Der Ausdruck „Verschwörungsmystiker“ ist mir inzwischen ein paarmal begegnet – in Pressetexten und sogar bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Er ist, ich kann es nicht anders sagen, leider ein terminologischer Totalschaden.
Zwei Dinge kommen hier zusammen: Erstens gab und gibt es Stimmen, die darauf drängen, nicht von „Verschwörungstheorien“ zu sprechen, um seriöse Theoriebildung in den Wissenschaften nicht zu diskreditieren. Stattdessen solle man besser von „Verschwörungsmythen“ sprechen.
Probleme verlagern statt lösen
Damit wird das Problem freilich nur aus dem Bereich der Naturwissenschaft in den der Sprach- und Literaturwissenschaft verlagert. Denn die Protokolle der Weisen von Zion, Gerüchte über Chemtrails oder Bill Gates, der uns Chips implantieren möchte, sind einfach böswillige Konstrukte und vorsätzliche Fälschungen. Man muss als schon die Vulgärdefinition von Mythos als einer unwahren Geschichte zugrundelegen, um die argumentative Kurve noch zu kriegen. Eigentlich aber geht es in Mythen, wenn man sie richtig versteht, um etwas ganz anderes, wie die Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong schön erklärt:
In popular parlance, a “myth” is something that is not true. But in the past, myth was not self-indulgent fantasy; rather, like logos, it helped people to live effectively in our confusing world, though in a different way. Myths may have told stories about the gods, but they were really focused on the more elusive, puzzling, and tragic aspects of the human predicament that lay outside the remit of logos. Myth has been called a primitive form of psychology. When a myth described heroes threading their way through labyrinths, descending into the underworld, or fighting monsters, these were not understood as primarily factual stories. They were designed to help people negotiate the obscure regions of the psyche, which are difficult to access but which profoundly influence our thought and behavior.
Passend zu Verschwörungstheorien gibt es den Ausdruck „Verschwörungstheoretiker“. Das sind Menschen, die sich Verschwörungstheorien ausdenken oder sie verbreiten. Wer aber meint, „Verschwörungsmythen“ sagen zu müssen, braucht nun eine analoge Wortbildung. Die müsste, wenn schon, „Verschwörungsmythiker“ lauten. Aus Ahnungslosigkeit und Denkfaulheit jedoch wandert hier ein „s“ ein und macht die Mythiker zu Mystikern. Klingt ja ganz ähnlich, kommt beides aus dem Griechischen, das muss doch reichen…? Ein bisschen wie: Obama oder Osama – Hauptsache Hassfigur, der Rest ist egal.
Damit sind nun zwar alle Theoretiker aus dem Schneider, allerdings auf Kosten der Mystiker. Denn Mystik hat mit Mythen erst einmal gar nichts zu tun. Mystiker üben sich im Schweigen und der Meditation, sie fabrizieren also keine Mythen. Mystik setzt auch keine Mythen voraus. Möglicherweise fällt es Menschen, die Erfahrung mit Meditation haben, leichter, mit echten, gewachsenen Mythen umzugehen. Sie verstehen die Sprache der Seele und finden Zugang zu deren Codes und Bildern, ohne diese mit Historie, Tatsachenbehauptungen oder „Informationen“ zu verwechseln.
Mystiker sind nicht weniger rational und vernünftig als andere Menschen. Im besten Fall wissen sie um die Grenzen von Vernunfterkenntnis und Argumenten und um den Wert spiritueller Erfahrung. Einer Erfahrung, die (um es mal mit Martin Buber zu sagen) nicht im instrumentellen und objektivierenden Ich/Es Modus stattfindet, sondern sich im Ich/Du-Verhältnis zu Gott und Schöpfung bzw. Welt vollzieht.
Es waren Theoretiker wie Immanuel Kant, die im 18. Jahrhundert den Kampfbegriff „Mystizismus“ prägten, der zum Synonym für dumpfen Aberglauben wurde und differenziertes Hinsehen überflüssig machte. Aberglauben und religiösen Wahn gibt es freilich auch. Aber es gibt eben ein weites, buntes Feld zwischen diesen beiden Polen: der monarchischen Vernunft und dem magischem Denken oder Spiritualismus (was wiederum ganz ähnlich klingt wie „Spiritualität“, aber etwas ganz anderes ist).
Der Versuch, die Theorie vor dem Wahn zu retten, indem man die Verschwörung erst Richtung Mythos und dann weiter zur Mystik verschiebt, produziert also allerhand sprachliche Kollateralschäden. Dabei wäre das Gegenteil nötig: Auf begriffliche Klarheit zu achten, die gedankliche Klarheit ja überhaupt erst ermöglicht.
Nicola Gess hat an dieser Stelle mit ihrem Buch Halbwahrheiten. Zur Manipulation von Wirklichkeit hilfreiche Arbeit geleistet. Merkt Euch also schon mal den Begriff – Fortsetzung folgt.
Wie viel entspannter man sich der Sache auch nähern kann, zeigt ein Bibeltext, über den ich diese Woch eher zufällig gestolpert bin: Im ersten Kapitel des Danielbuchs wird von jungen judäischen Exulanten erzählt, die auf den Dienst am babylonischen Königshof vorbereitet werden. Das Essen, das dort gereicht wird, erhalten sie auch selbst. Doch leider ist der Fleischanteil (und der Wein) nicht mit ihren jüdischen Reinheitsvorschriften in Einklang zu bringen. Sie bitten darum, auf das Fleisch verzichten zu dürfen:
Versuch’s doch mit deinen Knechten zehn Tage und lass uns Gemüse zu essen und Wasser zu trinken geben.
Daniel 1,12
Der Kämmerer ist besorgt, dass seine Schützlinge verwahrlost und abgemagert erscheinen könnten. Aber auf ein Experiment über zehn Tage lässt er sich ein. Am Ende schauen die Probanden besser und gesünder aus als alle anderen. So gut, dass sie dem König auffallen und sein Vertrauen gewinnen.
Die Botschaft damals war: Gott beschützt die Gerechten, die sein Gesetz halten. Treue zahlt sich aus. Wir heute können daraus lernen:
Fleisch (egal welches) zu essen ist kein Bestandteil göttlicher Schöpfungsordnung (wenn man mit dem Begriff überhaupt arbeiten will).
Wenn jemand aus Glaubens- und Gewissensgründen auf bestimmte Nahrungsmittel verzichtet, dann ist das zu respektieren und zu ermöglichen. Egal, ob es sich um Juden, Muslime oder konfessionslose Veganer handelt.
Bevor wir mit Kriegsgeschrei auf die prinzipielle Ebene gehen und dort unauflösliche Konflikte herbeiphantasieren, die nur durch Sieg der einen Partei und Niederlage der anderen zu lösen sind, könnten wir einfach mal pragmatisch experimentieren und schauen, was für Win-win-Lösungen möglich sind.
Beitrag zum Lorenzer Kommentargottesdienst vom 26. Mai 2019
(Die Wahl lief noch, als der Kommentargottesdienst mit OB Dr. Maly gestern stattfand. Die Ergebnisse sind hier also nicht berücksichtigt. Die Grundentscheidungen haben sich allerdings auch nicht geändert über Nacht. Hier also mein Text zum Nachlesen)
Der frühere britische Großrabbiner Rabbi Sacks erzählte vor einigen Monaten davon, wie er einen amerikanischen Freund fragte: „Wie ging es dir am Tag der Wahl von Donald Trump?“ Der antwortete sarkastisch: „Wie dem Mann, der an Bord der Titanic in sein Whiskyglas starrt und sagt: »Ich hatte zwar um Eis gebeten, aber das…«“
Was bringt uns diese Wahl: Europe on the Rocks? Bleiben wir noch einen Augenblick bei den Briten: Jener Nation, die seit gut zwei Jahren für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hat und seither Zaungast ist – mit einer Hinterbacke schon draußen und der anderen noch drin. Nirgendwo sonst ist das Thema der EU-Mitgliedschaft so schrill diskutiert worden wie auf der Insel. Noch immer kann niemand sagen, wie die Entscheidung endgültig ausfällt. Der Blick vom Rand der EU (und womöglich des Abgrundes der Isolation) eröffnet vielleicht eine Perspektive, die manches klarer hervortreten lässt. Der Historiker Timothy Garton Ash hat kürzlich im „Guardian“ erklärt, wie „Europa“ (gemeint ist die EU) an den Punkt gekommen ist, an dem wir heute stehen.
Das ist die List der Geschichte: Die Saat des Triumphes wurde im Augenblick der größten Katastrophe ausgestreut, 1939, aber die Saat der Krise im Augenblick des Triumphes, 1989. Im Rückblick können wir erkennen, dass viele der Probleme, die Europa heute heimsuchen, ihren Ursprung in der anscheinend triumphalen Wende nach dem Fall der Berliner Mauer haben. Ein paar Menschen mit Weitblick warnten damals. Der französische politische Philosoph Pierre Hassner schrieb, dass wir uns just in dem Augenblick, in dem wir den Triumph der Freiheit feiern, daran erinnern sollten, dass „die Menschheit nicht von Freiheit [„liberty“!] und Universalität allein lebt, dass das Bestreben, das zu Nationalismus und Sozialismus führte, die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Identität und die Sehnsucht nach Solidarität und Gleichheit, zurückkehren werden, so wie sie das immer getan haben“. Und genauso kam es.
