf Straßenexerzitien in München, 2015 und wieder in den letzten Tagen dann war ich im Haus HohenEichen in Dresden-Hosterwitz.
Immer bei Jesuiten. Und immer gern, weil ich das theologische Niveau und das weite, gastfreundliche ökumenische Herz der Verantwortlichen so schätze.
Behutsam mit mir selbst
Auf dem kontemplativen Weg lerne ich, die vielen Gedanken, die mir durch den Kopf rasen, immer wieder unaufgeregt ziehen zu lassen und nicht ins Grübeln zu geraten. Wir reden ja gelegentlich vom „Kopfzerbrechen“, aber viele Dinge und Angelegenheiten sind das gar nicht wert. Stattdessen rauben sie mir die Kraft für das, was wirklich wichtig ist.
Die Indifferenz gegenüber den Gedanken macht mich aufmerksam auf Gefühle und Stimmungen. Im Wald von HohenEichen lagen diesmal viele umgestürzte Bäume. Ich bin der Ursache dafür (Dürre, Sturm…) gedanklich nicht groß nachgegangen. Das führt in der Regel weg aus dem Hier und Jetzt in andere Zeiten oder andere Orte. Aber ich habe die Traurigkeit bemerkt, die der Anblick bei mir auslöst. Und im Betrachten, im Gewärtig-Sein der Traurigkeit zogen einige traurige Erlebnisse aus letzter Zeit vorbei. Nach einer Weile löste sich die Trauer und erschien auch nicht wieder. Beim nächsten Waldspaziergang standen andere Eindrücke und Stimmungen im Vordergrund. Das Schauen ging allmählich ins Lauschen über – auf eine andere Präsenz, die alles berührt und wandelt, was sich in mir regt. Rilke hat das in seinem Stundenbuch wunderschön ausgedrückt, ich habe es früher schon einmal zitiert:
Wer seines Lebens viele Widersinne
versöhnt und dankbar in ein Bildnis fasst, der drängt die Lärmenden aus dem Palast wird anders festlich, und du bist der Gast den er an sanften Abenden empfängt.
Sehen, was ist
Angesichts der »Widersinne« könnte statt Versöhnung auch Streit entstehen. Dann nämlich, wenn ich dem Reflex nachgebe, sofort zu werten und zu entscheiden: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Ich übe nun, erst einmal aus- und innezuhalten. Zu sehen, was ist. Und zu warten, was wird. Ich denke, das kann auch eine Lektion aus dem Gleichnis Jesu vom Unkraut unter dem Weizen sein: Erst einmal warten und genau hinsehen, nicht schon gleich loshasten und alles ausreißen, was ich für Unkraut halte. Wieviel Schaden entsteht aus diesem Übereifer, alles sofort zurechtzustutzen, was mich gerade stört! Und wieviele Überzeugungen, die ich mit großem Ernst und Leidenschaft vertreten habe, habe ich inzwischen wieder ad acta gelegt? Was zeigt sich, wenn ich still halte? Was steckt zum Beispiel noch alles in der Wut, die irgendwer oder irgendwas bei mir auslöst? Und wie ändert sich das, wenn ich mir die Zeit dafür gebe, noch etwas länger hinzusehen?
Mit Gleichgültigkeit hat das freilich nichts zu tun. Das Buzzword Ambiguitätstoleranz macht derzeit die Runde. Vielleicht ist es gut, daran zu erinnern, dass diese Offenheit für den Widersinn vor allem eine innere Haltung ist, die man üben kann und kultivieren muss. Also nicht in erster Linie ein intellektuelles Konzept, das man zur Kenntnis nimmt und das sich so eben mal einfordern oder anknipsen lässt. Natürlich kann man nicht alles immer offen und unentschieden lassen. Aber wenn Überzeugungen reifen dürfen, tragen sie vielleicht auch länger und weiter.
Momentan werde ich oft gefragt, wie es mir nach einem guten halben Jahr auf der neuen Stelle geht. Das kann zum Vergleich verleiten: War es früher besser? Oder wäre ich vielleicht anderswo besser aufgehoben? Beim vorletzten Aufenthalt in HohenEichen habe ich über die Geschichte von Maria und Martha meditiert und den Satz Jesu: »Maria hat das gute Teil erwählt«. Jesus sagt nicht »besser«, er wählt nicht den Komparativ. Und ich stelle für mich fest, es geht gut. Hier und jetzt. Das reicht völlig aus für die nächste Zeit.
