Barmherziger ist gerechter

Eine Welle der Anteilnahme hat gestern die Nachricht ausgelöst, dass Rick Warrens jüngster Sohn sich das Leben genommen hat. Die Familie Warren, die für ihren Sohn lange gekämpft und mit ihm gelitten hat, hat das ebenso verdient wie viele andere, weniger bekannte Menschen, die mit dem Suizid eines Angehörigen zurecht kommen mussten und müssen. Die meisten von uns kennen betroffene Familien und wir alle ahnen, was für ein schwerer Schatten damit auf ihr Leben gefallen ist.

Freilich ist diese positive Anteilnahme in der Geschichte christlicher Moralvorstellungen ein relativ junges Phänomen. In früheren Zeiten wurden Selbstmörder nicht kirchlich bestattet oder zumindest nicht in „geweihter Erde“. Familien fürchteten die Schande und das böse Gerede der anderen und deshalb wurden viele Selbstmorde geleugnet oder vertuscht. Trauern musste man dann ganz heimlich. Heute schütteln wir – völlig zu Recht – darüber nur noch den Kopf.

Theoretisch kann man mühelos „biblisch“ begründen, warum es eine Sünde ist, sich das Leben zu nehmen. Aber wird man damit der konkreten Situation und vor allem Motivation dessen gerecht, dem seine Lage womöglich so ausweglos erscheint, dass er keine andere Lösung findet? Und hilft man mit der kategorischen Verurteilung und der sozialen Ächtung einer solchen Tat (und damit auch der Person, die sie begeht und sich nicht mehr von ihr distanzieren kann) denen, die mit den Folgen leben müssen und sich ohnehin oft genug schon mitschuldig am Tod des geliebten Menschen fühlen?

Wie gesagt, das alles muss man zum Glück kaum noch jemandem erklären. Die Frage wäre, ob man diesen Fortschritt nun noch auf ein paar andere Situationen übertragen könnte, wo das mit der Annahme und Barmherzigkeit und dem Aussetzen des Urteils noch nicht so gut funktioniert.

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Wahnsinnig interessant

Ein ausgesprochen spannender TED-Talk des Journalisten Jon Ronson über Geisteskrankheit, seelische Gesundheit, einseitige Wahrnehmungen, vorschnelle Urteile und die Schwierigkeit, hier überhaupt eine klare Unterscheidung zu treffen.

Wer erst einmal im Verdacht steht, ein Psychopath zu sein, kann eigentlich fast nichts mehr richtig machen. Ist das Fazit zu pessimistisch? Es klingt jedenfalls fast wie ein Kommentar zum Fall Mollath.

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Bemerkenswerte Selbstkritik

Vor ein paar Wochen lief Töte zuerst auf Arte und in der ARD. In den letzten Tagen hatte ich zwischendurch Zeit, die Aufnahme in mehreren Etappen anzusehen. Der Film dokumentiert die Geschichte des Schin Bet, Israels Inlandsgeheimdienst, und dessen unbarmherzigen Kampf gegen den Terror – den palästinensischen zumindest, denn militante jüdische Fanatiker wurden vom Parlament nach kurzer Haft begnadigt.

Dabei kommen mehrere ehemalige Chefs zu Wort, die wenig Gutes über die Besatzungspolitik ihres Staates zu sagen haben. Wie klar und reflektiert sie reden, das verdient großen Respekt (erst Recht, wenn man das mit unseren pannen- und skandalgeplagten Verfassungsschützern vergleicht). Hoffnungsvoll klingt keiner von ihnen, aber immerhin wird klar: Es gibt schlicht keine Alternative zu Friedensgesprächen, und man muss mit allen reden, selbst mit dem Iran.

Die derzeitige Führung scheint daran kein großes Interesse zu haben, wie die verhaltenen Reaktionen auf Obamas Werben für den Friedensprozess zeigen. Benjamin Netanjahu soll sich geweigert haben, den Film überhaupt anzuschauen. Am 16. April wird er auf Arte wiederholt, wer ihn noch nicht gesehen hat, sollte unbedingt einschalten oder den Aufnahmeknopf drücken.

