Ostern – lässt sich Freude anknipsen?

Christliche Osterfreude kann und darf ausgelassen sein. Manchmal denken wir, sie sollte das unbedingt sein, und dann wird mit etwas Bombast nachgeholfen. Daraus kann dann eine Kluft zwischen der erwarteten und der echten Freude entstehen, die anstrengend bis frustrierend ausfällt. Es klappt nicht so recht, den Schalter auf Partystimmung umzulegen.

Einen anderen Weg zeigt das Osterevangelium aus Johannes 20. Dort ist Maria Magdalena die erste, die am Grab erscheint, und die letzte, die es verlässt. Die anderen Akteure – namentlich Petrus und der Lieblingsjünger – rennen hin, sehen sich kurz um und sind schon wieder weg: Vermutlich um über ihre Feststellungen zu informieren, diese zu interpretieren und etwas zu initiieren. Dabei haben sie, wie Vers 9 beiläufig verrät, noch gar nichts verstanden.

Noch nichts verstanden hat auch Maria. Aber sie bleibt am leeren Grab: Nicht nur ist ihr der Herr genommen worden, sondern nun auch noch auch der Ort, an dem sie um ihn trauern kann. Weinend wirft sie einen erneuten Blick hinein. Und nun liegen da nicht nur die Leinenbinden, sondern es sitzen zwei Engel da, die nach dem Grund ihrer Traurigkeit fragen.

Weiter geht das Gespräch nicht, weil eine weitere Person im Grab erscheint. Maria richtet die nun Frage nach dem Verbleib des Leichnams an ihn. Sie geht an ihm vorbei wieder nach draußen; offenbar erwartet sie keine erhellende Auskunft mehr. Doch dann hört sie ihren Namen. Und alles ist anders.

Vielleicht ist das die Antwort auf die Osterfreude. Sie kommt stellt sich nicht zu einem bestimmten Datum von selbst ein, idealerweise am Sonntagmorgen zum Sonnenaufgang. Sie kommt, wenn ich am Grab warte, bis ich meinen Namen höre. Vielleicht sind alle anderen da schon wieder gegangen, vielleicht sind noch andere da, die uns nach meiner Trauer fragen. Vielleicht gebe ich irgendwann sogar die Erwartung auf, dass es hier noch etwas zu entdecken gibt, was mir hilft.

Schon im Weggehen hört Maria plötzlich ihren Namen. Und alles löst sich, als sie sich noch einmal umdreht und antwortet: „Rabbuni“.

Manchmal muss man einfach dableiben und warten.

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(K)ein Stellenangebot

Ein paar haben es schon mitbekommen, dass meine Zeit bei ELIA im Sommer zu Ende geht. Die offizielle Stellenausschreibung ist mittlerweile hier zu finden, aber ich dachte, ich schreibe hier einmal eine ganz persönlich gefärbte, inoffizielle. Vielleicht bekommt ja jemand von Euch Lust, sich danach auch die offizielle anzusehen, oder jemand fällt jemand ein, der Lust darauf haben könnte.

Mar Newhall

Da ist zunächst einmal die Gemeinde: Ich glaube, sie hat das Charisma, Grenzen zu verwischen. Wo andernorts ein „oder“ zu erwarten wäre, steht hier oft ein „und“. Bei Frömmigkeitsstilen triffst du hier Softpop-Lobpreiser, Tagzeitenbeter oder Kontemplative an. Manchen liegt viel an familiärer Nestwärme, andere sind froh über die Möglichkeit, ihre Distanz wahren zu können. Manchmal musst du Konflikte moderieren, manchmal wirst du in welche verwickelt, und manchmal musst du auch den Anstoß dazu geben, latente Spannungen auszutragen. Du bekommst es mit Flüchtlingshelfern, Öko-Aktivisten und Weltmissions-Netzwerkern zu tun, mit Linken und Bürgerlichen, Liberalen und Biblizisten, Kinderlosen und Kinderreichen, Hellhörigen und Schwerhörigen – und dem kompletten Altersspektrum vom Säugling bis zum (nach eigener Einschätzung stets jungdynamischen) Senior.

Viele von diesen Menschen arbeiten schon jetzt ehrenamtlich mit oder sind darauf ansprechbar: In der Seelsorge, Kinder- und Jugendarbeit, rund um die technische und musikalische Gestaltung der Gottesdienste, in einem der vielen Projekte, die hier entstehen und irgendwann auch wieder beerdigt werden, und in der Leitung der Gemeinde. Sie mögen es selten, wenn man sie bevormundet, aber sie freuen sich meistens auf ein Gegenüber: Hochmotivierte Leute, die als Christen in ihrem Beruf ihre Frau/ihren Mann stehen, die oft gut ausgebildet und in Glaubensfragen sprachfähig sind: Katholiken, Freikirchler, und eine Mehrheit, die der Evangelisch-Lutherischen Kirche angehört.

Du würdest mit profilierten Kolleginnen zusammenarbeiten, die ihre Arbeitsbereiche souverän entwickeln und kirchlich wie kommunal gut vernetzt sind. Und mit einem Vorstand, der intensiv Anteil nimmt an allem, was in der Gemeinde geschieht. Im Vergleich zum klassischen Pfarrdienst ist noch interessant: Schulunterricht gehört nicht zu deinen Aufgaben, die üblichen  Kasualien sind vergleichsweise selten, vor allem aber kommen mehr Taufen  auf dich zu als Beerdigungen. Mit den Gremien und Vertreter*innen des evangelischen Dekanats hast du immer wieder zu tun, da ist momentan auch vieles in Bewegung.

Schließlich: Alles bei ELIA finanziert sich aus freiwilligen Spenden, das funktioniert seit 25 Jahren gut (wenn man kein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis hat…).

Was solltest du mitbringen? Ich denke, es hilft, wenn du…

  • theologisch versiert und vor allem mehrsprachig bist, also von einem Dialekt in den anderen übersetzen kannst,
  • eher in Kategorien von Beziehung als von Ordnung denkst,
  • Humor mitbringst und dich selbst nicht so schrecklich ernst nimmst,
  • Veränderungen nicht als Zumutung empfindest,
  • eigene Positionen einbringen und verständlich machen kannst,
  • keine Minderwertigkeitskomplexe oder Ressentiments gegenüber Akademikern hast (damit lebt es sich in dieser Stadt ganz schlecht!).

Wenn du diesen Text bis zu Ende gelesen hast, und falls er Herzklopfen verursacht hat, Sehnsucht oder Neugier, dann helfe ich gern weiter, oder du schreibst direkt an  elia-verein@elia-erlangen.de.

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Gott und die ganze Welt beherbergen

Der Prüfungsgottesdienst liegt hinter mir, das Prüfungsgespräch ebenfalls. Vielleicht hat sich die Kommission inzwischen auch schon auf eine Bewertung geeinigt, irgendwann erfahre ich das dann auch in den nächsten Wochen. Aber ganz unbelastet von allen Bewertungen hier der Wortlaut der Predigt zu Offenbarung 1,9-18 für alle, die einfach so Lust haben, ihn zu lesen und sich ihren eigenen Reim drauf zu machen:

Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen. Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune, die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea.

Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich Golderz, wie im Ofen durch Feuer gehärtet, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.

Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.

Es ist Sonntag in den Bergwerken von Patmos. Aber das kümmert dort niemand: Die Zwangsarbeit der Verbannten kennt keine Pause. Unter Tage verliert man ohnehin jedes Gefühl für Zeit. Drüben auf dem kleinasiatischen Festland feiern sie Gottesdienst – in Ephesus, Pergamon oder Smyrna. Hier sitzt der Seher Johannes einsam, im Staub, der unablässig aus den Eingeweiden des Berges rieselt. Es ist Sonntag, aber was macht das für einen Unterschied?

Dunkel geworden ist es auch über Juden und Christen im römischen Reich, seit Kaiser Domitian an die Macht gekommen ist. Immer wieder einmal wurden sie schikaniert oder diskriminiert, daran hatten sie sich gewöhnt. Nun aber werden einzelne von ihnen inhaftiert und deportiert – von der Justiz und den Sicherheitskräften, die immer gewalttätiger auftreten. Der Schatten der Angst legt sich über sie. Ist das der Anfang vom Ende für die Jesus-Bewegung?