Warten, was wird
Der kontemplative Weg wird für mich von biblischen Worten und Bildern gesäumt. Zum Beispiel, dass Gott mir den Tisch deckt im Angesicht meiner Feinde – Menschen und Situationen, die mir zusetzen. „Lade sie doch ein“, lautete die überraschende Antwort meines geistlichen Begleiters in einem solchen Moment. Das hat gut funktioniert. Ich muss gar nicht kämpfen. Und sagt nicht Ex 14,14 – »Der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein« – quasi dasselbe? Mit diesem Wort begannen vor 14 Tagen die Exerzitien in HohenEichen.
Manchmal kehren in der Stille alte Themen und Fragestellungen zurück. Anfangs fand ich das irritierend. Nun merke ich mehr und mehr, dass es sich wie in einer Spirale verhält: Die Beschäftigung mit den Dingen findet auf einer anderen Ebene statt. Andere Sichtweisen und Lösungen werden damit möglich.
Oft ist Kontemplation ein Ausharren. Treu dabei zu bleiben, wenn Druck von außen und innen spürbar ist. Immer wieder das wandernde oder leidende Herz zurückzuholen. Aber das allein wäre zu wenig. Es ist ein erwartungsvolles »Harren« auf den einen, lebendigen Gott. Und als solches steht es, gerade in schwierigen Zeiten, unter einer großen Verheißung:
… die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Jesaja 40,31
Atemzüge und Flügelschläge
Es ist ein bisschen paradox. Ich sitze mit vollem Bodenkontakt in der Gegenwart und Wirklichkeit. Und dann schwingt sich mein Herz ganz unvermutet auf. Es lässt sich fast mühelos bis zu einem Punkt tragen, von dem aus sich meine Situation wie Puzzleteile ordnen und zusammenfügen lässt. Das hat nichts mit Überheblichkeit und Überlegenheit zu tun. Aber viel mit Ehrfurcht und Dankbarkeit. Jeder aufmerksame Atemzug ist wie ein Schlag mit geschenkten Flügeln eines Adlers, der im warmen Aufwind seine Kreise zieht.
Zurück zum Anfang: Die Redewendung „Fly by the seat of your pants“ bedeutet im Englischen so etwas Ähnliches wie „sich Hals über Kopf in ein Abenteuer stürzen“. Von außen betrachtet sieht der kontemplative Weg recht undramatisch aus. Innerlich ist das freilich eine ganz andere Sache – das wussten schon die Wüstenväter. Und wenn ich ab und zu erzähle, dann merke ich, wie allein schon der Gedanke an Stille bei manchen Unbehagen auslöst. Oder diese Mischung aus Faszination und flauem Magen, die bei mir am Anfang stand.
Es kann wundersam beflügelnd sein, sich auf den Hosenboden zu setzen.
Ich habe kürzlich in kleiner Runde den Vorschlag gemacht, etwas Ähnliches in Nürnberg auszuprobieren. Zu meiner Überraschung bekam ich zu hören: Fahrräder können wir nicht segnen, nur Fahrradfahrer*innen. Dinge zu segnen sei doch unevangelisch. Am Ende würde jemand auch wieder Fahnen und Waffen segnen wollen.
Klar, ich kenne das Argument: Wir segnen nicht die Sparkassenfiliale, die eingeweiht (!) wird, sondern die Mitarbeiter*innen dort. Und so weiter.
Andererseits geht für mein Empfinden etwas Entscheidendes verloren, wenn ich einfach nur die Leute segne. Und zwar deshalb, weil ich sie nicht aufspalten kann in ihre unterschiedlichen Rollen. „Radfahrer“ ist ja nur ein Aspekt unter vielen, wenn es um die ganze Person geht. Und in der Regel nicht einmal der Entscheidende.
In der Segnung der Fahrräder aber geht es aber genau darum, eine bestimmte Art der Fortbewegung zu fördern und zu stärken. Eine bestimmte Haltung gegenüber der Mitwelt und den Mitmenschen. Wer sich mit Muskelkraft fortbewegt statt mit dem SUV durch die Gegend zu brettern, schont einerseits die Ressourcen. Andererseits macht man sich damit auch verletzbar: Es besteht die Gefahr, von anderen über den Haufen gefahren zu werden. Das Symbol für all diese Zusammenhänge ist der Helm, das Rad, der Roller, Rollator, Rollstuhl, Skateboard, oder was sonst noch Räder hat.
Dualismus oder Symbol?
Unser neuzeitlicher Dualismus von Geist und Materie kommt uns hier leicht in die Quere. Entweder segne ich einen Gegenstand oder eine Person, das Rad oder die Fahrerin.