Achtzig Jahre nach Kriegsbeginn und dreißig Jahre nach dem Ende des kalten Krieges steht Europa 2019 wieder am Scheideweg. Das Gefälle zwischen Nord und Süd, West und Ost droht zur Kluft zu werden. Der Rechtspopulismus profitiert von diesem Riss und hat an vielen Orten gefährliche Ausmaße erreicht. Das Eigene wird überhöht und verklärt, das Fremde dämonisiert, Dialog durch Propaganda erstickt. Ihre Wortführer sind Unschuldslämmer und Racheengel in einer Person. Die Mächtigen in Washington, Moskau und Peking nutzen indes die Schwäche und Uneinigkeit aus, um in Europa eigene Interessen durchzusetzen. Welche gute Nachricht haben Christen in dieser schwierigen Lage anzubieten?
„Komm herüber und hilf uns“
Mit diesem Satz wird Europa in der Bibel eingeführt, ohne dass der Begriff jemals fällt. Es ist der „mazedonische Ruf“, der den Apostel Paulus in der Apostelgeschichte durch eine nächtliche Vision ereilt. Er kommt aus einer Region Europas, in der sich heute viele Krisensymptome zeigen: Die Balkanroute mit ihren Grenzzäunen und Elendslagern, wo Frontex patroulliert, wo seit der Finanzkrise verarmte Griechen und noch viel ärmere Nordmazedonier sich mit ihrem Nationalstolz überbieten. Am anderen Ende der EU, von Britannien aus betrachtet.
Damals, Mitte des ersten Jahrhunderts, landeten dort keine Flüchtlingsboote. Aber in Philippi, einer römischen Militärkolonie, entstand die erste christliche Gemeinde in Europa. Ihre Patronin war – auch das ein Novum – eine Frau. Der neue Glaube kam – wie die Europa der griechischen Mythologie – aus Vorderasien, und nun war er dem Machtzentrum des Imperiums einen Schritt näher gekommen.
Vielleicht ist es daher kein Zufall, dass Paulus im Brief an die Philipper gerade die Demut, Gewaltfreiheit und Niedrigkeit Christi, des designierten Weltenherrschers, so in den Mittelpunkt stellt. Es war keine Invasion, sondern ein sanftes Einsickern. Eine alternative Gemeinschaft war entstanden. Und nach dem Prinzip des Sauerteigs breitete sie sich aus. Unter den Augen der misstrauischen Obrigkeit, die schon den Gründer beim ersten Anlass ins Gefängnis geworfen hatte. Man kann hier durchaus eine Gegenerzählung zum Imperialismus der Römer entdecken. Oder zur „Imperialen Lebensweise“ des globalen Kapitalismus, der Ausbeutung von Mensch und Natur durch den globalen Norden zu Lasten des Südens, die uns das Zeitalter des „Kapitalozän“ beschert hat.
„Komm herüber und hilf uns!“ – lässt sich daran im Jahr 2019 noch irgendwie anknüpfen im weithin postchristlichen Europa?
Nach 1939 (und erst recht nach 1945) waren es die Amerikaner, die herüber kamen und halfen: Entnazifizierung, Marshallplan, liberale Demokratie, militärische und politische Kooperation in Nato und UN. Das öffnete die Tür für die Aussöhnung mit Frankreich und die Gründung der EU.
1989 kam die Hilfe aus Moskau, das seine Satellitenstaaten aufgab und sich friedlich aus Mitteleuropa zurückzog, statt auf Demonstranten in Danzig oder Leipzig einprügeln und schießen zu lassen.
2019 regieren Donald Trump und Wladimir Putin. Beide haben hinreichend unter Beweis gestellt, dass von ihnen keine Hilfe zu erwarten ist. Woher dann? Von innen? Von außen? Von oben?
Hilfe ist unterwegs
Nun, vielleicht kommt die Hilfe gerade von unten. Von der Erde. Aus dem Boden, der Atmosphäre, der dünnen „kritischen Zone“ auf der Oberfläche unseres Planeten. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit greift die Erde in unsere Pläne und Diskussionen ein. Sie ist nicht nur duldsames Material und passive Kulisse, sondern ein eigenständiger Akteur. Bühne und Kulissen erweisen sich als unerwartet lebendig und mischen sich ein in das Stück, das wir aufführen. Unsere objektivierenden Vorstellungen von „Natur“ und „Umwelt“ geben das nicht angemessen wieder. So hat es Bruno Latour, Winzersohn aus dem burgundischen Beaune und leidenschaftlicher Europäer, in seinem „Terrestrischen Manifest“ formuliert.
In religiöse Sprache übersetzt lautet die Botschaft der Erde: „Tut Buße. Ändert eure Lebensweise. Ihr könnt nicht weitermachen wie bisher.“ Alle gemeinsam leben wir über die Verhältnisse unseres Planeten. Die Reichen und Mächtigen entziehen den Armen dabei inzwischen buchstäblich die Luft zum Atmen und den Boden unter den Füßen. So kann es nicht weitergehen. Greta Thunberg und die Jugendlichen von „Fridays for Future“, unterstützt von Eltern und Wissenschaftler*innen, haben daraus die Konsequenzen gezogen. Aber es ist nicht einfach nur so, dass wir den Planeten retten müssen, er hat auch das Potenzial, uns zu retten aus unseren Sackgassen und internen Konflikten. Ulrich Beck hat das kurz vor seinem Tod ganz ähnlich beschrieben: Es geht um eine Metamorphose der Welt.
Schon die Urchristenheit konnte sich der Erde als Verbündete vorstellen. Warum dann nicht wir, bei allem, was wir heute über unsere Verbundenheit mit unseren Mitgeschöpfen wissen? Die von Paulus gepriesene Demut heißt im Lateinischen humilitas. Da steckt humus, Erdboden, drin.
Den Umbruch meistern
Wenn Europa sich neu finden und erfinden will, dann wäre das die Achse, an der alles andere auszurichten ist. All die anderen Gegensätze und Polaritäten sind von da aus neu zu bedenken und zu bewerten: Links und Rechts in der Politik, das Globale und das Lokale in Kultur und Identität, das Progressive und das Reaktionäre in der Gesellschaft.
So wie Europa seit dem 19. Jahrhundert Antworten auf die soziale Frage gegeben hat, wie es im 20. Jahrhundert totalitäre Systeme und Nationalismen überwunden hat, so hat wird ihm jetzt die Bewältigung der geosozialen Probleme der Klimakrise und des Artensterbens zugemutet.
Europa hat die Chance, der Welt ein Beispiel zu geben, wie dieser epochale Umbau in Kooperation geschehen kann statt in Konkurrenz. Wie Erdverbundenheit ohne Abschottung oder Zerschlagung der Weltordnung möglich ist, Fortschritt und Wandel ohne Entwurzelung und Entwertung des Gewachsenen. Dabei nutzen ihm auch seine vermeintlichen Schwächen. Latour schreibt:
Durch eine unglaubliche Bastelarbeit ist es der Europäischen Union gelungen, auf vielfache Weise die Überlappung, Überlagerung, den overlap der verschiedenen nationalen Interessen zu materialisieren. Mit ihrem vielfältig verzahnten Regelwerk, das die Komplexität eines Ökosystems erreicht, weist sie den Weg. Genau diese Art Erfahrung ist gefragt, wenn wir den alle Grenzen überwindenden Klimawandel in Angriff nehmen wollen.
Das terrestrische Manifest S. 116
Zurück zur Seefahrt. Vielleicht kennen Sie den Witz über einen Offizier der kanadischen Küstenwache, der einen herannahenden US-Marineverband über Funk aufforderte, den Kurs 15 Grad nach Süden zu ändern.
Der Kapitän der Amerikaner lehnte ab und forderte seinerseits das Gegenüber auf, 15 Grad nördlich abzudrehen. Der Kanadier blieb unbeirrt und forderte erneut 15 Grad Kurskorrektur.
Dem Kapitän des US-Flugzeugträgers platzte der Kragen. Er verwies auf Größe und Anzahl seiner Schiffe und deren Feuerkraft und drohte mit Konsequenzen.
Der Kanadier antwortete nur: „Dies ist ein Leuchtturm. Sie sind dran.“
Die Erde ist unser Leuchtturm. Sie weist uns den Weg, aber sie beugt sich nicht unseren Wünschen und Befehlen. Man muss kein Christ sein, um dieses Zeichen zu verstehen. Aber viele Christen würden sagen: Der Turm steht nicht zufällig da. Gott hat das so eingerichtet, weil er das Leben und die Menschen liebt.
Und diesen ebenso wunderlichen wie wunderbaren, kriselnden Kontinent.
Vor 20 Jahren oder etwas mehr bekam ich eine Einladung in eine Gruppe älterer Damen, die allesamt traditionell kirchlich waren. Das einzige, woran ich mich aus dem Gespräch noch erinnere, war der große Kummer in der Runde, dass wir Jungen die wunderbaren Lieder von Paul Gerhardt verschmähten und lieber irgendetwas Neueres sangen. Er schien die Freude darüber in den Schatten zu stellen, dass junge Menschen Gottesdienste feiern und sich für den überlieferten Glauben begeistern.
Kürzlich wurde ich wieder eingeladen, freilich nicht in dieselbe Gruppe, doch die Altersstruktur war vergleichbar. In dieser Runde traf ich auf ein bemerkenswertes Interesse an neuen Formen von Gottesdienst und Gemeindeleben. In einer Welt, die sich so tiefgreifend verändert hat, fanden einige, hinke die Kirche doch ganz schön hinterher. Und als ich einwarf, dass manche Leute sich wünschen, dass alles in der Kirche so bleibt wie immer (weil ja alles andere nicht mehr ist, wie es immer war), war die Reaktion ein energisches Kopfschütteln.