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Des Papstes neue Kleider…

Lieber Peter Rollins,

seit dem Apostel Paulus ist es keinem christlichen Theologen mehr gelungen, eine „Narrenrede“ im Stil von 2. Korinther 10 hinzulegen. Paulus, der den von obskuren „Superaposteln“ verwöhnten Korinthern nicht nur paradox den Spiegel vorhält, in dem sie ihre eigene Blasiertheit erkennen konnten, sondern der auch noch den Jargon und die Superlative seiner Kritiker ins Absurde zieht. Und der dreist genug ist, von der äußeren Armseligkeit seiner eigenen Existenz die Verbindung zu leidenden Christus zu ziehen.

Doch jetzt, das muss ich anerkennend sagen, hat Paulus in Dir einen kongenialen Nachfolger gefunden. Und ein paar Zeilen Werbetext reichen dazu aus:

the Idolatry of God event has been carefully curated to provide a stage upon which the most innovative and paradigm shifting evolution in Christian thought and practice can be presented. Calling into question the most basic assumptions concerning faith that are shared by theists and atheists alike a radical form of faith collective will be explored that has the potential of usurping the dying church in its currently existing form.

Einfach genial, wie Du hier die Superlative des frommen Marketing vorführst: Der „innovativste Ansatz überhaupt“, und zwar nicht nur Theologie, sondern auch Praxis. Hoch überlegen, egal ob man der „sterbenden Kirche“ angehört oder schon Atheist ist. Und dann wird auch noch eine feindliche Übernahme der Konkursmasse religiösen und areligiösen Denkens in Aussicht gestellt. Weltherrschaft!

Christen und Atheisten werden ihre Grabenkämpfe aussetzen und auf deine Provokation anspringen. Sie werden Dich als neuen gemeinsamen Feind entdecken, ihre Differenzen begraben und vereint gegen Dich antreten. Und damit wird Dir gelingen, was seit 200 Jahren oder mehr nicht möglich war, nämlich Frieden zu schaffen in einer ganz neuen Dimension.

Denn Dein Ziel ist es ja gar nicht, sie zu überwinden oder zu widerlegen – zumal Dein Cocktail aus zusammengewürfelten Paradoxien von Johannes vom Kreuz, Heidegger/Bultmann, frühem Barth und Zizek alles ja andere als bahnrechend neu ist – sondern sie mit der Aussicht auf einen leichten Sieg im theologischen Boxkampf zum Übermut zu verleiten und dazu zu bringen, am Ende über ihre eigenen Füße zu stolpern – Dekonstruktion im wahrsten Sinn des Wortes. Argumentativ ist den Taschenspielertricks, mit denen Du Glauben und Unglauben ständig vertauschst, ja gar nicht beizukommen. Wer es versucht, hat schon verloren, weil Du Dich im entscheidenden Moment in ein unscharfes „Kollektiv“ verwandelst, dessen Position unbestimmbar ist.

Und schließlich führt das Hypermarketing für Euren Event in Belfast die Superlativrhetorik des frommen Kommerzes und Konferenztourismus souverän vor. Wenn die ganz Unentwegten dann im April bei Euch auf der Matte stehen, werden sie nichts anderes sehen, als ein paar nachdenkliche Leute, die sich redlich mühen, das mit Jesus irgendwie zu kapieren und praktisch umgesetzt zu bekommen, und die dabei irren und scheitern. Sie werden sehen, dass sie das dort, wo sie sind und leben, auch ganz leicht schaffen, gern dahin zurückkehren und sich zusammen mit anderen unspektakulären Leuten fragen, was es wohl bedeutet, Gott und ihren Nächsten zu lieben. Denn wer genau hinsieht, erkennt in Dir trotz der theatralischen Pose des Besserzweiflers den weinenden Propheten, der die „sterbende Kirche“ liebt und ihre Auferweckung ersehnt.