Als der Herbst kalt und dunkel wurde, begann ich – wieder einmal – in Tolkiens „Herr der Ringe“ zu lesen. Im Unterschied zu früheren Jahren merkte ich, wie schon in den ersten Kapiteln bestimmte Sätze in mir ganz viel zum Klingen brachten:

  • „Gerüchte verbreiteten sich über merkwürdige Dinge, die draußen in der Welt geschahen.“
  • „Frodo traf jetzt oft fremde … aus fernen Ländern, die im Westen Zuflucht suchten. Sie waren besorgt und manche sprachen im Flüsterton von dem Feind und dem Lande Mordor.“
  • „Von dort breitete sich die Macht weiter aus und im fernen Osten und Süden wurden Kriege geführt, und die Furcht wuchs.“
  • „ … selbst die Taubsten und die hartnäckigsten Stubenhocker hörten sonderbare Erzählungen, und diejenigen, die an den Grenzen ihren Geschäften nachgingen, sahen merkwürdige Dinge.“

Die Welt verdüstert sich. Das Lebensgefühl trübt sich ein, selbst in der heilen Welt des abgelegenen Auenlandes. Fremde kommen ins Land auf der Flucht von Kriegen im Osten und Süden, und sie haben unheilvolle Nachrichten im Gepäck: Es braut sich etwas zusammen. Tolkien hat diese Sätze zwei Jahre vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geschrieben. Das ist keineswegs nur eine Phantasiegeschichte, es ist vielmehr ein Spiegel seiner Zeit.

Und – das eben war mein Gefühl beim Lesen – womöglich auch unserer Zeit: Rabbi Jonathan Sacks fragte kürzlich einen amerikanischen Freund, wie er die Wahl von Donald Trump erlebte. Der antwortete sarkastisch: Wie der Mann, der an Deck der Titanic in sein Whiskyglas starrt uns sagt: »Ich hatte zwar um Eis gebeten, aber das…«

Der Demokratieindex 2016 führt nur noch 19 von 167 Ländern weltweit als „vollständige Demokratien“, dort leben zusammengerechnet nicht einmal mehr 5% der Weltbevölkerung. 2014 waren es noch 24 Länder und fast dreimal so viele Menschen. In fast der Hälfte aller Länder hat sich die Lage innerhalb des letzten Jahres verschlechtert. Freilich, das Reich Gottes ist mehr als Demokratie. Aber Jesus schließt autoritäre Herrschaft von Menschen über Menschen kategorisch aus.

Unser „Auenland“ ist kleiner geworden. Wir ahnen, wie sich „Mitgenossen an der Bedrängnis“ fühlen.

* * *

Es ist hier, wie so oft, der Gefangene, der die tröstet, die noch in Freiheit sind. Johannes tut das freilich nicht aus eigener Kraft und Antrieb. Ihm ist etwas widerfahren: In der Dunkelheit von Patmos hat er eine Vision. Eine Gestalt in Weiß und Gold erscheint, das Gesicht leuchtet blendend hell wie die Sonne, sieben Leuchter um ihn herum, sieben Sterne in der rechten Hand, eine Stimme tosend wie ein Wasserfall. Und als er zu sprechen beginnt, wird klar, um wen es sich handelt: „Ich war tot, aber nun lebe ich ewig und habe die Schlüssel zu Tod und Unterwelt.“ Der Seher ist da schon überwältigt zu Boden gegangen.“Wie tot“ ist er, aber die Berührung des Auferstandenen erweckt ihn zu neuem Leben.

Es ist Sonntag auf Patmos und die Dunkelheit hat einen tiefen Riss bekommen. Licht fällt auf den Verbannten, auf seine verschwitzten und verdreckten Kleider, auf seine Zweifel und sein Ringen mit der Aussichtslosigkeit seiner Lage. Das riesige Imperium und sein reizbarer Herrscher verfährt mit seinen Feinden (oder denen, die es dafür hält) anscheinend, wie es ihm beliebt. Johannes weiß aber auch, dass der, der ihm hier erscheint, selbst verhaftet und in Ketten gelegt, gefoltert und getötet wurde. Nur ist das eben nicht das Letzte, was es über ihn zu sagen gibt.

* * *

Es ist Sonntag, und während andernorts von ihm geredet wird, spricht der lebendige Christus hier auf Patmos, bei den Verbannten und Verdammten für sich selbst. Und die Verzweiflung weicht vor seinen Worten ein Stück zurück. Menschen brauchen solche Lichtblicke, um nicht zu resignieren – um sich und die Welt nicht aufzugeben. Johannes bekommt einen geschenkt, und weil er ihn aufgeschrieben hat, wissen auch wir davon – davon, wie das Licht bis in die Abgründe dieser Welt hinein scheint.

Johannes braucht den Lichtblick auch, weil gleich danach eine ganze Serie weiterer Visionen folgt. Sie malen das Gericht Gottes über eine Welt, in der unschuldige, wehrlose Menschen Gewalt leiden und Weltreiche wie das römische sich wie wildgewordene Monster gebärden, grell und surreal aus. Der Lichtblick am Anfang lässt ahnen, wie die Geschichte ausgehen wird. Deshalb kann er hinsehen und alles beschreiben, ohne darüber die Hoffnung zu verlieren. Der Tod ist entmachtet, und darüber verlieren seine Handlanger und Vorboten ihren Schrecken: Krieg, Katastrophen, Größenwahn, der Zerfall von Menschen und Gesellschaften.

Wir haben diesen Lichtblick nur als Erzählung. Das ist auf den ersten Blick reichlich wenig. Dafür haben wir mehr als eine von diesen Erzählungen. Wir haben heute im Evangelium schon gehört, wie Petrus, Jakobus und Johannes Jesus auf dem Berg Tabor verherrlicht sehen, und wie sie dort nicht bleiben konnten. Wir kennen die Geschichte von Paulus, dem Jesus vor Damaskus erscheint, so dass er stürzt und einige Tage lang blind ist, wie jemand, der in die Sonne geschaut hat. Diese Geschichten sind unwiderruflich in der Welt. Wir können uns von ihnen immer wieder daran erinnern lassen, dass unsere Zukunft nicht ungewiss ist.

* * *

Es ist Sonntag in Nürnberg, der letzte nach Epiphanias. Die Zeit der Lichter geht zu Ende, das Kirchenjahr wird erst einmal düsterer und ernster weitergehen. Und die Welt vermutlich auch. Aber nun wissen wir ja – oder lernen es gerade: Wenn wir nach Hoffnung für uns und die Welt suchen, sollten wir das bei nicht bei den Mächtigen tun. Sondern bei denen, die niemand sehen soll und kaum jemand sehen will: Den politischen Gefangenen, den Misshandelten und Verleumdeten. Dort sind die prophetischen Stimmen am ehesten zu hören.

Einer, der erst weggesperrt und später ermordet wurde, war Dietrich Bonhoeffer. Pfingsten 1944, sieben Jahre nach Tolkiens düsterer Ahnung, schrieb er aus der Haft:

„Ich beobachte immer wieder, dass es so wenige Menschen gibt, die viele Dinge gleichzeitig in sich beherbergen können; wenn Flieger kommen, sind sie nur Angst; wenn es etwas Gutes zu essen gibt, sind sie nur Gier; wenn ihnen ein Wunsch fehlschlägt, sind sie nur verzweifelt; wenn etwas gelingt, sehen sie nichts anderes mehr. Sie gehen an der Fülle des Lebens und an der Ganzheit einer eigenen Existenz vorbei. […] Demgegenüber stellt uns das Christentum in viele verschiedene Dimensionen des Lebens zu gleicher Zeit; wir beherbergen gewissermaßen Gott und die ganze Welt in uns. Wir weinen mit den Weinenden und freuen uns zugleich mit den Fröhlichen; wir bangen … um unser Leben, aber wir müssen doch zugleich Gedanken denken, die uns viel wichtiger sind, als unser Leben.“

Gott und die ganze Welt in uns zu beherbergen – was für eine Aufgabe! In düsteren Zeiten brauchen wir allen Trost, den wir bekommen können. Den Trost des Sehers Johannes, den Trost von Dietrich Bonhoeffer, und den Trost, den wir uns gegenseitig spenden: Indem wir von unseren eigenen Lichtblicken erzählen und einander zuhören, indem wir lachen und weinen, klagen und danken, feiern und fasten – und uns an Jesus erinnern, der gekreuzigt und auferweckt wurde.

Denn die Fülle des Lebens auszukosten, das gelingt uns nicht ohne dabei auch die eine oder andere bittere und schmerzhafte Erfahrung zu machen. Wer sich immer nur auf der Sonnenseite aufhält, dem fehlt diese Tiefendimension. Dann wird selbst die Freude und der Genuss schal.

* * *

In einem der düstersten Momente der Geschichte vom Herrn der Ringe kommt der Hobbit Pippin mit dem Zauberer Gandalf in eine Stadt ohne Hoffnung. Aber Gandalf versteht es offenbar, „Gott und die ganze Welt“ in sich zu beherbergen, denn er lacht auf einmal:

„Pippin schaute erstaunt auf das Gesicht, das jetzt dicht neben seinem war, denn das Lachen hatte fröhlich und vergnügt geklungen. Dennoch sah er im Gesicht des Zauberers Kummer- und Sorgenfalten; doch als er genauer hinschaute, erkannte er, dass sich unter alledem eine große Freude verbarg; eine Quelle der Heiterkeit, die gereicht hätte, ein ganzes Königreich zum Lachen zu bringen, wenn sie zu sprudeln begann.“

Es ist Sonntag in Nürnberg. Und wir dürfen ein bisschen fröhlicher und ein ganzes Stück trotziger und barmherziger in die düstere Welt hinaus blicken.