Die Sache mit den Paul-Gerhardt-Liedern lässt sich mit dem Begriff „Minimalskandal“ aus Nils Minkmars heutigem Kommentar im Spiegelganz treffend beschreiben. Dahinter, diagnostiziert Minkmar, verbirgt sich eine schwache Identität. Im Blick auf die Politik hierzulande notiert er: »Manchmal konnte man den Eindruck haben, dass die ganze Republik zum Weltkulturerbe erklärt werden sollte, so veränderungsphobisch gaben sich Politik und Öffentlichkeit in diesem Jahrhundert.« Es gibt auch kirchliche Verlautbarungen, die exakt so gestrickt sind.
Mit diesem Ansatz, das hat mich der Abend mit der Frauengruppe gelehrt, kann man nicht mal mehr Seniorinnen hinter dem Ofen vorlocken. Die Frage nach neuen Formen von Gottesdienst und kirchlichem Leben ist immer auch eine Frage nach der Identität, die, öfter als wir es uns eingestehen, an Musikstile, liturgische Traditionen und Gewänder, sakrale Gebäude und institutionelle Ordnungen gekoppelt ist. Um Minkmar noch einmal für den Bereich der Politiker und Parteien zu zitieren: »…augenblicklich steht zu befürchten, dass sie die [Identität] in ihrer Vergangenheit suchen, in Kruzifix-Aktionen und Sozialpolitik statt, wie es Willy Brandt so meisterlich sagte, „auf der Höhe der Zeit“ zu sein.« Da hätten die Ladies zustimmend genickt, das kennen sie von Kirchens auch. Und an ihren Kindern und Enkeln sehen sie, was es bewirkt hat.
Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich in den letzten Jahren zu hören bekam, dass Veränderungen in den Kirchen nach Möglichkeit zu vermeiden seien, um die Älteren nicht zu irritieren. Die Hürden, die man den Jüngeren damit in den Weg stellt, wurden dagegen nur selten thematisiert, oft beschränkt auf Fachtagungen zum Thema Jugendarbeit und andere Nischen. Aber es geht längst nicht mehr um einzelne Generationen, sondern ums Ganze.
Bruno Latour hat in „Jubilieren“ den ebenso schönen wie provozierenden Gedanken zum Umgang mit religiösen Traditionen im Spiel von Wiederholung und Abwandlung formuliert: » … es geht nicht darum, einen Schatz unbeschädigt durch die Zeit zu transportieren, sondern die Truhen zu füllen, um sie erneut insgesamt – banco! – aufs Spiel zu setzen.«
Dass Großmütter (sie waren es zumindest mehrheitlich…) damit kein Problem haben, ist für mich ein Zeichen der Hoffnung. Jede Gemeinde braucht solche Stimmen!
Wenn man sich gegenwärtig in der Welt umsieht, kann man an das alte biblische Konzept der „Verstockung“ denken. Vielleicht muss man sogar. Verstockung, das heißt: Jemand erzwingt den eigenen Untergang. Es fehlt nicht an Warnungen, aber sie kommen nicht an. Die Möglichkeit eines Kurswechsels war da, aber sie wurde nicht genutzt.
Der Pharao aus der Exodustradition wird so beschrieben. Die Könige von Israel und Juda, deren Reiche den Assyern und Babyloniern in die Hände fallen. Paulus bezieht den Begriff dann auf sein eigenes jüdisches Volk, das den prophetischen Ruf Jesu zur Umkehr ignoriert.
Persönliche Tragödien
Im Blick auf einzelne Menschen kennen wir das Phänomen schon lange. Die einen richten ihre Gesundheit zu Grunde, andere zerstören ihre Familien, Freundschaften und Nachbarschaft, wieder andere die Karriere. Wider besseres Wissen, trotz aller Warnungen, blind für die Folgen des eigenen Tuns.
Manchmal erscheint uns das tragisch, wenn auch nicht im klassischen Sinn. Die Helden der antiken Tragödien scheitern ja daran, dass sie das Verhängnis, dem sie unbedingt entgehen wollen, durch ihr vorbeugendes Tun erst heraufbeschwören. Die Verstockten sind im Vergleich dazu nur albern und dumm. Verstocktsein hat, anders als echte Tragik, nichts mit Größe und Edelmut zu tun. Sondern mit Hochmut, Kleingeisterei und fehlendem Augenmaß, die ein Ausmaß annehmen, dass der einzelne oder die Gruppe sich nicht mehr davon lösen kann.
Verstockung ist kein psychologischer, sondern ein theologischer Begriff. Gottes Anteil daran ist der, dass er irgendwann die Türe schließt, die einen Ausstieg möglich macht. Es bleibt es Rest, mit dem nach dem Untergang Neues möglich wird. Der Rest, das sind möglichweise all jene, die gegenwärtig noch trauern können. Diese Fähigkeit zu echter Trauer (im Unterschied zu primitivem Selbstmitleid) ist das letzte Zeichen der Hoffnung. Sie markiert den Ort in der Welt, wo Gott angesichts des Untergangs noch zu finden ist.
Aktuelle Beispiele
Aus den Nachrichten der letzten Wochen kommen mir zwei Beispiele in Erinnerung. Das eine ist der Rechtsruck der CSU und die Entfremdung der Parteiführung von den kirchlichen und sozial engagierten Wählern. Eine Weile lang dachte ich, das sei vielleicht eine Show, die auf taktischen Überlegungen beruht. Doch wenn man hört und liest, wie Horst Seehofer die Medienkritik der Rechtsradikalen übernimmt, und wie Kritik an dem immer radikaleren Kurs der Partei zur Hetze gegen sie umetikettiert wird, dann hat das schon diese wahnhaften Züge, die der Begriff der Verstockung in sich trägt. Die Psycho-Logik der AfD, die zwischen Weinerlichkeit und Gehässigkeit oszilliert, hat sich in den Gehirnen der Parteigranden anscheinend fest etabliert. Erst wollten sie nicht anders, jetzt können sie nicht mehr. Die bundesdeutsche Parteienlandschaft ändert sich in diesem Wochen gerade unwiderruflich.
Der Brexit ist die englische und der Waffenwahn in den Staaten ein Aspekt der amerikanischen Version dieses Phänomens. Es ist aber – und das ist neu – die Phase der multiplen Verstockungen angebrochen – mit globalen Auswirkungen.
Die viel größere Sorge sollte nicht der CSU, sondern dem Klima unseres Planeten gelten. Denn da spricht vieles dafür, dass entscheidende „Kippunkte“ schon überschritten sind. Das katastrophale Ausmaß der drohenden Zerstörung und ihrer Folgen für die Weltbevölkerung über viele Generationen hinweg lässt die Kriege der jüngeren Vergangenheit harmlos erscheinen. Seit Jahrzehnten ist die Gefahr bekannt. Sie wurde heruntergespielt und verdrängt, oder erstickt von der neoliberalen Dauerpropaganda gegen Regulierungen aller Art. Immer gab es wichtigere Dinge: Den Primat des Kapitals und dessen Hunger nach kurzfristiger, maximaler Rendite – den „Krieg gegen den Terror“ – die groteske Obsession mit Armuts- und Bürgerkriegsflüchtlingen.
Das Sommerloch und die Hitzewelle werden vorbeigehen. Die Große Koalition in Berlin wird wieder zu ihrer Tagesordnung übergehen, auf der die Klimakrise (weil zu groß, zu komplex und trotz aller Sprünge in letzter Zeit zu langsam) ganz weit unten rangiert. Die Deutschen werden weiter massenhaft Billigflüge buchen, SUVs und andere Spritfresser fahren, ungesund viel Fleisch aus Massentierhaltung futtern und gegen den Netzausbau für grünen Strom demonstrieren. Ein paar Lippenbekenntnisse müssen reichen, damit sehen wir im Unterschied zu Donald Trump (wie Vladimir Putin abhängig von der Kohle- und Ölindustrie) ja schon ganz gut aus. Ein Teil von uns wird nicht aufhören, jedes Bemühen um Nachhaltigkeit als „linksgrüne“ Verschwörung gegen Volk und Kultur hinzustellen, die Sorge um die Opfer der Erdüberhitzung als Verrat am Vaterland zu verleumden und die erschütternden Berichte des Weltklimarates und der Forscher als Fake News.
Das millionenfache Sterben von Mensch und Tieren, von Landschaften und Lebensweisen hat begonnen. Anklagen und Polemik, so berechtigt sie sind, verschärfen die Verstockung eher, als dass sie sie aufbrechen könnten. Vielleicht sollten die Kirchen einen Sonntag im Monat der öffentlichen Trauer widmen. Das klingt nach viel, aber es steht ja auch viel auf dem Spiel – so gut wie alles. Wir sind im Augenblick zu wenige, um einen Kurswechsel herbeizuführen. Aber wir sind zu viele, um einfach nur zu schweigen. Und billigen Trost oder positives Denken, das keinen Anstoß erregt, haben wir nicht im Angebot.
Das Vikariat ist nun fast vorbei, nur ein paar Dinge sind noch zu tun: In den letzten Tagen saß ich über meiner obligatorischen Stellungnahme zu den Themen Schrift und Bekenntnis, Amt und Ordination. Und wäre diese Reihenfolge nicht vorgegeben gewesen, wären mir die Frage vielleicht nie gekommen, ob wir die Theologie rund um „das geistliche Amt“ nicht komplett neu durchdenken sollten. Ich schreibe das hier einfach mal ins Unreine und freue mich auf Kommentare und Rückmeldungen.