Aber wie im Abendmahl auch ist ein Gegenstand nicht immer einfach nur ein Gegenstand. Er kann auch Symbol sein. Brot und Wein sind Symbole der Tischgemeinschaft unter Menschen und der Gastmahle Jesu. Im Abschiedspassa vergegenwärtigt Jesus den Auszug aus Ägypten, seinen Tod am folgenden Tag und das Mahl der Erlösten auf dem Zion aus Jesaja 25. Und damit gibt er diesem Abschied (und unserer Erinnerung daran) seine spezifische Bedeutung.
Ich bemühe die lutherischen Formel „in, mit und unter“ nicht so oft. Aber so stelle ich mir die Segnung der Fahrräder vor: Menschen kommen zusammen, verbunden in ihrer Verwundbarkeit als Verkehrsteilnehmer und ihrer Absicht, achtsam mit den Mitgeschöpfen umzugehen. Dazu bringen sie ihren fahrbaren Untersatz mit. „Drahtesel“ können zwar nicht sprechen wie Bileams Eselin, aber natürlich ist das eine Geste, eine stumme Aussage, wenn ich mit Rad und Helm erscheine. In, mit und unter Menschen, Helmen, Rädern, guten Vorsätzen und mitunter traumatischen Erfahrungen suchen wir Gott. Und wenn dabei symbolisch (und das heißt: nicht magisch) auch die Räder gesegnet werden, haftet an ihnen die Erinnerung an Gott, dessen Schutz wir suchen und dessen Liebe uns verpflichtet.
Zeichen setzen
Ein sakraler Raum ist seltsamerweise für die meisten von uns kein befremdlicher Gedanke. Manchmal gehen wir auch an symbolträchtige Orte und feiern dort einen Gottesdienst. Oft wollen wir damit auch atmosphärisch etwas bewirken, indem wir Zeichen setzen. Das Fahrrad und der Helm (und in verschärfter Form das Ghostbike) sind nichts anderes als mobile Zeichen – Mahnmale und Mutmacher. Wir kleben keine Christophorusplaketten drauf, aber wir machen ein Kreuz aus ein paar Tropfen Öl. Obwohl das bald wieder verschwunden ist – eine flüchtige Angelegenheit.
Nennt mich meinetwegen katholisch – ich würde es gern machen. Ich würde (in dem hier beschriebenen Sinne) auch Rettungswagen segnen, Seenotkreuzer und Blauhelme. Um Gottes und der Menschen willen. Das sind nicht einfach nur irgendwelche Dinge.
Eine unregelmäßig wiederkehrende Situation in meinem Alltag ist das Geräusch des Martinshorns auf der Straße oder des Rettungshubschraubers im Anflug auf die Klinik. Eine dieser Unterbrechungen, die Anlass geben zum Gebet. Was hätten die alten Iren gesagt? Mein Stoßgebet fällt so aus:
Himmlischer Tröster und Beistand! Blaulicht und Sirene ziehen vorüber Rotoren schlagen gegen den Himmel.
Retter kämpfen um ein Leben, die Zeit drängt jeder Griff muss sitzen.
Schenke klare Köpfe, beherztes Anpacken, freie Bahn und Rettungsgassen.
Lass uns – Gaffer, Weggucker und Irritierte – unsere Verwundbarkeit spüren und sachte weitergehen.
Jemand weint. Jemand hat Angst. Jemand leidet Schmerzen. Kyrie eleison.
Ein Morgen im Spätherbst: Ich wache auf und alles ist noch dunkel und still. Mein Blick geht zum offenen Fenster und wandert über den Sternenhimmel. Über dem östlichen Horizont erkenne ich den Morgenstern. Mir fällt ein: Meine Astronomie-App hat mich kürzlich informiert, dass die Venus ab jetzt wieder morgens zu sehen ist, nicht abends.
Den Blick auf die Uhr kann ich mir also schenken. Wenn der Morgenstern leuchtet, ist die Sonne nicht mehr weit. Liegenbleiben und Weiterschlafen lohnt sich nicht mehr. Ich stehe auf, ziehe mich an und bereite mich innerlich auf das vor, was an diesem neuen Tag zu tun ist.
Im letzten Kapitel der Bibel erscheint der auferstandene Christus und spricht von sich als dem Morgenstern. Noch ist die Sonne der Gerechtigkeit über der Welt nicht aufgegangen. Aber der Morgenstern leuchtet schon am Himmel. Und allen, die seine Botschaft verstehen, ist klar: Jetzt ist es Zeit, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben, die düsteren oder verschwommenen Träume der Nacht abzuhaken. Die Wirklichkeit, die gleich folgt, stellt sie in den Schatten. Buchstäblich.
Also: Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
Frohe Weihnachten.
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