Stop-and-Go in der Zeitschleife

Neulich war ich seit geraumer Zeit mal wieder auf der Autobahn unterwegs. Es kam ein längerer Streckenabschnitt mit einer Baustelle, verengter Fahrbahn, Tempo 80 und streckenweise darunter. Am Fahrbahnrand erschienen in regelmäßigen Abständen jene gelben Schilder, die anzeigen sollen, wieviel Baustelle schon hinter mir liegt und wieviel noch vor mir. Leider hatten die Menschen, die die Schilder aufgestellt hatten, die Positionsmarker überall gleich gesetzt. Es war kein Fortschritt erkennbar. Ich fühlte mich wie in einer Art Zeitschleife gefangen. Wir schlichen dahin und kamen nicht erkennbar vom Fleck.

Das trifft die allgemeine Corona-Gemütslage ganz gut, dachte ich mir.

Weil es aber keine Zeitschleifen gibt auf deutschen Autobahnen, kam irgendwann doch das Ende der Baustelle in Sicht. Und all die dunklen Audis, BMWs und Mercedes hinter mir fuhren immer dichter auf, um sich in Position zu bringen. Der angestaute Baustellenfrust war quasi messbar von Stoßstange zu Stoßstange. Und das Bedürfnis, den gefühlten Verlust zu kompensieren, immens. Kaum herrschte freie Fahrt, brach ein wüstes Gedrängel und Gerangel aus, vor dem man nur auf der rechten Fahrspur halbwegs sicher war.

Alle wollen wieder Gas geben – oder?

Die Kanzlerin und die Ministerpräsident:innen scheinen sich gefühlt zu haben wie ein alter Opel Corsa mit lauter Touaregs, Q7 oder X5 im Nacken, die ungeduldig aufblenden. Sie haben sich zu eiligen Öffnungen drängen lassen, obwohl die Mehrheit der Bürger:innen das gar nicht wollte, schrieb Thomas Fricke bei SPON und nannte es ein „Demokratiedesaster„.

Das Chaos, das sich daraus ergibt, lässt sich vor Ort besichtigen: Als ich am 14. März mittags den Inzidenzwert für Erlangen suchte, konnte ich auswählen zwischen 67,5 (Zeit Online), 63,1 (Süddeutsche und RKI), 59,5 (Spiegel, da war es eine Stunde zuvor noch 37), oder 55,1 (Erlanger Nachrichten). Zwei Tage vorher hatte die Stadt verkündet, dass die Schulen wieder geöffnet werden. Da lag der Inzidenzwert beim RKI bei 47, während das LGL schon einen Wert weit über 50 meldete. Von „Übermittlungsfehlern“ war in Online-Diskussionen die Rede. Was die Frage aufwirft:

• Warum bekommen wir es nach einem Jahr immer noch nicht hin, solch wichtige Daten täglich und zuverlässig zu übermitteln?
• Und wenn wir es nicht schaffen, warum knüpfen wir folgenreiche Öffnungsbeschlüsse an Daten, die derart unzuverlässig erhoben werden? (Und wer glaubt allen Ernstes, dass eine Taskforce mit den Ministern Spahn und Scheuer die Misere in den Griff kriegt?)

Ausgebremst

Jetzt, eine Woche später, rudern wieder alle zurück. Es ist gerade so, als würde auf der Autobahn des gesellschaftlichen Lebens die Anzeige auf den Schilderbrücken flackern und jedesmal eine andere Höchstgeschwindigkeit anzeigen. Und so nimmt im Stop-and-Go auch unter denen, die sich bemühen, ruhig zu bleiben, der Frust zu. Denn andere treffen Entscheidungen über das Tempo meines Lebens und allzu oft wirken sie dabei fahrig und überfordert. Die pandemiebedingte Ungeduld bringt die grundlegende Ungeduld und das Getriebensein ans Licht, das in mir steckt:

„Je mehr man das Gefühl hat, Oh Gott, ich muss eigentlich schon dieses und jenes erledigt haben, Oh Gott, ich muss schon hier sein, desto ungeduldiger und aggressiver wird man natürlich, wenn man durch diese Wartesituation ausgebremst wird. Das ist ja oft ein Grund für diesen großen Ärger, dieses Gefühl, ich werde plötzlich in meiner wunderbaren Erledigungsschlange ausgeknockt – und das erzeugt Ärger.“

Friederike Gräff kürzlich im DLF (Es lohnt sich, diesen Beitrag ganz zu lesen oder zu hören!)
Nichts für Eilige, diese Nebenstraße…

Kann man Ungeduld fasten?

Einige Freunde haben geschrieben, dass sie in diesem Jahr nicht fasten wollen in der Fastenzeit. Wir verzichten ohnehin auf so vieles. Das stimmt natürlich. Ich überlege unterdessen, wie ich Ungeduld fasten kann. Indem ich das Warten auf eine Rückkehr zur Normalität (was auch immer das dann ist) annehme? Dazu brauche ich die Situation ja nicht künstlich zu beschönigen. Und ich kann mir bewusst machen, wie sehr mein Leben, Glück und Wohlergehen von anderen abhängt.

Das anzuerkennen hat seine schmerzhafte Seite, aber auch seine schöne. Wenn mir beides zusammen vor Augen steht, setze ich mich und meine Mitmenschen hoffentlich weniger unter Druck.

Im oben erwähnten DLF-Beitrag ist mit Simone Weil vom Warten Gottes die Rede: Gott wartet darauf, dass wir ihm Liebe und Aufmerksamkeit schenken. Schon immer – oder auch immer noch. Er drängelt nicht, aber er hat auch nicht aufgegeben. Da hätten wir also schon etwas gemeinsam, Gott und ich. Und während ich darauf warte, dass alle möglichen anderen Dinge wieder möglich werden, kann ich im Warten auf und mit Gott meiner Ungeduld immer wieder ein Schnippchen schlagen.

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