Nachdem ich mir das alles noch einmal vergegenwärtigt hatte, schlage ich die Handreichung der VELKD „Ordnungsgemäß berufen“ auf. Und plötzlich lese ich fast nur noch „Priester“ und „Priestertum“: Zwölfmal erscheint das Stichwort allein im Inhaltsverzeichnis.
Klar: Wenn man die Frage von Kirche und Amt, Klerus und „Laien“ vom Priestertum her aufbaut, dann ist man einerseits ökumenisch anschlussfähig, andererseits lässt sich die reformatorische Tradition über ein „allgemeines Priestertum“ nach 1. Petr. 2 einspielen. Wobei es den Bischöfen, die hier schreiben, erkennbar schwer fällt, die Alltagschristen auf echter Augenhöhe mit der Pastorenkirche zu sehen. Immer wieder rutschen ihnen dabei paternalistisch anmutende Formulierungen über die Rolle der „Laien“ heraus.
Dabei gab es in den paulinischen Gemeinden und im frühen Christentum keine Priester: Die Abkehr vom Tempel ist spätestens in Apg 6-7 greifbar. Seit 70 n.Chr. gibt es auch im Judentum weder Tempel, noch Opfer, noch Priester. Priester üben ihre Tätigkeit am Altar in einem abgegrenzten heiligen Bezirk aus, und ein ganz wesentliches Element ist der Opferkult. Daran erinnert der Hebräerbrief – und erklärt fortan alle Opferrituale durch den Tod Christi für überholt. Wenn überhaupt von „Priestern“ die Rede ist, dann entweder ganz exklusiv und im Singular von Christus oder ganz inklusiv und strikt im Plural vom Gottesvolk. Der Begriff „Tempel“ bezeichnet entsprechend dynamisiert im die leibliche Existenz und Präsenz der Christen in der Welt, und die gottesdienstliche Gemeinschaft der lebendigen Steine, aber gerade keinen festen Ort, keinen Prunk und kein Kirchengebäude: Wir sind alle Tempel und wir sind alle Priester und jeder Gedanke eines „mehr oder weniger“ würde diese biblische Zusage konterkarieren.
Die Sakramente Taufe und Abendmahl sind von ihrer Entstehung her eher prophetische Zeichenhandlungen, die mit der Zeit in eine liturgisches Gewand gekleidet wurden. Das Passah wird im Haus gefeiert, und erst in zweiter Linie im Tempel. Also auch ohne Priester und ohne Altar. Jesus und der Täufer stehen in kritischer Distanz zum Tempel und der Priesterschaft, aber sie identifizieren sich eindeutig mit den Propheten.
Priester waren im Judentum stets Männer – daher kann die katholische Kirche, die Orthodoxie (und die Lutheraner in Lettland) immer noch Frauen von geistlichen Ämtern ausschließen und einfach auf das Priestertum verweisen. Prophetinnen (und ja, Apostelinnen) sind uns hingegen aus der Schrift durchaus bekannt.
In den wenigen Aufzählungen geistlicher Ämter tauchen „Priester“ nicht auf. Nicht in 1. Kor 12 (Apostel, Propheten, Lehrer), nicht in den Pastoralbriefen („Bischöfe“ und Diakone), nicht in Eph 4 (Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer). Anregend finde ich Umschreibung dieser fünf Rollen bei Frost und Hirsch: Pioneer – Disturber – Recruiter – Humanizer – Systematizer. Sie lassen sich als funktionale Aspekte des einen Amtes denken, praktisch freilich wohl nur dann, wenn es mehr als eine Amtsträger*in gibt.
Mir geht es an dieser Stelle um das „Framing“ der Diskussion um Ämter und Funktionen. Gehen wir vom Priestertum aus, dann wird es wahrscheinlich sehr statisch, zeremonial und tendenziell männlich ausfallen.
Warum nicht einmal anders herum denken?
Während sich aus Calvins Dreiklang der Ämter Christi das Priesterliche und das Messianisch-Königliche nur auf das gesamte Gottesvolk beziehen lassen, sieht es bei der dritten (im Luthertum vernachlässigten) Funktion anders aus. Es kann durchaus von einer prophetischen Kircheund von prophetischen Individuen beiderlei Geschlechts die Rede sein.
„Prophetische Religion ist die eines Volkes, das nicht an Grund und Boden gebunden ist, ein Volk im Aufbruch, ein Volk, das eine historische Aufgabe vor sich hat – die Aufgabe, Grenzen zu überwinden.“
Und Walter Brueggemann fügt der räumlichen eine zeitliche Dimension hinzu, wenn er schreibt:
„Der Prophet engagiert sich im Ausmalen der Zukunft. Der Prophet fragt nicht, ob die Vision umgesetzt werden kann, denn Fragen der Umsetzung sind ohne Folgen, bis man sich die Vision vorstellen kann. […] Unsere Kultur kann fast alles implementieren, aber fast nichts imaginieren.“
Karl Barth wundert sich gegen Ende von KD IV,3 §72, dass die Neuentdeckung des prophetischen Amtes Christi für Calvin bislang ohne Folgen für die Ekklesiologie blieb. Und er schickt sich an, die Lücke zu schließen:
„Das Handeln der Gemeinde im Dienst ihres Zeugnisses ist ein prophetisches Handeln, wobei wir unter «prophetisch» verstehen: ein Handeln in Erkenntnis des Sinnes der jeweils gegenwärtigen Ereignisse, Verhältnisse und Gestalten ihrer eigenen Geschichte und auch der ihrer Umwelt in ihrer positiven und negativen Beziehung zu dem von ihr bezeugten nahe herbeigekommenen Reiche Gottes und also in ihrer Tragweite für die konkrete Gestalt dieses ihres Zeugnisses.“ (S. 1026)
Vom nahenden Reich Gottes her bestimmt Barth den prophetischen Impuls (wie Marstin und Brueggemann) als ein „Vorwärts!“, das mitunter den Widerspruch der „Allianz der Priester [!], der falschen Propheten, der Fürsten und des Volkes“ herausfordern wird:
Prophetie beruht auf einem besonderen Vernehmen und besteht in einer besonderen Kundgebung des von Gott je und je in seinem Werk, nämlich in der von ihm regierten Geschichte seines Volkes und der Welt gesprochenen Wortes: des Wortes, in welchem er, was er in Begründung des Bundes ein für allemal gesprochen, nicht etwa durch etwas Anderes ersetzt, ergänzt oder überbietet, wohl aber zu bestimmter Zeit neues Gehör und neuen Gehorsam fordernd, in neuer Klarheit wiederholt und bestätigt.
Im prophetischen Element und Charakter ihres Dienstes blickt, greift, schreitet die Gemeinde in der jeweiligen Gegenwart und aus ihr hinaus hinüber in die Zukunft: nicht willkürlich, nicht auf Grund eigener Analysen, Prognosen und Projekte, wohl aber lauschend auf die Stimme ihres Herrn, der auch der Herr der Welt ist, welcher eben das, was er sprach, indem er sie berief, begründete und beauftragte, wieder und neu spricht in dem, was in ihr und in der Welt jetzt und hier als in seinem Machtbereich geschieht, der sie eben damit in die Zukunft weist und führt, ihr eben damit das ihr anvertraute Zeugnis, ohne daß es ein anderes würde, in neuer Gestalt auf die Lippen legt.
Barth hält fest, dass der prophetische Dienst Sache der ganzen Gemeinde ist und nimmt doch auch zur Kenntnis, dass die Rollen der einzelnen Gemeindeglieder dabei variieren.
Statisch und hierarchisch wird sich dieses „Vorwärts!“ gewiss nicht strukturieren und organisieren lassen. Zum Trost für alle Sanften, Stetigen und Strukturierten unter uns, die befürchten, es könnten Chaos und Unordnung ausbrechen: Barth hält Prophetie für „nicht ekstatisch, nicht enthusiastisch, nicht tumultuarisch“. Aber gerade in Zeiten, in denen die eine historische Gestalt von Kirche dem Ende entgegengeht und die andere noch nicht (oder nur punktuell) sichtbar geworden ist, liegt in dieser Rückbesinnung auf die prophetische Dimension eine große Chance.
Ein solches Reframing, ein Paradigmenwechsel vom Priesterlichen zum Prophetischen, hätte durchaus das Potenzial, die Lehre und Praxis des geistlichen Amtes aus alten Sackgassen herauszuführen.
Immer mehr wird Christen hierzulande bewusst, dass wir nach Jahrhunderten der selbstverständlichen kulturellen Symbiose von Staat und Kirche inzwischen in einer Minderheitensituation leben oder direkt darauf zusteuern. Zugleich eskalieren die Konflikte in Bereichen, die uns bisher weitgehend stabil erschienen.
Die Epistel des vergangenen Sonntags aus dem ersten Petrusbrief hat mich (nicht zum ersten Mal) zum Staunen gebracht, wie so ein alter Text in der veränderten Situation des Jahres 2018 (Rechtsruck, Regierungskrise, Rohe Christen) neu zu sprechen anfängt, und wie ermutigend oder tröstlich es sein kann, ihm zuzuhören.
Gestern habe ich versucht, das einmal zu umreißen. Wer ca 25 Minuten Zeit hat, kann es hier nachhören: Präsenz (1.Petr 3,8-15a)
Kleiner Tipp: Die Vorbemerkungen bis 2:35 könnt Ihr am besten überspringen.
Ein sonniger Maitag im Burren-Nationalpark. Nur wenige Menschen sind unterwegs auf dem Weg zum Mullaghmore, der sich mit seinen konzentrischen Ringen über die Karstlandschaft erhebt. Der Weg wendet sich zurück zum Ausgangspunkt. Auf dem zerklüfteten Untergrund balanciere ich von Stein zu Stein. Ich staune, wie gut das klappt, auch wenn der Boden nur im sekundären Gesichtsfeld ist.