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Gott – kein Er/Sie/Es

Personsein und Geschlechtlichkeit lässt sich für uns Menschen schwer trennen, das zeigt die Debatte um das „Dritte Geschlecht“. Wenn wir aber den Personbegriff auf Gott beziehen, dann verstellt uns die Kategorie „Geschlecht“ den Blick und erschwert es, zu sinnvollen Aussagen zu gelangen: 

Als Subjekt seiner Geschichte ist Gott aber, wie Karl Barth sagt, „Nicht ein Es…, aber auch nicht ein Er wie geschöpfliche Personen, sondern … immer ein Ich.“ Heute müssen wir hinzufügen, Gott ist auch nicht eine „Sie“. Aus seiner Geschichte erschließt sich vielmehr, dass der „Ich werde sein, der ich sein werde“ (Ex 3,14) nicht weniger denn als Person gedacht werden kann.

Gunda Schneider-Flume in ihrem sympathischen „Grundkurs Dogmatik“

Alex Iby

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Friede ohne Menschen

Wahrscheinlich könnte man eine komplette Analyse der Gegenwartskultur über die Schlagwörter in Bilderdatenbanken erstellen. Zum Beispiel zum Thema Frieden. Ich war auf der Suche nach einen passenden Foto und bekam fast ausschließlich Bilder angeboten, auf denen entweder niemand zu sehen war, oder eine einzelne Person.

Frieden ist demzufolge nur dann möglich, wenn keine anderen Menschen da sind. So bald sie ins Bild kommen, stören sie den Frieden. Frieden als positives Verhältnis zwischen Menschen, vielleicht sogar zwischen vielen Menschen, so etwas kommt gar nicht recht in den Blick. Also beschränken wir uns auf spiegelglatte Bergseen und andere romantische Motive. Diese abgelegenen Orte finden bestenfalls als Fototapete den Weg in unsere quirlige, unruhige Welt, als dekorativer Kontrast.

Zeit, neue Bilder zu schaffen und an anderen Kontrasten zu arbeiten. Sonst ist Friede irgendwann nicht mehr anders zu denken als in der Isolation.

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Weisheit der Woche: Besser nichts Neues?

Vielleicht weil es ihre Hauptaufgabe ist, eine zweitausend Jahre alte Tradition zu bewahren und weiterzugeben, scheint die Kirche mehr interessiert daran, die Wahrheit zu verteidigen, als sie zu entdecken. Neue Wissenschaft, neue Theologie, neue Liturgie und neue Bildsprache werden üblicherweise eher herablassend oder gar ausgesprochen feindselig zur Kenntnis genommen. So als hätte Gott mehr mit dem zu tun, was schon geschehen ist, und weniger mit dem, was als nächstes geschieht. Wenn Sie das nicht glauben, bezeichnen sie den Heiligen Geist doch im nächsten Gottesdienst einfach mal als „sie“, und warten Sie die Reaktion ab.

Barbara Brown Taylor, The Luminous Web, S. 84

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Was würde Jesus zu Bastian Schweinsteiger sagen?

Der Fußball verabschiedet sich allmählich in die Sommerpause. Ich denke über Ikonographie nach: Wie Fußball und Glaube manchmal ähnliche Bilder hervorbringen.

Vordergründig hätten der orientalische Jesus und der germanische Recke, als der Bastian Schweinsteiger oft abgebildet wurde, wenig gemein. Aber zu diesen Bildern haben sich andere gesellt.

Das erste ist das vom Schmerzensmann. Zwei Szenen sind mir noch besonders bewusst: Die eine kennt vermutlich jeder, der blutende Kapitän aus dem WM-Finale 2014, dem seine Gegner eine Wunde nach der anderen zufügten und der mit stoischer Ruhe alles wegsteckte und uns Verrecken nicht liegenbleiben wollte.

Die andere, etwas weniger bekannte, ist aus dem „Finale dahoam“ von 2012, als der FC Bayern das Finale der Champions League verlor und Schweinsteiger im Elfmeterschießen den Innenpfosten traf. Später erfuhren alle, die es dann noch interessierte, dass er nach einem Tritt gegen die Wade insgesamt 115 Minuten mit Schmerzen weitergespielt hatte.

Zweitens ist da Schweinsteiger, der Abgeschriebene. Der Titel „Fußballgott“ wird immer wieder mal vergeben. Fast immer sind quasi-messianische Erwartungen daran geknüpft. Wehe, wenn sie enttäuscht werden! Kaum ein anderer Spieler wurde so oft von den Medien demontiert und gedemütigt wie Schweinsteiger in seiner Münchener Zeit. Und als er dann nach Manchester ging, kam Trainer Jose Mourinho und setzte das Spiel fort. Schweinsteiger ertrug alles ruhig und ohne die Aggression zu erwidern. Es war diese Haltung, mit der er seine Kritiker ein ums andere Mal widerlegte: Irgendwie unerbitterlich.

Wenn Jesus Bastian Schweinsteiger träfe, dann säßen zwei Ikonen zusammen. Zwei Schmerzensmänner, zwei Abgeschriebene, die einander viel zu erzählen hätten. Der eine hat sich für sein Team und die Fans aufgerieben (und ja, bevor das jemand meint anmerken zu müssen, er wurde dafür auch wirklich gut bezahlt), der andere – unbezahlt – für seine Nachfolger, für sein Volk und letztlich für die Menschheit.

Nachdem diese Rolle aber kein zweites Mal vergeben wird, denke ich, Jesus würde seinem Mitspieler Bastian den Arm um die Schulter legen und ihn fragen, wofür er sein Talent, Schmerzen und Verachtung zu ertragen, ohne dabei Mut und Motivation zu verlieren, als nächstes einsetzen möchte, wenn es mit dem „beautiful game“ irgendwann mal vorbei ist. Vielleicht gibt’s dafür weniger Geld, aber das ist dann auch nicht mehr wichtig, vermute ich.

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Mieses Image

Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? Da Jesus aber bei sich selbst merkte, dass seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Nehmt ihr daran Anstoß?

Die Mächtigen dieser Welt achten sehr genau darauf, welche Bilder sie von sich veröffentlichen.

Da ist der Milliardär mit dem goldenen Haar,
in prunkvollen Gemächern mit goldenen Wasserhähnen,
umgeben von schönen Frauen, die natürlich alle
seinen umwerfenden Intellekt und Charakter bewundern,
die Ikone des Erfolgs.

Und da ist einer mit nacktem, muskulösem Oberkörper
hoch zu Ross oder lässig mit Jagdgewehr,
das Reiterstandbild des 21. Jahrhunderts,
die Ikone der Souveränität.

Und dann das:

Blutendes, rohes, wundes Fleisch
Ohnmächtig und nackt angenagelt
Verlierer, Opfer, Verschmähter, Gefolterter
schon das Hinsehen tut weh und ekelt an.
Die Ikone des Albtraums.

Was hast du dir dabei gedacht, Gott, als du dieses Bild von dir veröffentlicht hast? Damit ist kein Staat zu machen. Dafür bekommt man keine „Likes“. Kein Wunder, dass die Leute dir in Scharen davonlaufen.

Ich meine, fast 2000 Jahre bist du ohne Bild ausgekommen. Du hattest wirklich Zeit, dir zu überlegen, was du von dir veröffentlichst. Wie konnte das bloß passieren?

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Foto: unsplash.com

An wen hast du dabei gedacht? Die chronisch Kranken mit ihren offenen Beinen und künstlichem Ausgang? Die Geflüchteten mit ihren wunden Füßen und zerschlissenen Schuhen? Die Mundtoten und Weggesperrten, die keine unbequemen Wahrheiten mehr ausplaudern können? All diese Schattenmenschen – sind sie dir so viel wert?

Wenn so ein Bild einmal in der Welt ist, dann lässt sich das nicht mehr kontrollieren. Leute kopieren und teilen es, es wird verrissen und verglichen, verfärbt und verfremdet. Es gibt kein zurück mehr.

Aber dir scheint dieses ganze Schlamassel zu gefallen.

Oder?

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Verbote, Versuchungen und Versteckspiele

Hat die Schlange die Frau im Garten Eden belogen? Oder muss man, um Schaden zu verursachen und Menschen auf Abwege zu bringen, die Wahrheit vielleicht nur schlau und passend akzentuieren?