Mein Blick geht nach vorne. Ein Mann im blauen T-Shirt sitzt in einiger Entfernung und schaut in die Weite. Ich betrachte die friedliche Szene und plötzlich schießen Gedanken durch meinen Kopf – Szenen aus einem Mini-Katastrophenfilm. Was, wenn das ein Messerattentäter ist, der auf mich losgeht, wenn ich mich ihm nähere? Wie würde ich mich verteidigen? Könnte ich noch einen Notruf absetzen? Was würde mit den anderen aus unserer kleinen Gruppe passieren, die ein paar hundert Meter hinter mir sind? Hätten sie Zeit, mir zu helfen? Sollten sie lieber sich selbst in Sicherheit bringen?
Ich erschrecke – über mich selbst: Wie um Himmels Willen ist das möglich, sich mitten in der Schönheit, Stille und Einsamkeit dieser außergewöhnlichen Landschaft einen derartigen Horror auszumalen? Mein Filmkonsum ist tendenziell eher unblutig; aber vielleicht ist es eine kurze Nachrichtenmeldung vom Vortag, die hier noch einmal „aufploppt“?
Ich habe den Mann im blauen T-Shirt inzwischen erreicht. Wir unterhalten uns über das Wetter und über die Aussicht. Er erzählt, dass er oft hierher kommt, und einfach nur da sitzt und schaut. Wenn man das eine Weile macht, sagt er, dann versteht man gar nicht, warum es in der Welt so viel Aufregung und Streit gibt. Ich fühle mich ein bisschen ertappt, aber noch viel mehr erleichtert, einem Seelenverwandten zu begegnen. Wir reden noch ein paar Minuten weiter, dann verabschiede ich mich.
Ein warmer Wind umweht mich beim Abstieg. Angst und Schreckensvisionen – das kann passieren angesichts der heutigen Nachrichtenlage. Aber Panik ist kein unentrinnbares Schicksal. Solche stillen Orte und weise, sensible Mitmenschen helfen mir, mich nicht verrückt machen zu lassen und einen klaren Kopf zu bewahren. Im Alltag sieht das vielleicht anders aus, aber auch hier gibt es solche Orte, die mich erden. Ich muss einfach nur hingehen, wie der Mann im blauen T-Shirt.
Bei seinem Auftritt auf der Landessynode hat sich der Ministerpräsident diese Woche als Befürworter von Kreuzen im öffentlichen Raum präsentiert. Alexander Jungkunz hat das in einem Kommentar für die Nürnberger Nachrichten mit dem Stichwort „Neue Kreuzritter“ aufgegriffen und an Carl Schmitt erinnert, der im letzten Jahrhundert die Devise ausgegeben hatte, man solle doch „die Wirkung Christi im sozialen und politischen Bereich unschädlich machen; das Christentum entanarchisieren, ihm aber im Hintergrund eine gewisse legitimierende Wirkung belassen und jedenfalls nicht darauf verzichten.“ Religion dient der Macht, nicht der Freiheit. Ergo basteln die Minister der CSU in München wie in Berlin an einer Politik, die Freiheiten von Minderheiten und Andersdenkenden unter dem Vorwand der Sicherheit einschränkt und dem Staat immer mehr Befugnisse erteilt, die willkürlich ausgeübt werden können. Das ergibt eine Annäherung an den Ausnahmezustand in Trippelschritten. Auch dieser Satz stammt nämlich von Schmitt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“
Bei den Synodalen dürfte Söder damit kaum gepunktet haben, aber das ist wohl auch nicht seine Zielgruppe.
Dazu passt ein selbstkritischer Text über den Evangelikalismus, den Mark Labberton vom renommierten Fuller Seminary jüngst veröffentlichte. Auch da ging es – unter anderem, aber an erster Stelle – um Macht. Sein Fazit zum Verhältnis von Evangelikalismus und Macht lautet: „Der offensichtliche Schulterschluss Evangelikaler mit einem Machtgebrauch, der auf Dominanz, Kontrolle und Überlegenheit setzt und den Sieg über Mitgefühl und Gerechtigkeit, bringt Jesus mehr mit den Strategien des römischen Kaisers in Verbindung als mit der guten Nachricht des Evangeliums.“ Er erwähnt das Kreuz hier nicht eigens, aber implizit wehrt sich auch Labberton gegen den Versuch, das Kreuz vor den Karren autoritärer Herrschaft zu spannen.
Dass dies kein rein amerikanisches Problem ist, zeigen die Diskussionen, die im frommen Spektrum überall da ausbrechen, wo nach einen Gottesbild und -Begriff gesucht wird, der Gottes Allmacht (und zwar exakt im Schmitt’schen Sinn von Souveränität, die an keine Verantwortung mehr gebunden ist und sich selbst legitimiert) zurücknimmt zugunsten seiner Barmherzigkeit, Liebe und Nähe zu einer leidenden Welt. Wann immer Gottes Macht und Liebe in Spannung zu einander geraten, löst diese theologische Tradition den Konflikt zugunsten der schrankenlosen Macht auf. „Gott“ droht zur Chiffre für einen reinen Machtkult zu degenerieren.
Auf katholischer Seite hat der DLF diese Entwicklung aktuell für Kroatien nachgezeichnet. Ein Kritiker sagt über den nationalkonservativen Kurs der Bischöfe dort: „Die Menschen wurden nicht ermutigt, mit dem eigenen Kopf zu denken, sondern sollten einfach einer Autorität folgen.“ Ein anderer spricht von einem opportunen „Fake-Katholizismus“, der auf einmal viele Anhänger findet.
Wenn wir das mit dem Kreuz wirklich ernst nehmen, dann darf es zu einem solch autoritären Stil in Kirche und Politik nicht kommen. Wir müssen besser verstehen und vermitteln, was Paulus meint, wenn er schreibt, dass die Schwachheit Gottes stärker ist, als die Menschen es sind. Wer menschliche Schwachheit verachtet, wer Macht nicht aus der Hand geben kann, wer auf Vergeltung sinnt für vergangene Kränkungen und Demütigungen, der hat Gott noch nicht verstanden – und schon gar nicht auf seiner Seite.
Zuletzt: Gibt man den Suchbegriff „weakness“ in die Bilderdatenbank von Unsplash.com ein, dann kommen erstens nur wenige Bilder und zweitens sind überall Frauen darauf. Das wirft die Frage auf, ob unsere Vorstellungen von Männlichkeit und unsere Vorstellungen von Macht (bzw. dem richtigen Umgang mit ihr) nicht ähnlich problematisch sind.
Manchmal setzen sich Gedanken aus ein paar Gesprächsfetzen zusammen. In diesem Fall Gespräche über den gesellschaftlichen Diskurs, der an vielen Stellen mit wachsender Erbitterung geführt wird.
Mitten hinein fiel der Hinweis auf die Geschichte vom weisen König Salomo, die ich noch aus der Kinderbibel kenne: Zwei Frauen teilen sich eine Unterkunft, beide haben ein neugeborenes Baby, eines morgens ist das eine Kind tot. Die Mutter, die es im Schlaf erdrückt hat, nimmt der anderen Mutter heimlich das lebende Kind und legt das tote in ihren Arm.
So liest sich das in der Klage, die daraufhin vor dem König landet und die mit dem Schwert – freilich unblutig – entschieden wird. Der gilt fortan an weiser Mann: Er droht, das lebende Kind zu zerteilen und jeder Mutter die Hälfte zu geben. Die Frau, die nachgibt, ist die wahre Mutter. Die Frau, die hart bleibt, ist die Betrügerin. Heute würden wir kein Schwert mehr nehmen, sondern eine Speichelprobe. Dem Fortschritt sei Dank.
Aber das würde die salomonische Pointe kaputt machen, um die es mir heute geht.
Die vordergründige Analogie zuerst: Wir haben leider keinen weisen König, der zwischen den gesellschaftlichen oder globalen Streitparteien schlichtet. Wir sind alle immer schon Partei. In vielen Konflikten setzen sich momentan die durch, die bereit sind, über Leichen zu gehen. Und es haben die das Nachsehen, die Kompromisse zu machen, um Menschenleben zu retten. Schmerzhafte Kompromisse, für die sie selbst einen hohen Preis zahlen und für die sie wenig Gegenliebe und Anerkennung ernten.
Dahinter liegt die Frage: Woher die Härte? Es bleibt ja offen, ob in der Geschichte vom weisen Salomo die Mutter des toten Kindes bewusst lügt, oder ob sie sich selbst betrügt und darüber jedes menschliche Maß verliert. Vielleicht spielt das aber auch keine entscheidende Rolle – weder für das Verständnis der Geschichte, noch für unsere Situation.
Da haben also zwei bisher zusammen gelebt. Eher ein Zweckbündnis als eine Frage tiefer Zuneigung, so ist es ja in unserer spätmodernen Welt auch. Dann kommen Kinder zur Welt, der kleine Haushalt wächst, aber die Gleichheit steht nicht in Frage.
Plötzlich geschieht das Unglück: Ein Kind ist tot. Ob tatsächlich im Schlaf erdrückt oder unverschuldet durch plötzlichen Kindstod – wir wissen es nicht. Menschen geben sich freilich sich oft auch dann die Schuld, wenn es gar keinen ursächlichen Zusammenhang gibt. Die Schuldfrage führt hier nur in Sackgassen. Doch was für eine Tragik, wenn eine Mutter das Leben, das sie gerade zur Welt gebracht hat, versehentlich zerstört. Und mit dem Kind sterben all die Erwartungen und Hoffnungen an die Zukunft.
Die Entscheidung nach dem bösen Erwachen fällt augenblicklich. Die Kinder werden vertauscht, das Faktum des Verlusts verleugnet, die Schuld umgekehrt, das Leid weggeschoben. Freilich erkennt die betrogene Mutter sofort, was geschehen ist. Aber weil wohl niemand sonst die Kinder gut genug kannte, hat sie kaum eine Chance, die „Fake News“ zu widerlegen, die ihre Kontrahentin schon aktiv verbreitet und hinter denen sie sich verschanzt.
Die Frau, der die Zukunft durch einen bösen Zufall, durch eigene Erschöpfung und Unachtsamkeit oder beides zusammen genommen wurde, bemächtigt sich der Zukunft der anderen. Dabei verliert sie auch noch den letzten Menschen, der sie hätte trösten können, wenn sie die Trauer denn zugelassen hätte. Denn die Mitbewohnerin, die alles hat, was sie nicht hat, erscheint ihr in diesem Augenblick als Feindbild par excellence. Da spielt es keine Rolle, dass sie keinerlei Schuld trifft am Verlust der Zukunft. Die andere mit einem lebenden Kind zu sehen, ist schlicht unerträglich.
Nun kämpfen zwei trauernde Frauen um eine Zukunft. Und es gibt nur noch ein Entweder/Oder. Die eine, die eigentlich schon alles verloren hat, kann sich die Totalverweigerung leisten – schlimmer wird es nicht mehr. Vor allem steigen ihre Gewinnchancen, je kälter und unnachgiebiger sie agiert. Denn die andere Mutter wird ihr Kind lieber weggeben als sterben sehen, selbst wenn sie dann nicht nur das Kind verloren hat, sondern auch noch als Lügnerin dasteht.
Aber dahinter steht, gut versteckt, eine Stärke: Diese Mutter weiß, dass sie über diesen Verlust lange und schwer trauern wird. Sie weiß aber auch, wie sie der Trauer einen Sinn geben kann. Sie denkt an das Kind, das zur nicht mehr ihres ist, aber sein Leben ist ihr wichtiger als ihre Verfügung darüber. Die Härte fehlt: Bei allem Ringen um das Recht, sie kann keine „Alles-oder-nichts“- Strategie fahren. „Nihilismus“ nannte ein Freund das kürzlich.
Brexiteers, Tea-Partisanen, Deutschlandretter hadern mit dem Verlust einer Zukunft, die tot ist und die tot bleibt. Das hat durchaus etwas Tragisches an sich. Darüber ließe sich unter Umständen reden und auch trauern. Vielleicht kann, wenn das durchgestanden ist, auch eine neue, etwas andere Zukunft geboren werden. Sie sehen die Lösung aber vor allem darin, denen, die sie für irgendwie privilegiert halten, die Zukunft wegzunehmen: Den Minderheiten, die sich in den letzten Jahrzehnten mühsam gleiche Rechte erkämpft haben, oder den Migranten, die ihr Leben häufig riskieren, um überhaupt irgendeine Zukunft zu haben.
Komplett doppelbödig wird es dagegen bei der Kritik an den „Eliten“: Die Finanzelite lässt man ungeschoren und die intellektuellen Eliten werden zwar nach Kräften diskreditiert, aber die eigenen akademischen Titel bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit eifrigst zur Schau gestellt. Das Problem ist eben nicht, dass es Eliten gibt, sondern nur, dass man selbst nicht dazu gehört.
Inzwischen werden im konservativen Christentum quer über das konfessionelle Spektrum dieselben Reflexe wirksam. Wahlweise werden die Kinder der anderen für tot erklärt oder die anderen als (potenzielle oder tatsächliche) Mörder der eigenen Kinder angeklagt. Trauer und Klage bekommt man kaum zu hören. Dafür Kampfansagen, Abgesänge, ein bisschen Sarkasmus und viel Empörung.
Nun höre ich schon den Einwand, ich drehe die Geschichte hier so hin, dass ich in diesem Kulturkampf auf der Seite der Guten stehe. Das Dilemma ist ja tatsächlich, dass Dritte erst einmal verwirrt vor der Tatsache stehen, dass sich da in schönster Symmetrie zwei Frauen gegenseitig beschuldigen, ihr eigenes Kind erdrückt und sich des anderen Kindes bemächtigt zu haben.
Und genau deshalb erzähle ich diese Geschichte hier auch: Nicht, damit alle einfach meine Deutung übernehmen. Die könnte in der Tat eine Täuschung sein.
Sondern um genau hinzusehen:
Wo in diesem Ringen ist diese Kompromisslosigkeit am Werk?
Wo versucht jemand, es kalt lächelnd auf eine „Alles-oder-Nichts“-Entscheidung hinauslaufen zu lassen?
Wo ist echte Trauer und Sorge spürbar?
Wo nimmt das Denken und Argumentieren immer rigidere Züge an?
Diese Fragen führen auf die richtige Spur. Weisheit, das bedeutet: Wir sollten sie uns immer und immer wieder stellen.
Ich habe hier vor ein paar Tagen gefragt, ob es zu dem, was die identitäre Bewegung in der Politik darstellt, theologische Analogien gibt. Auf Facebook hat Arne Bachmann zurückgefragt, ob es nichtidentitäres Christentum geben kann. Ich denke schon, denn es geht ja nicht um die Frage, ob man eine Identität hat, sondern darum wie man diese versteht und lebt. Arnes Vorschlag war, im Christentum nicht eine Identität neben anderen zu sehen, sondern eine Art Meta-Identität (meine Worte), die alle anderen Identitäten und deren Konkurrenz relativiert.
Ein anderes Licht auf diese Frage wirft der Schluss des rund 100-seitigen ersten Kapitels aus „Die Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz. Reckwitz beschreibt darin sehr ausführlich, dass die Spätmoderne sich von der Produktion standardisierter, einheitlicher Massengüter abwendet, die Kennzeichen der industriellen Moderne war (bei Bauman liefe das unter „solid modernity“). Nun steht die Hervorbringung von „Singularitäten“ im Zentrum. Damit ist alles gemeint, was als etwas Besonderes erfahren wird (ein Produkt, ein Event, eine Gemeinschaft, ein Ort, ein Individuum), weil und indem es starke Affekte auslöst. Der spätmoderne Kulturkapitalismus dreht sich um solche Auf- und Abwertungen des Besonderen. Das Markenimage wird wichtiger als der reine Gebrauchswert eines Produkts, denn es dient auch der Singularisierung des Konsumenten, der es wie ein Kurator im Leben so anordnet, dass er sich dadurch als besonders ausweisen kann.
Drei Entwicklungen kommen hier zusammen und greifen ineinander: Die neue Mittelklasse verlegt seit etwa 1970 den Akzent weg von materiellen Lebensstandard („keeping up with the Joneses“) hin zur Lebensqualität. In der neuen Wissens- und Kulturökonomie ist Authentizität, die dem Bürgertum als stille Sehnsucht seit der Romantik anhaftet, der neue Leitwert der creative economy. Wenn zum Beispiel die Chefs von Apple auf ihren Keynote den Artikel nervtötend konsequent weglassen, während sie von iPhones und anderen Produkten reden, dann suggerieren sie damit, dass das nicht ein Exemplar einer Geräteklasse (Smartphone) unter anderen ist, sondern es trägt einen Eigennamen – das Produkt ist so einzigartig und unverwechselbar wie eine Person.
Und dann kommt auch noch die Digitalisierung zum kulturell-kreativen Komplex hinzu. Rationalisierung und Standardisierung treten in den Hintergrund und finden dort weitgehend unsichtbar statt, mit ihrer Hilfe werden im großen Stil Singularitäten erzeugt. Der Postmaterialismus geht über in „Singularitätsmärkte“, an denen es um Aufmerksamkeit, Sichtbarkeit und Anerkennung geht:
Die durchgreifende Singularisierung und Kulturalisierung aller Bestandteile des Lebens – Wohnen, Essen, Reisen, Körperkultur, Erziehung etc. –, die hier erfolgt, geht so Hand in Hand mit der Statusinvestition ins eigene Singularitätskapital und in die Darstellung des besonderen Lebens vor den Anderen. In gewisser Weise gilt hier die „Norm der Abweichung“ oder positiv gewendet: die Norm der performativen Authentizität, der sozialen Aufführung von Unverwechselbarkeit. (S. 108)
Ich denke, mit dem Begriff der Singularität lassen sich viele Fresh-X Projekte gut erfassen. Gegenüber den stark vereinheitlichenden Tendenzen großkirchlicher Strukturen, die das Individuelle, Lokale und damit auch Besondere gerade begrenzen (wenn nicht gar unterdrücken oder überlagern) setzt man hier auf das Unverwechselbare. Es findet eine Kulturalisierung von Kirche statt, die nicht mehr auf Kontinuität abstellt, sondern auf Authentizität: „die Darstellung des besonderen Lebens vor den Anderen“. Mit viel Liebe wird hier alles designt, was designt werden kann.
Ganz am Ende kommt Reckwitz darauf zu sprechen, dass diese Entwicklungen in der Spätmoderne zu einer ganzen Reihe von Polarisierungen führen: Bei den Gütern (Massenware vs. Kultobjekte), den Arbeitsverhältnissen (einfache, monotone und prekäre Arbeit vs. hochqualifizierte Wissens- und Kulturökonomie), den Klassen und Lebensstilen (kosmopolitische, gebildete Mittelklasse vs. abgehängte Unterklasse), den sozialen Räumen (kreative Hotspots vs. Fly-over-country). Und nicht zuletzt in der Politik.