Und wie ist das mit dem Nacktsein und der Scham zu verstehen? Worüber gehen den Menschen die Augen auf, was macht das mit ihnen und wo berührt sich das mit unserem alltäglichen Bemühen, in einer Welt der Projektionen, Vorurteile und Unterstellungen die Deutungshoheit über uns selbst zu behalten?

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Bild: Unsplash.com

Morgen beginnt die Fastenzeit: Was kann christliche Spiritualität dazu beitragen, dass ich im Wirrwarr manipulativer Stimmen den Blick für die Wahrheit nicht verliere? Und wie lebe ich einigermaßen authentisch unter den Blicken und Erwartungen anderer?

Hier könnt Ihr hören, was mir dazu eingefallen ist.

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Die affige Mauer nach Mexiko

Mexikos Präsident hat das Treffen mit dem mächtigsten Mann der Welt abgesagt. Das ist keine Überraschung, wenn man betrachtet, wie zwischenmenschliche Kooperation funktioniert: Die meisten Menschen lehnen unfaire Angebote ab, selbst wenn sie dafür selbst Nachteile in Kauf nehmen müssen. Mexiko „mauert“ auf der Kommunikationsebene zurück: Eskalation statt Kooperation.

Der Anthropologe Mike Tomasello hat das intensiv erforscht: Wir Menschen zeichnen uns durch eine ausgeprägte Kooperationsfähigkeit aus. Wir sind dabei auch in der Lage, mit einer gewissen Selbstlosigkeit zu handeln, oder besser ausgedrückt, mit einem Blick auf das Gemeinwohl. Das unterscheidet uns von Primaten:

Affen sind rationale Maximierer und am Teilen so gut wie gar nicht interessiert. Im Gegensatz zu Menschen, die sich von früh an hüten, allzu unfaire Angebote zu machen, weil sie wissen, dass ihre Mitspieler genauso wie sie selbst solche durchaus zurückweisen, obwohl sie dann gar nichts bekommen.

„Teilen lernt nur, wer es schon kann“ steht über dem Bericht, den die FAZ damals zu Tomasellos Thesen geschrieben hat. Im Blick auf Donald Trump lässt diese Feststellung leider nur wenig Hoffnung aufkommen. Selbst Wahrheit und Fakten sind sein Exklusivbesitz.

Im Blick auf seine Wähler jedoch stellt sich die Frage nach der Fairness um so mehr: Wer sich als Verlierer fühlt, der sabotiert das Spiel eben auch dann, wenn er sich selbst dabei am meisten schadet. Genau davon profitieren die Rechten derzeit so massiv. Leider sind in diesem komplexen Spiel (anders als in bilateralen Szenarien wie zwischen zwei Regierungen) so viele verschiedene Akteure beteiligt, dass die Strafaktion oder der Protest sehr wahrscheinlich die falschen trifft – nämlich die, die auf allen Seiten der Mauer am Verwundbarsten sind.

Generell lautet der kategorische Imperativ in einer kosmopolitisierten Zeit „cooperate or die“, wie Ulrich Beck in Die Metamophose der Welt kurz und knackig formulierte. Mit Unabhängigkeitserklärungen hingegen lösen wir die unsere Probleme im 21. Jahrhundert nicht mehr. Wer, wie Tomasellos Primaten, vor allem auf einseitige Maximierung des Gewinns aus ist und jeden Deal als Nullsummenspiel betrachtet, der kann damit kurzfristig Erfolg haben.

Allerdings geht das dann zwangsläufig auf Kosten der Gemeinschaft, wie das Gefangenen-Dilemma zeigt. Wer also nicht vertrauen und teilen kann, der ist wirklich arm dran.

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Musik, Mannachips und ein Toast auf den Messias

Die Weihnachtsgeschichte lässt sich aus den unterschiedlichsten Perspektiven betrachten und erzählen. Die weihnachtliche Lesung aus dem 2. Samuel 7 bringt zum Beispiel König David ins Spiel. Ich fragte mich beim Lesen: Wie hätte David wohl die Geburt Jesu von Nazareth erlebt? Was wäre ihm dabei durch den Kopf gegangen, wenn er hätte zuschauen dürfen?

(Vielleicht hat er ja tatsächlich…?)

Ich stelle mir das ungefähr so vor: Irgendwo in den himmlischen Wohnungen geht ein Engel den Flur entlang, klopft an einer Tür, wartet eine Weile und öffnet sie dann vorsichtig. Aus dem Zimmer hören wir laute Musik – sie erinnert verdächtig an Leonhard Cohens berühmtes „Hallelujah“ –, die mitten im Lied abbricht. „Ja, bitte, was gibt’s?“ fragt eine Stimme.

„Ich sollte doch Bescheid sagen, David, wenn es so weit ist“, sagt der Engel. „Der Countdown läuft bereits, in ein paar Minuten geht es los. Die Live-Übertragung hat schon begonnen. Der Allmächtige hat Dir einen Platz in auf der Kommandobrücke freigehalten. Stell deine Harfe in die Ecke und komm mit.“

„Augenblick, Metatron“, sagt David, „ich muss nur schnell noch diesen magischen Akkord notieren, dann bin ich so weit.“ „Beeil dich“, sagt der Engel, „Was du gleich siehst, reicht garantiert für mindestens hundertfünfzig neue Psalmen!“ Und wenige Augenblicke später eilen der Engel und David den Flur entlang Richtung Kommandobrücke, die ein bisschen wie Raumschiff Enterprise aussieht. Dort angekommen, nehmen sie auf zwei Sesseln Platz, und Metatron sagt: „Bild auf Schirm eins, bitte!“

Ein großer Bildschirm leuchtet auf und von oben sieht man das Tote Meer, den See Genezareth, Jordantal, Hügelland und Sinai-Halbinsel. „Ihr habt die Sessel erneuert, seit ich das letzte Mal da war“, sagt David. „Ist ja auch schon eine Weile her“, antwortet Metatron. „Stimmt,“ sagt David, „ich konnte lange nicht mehr hinsehen. Es war einfach zu deprimierend. Mach mal das Bild größer, ich erkenne noch gar nichts.“

„Kommt schon“, sagt Metatron. „Jetzt kannst Du schon einzelne Hügel und Ortschaften erkennen. Das große oben am Bildrand ist Jerusalem.“ „Ach Jerusalem. Wenn ich gewusst hätte, wie schnell meine Nachfolger das herunterwirtschaften und wie die Babylonier schließlich alles platt machen, dann hätte ich mir nicht so viel Mühe gegeben mit dem Bauen.“

Metatron antwortet: „Inzwischen sieht es wieder recht imposant aus.“ „Ja“, sagt David, „aber das war doch alles dieser Gauner Herodes. Am kaiserlichen Hof in Rom gibt er das Schoßhündchen, das Augustus (der hält sich übrigens für einen Gott, wusstest du das?) aus der Hand frisst, und bei seinen eigenen Leuten ist er als übler Schlächter verschrien. Das einzige, was er wirklich kann, ist Geld für seine Protzbauten auf den Kopf zu hauen. Das mag ich mir nicht anschauen. Irgendwann baut er noch einen Turm, der an den Wolken kratzt und schreibt seinen Namen in goldenen Buchstaben drauf. Aber sag mal, was ist der andere Ort da unten, der jetzt näher kommt?“

„Das ist Bethlehem“, sagt Metatron. „Bethlehem!“ seufzt David. „Lange habe ich es nicht mehr gesehen. Groß ist es geworden! Und jetzt erkenne ich auch die Hügel wieder. Da, hinter diesem Olivenhain, habe ich immer unsere Schafe gehütet. Eine schöne Zeit war das! Das ganze Leben war noch so gemächlich. Abends hatte ich Zeit zum Harfe spielen, ich musste keine Lageberichte lesen, Steuerlisten erstellen, Ernennungsurkunden unterschreiben – dieser ganze Verwaltungskram kann einem das Königsein ja wirklich vermiesen. Und guck mal, da stehen ja immer noch Schafe. Ganz wie früher. Seh’ ich das richtig: Brennt da ein Feuer, und ein paar Hirten sitzen daneben?“

In diesem Moment geht die Türe auf. Mose und Elija kommen herein. Mose stellt eine Schale mit Manna-Chips auf den Tisch und Elija eine Flasche Wein vom Berg Karmel. „Oh, Hirten und Schafe!“ sagt Mose, als sein Blick auf den Bildschirm fällt. „Meine besten Erinnerungen. Nicht halb so anstrengend, wie später die Israeliten 40 Jahre durch die Wüste zu scheuchen. Aber wer sind die anderen Leute da im Bild?“

Metatron erklärt: „Er heißt Joseph, sie Maria. Sie suchen gerade noch ein Nachtlager. Es eilt ein bisschen, sie ist nämlich hochschwanger.“ Und David fügt stolz hinzu: „Wir sind übrigens verwandt! Joseph stammt aus meiner Familie, also ist auch das Kind, das bald zur Welt kommt, mein Nachkomme.“

„Na endlich, David“, sagt Elija. „Mit deinen Erben lief es ja nicht immer rund. Und was musste ich mich rumärgern mit Königen in Israel. Ein Friedefürst war gewiss nicht darunter. Dafür haufenweise Windbeutel: geldgierig, arrogant und nachtragend. Und das soll jetzt alles besser werden?“

„Allerdings,“ gibt David zurück, „das hat Nathan ja damals schon prophezeit: Einer kommt, der die Krone wirklich verdient hat. Und der behält sie dann auch.“

Elia schaut etwas verwundert: „Apropos Krone: sehr vornehm schauen die zwei ja nicht aus…“

Metatron hält dagegen: „Na gut, aber David war’s ja auch nicht, bis Samuel ihn fand.“ „Genau,“ sagt David, „und zwar bei den Schafen, da unten.

Mose runzelt die Stirn und zeigt auf das Bild: Jungs, wer sorgt denn nun für die Sicherheit da unten? Ich meine ja nur. Als Kind wäre ich fast umgebracht worden. So etwas vergisst man nicht!“

„Wissen wir doch, Mose. Aber die Kollegen vom SEK sind gleich vor Ort“, beruhigt ihn Metatron, und Elija fragt: „S-E-K? Wofür steht das bitteschön?“

„Singendes Engel-Kommando“, antwortet Metatron. David will wissen, ob die Engel eines von seinen Liedern singen, Der Herr ist mein Hirte würde doch gut passen. Aber Metatron meint, sie wurden gebeten, etwas Neues zu schreiben für diesen besonderen Anlass.

Elija stellt fest, dass das Bild nun schlechter ist, weil es allmählich Nacht wird in Bethlehem. Mose greift zu seinem Stab und teilt das Bild mit einer energischen Bewegung. In der linken Hälfte erscheinen Maria und Joseph jetzt groß und deutlich. Mose kommentiert: „Endlich haben sie einen geschützten Ort gefunden. Was ist das – eine Höhle? Oder eher ein Stall? Müssen sie sich verstecken? Vor den Ägyptern vielleicht?“

„Die Ägypter sind keine Gefahr mehr,“ meint Metatron, „aber Herodes hat überall seine Soldaten. Und der steckt mit den Römern unter einer Decke.“

David kratzt sich fragend am Kopf: „Wohnt denn Joseph nicht in Bethlehem?“ Und als er hört, eine Volkszählung des Kaisers habe die beiden hergebracht, wird er noch nachdenklicher. Er sagt: „In meinem ganzen Leben war Gott nie so zornig über mich wie damals, als ich eine Volkszählung ansetzte. Denn wer so etwas tut, braucht Geld oder Soldaten oder beides. Der Kaiser wird sich noch wünschen, er hätte das bleiben lassen.“

Während David noch in Gedanken versunken ist, ruft Mose plötzlich laut: „Hey, da drüben bei den Hirten blitzt und blinkt der Himmel!“ Ein Engel erklärt, das sei das SEK, angeführt von Metatrons Bruder. Der sei früher in der Abteilung für Polarlichter gewesen. Metatron seufzt: „Leider trägt er gern etwas dick auf. Seht, jetzt muss er den Hirten schon wieder sagen, dass sie sich nicht fürchten sollen.“

David spitzt die Ohren: „Wie schön sie singen! Klingt doch fast wie eines von meinen Liedern, oder? Diese himmlischen Stimmen sind umwerfend gut. Plötzlich zweifelt man nicht mehr, dass Frieden auf die Erde kommt, wenn man so einen Gesang hört.“

Mose unterbricht ihn: „Seid mal still. Ich höre da noch ein anderes Geräusch…“

Tatsächlich, irgendwo schreit ein Baby.

Elija sieht es als erster: „Maria – Sie hat das Baby gerade bekommen, schaut nur! Jetzt wickelt sie es in ein warmes Tuch und hält es fest im Arm. Klein schaut er aus, unser Befreier.“

Mose findet: „Naja, wer hätte das von mir gedacht, als mein Körbchen im Nil schwamm, dass ich dem Pharao die Stirn biete? Und hätte deine Mutter beim Windeln wechseln davon geträumt, dass du einmal König Ahab samt Anhang in Bedrängnis bringen würdest, Elija? Gott fängt doch immer klein an.“

David wischt sich eine Träne der Rührung aus dem Auge. „Jungs, jetzt bin ich doch ein bisschen stolz. Ein Spross aus meiner Familie, bei meinen Leuten in meiner Stadt.“ Und Metatron antwortet: „Da kannst du wirklich stolz sein. Wusstest Du eigentlich, dass Maria auch singt und Lieder schreibt? Neulich habe ich ein Protestlied von ihr gehört, in dem sie davon rappt, dass Gott die Welt auf den Kopf stellt – Reiche gehen pleite und Großmäulern verschlägt es die Sprache. Der Song hat es auf Anhieb in die himmlischen Top Twenty geschafft. Singen jetzt alle hier.“

„Sie wird mir immer sympathischer“, findet David. „Am Ende kommt ja doch noch etwas Gutes aus meiner abgedrehten Sippe.“

Ein Engel erklärt Metatron, die Hirten seien auf dem Weg zu dem Neugeborenen und das SEK wolle dort noch einmal auftreten. Man habe ja schließlich lange geprobt für heute. Lieber kein Spektakel. Aber Metatron findet, der Kleine und seine Eltern brauchen Ruhe. Die Hirten sollten auch deshalb allein gehen, um unnötiges Aufsehen zu vermeiden. Es könne sonst zu gefährlich für ihn und die Familie werden…

Elija nickt sagt mit ernster Miene: „Tja, so ein Friedefürst lebt gefährlich unter all den Kriegsherren da unten. Besser, wenn sie noch nicht ahnen, was da auf sie zukommt. Er sieht aber auch wirklich sehr friedlich aus. (Flüstert) Ich glaube, jetzt ist er eingeschlafen.“

Mose lächelt: „Wenn er größer ist, gehen wir ihn mal besuchen, Elija. Am besten treffen wir uns auf einem hohen Berg. Mit Bergen kennen wir beide uns ja aus. Wie wäre der Tabor, der liegt ganz nahe bei Nazareth?“

„Machen wir“, antwortet Elija. „Apropos Berg, lass uns anstoßen mit dem Wein vom Karmel.“ Alle Versammelten erheben ihre Gläser: „Auf den Befreier! Auf den Sohn Davids!“


* * *


Zurück zu uns. Weihnachten, das heißt:

Gott schlägt ein neues Kapitel auf in der Geschichte der Welt.

Wie immer beginnt er klein. Winzig klein.

Wie immer sucht er Menschen, die sich auf ihn einlassen: Maria und Joseph, ein paar Hirten, drei Fremde.

Aber mit dem ersten Fuß, der er auf diese Erde setzt, wird auch deutlich, was neu ist: Die Geburt des verletzlichen Messias markiert den Anfang vom Ende der Gewaltherrscher.

„Das Wort wurde Fleisch und zog in die Nachbarschaft“, weiß der Evangelist Johannes. Gott riskiert alles, daher wird er auch nicht locker lassen, bis er sich durchgesetzt hat. Jetzt gibt es für ihn kein Zurück mehr. Was an Weihnachten geschehen ist, lässt sich nicht mehr aus der Welt schaffen.

Christus, so schreibt es Paulus später, ist das „Ja“ auf alle Verheißungen Gottes. Und ganz oben auf dieser langen Liste von Gottes Zusagen stehen, so singen es die Engel den Hirten auf dem Feld zu, Frieden und Gerechtigkeit für die Menschen seines Wohlgefallens, „große Freude“ für „alles Volk“. Zugleich ist er Gottes „Nein“ zu Hass, Verrat, Verleumdung, Misstrauen, Gewalt und Gleichgültigkeit unter Menschen.

Ganz egal, wie sehr sich der Welthorizont 2016 verdunkelt hat – wir feiern heute die Ankunft des Lichtes und erinnern uns daran: Das große „Ja“ ist gesprochen. Es gilt – immer noch, immer wieder, und ganz besonders allen, die sich in diesen Tagen klein und verletzlich fühlen.

Fröhliche Weihnachten!

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Deutsch zum Abgewöhnen: „Zeitnah“

Wie konnten wir uns eigentlich alle verständlich machen, als es das Kompositum „zeitnah“ noch nicht gab? Wie kamen wir nur klar mit solch kurzen, schlichten und eleganten Wörter wie „bald“, „schnell“, „eilig“ (oder sogar „unverzüglich“, „sofort“), die der Zeit ihr eigenes Reich lassen?