Und hier schließt sich jetzt der Kreis (für alle, die sich gewundert haben, wann den nun endlich noch etwas „Identitäres“ kommt). Reckwitz schreibt, dass sich gegen das neue, dominante politische Paradigma „eines apertistischen (öffnenden) und differenziellen (Unterschiede setzenden) Liberalismus, welcher auf eine Kombination von Wettbewerb und kultureller Vielfalt setzt“ von verschiedenen Seiten Widerstand erhebt; es gibt nämlich
…ein ganzes Bündel von antiliberalen (sub)politischen Kulturessenzialismen und -kommunitarismen (Ethnizität, Nationalität, religiöser Fundamentalismus, Rechtspopulismus) …, die gegen die Hyperkultur und ihre Märkte nun kollektive Identitäten mobilisieren. Diese Identitätsbewegungen bewegen sich freilich innerhalb [!!] der Logik der Gesellschaft der Singularitäten [Anm. von mir: bei Bauman ist ja auch Fundamentalismus die postmodernste Form von Religiosität]: Auch sie setzen auf Kultur und Singularität, verorten diese jedoch nicht auf mobilen Märkten, sondern innerhalb besonderer – religiöser, nationaler, ethnischer, völkischer – Kollektive. Das Ergebnis sind die für die Gesellschaft der Singularitäten überaus charakteristischen Konflikte um die Kultur. (S. 110)
Ich denke, ich kann nun auch klarer sagen, was mich an manchen (hippen wie miefigen) Frommen immer wieder an Typen wie Martin Sellner erinnert: Es ist dieser Gestus, mit dem sie dem Liberalismus, den sie ablehnen und verachten, den Untergang prophezeien. Vielleicht rührt die Verachtung auch daher, dass die eigene Identität im Rennen um Aufmerksamkeit und Anerkennung – Reckwitz nennt das Valorisierung – zusehends ins Hintertreffen geraten ist. Wenn er allerdings Recht hat, dann führen sie ihren Kulturkampf mit denselben Prämissen wie alle anderen. Weiterführende Lösungen als die energische Selbstdurchsetzung des eigenen Kollektivs (ein Mehr vom eigenen) haben sie, so weit ich das sehe, nicht anzubieten.
Jesus hat die Familie radikal neu definiert und Geschlechterstereotype aufgeweicht, daran erinnert unter anderem der Predigttext für den kommenden Sonntag, in dem wir lesen: „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“
Mit der Christologie haben die Autoren und Unterzeichner des Nashville Statement wenig am Hut. Sie spielt keine Rolle für ihre eher am Naturrecht und am Begriff der Schöpfungsordnung, und einem fundamentalistischen Bibelverständnis orientierten Einlassungen. Die Sprache der modernen Biologie wird da aufgegriffen, wo sie genehm ist („male and female reproductive structures“), und ihre Erkenntnis abgelehnt, wo es nicht ins Weltbild passt: Adam und Eva sind buchstäblich – offenbar im Sinne von „historisch“ – die ersten Menschen.
Mit anderen Worten: Binäre Heteronormativität wird hier ausdrücklich zum Dogma erhoben. Es wird explizit bestritten, dass es im Blick auf einzelne Menschen unklare Zuordnungen geben kann. Sie liegt bestenfalls in willkürlichen und fehlerhaften Selbstbeschreibungen oder Zuschreibungen begründet.
Dann kommt der Artikel 10, er lautet: „WE AFFIRM that it is sinful to approve of homosexual immorality or transgenderism and that such approval constitutes an essential departure from Christian faithfulness and witness.“ Sünder sind also nicht nur alle, die sich als homosexuell oder Transgender betrachten und bezeichnen, sondern auch alle, die das billigen und unterstützen.
Hier ist unter Christen keine Meinungsverschiedenheit möglich, sagt das Dokument. Und auch wenn die folgenden Artikel von Vergebung und Gnade handeln, so ist doch sonnenklar, dass diese nur den Bußfertigen zuteil wird. Wer auf seiner abweichenden Meinung und Haltung beharrt, der ist verloren.
Ich habe eben als Kontrast die Barmer Theologische Erklärung durchgelesen. Gegen die Ideologie des Dritten Reiches haben die Autoren damals strikt christologisch argumentiert. Nur so konnten die plumpen Biologismen des Rassenwahns und totalitäre Machtansprüche abgewehrt werden. Aber statt sich über die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu definieren, definierten sie sich über den Bezug zu Christus.
Rechtsevangelikale in den Staaten waren schon immer gern ein bisschen Anti: Gegen kritische Bibelwissenschaft, gegen Evolutionsbiologie, gegen Sozialismus und Kommunismus. Das, was man ablehnte, hatte man oft weder richtig verstanden noch fair dargestellt. Insofern ist auch dieser Schritt noch nichts Neues.
Aber das Nashville-Statement macht eine Art Anti-Genderismus zur Glaubensgrundlage mit totalitärem Geltungsanspruch. Im Gegensatz zur Barmer Erklärung wird nur noch abstrakt auf die Bibel verwiesen, aber nicht mehr ausdrücklich aus ihr zitiert. Und das Statement führt neue Glaubensgegenstände ein, die in den bisherigen Bekenntnissen nie eine Rolle gespielt hatten. Es hat diese Inhalte auch nicht aus der Schrift entwickelt, sondern sie aus der Gegenwartskultur importiert und inhaltlich ins Gegenteil gekehrt. Das wird dann zum nicht verhandelbaren Kernbestand des Glaubens erhoben, so dass der Widerspruch gegen diese dogmatische Neuschöpfung zum Bruch mit Gott selbst führt.
Also, wenn das kein Paradebeispiel für Synkretismus ist…
Die spannende Frage wird nun sein, ob und wie dieser Aufruf zum Kulturkampf in der evangelikalen Welt rezipiert wird. Ein paar progressive Stimmen haben schon Gegenerklärungen veröffentlicht. Das ist keine große Überraschung. Aber in Anbetracht dessen, wie fragwürdig hier aktiv Bekenntnisbildung betrieben wird, müsste der Widerspruch eigentlich noch viel breiter und energischer ausfallen, als es in den ersten Tagen nach dem Erscheinen der Artikel geschehen ist. Einfach nur schweigen ist eigentlich keine akzeptable Option.
Auf Empfehlung von Walter Faerber lese ich gerade „Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus“ von Ulrich Brand und Markus Wissen. Die beiden Autoren zeichnen ein detail- und kenntnisreiches Bild dessen, was sie Imperiale Lebensweise nennen. Sie beruht darauf, dass in den Zentren unserer kapitalistisch-neokolonialistischen Welt möglichst ungehindert konsumiert wird, während die Kosten (Umweltschäden, soziale Folgen) weitgehend ausgelagert und unsichtbar gemacht werden. Allein dazu gäbe es schon eine Menge zu sagen.
Die imperiale Lebensweise funktioniert als Hegemonie. Sie schreibt sich in alltägliche Prozesse und Gewohnheiten ein und lässt sie als „normal“ erscheinen: „Sie ist den einzelnen nicht länger äußerlich, sondern bedient sich ebenjener Mechanismen, mit denen sie auf sich selbst einwirken, entfaltet also ihre Wirkung gerade dadurch, dass sie nicht als Herrschaft empfunden wird.“ (S. 58).
Mit anderen Worten: Sie ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Buchstäblich.
Inzwischen ist ein Stadium erreicht, wo diese Lebensweise multiple Krisen erzeugt hat, die sich nicht isoliert voneinander lösen lassen. Das liegt daran, dass in einer globalisierten Welt das „Außen“, in das die Kosten verlagert werden können, immer schwerer zu finden ist.
Damit bringen die diese Politik exekutierenden Kräfte, die sich in der Regel als »bürgerliche Mitte« etikettieren, genau das hervor, was sie als ihren Widerpart begreifen: autoritäre, rassistische und nationalistische Bestrebungen. Dass diese derzeit überall erstarken, liebt auch daran, dass sie sich in der Krise als die eigentlichen, weil konsequenteren Garanten jener Exklusivität inszenieren können, die im Normalbetrieb der imperialen Lebensweise immer schon angelegt ist. (S. 15)
Hier liegt die Attraktivität der neuen Rechten von Trump über Farage bis Gaulandt. In dem Moment, wo die hässliche Seite der imperialen Lebensweise nicht mehr vertuscht und geschönt werden kann, werfen sie alle sprachlichen und moralischen Skrupel über Bord und erklären offen den Verteidigungsfall.
… im Unterschied zu ihren »bürgerlichen« Konkurrenten sind sie in der Lage, ihrer Wählerschaft ein Angebot zu machen, das diese auf eine subalterne Position festlegt, und sie gleichzeitig aus ihrer postdemokratischen Passivierung befreit. […] Den Akteuren wird es dabei ermöglicht, »sich als Handelnde in Verhältnissen zu konstituieren, denen sie ausgeliefert sind.«
Das erklärt, warum rechte „Kapitalismuskritik“ ausschließlich da einsetzt, wo unerwünschte Folgen der imperialen Lebensweise im Inneren anfallen und spürbar werden: Wenn der unrentable Kohlebergbau eingestellt wird, wenn der Staat Geld für Geflüchtete ausgibt, wenn das imperial normierte, androzentrische Verständnis der Geschlechterrollen in Frage gestellt wird.