Die Zeit ist ja das gerade nicht, was „nah“ gewöhnlich ausdrückt, nämlich eine weitere Funktion des Raumes, ein Abschnitt auf einem Maßband, einem Lineal, einer Landkarte; lieber Immanuel Kant, wir brauchen nur heute noch eine transzendentale Kategorie.

„Zeitnah“ ist die Sprache der Projektplaner und Businessgrafiker, die ihre Wirklichkeit in Charts einsperren und mit ominösen Deadlines drohen. Es ist die Sprache der an Zeit chronisch Armen, der Ungeduldigen, der Beschleuniger, der Hektiker.

Wenn wir also das nächste Mal „Seht die gute Zeit ist nah“ singen, freue ich mich darüber, dass es noch nicht heißt, „das Gute kommt zeitnah“. Denn da geht es nicht um Termindruck, sondern um Verheißung und Erwartung. Keine Deadline, kein terminus, sondern ein neuer Anfang.

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München

Das Blut ist noch nicht getrocknet,
die Toten sind noch nicht geborgen,
Blaulicht noch auf den Straßen,
Hubschrauber noch in der Luft.

Menschen gehen in Deckung
sorgen sich um ihre Lieben.
Bittere Nachrichtenfetzen
jagen durch Netz und Äther.

Prompt rollt die zweite Welle:
Hass, der nicht wartet,
Anschlag der giftigen Worte
auf Gutmerkellinkshelferverbrecher.

Salven aus bösen Tiraden
aus Tastaturen gefeuert,
ohne Respekt für die Opfer
– ohne Interesse am Frieden.

 Wäre da nur eure Angst,
darüber ließe sich reden.
Doch diese blinde Rachsucht
birgt nur denselben Blutdurst.

DAS
macht mir
die größten
Sorgen.

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Nachfolge in Zeiten von Wut und Empörung

[Predigt in St. Leonhard-Schweinau am 19. Juni 2016]

Die mit Abstand bekannteste Stiftung in Deutschland ist die Stiftung Warentest. Ihre Fachleute haben seit 1964 Kunden und Verbrauchern viele nützliche Hinweise geliefert, indem sie Händlern und Herstellern kritisch auf die Finger schauten und die Ergebnisse ihrer Tests öffentlich machten. Die Testberichte wurden zu einem neuen literarischen Genre. Andere Zeitschriften nahmen sie zum Vorbild und veröffentlichten ihrerseits Tests: Autos, Fernsehgeräte, Stromanbieter, Versicherungen und vieles mehr.

Seit einigen Jahren können nun Kunden im Internet Produkte bewerten. Viele schreiben im selben Jargon wie die professionellen und unabhängigen Warentester. Das klingt erst einmal seriös, ist aber noch lange keine Garantie dafür, dass man sich auf die Meinungen verlassen kann. Immer wieder stellte sich heraus, dass Angestellte einer Firma auf Anordnung von Oben die eigenen Produkte gut und die der Konkurrenz schlecht schreiben wollten. Andere Kundenbewertungen strotzen vor Rechtschreibfehlern. In den besseren Fällen wird nur „Rezension“ [Bewertung] mit „Rezession“ [Schrumpfen der Wirtschaftsleistung] verwechselt. Oft kann man schon beim ersten Lesen erkennen, dass hier Dilettanten am Werk sind. Und dann gibt es noch jene „Tester“, die ihrem allgemeinen Frust und Zorn bei solchen Gelegenheiten Luft machen, meist versteckt hinter einem Decknamen. Am Ende beschimpfen sich schlecht gelaunte Zeitgenossen gegenseitig und das bewertete Produkt gerät zur Nebensache. Dass man inzwischen die Bewertungen anderer auch bewerten kann, macht die Verwirrung komplett. Egal, was ich gerade kaufen möchte, irgendwer wird mich in den schrillsten Tönen davor warnen. Man muss schon Kommentarexperte sein, um aus dem Wirrwarr von Bewertungen noch irgendwie schlau zu werden. Um es mit den Worten des heutigen Evangeliums zu sagen: Blinde weisen Blinden den Weg. Die wenigsten sind qualifiziert, ein Urteil abzugeben. Aber die entsprechende Selbsterkenntnis fehlt vielfach.

Ein Glück, dass es in diesem Wahnsinn auch noch Spaßvögel gibt. Einer schrieb unter ein 85-Zoll-Fernsehgerät: „Twilight damit angeschaut. Immer noch grässlich.“

Längst sind wir zu einem Volk von Richtern und Bewertern geworden. Nicht nur bei der Fußball-EM, während der (tendenziell die männliche) Hälfte der Bevölkerung schlagartig zu Bundestrainern mutiert, die besser Bescheid wissen als Joachim Löw – freilich mit dem Unterschied, dass die Besserwisser in der Regel nach dem Spielende urteilen, während der Bundestrainer vor dem Spiel entscheidet. Überall werden Ranglisten (auf Neudeutsch: „Rankings“) aufgemacht, Auf- und Absteiger gefeiert oder gedemütigt, Menschen in die Kategorien „In“ und „Out“ eingeteilt – angesagt oder abgeschrieben, wertvoll oder unnütz. Inzwischen prägt das auch unseren Politikstil – das demokratische „Wir“ wird von widerstreitenden Gruppenegoismen aufgefressen. Der Berliner Philosoph Byung Chul Han zieht die ernüchternde Bilanz:

„Der Wähler als Konsument hat heute kein wirkliches Interesse an der Politik, an der aktiven Gestaltung der Gemeinschaft. Er […] reagiert nur passiv auf die Politik, indem er nörgelt, sich beschwert, genauso wie der Konsument gegenüber den Waren oder Dienstleistungen, die ihm nicht gefallen.“

Nörgeln und Sich-Beschweren, Kommunikation im Modus des Vorwurfs, das kann sich auch unter Christen in einer Gemeinde oder Kirche breit machen. Der Anlass, auf dem Paulus in Römer 14 antwortet, ist uns heute eher fremd: Es ging um den Verzehr von Fleisch, das bei der Schlachtung von Opfertieren für die heidnischen Götter übrig blieb. Für alle, die nicht zur wohlhabenden Oberschicht gehörten, waren die Feste der Staatsreligion eine seltene Gelegenheit, überhaupt einmal Fleisch zu essen, weil der Kaiser und die reichen Patrizierfamilien dafür aufkamen. Ein Teil der Christen tat das ohne schlechtes Gewissen. Für sie waren die Götter Roms substanzlose Fabelwesen, die dem Gott Jesu Christi nicht das Wasser reichen konnten. Die anderen hatten Skrupel: Sollte man nicht jede noch so weitläufige Verbindung zu falschen Göttern und deren abscheulicher Verehrung unbedingt meiden? Irgendetwas könnte vielleicht ja doch abfärben, hängen blieben, die Seele beschmutzen und die Gemeinde verderben? Vielleicht haben eher die Judenchristen so empfunden, vielleicht waren es aber auch Heidenchristen, denen die Erinnerung an früher unangenehm war oder die sich gar vor einem „Rückfall“ fürchteten.

Paulus teilt diese Sorgen nicht, aber er macht deutlich, dass nicht die unterschiedlichen Ansichten das Problem sind, sondern die Art und Weise, wie der Konflikt in der Gemeinde ausgetragen wird:

Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23): »So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.« So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite. Römer 14,10-13)

Aus einer Sachfrage mit begrenzter Bedeutung wurde etwas Persönliches mit unbegrenzter Tragweite. Es ging nicht mehr um angemessenes oder unangemessenes Verhalten in einer bestimmten Situation, sondern um „richtige“ und „falsche“ Christen. Keine Debatte, in der man versucht, einander zu verstehen und die besten Argumente zu finden, sondern ein Tribunal, in dem sich einer über den anderen erhebt und zum Richter aufschwingt.

Mother Teresa If you judge people, you h by symphony of love, on Flickr
Mother Teresa If you judge people, you h“ (CC BY-SA 2.0) by  symphony of love 

Aber Paulus spricht den Römern die Qualifikation und das Recht ab, Urteile über einander zu fällen. Wer das versucht, mischt sich in Gottes Angelegenheiten ein. Er läuft Gefahr, selbstgerecht auf den vermeintlichen Fehlern der anderen herumzureiten. Und mit verächtlichen und polarisierenden Worten wird das Klima vergiftet. Welche Folgen so etwas haben kann, hat diese Woche der Mord an der britischen Abgeordneten Jo Cox gezeigt: Ohne die gehässige Begleitmusik der Brexit-Debatte wäre so eine Gewalttat kaum vorstellbar gewesen. Viel wichtiger ist es also, zu überlegen, wie Verständnis und Vertrauen gestärkt werden können. Dabei geht es manchmal um so schlichte Dinge wie Rücksicht und Taktgefühl. Das könnte zum Beispiel so aussehen:

(1) Eine Lehrerin macht mit ihrer Schulklasse eine Fahrt nach Rom. Es ist Sommer, die Sonne brennt vom Himmel. Vor der Abfahrt weist sie die Schüler darauf hin, dass kurze Hosen, nackte Beine und Schultern in den Kirchen dort anstößig wirken. Hat Gott etwas gegen Mädchen in Shorts und Spaghetti-Tops? Muss man sich zum Beten umziehen, ja sogar „verkleiden“? Bestimmt nicht, aber konservative Katholiken sind diesen Stil nicht gewohnt. Höfliche Gäste nehmen darauf Rücksicht. Nicht aus Zwang, sondern aus Achtung vor dem Anderen. Ein paar Schüler stöhnen: Muss das sein? Ja, es muss sein; und es tut gut, das zu lernen.

(2) Immer mehr Menschen ernähren sich heute vegetarisch oder vegan. Sie verzichten auf Fleisch oder sogar alle tierischen Produkte wie Milch und Eier. Es wird immer komplizierter, Essen für mehrere Leute zu kochen. Das fängt in der Familie an und setzt sich in der Gastronomie fort. Also wird heftig diskutiert: Was ist gesünder? Was ist gerechter und verantwortungsbewusster? Und wie geht die Fleischindustrie mit Tieren um, die doch auch Geschöpfe Gottes sind? Solche Fragen zu stellen, kann unbequem sein. Eigene Vorlieben und Vorurteile überdenken zu müssen, ist lästig. Vielleicht kippt ja deshalb der Streit hin und wieder ins Grundsätzliche. Dann sind plötzlich die einen bessere Menschen und die anderen schlechtere. Oder ich unterstelle den anderen, sie halten sich für besser, und erkläre sie im Gegenzug für arrogant und fanatisch. So oder so bricht das Gespräch ab – und die Gemeinschaft auseinander.

Wie wollen wir als Christen leben in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen empören und beschweren wie nörgelnde Konsumenten? In der es oft nicht mehr darum geht, die eigene Position gut zu begründen, sondern den anderen möglichst schlecht zu machen und seinem Zorn freien Lauf zu lassen?

Immerhin sind wir ja allesamt Anhänger eines zu Unrecht Verurteilten. Das allein sollte uns schon vorsichtig werden lassen. Und dann könnten wir noch beherzigen, was der französische Philosoph Giles Deleuze erkannte:

„Die Schwierigkeit ist heute nicht mehr, dass wir unsere Meinung nicht frei äußern können, sondern Freiräume der Einsamkeit und des Schweigens zu schaffen, in denen wir etwas zu sagen finden. […] Welche Befreiung ist es, einmal nichts sagen zu müssen und schweigen zu können, denn nur dann haben wir die Möglichkeit, etwas zunehmend Seltenes zu schaffen: Etwas, das es tatsächlich wert ist, gesagt zu werden.“

Das also ist die Freiheit, die uns Paulus in der Nachfolge Jesu anbietet:

  • Nicht sofort und zu allem etwas sagen zu müssen,
  • kein Urteil zu fällen und uns auch nicht zu verteidigen.
  • Spannungen und Ambivalenzen auszuhalten,
  • Andere zu würdigen und ihre Meinung stehen zu lassen
  • Gott nicht ins Handwerk zu pfuschen
  • mit seiner Hilfe das Verbindende zu erkennen und zu pflegen

Fröhlich und versöhnlich mit einander umgehen im Zeitalter der Nörgler – einen Versuch wäre das allemal wert.

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Schotty und das leere Grab

Der größte Spaß an Ostern ist für viele Kinder das Eiersuchen. Jemand hat sie versteckt und man muss genau hinsehen, um sie zu finden. Ostern ist das Fest für Entdecker. Etwas ist der oberflächlichen Betrachtung verborgen, und wer es findet (egal, ob er danach gesucht hat oder zufällig darüber stolpert), der freut sich darüber. An Ostern geht es um eine große Überraschung. Aber wie kann man von etwas freudig überrascht werden, das sich jedes Jahr wiederholt? Wann wird aus Begeisterung Routine?

Heiko Schotte alias „Schotty“, der Tatortreiniger, ist längst eine Kultfigur im deutschen Fernsehen. Für die Firma Lausen Gebäudereinigung entfernt er die Spuren von Verbrechen, nachdem die Polizei ihre Arbeit getan hat. Wenn er den letzten Dreck wegmacht, begegnen ihm die merkwürdigsten Menschen und Situationen. Wie sähe die Szenerie, die das Osterevangelium (Matthäus 28,1-8) beschreibt, wohl durch seine Augen betrachtet aus? Es könnte sich ungefähr so abspielen:

Schotty kommt mit seinen Kisten und Utensilien bepackt am Grab an. Dort steht ein Wachmann von Zion Security. Schotty stellt sich vor und fragt, wo er saubermachen soll. Der Wachmann deutet auf den Eingang zu einem Felsengrab. Eine Leiche sei verschwunden. Vermutlich geklaut. Der Wachmann sagt, er würde dann gehen, er stehe jetzt schon ein paar Tage hier rum und müsse endlich mal seine Überstunden abfeiern.

Schotty wundert sich, warum dieses Grab bewacht wurde. Normal klauen Grabräuber die Beigaben und lassen die Leiche liegen. Haben die Behörden jetzt etwa schon Angst vor den Toten? Oder waren sie nicht sicher, ob der Tote wirklich tot war? Doch, schon, sagt der Wachmann. Die Hinrichtung haben römische Profis gemacht, sowas hat bisher noch niemand überlebt. Die stellen sicher, dass solche Troublemaker keine Chance haben, nochmal zurückzuschlagen.

Hinrichtung –, fragt Schotty, gehe es um einen Verbrecher? Ja, sowas in der Art, sagt der Wachmann. Ein selbsternannter Prophet aus Galiläa, der auf der Straße und im Tempel die Behörden provoziert hatte. Früher oder später arte sowas immer in Gewalt aus, da habe man eben mal präventiv durchgegriffen, weil auch noch so viele Festbesucher in der Stadt seien, da kippt die Stimmung schnell. Man wollte keine Versammlungen am Grab, daher sei das Grundstück abgeriegelt worden.

Am Eingang zum Grab entdeckt Schotty einen kleinen Blutfleck. Der Wachmann sagt, das sei Blut von einem Kollegen, der gestürzt sei, weil ihn ein Licht blendete. Nur eine Platzwunde. Schotty fragt, ob es denn keinen Kampf gegeben habe, wenn das ein Überfall war. Der Wachmann meint, nun sichtbar verlegen, dass außer dem einem grellen Blitz und einem heftigen Donnergrollen nichts zu sehen war. Niemand ging zum Grab hinein, Rauskommen sei ohnehin nicht möglich. Schotty könne das gern mal probieren – er solle einfach mal reingehen und der Wachmann würde dann das Grab schließen…?

Schotty lehnt dankend ab. Er überlegt kurz, dann zwinkert er dem Wachmann zu: Mir kannst du es ja ruhig sagen. Ihr habt zu tief ins Glas geschaut und der Kollege hat sich im Suff verletzt, oder? Der Wachmann zuckt resigniert mit den Schultern. Er fürchte, auch seine Vorgesetzten könnten glauben, das sei alles eine Ausrede und die Wachmannschaft sei breit gewesen oder im Tiefschlaf versunken. Dabei schreckt bei einem solchen Gewitter auch der schlimmste Säufer auf. Womöglich gebe es jetzt eine Gehaltskürzung, dabei habe keiner der Kollegen sich etwas zu schulden kommen lassen. Und der Sold sei eh schon so bescheiden, dass man im teuren Jerusalem damit kaum überleben könne.

Schotty kratzt sich nachdenklich am Kopf: Es sei ja schon vorgekommen, dass sich Feinde eines Toten bemächtigen, um die Leiche schänden und die Gegner zu schockieren. Aber die Anhänger von irgendwelchen Führern seien doch eher froh, wenn sie ein Grab haben, zu dem sie hinpilgern können, um zu trauern und sich zu erinnern. So wie das Grab des Königs David auf dem Zion oder das von Abraham und Isaak in Hebron vielleicht.

Ja, sagt der Wachmann, sowas hätten die dunkel gekleideten Frauen auch im Sinn gehabt, die gleich nach Blitz und Donner kamen und ins Grab wollten. Die jedenfalls wollten den Toten einbalsamieren, nicht mitnehmen. Eine habe vor Schreck über das Verschwinden des Toten ihr Salbengefäß fallen lassen, so perplex sei sie gewesen, als sie das Grab leer fand. Er zeigt auf einen Ölfleck auf dem Boden im Grab. Die drei Ladies seien ganz verstört gewesen, und nach einer Weile des kopflosen Herumlaufens, lauten Diskutierens und erschöpften Schweigens hätten sie den Garten eilig verlassen. Anscheinend wollten sie plötzlich zurück nach Galiläa, da kamen sie dem Dialekt nach auch her. Sie wirkten merkwürdig aufgeregt, nicht mehr so deprimiert wie am Anfang.