Die Kritik an den Eliten ist lediglich die, dass sie die Interessen „des Volkes“ nicht rücksichtslos genug durchsetzen im globalen Wettlauf um Ressourcen und Wohlstand. Konsequent ausgeblendet wird dabei alles, was sich auf das „draußen“ bezieht: Klimawandel, Fragen der Gerechtigkeit, Krieg, Flucht und Vertreibung in anderen Teilen der Welt.
Die Rechten sind alles andere als eine Alternative. Sie sind die Hohenpriester der Alternativlosigkeit. Aber wer die imperiale Lebensweise (ob ausgesprochen oder nicht) für alternativlos hält, der macht die Rechten stark.
Seit unserem letzten Besuch ist die Zahl der Touristen in den Highlands drastisch angewachsen. Quälend langsam dahinzuckelnde Wohnmobile mit desorientierten Fahrer*innen verstopfen die Single Track Roads, und wie das mit den Ausweichbuchten funktioniert, das hat sich auch noch nicht jede(r) genau angeschaut.
Der Postbote von Duirinish hat es irgendwann satt. Hupend überholt er drei italienische Campervans, die mit müden 20 km/h über den Asphalt kriechen, dann bremst er, steigt aus und liest dem Lenker des ersten Fahrzeugs energisch die Leviten. Er steigt wieder in sein rotes Auto und zischt davon, die eingeschüchterten Camper lassen die lange Schlange, die sich hinter ihnen angestaut hat, endlich passieren. Hoffentlich hält die Zerknirschung noch eine Weile.
Und dann brettern da ja noch die vielen SUVs herum. Schwerer, breiter und vor allem lauter durstiger als die Kleinwagen, die sonst hier immer anzutreffen waren. Gut wegen der dicken Schlaglöcher vielleicht, aber man sieht es den winzigen Sträßchen deutlich an, dass sie für die Lieblingsspielzeuge der oberen Mittelschicht nicht gebaut wurden.
Was macht die Dinger so populär?
Ich glaube, es handelt sich hier um einen klassischen Fetisch: Ein Symbol für etwas, das verloren gegangen ist, und dessen Vorhandensein diesen Verlust zugleich anzeigt und verdeckt: Den Verlust unseres Verhältnisses zur Schöpfung. Wir isolieren uns gegen alle Umwelteinflüsse, wir halten uns die Möglichkeit offen, an jeden Punkt im Gelände ohne körperliche Anstrengung zu gelangen, ohne den unberechenbaren und womöglich widrigen Elementen ausgesetzt zu sein. Der wuchtige Panzer macht uns quasi unverwundbar im Straßenverkehr. So lange man hinter dem Steuer sitzt, kann man sich ein bisschen übermenschlich fühlen.
In Wirklichkeit sind wir ebenso verwundbar wie die Natur, über die die großen, breiten Räder hinwegrollen. Aber zu beidem haben wir ein gebrochenes Verhältnis: Zur eigenen Schwäche, weil sie uns Angst macht, und zur Natur, die wir zum Erlebnis- und Freizeitpark umfunktioniert haben – einer Kunstlandschaft, die unseren Bedürfnissen entspricht ohne je eigene Ansprüche anzumelden. Sie wird zur beliebig austauschbaren Selfie-Kulisse.
Genauso gilt freilich: Dass Sneakers, Sportklamotten und Jogginganzüge so populär sind, offenbart gerade den Bewegungsmangel, nicht etwa die Sportlichkeit unserer Gesellschaft.
Die Fremdheitsgefühle nicht nur des Dichters gegenüber einer aus den Fugen geratenen Welt thematisierte Rowan Williams vor 40 Jahren in seinem lesenswerten Aufsatz „Poetic and Religious Imagination“. Dabei kommt er auf das Buch Hiob zu sprechen, in dem diese Fremdheit dargestellt wird. Er beschreibt sehr treffend und schön, um was es dort geht:
… Hiob verlangt weiterhin eine Antwort, er verweigert die Resignation gegenüber dem Zustand der Welt ebenso wie die leichtfertige Rechtfertigung ihres Zustandes, weil er instinktiv und zutiefst überzeugt ist, dass „die Welt nicht genug“ ist. … Schlicht zu resignieren wäre Verrat; das Strukturieren und Erklären Blasphemie. Was bleibt noch, wenn man die Welt weder akzeptieren noch vernünftig erklären kann? Es bleibt Hiobs Protest. Hiob versteht seine Erfahrung als Frage, auf die man nur mit weiteren Fragen antworten kann. Seine Welt ist keine abgeschlossene Struktur, auf die sich nur passiv reagieren lässt, noch ist sie ein Problem, für das er, sein Bewusstsein, die Lösung wäre. Sie ist ein ungeordneter Fluss, in dem er seinen Ort finden muss. aber dieses Finden eines Ortes (eine mögliche Definition persönlicher Reife) heißt auch, in jeder Hinsicht Position zu beziehen: eine Wahl zu treffen hinsichtlich der Wirklichkeit, sich auf eine ‚Richtung‘ … der Welt und in der Welt festzulegen.
Dazu passt ganz gut, was ich diese Woche bei Bernhard Waldenfels in „Ortsverschiebungen – Zeitverschiebungen“ gelesen habe. Für Waldenfels ist die Erfahrung von Fremdheit konstitutiv für menschliche Selbst- und Welterfahrung: „Die Sachen selbst sind nie ganz sie selbst, so wie wir selbst nie ganz wir selbst sind“ (S. 30). Wir befinden uns zwar immer an einem Ort, und doch gilt zugleich: „Einzig der Mensch lässt sich charakterisieren als ein leibliches Wesen, das seinen Ort sucht“ (S. 39).
So kommt Waldenfels auf die zwei großen Ortsfragen der biblischen Urgeschichte zu sprechen. Er beginnt mit der Frage Gottes an den Menschen:
„Gott fragt Adam, der sich schuldbewusst vor seinem Antlitz versteckt: »Wo bist du?« Adam antwortet, indem er erklärt, warum er sich dem göttlichen Blick entzogen habe. Indem er dies tut, gibt er implizit zur Antwort: »Hier bin ich.« Er stellt sich der fremden Frage, indem er Stellung nimmt.“
Adam protestiert nicht wie Hiob gegen eine ungerechte Welt. Aber auch er sucht seinen Stand. Indem Gott ihn fragt, kann er nicht anders, als sich selbst zu fragen, was mit ihm los ist: „Ich werde mir selbst fraglich. Dadurch dringt eine Andersheit in mein Selbst ein, die es unmöglich macht, Selbstbefragung als reine Selbstbefragung zu verstehen.“ Diese zwiespältige Fraglichkeit des (mal mehr, mal weniger dislozierten) Menschen lässt ihm den eigenen Ort fremd erscheinen.
Zumal der eigene Ort nie ganz der eigene ist. Darauf verweist die zweite Frage, die Gott an Kain richtet: „Wo ist dein Bruder?“ Sie zeigt an, „dass ich nicht an meinem Ort bin ohne stellvertretend den Platz eines Anderen einzunehmen. […] eigener und fremder Ort überdecken sich; ich bin zugleich dort, wo der oder die andere ist.“ (S. 41)
Hiob sucht und findet seinen Ort in seinem Protest gegen das sinnlose Leid der Welt. Und er bringt Gott dazu, Position zu beziehen. Auch wenn das bedeutet, dass Gott Hiob in Frage stellt – „Wer bist du schon?“ –, nun stellt sich auch Gott. Als hätte er darauf gewartet, dass ihn jemand dazu auffordert, anstatt sich resigniert zurückzuziehen oder dem Sinnlosen irgendwie noch einen mühsam konstruierten Sinn zuzuschreiben, die den Schrecken mildert.
In dem, was Williams und Waldenfels schreiben, wird auch deutlich, dass in Hiobs Situation etwas Exemplarisches sichtbar wird. Nicht im extremen Ausmaß von Leid und Verlust, aber in der Tatsache, dass unser Ort in der Welt immer fraglich ist. Etwas zieht mir „den Boden unter den Füßen weg“. Waldenfels nennt das Atopie, und die Ursache für dieses Herausfallen aus der vertrauten, geordneten Welt liegt an den Rissen, Brüchen und Abgründen in dieser selbst – an dem „ungeordneten Fluss“, von dem Williams schreibt. Der Ort, an dem ich bin, wird (oder bleibt) mir fremd – äußerlich wie innerlich:
„Niemand, auch nicht der Feldvermesser, weiß völlig, wo er ist. Und auch die Moralvermesser wissen nicht völlig, wo sie sind. […]
Im »Un-bewussten« wiederholt sich die Zweideutigkeit der A-topie. Auch das Unbewusste ist kein bloßes Nichtwissen, kein Wissen, das anderswo abgelagert ist, sondern eine eigentümliche Form des Wissensentzugs inmitten unseres Wissens, wie es sich schon im wissenden Nichtwissen des Sokrates andeutet. Von daher bekommt all unser Reden und Tun etwas Doppelbödiges.“ (S. 125f.)
Das Doppelbödige ist immer da. So lange alles rund läuft, können wir es vielleicht ignorieren oder verdrängen. Wenn unsere Illusionen von Sicherheit und Sorglosigkeit platzen, unsere Karten der Welt nicht mehr stimmen, dann geht es uns wie Hiob. Deswegen ist seine Geschichte auch so bleibend aktuell.
Gott gibt keine Antwort, die es Hiob möglich macht, verstörende und widersprüchliche Erfahrungen sauber in ein moralisches oder theologisches Koordinatensystem einzuordnen. Aber er bestätigt ihn an dem Ort, an dem er protestierend steht, indem er mit ihm spricht – und sich zu ihm stellt.
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