Schotty überlegt, wie er das Öl am besten wegbekommt. Wenigstens riecht es gut. Aber man sieht im Halbdunkel nicht genau, ob man auch alle Spritzer erwischt hat. Nicht, dass es hinterher Reklamationen gibt, wenn eh schon politische Verwicklungen drohen.

Immerhin habe sich die Sache in der Stadt noch nicht herumgesprochen, tröstet sich der Wachmann, und die drei Frauen hätten die Wachleute bisher nicht angeschwärzt. Glück für ihn, dass keine Männer dabei waren, den Frauen glaubt sowieso niemand bei Gericht. Weiß ja jeder, was die so alles reden, wenn der Tag lang ist…

Sagt’s und packt seine Sachen.

Schotty ist allein im Grab. Er kehrt den Staub vom Fußboden zusammen und als sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt haben, sucht er wieder nach dem Fleck. Dabei fallen ihm ein paar Tücher auf, die in einer Nische liegen. Trockene Blutreste kleben daran, man kann die Wundränder noch ahnen, die sich bedeckt haben müssen.

Die Sonne scheint zum Eingang herein, es wird allmählich wärmer, und von draußen hört man Vogelgezwitscher. Ein warmer Windhauch streift sein Gesicht. Er bringt den Duft von frischem Gras mit. Als Schotty sich bückt, sieht er, wie sich ein Schatten rasch durch den Lichtfleck am Eingang bewegt. Nicht, dass mich hier jetzt irgendein Witzbold einsperrt, denkt er sich. Oder jemand, der wieder eine Leiche im Grab haben möchte, um seinen Allerwertesten zu retten? Er geht hinaus, aber da ist niemand zu sehen.

Erst mal Frühstückspause machen. Vielleicht sind draußen an den Bäumen schon ein paar Feigen reif? Er hat Pech, sie sind noch grün, aber ein Schmetterling sitzt auf einem Zweig. Offenbar ist er gerade aus seinem Kokon geschlüpft, und jetzt faltet er seine Flügel auf. Schotty beschließt, da zu bleiben, bis er fliegen kann, damit ihn kein Vogel entdeckt und frisst.

Und weil sich das ein bisschen hinzieht, kommt Schotty nicht schell genug auf die Beine, als eine Frau und zwei Männer tuschelnd näher kommen und im Grab verschwinden. Doch dann schwingt sich der Falter noch etwas taumelnd die die Luft und verschwindet hinter den Sträuchern und Schotty geht zum Grab, um sicherzustellen, dass nicht neue Unordnung angerichtet wird.

Beim Hereinkommen hört er eine Frauenstimme sagen: Doch, genau hier hatten sie in hingelegt. Und als gestern die Marias kamen, war er weg und der Eingang war offen. Die Securityleute wussten anscheinend von nichts über den Verbleib des Leichnams.

Bestimmt haben sie das bloß behauptet, unterbricht sie ein Mann, die wollten euch doch nur reinlegen, und weder Pilatus noch die Hohenpriester wollen ein Jesusgrab in der Stadt. Propheten und Messiasse aus dem Volk seien bei der Oberschicht unerwünscht.

Aha, denkt Schotty, jetzt läuft die Verschwörungsdiskussion also genau umgekehrt. Er räuspert sich und das Gespräch verstummt schlagartig. Die drei packen die Tücher zusammen und wollen das Grab verlassen.

Ihr könnt die Sachen da lassen, sagt Schotty , – ich bring sie weg. Die Männer machen eine ablehnende Handbewegung; die Frau fragt: Hast du ihn auch gekannt? Schotty erklärt, er sei eigentlich nicht von hier und verstehe gar nicht, warum alle einen Toten suchen und was die ganze Aufregung um das leere Grab soll. Im Übrigen müsse er hier saubermachen und da könne er es nicht brauchen, dass Leute an ihren Schuhen Dreck herein tragen. Dann sieht er, dass sie die Schuhe alle ausgezogen haben. Er fragt, ob das so eine religiöse Sache sei bei den Juden?

Aber da saß noch dieser Typ auf dem Stein, sagt die Frau, die so in Gedanken war, dass sie seine Frage überhört hat. Sie hält immer noch die blutigen Tücher fest an sich gedrückt. Der habe den Marias gesagt, dass Jesus auferstanden…

Das glaubt dir doch sowieso niemand, sagt der andere Mann. Komm, wir gehen.

Schotty dreht sich um und sieht ihnen nach. Er hört, wie die Frau im Weggehen zu ihren Begleitern sagt: Wir hätten doch mitgehen sollen nach Galiläa. Wenn die anderen nun Jesus dort sehen und wir nicht? Wollt Ihr das wirklich verpassen? Wir könnten sie vielleicht noch einholen. Was gibt es hier für uns denn noch zu tun?

Dann ist es wieder ruhig im Grab. Während der wenigen Minuten, die er noch braucht, kommt es Schotty so vor, als zwitscherten die Vögel draußen noch ausgelassener. Der Duft, der aus dem Garten in die kühle Kellerluft hereinzieht wirkt auch intensiver. Auferstanden, hatte sie gesagt. Wie soll man sich das vorstellen? Man wünscht sich ja wirklich nicht jeden zurück. Aber auf Jesus wäre er jetzt echt mal neugierig.

Schotty betrachtet das geputzte Grab. War da eben wirklich kein Schatten am Eingang vorbeigezogen? Das Grab drückt aus: Wir begraben die Toten, und mit ihnen die gemeinsame Geschichte, die gemeinsamen Träume und Hoffnungen, die der Tod gekappt hat und die wie totes Holz vertrocknen und vermodern. Es bliebt nur die Erinnerung, und selbst die lässt sich nicht festhalten. Der Tod besiegt das Leben. Die Bausteine der Materie werden recycelt, aber die unteilbare Person löst sich auf.

Als jemand, der an Tatorten herumkommt, weiß Schotty aber auch: Manchmal sterben Hoffnungen und Beziehungen schon zu Lebzeiten aller Beteiligten. Beziehungen zwischen Menschen, die einander nur als Feinde erkennen können oder wollen. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit oder Versöhnung. Träume von einem glücklichen und friedlichen Zusammenleben. Der Tod – ob natürlich oder gewaltsam – schreibt diesen Verlust nur noch endgültig fest.

Auferstehung… und wenn tatsächlich Gott dahinter stecken sollte…

… wenn Jesus auferstanden wäre, dann hieße das, die Mächtigen können sich nicht alles herausnehmen, jede Kritik unterdrücken und kommen damit durch. Weder die Angst noch der Tod bringen die Erinnerung an die vielen Menschen zum Verstummen, die wie der letzte Dreck behandelt wurden.

… das würde auch heißen, dass kaputte Beziehungen wiederhergestellt werden können, verletzte Menschenwürde geheilt, dass Hoffnung wieder lebendig wird und man sich waghalsige Träume wieder leisten kann, dass Freude über das Gute und Schöne die tiefere Wahrheit ist gegenüber der Trauer und der Abscheu gegenüber dem Bösen, Brutalen und Hässlichen. Diktatoren und Terroristen sind am Ende nur eine Fußnote der Geschichte, ihre Helden hingegen sind all jene, die es in ihrer verletzlichen Schönheit dem Schmetterling gleichtun.

Schotty packt seine Sachen in die Box und trägt sie zurück durch den Garten. Anfangs fällt ihm gar nicht auf, dass er eine fröhliche Melodie vor sich hin pfeift. Sein Blick streift noch einmal den Kokon, aus dem eben der Schmetterling geschlüpft ist. Er war Zeuge einer Verwandlung. Könnte das ein Symbol sein für unsere Welt: Dass nicht alles beim Alten bleibt, dass nicht alles den Bach hinuntergeht, sondern dass alles verwandelt wird? Und manches davon schon jetzt, anderes erst am Ende?

Sein Puls beschleunigt sich und sein Gang fühlt sich an, als hätte er Sprungfedern unter den Sohlen. Sein Kopf unterlegt die Melodie auf seinen Lippen mit einer vielstimmigen Begleitung. Sie nimmt Anlauf zu einem großen, ausgelassenen und verspielten Crescendo.

Eigentlich ist die Vorstellung ja zu gut, um nicht wahr zu sein, denkt er: Auferstehung … das würde dann ja bedeuten, dass das Schlimmste nicht das Letzte ist.

Dass das Leben letztlich kein Tatort ist, sondern ein Tanzort.

Ist es eigentlich weit nach Galiläa?

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