Daher suggeriert das Projekt „Pyrotheology“ ein rauschendes Feuerwerk, das in Wirklichkeit aus einem einzigen Knallfrosch besteht – aber wir beide wissen ja auch: Schon ein Knallfrosch reicht aus, dass jemandem, der hoch zu Ross daherkommt, der theologische Gaul durchgeht. Und wenn darnach einem solchen schmerzhaften Sturz alle demütig und rechtschaffen ernüchtert über sich selbst begriffen haben, dass sie nur da stark sind, wo sie zu ihrer Schwäche stehen und sich gegen allen Augenschein an Gott halten, dann ist das Ziel erreicht und die Evolution 1950 Jahre nach Paulus ans Ziel gekommen. Gott sei Dank! Das neue Zeitalter ist angebrochen, Phönix emergiert aus der Asche toter Tradition und die widersprüchliche Widerspruchsfreiheit bisheriger Inkarnationen des Glaubens weicht einer widerspruchslosen Widersprüchlichkeit, der sich niemand mehr entziehen kann. Halleluja.

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Frommer Irrsinn

Wir sind sicher nicht die einzigen, die das betrifft, und es ist nicht das erste Mal, dass es mir auffällt. Da haben wir mit „Gott im Berg“ ein Projekt entwickelt, das gut läuft und auch bei Menschen auf Zuspruch stößt, die sonst kaum in kirchlichen Veranstaltungen auftauchen.

Kaum aber machen die ersten „Erfolgsmeldungen“ die Runde, setzt der fromme Tourismus ein. Diese Woche schrieb eine Gemeinde, sie wollten am Karfreitag mit einem ganzen Bus kommen, grob geschätzte Fahrzeit 45 Minuten einfach. Aber das sind nicht die Leute, für die wir uns die Arbeit machen, sondern es geht uns um unsere Nachbarn, Arbeitskollegen und Mitbürger, die mit dem Fahrrad oder zu Fuß kommen können, Fahrzeit unter 15 Minuten.

Ich habe immer noch nicht begriffen, was für Christen so toll daran ist, die Veranstaltungen anderer Christen zu besuchen, selbst wenn die etwas origineller sein sollten als die eigenen. Da setzt man sich doch besser auf den Hosenboden und denkt sich selbst etwas aus. Wenn ich höre oder lese, dass anderen etwas gelingt, dann freut mich das und spornt mich an, aber ich organisiere doch keine Busreise! Wenn uns (gewiss: liebe und wohlmeinende) Mitchristen den Keller verstopfen, dann haben wir dadurch weniger Zeit und Ruhe für die Menschen, die uns wirklich am Herzen liegen.

Aber vielleicht hat sich das in einer gewissen Szene längst eingebürgert, weil viele Macher von „evangelistischen“ Veranstaltungen etwas zahlenverliebt sind und dabei vorsichtshalber schon gar nicht mehr fragen, wie das Verhältnis von alten Hasen und „Neuen“ überhaupt aussieht. Plakate und Flyer scheinen sogar bevorzugt an Mitchristen aller Art versandt zu werden, ohne zu vermerken, dass die es zwar gerne weitergeben dürfen (oder auch jemanden einladen und begleiten), aber ansonsten tunlichst daheim bleiben sollten und etwas Vernünftiges tun, statt hier zu konsumieren, oder aus Solidarität zu erscheinen, oder was auch immer sonst die Motivation sein mag.

Lässt sich dieser Irrsinn irgendwie abstellen? Wir haben in diesem Jahr einem christlichen Fernsehsender abgesagt, weil wir nicht ohne Grund fürchten, ein Bericht würde sich ungünstig auf die Besucherstruktur auswirken. Zum Glück sind wir dort auf Verständnis gestoßen. Das ist schon mal ein guter Anfang.

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Torn (6): Vom braven zum bösen Buben

Die Geborgenheit, die Justin Lee nach seinem Entschluss, Gott bedingungslos zu vertrauen, erlebt, muss sich wenig später in verschiedenen Situationen bewähren. Davon handeln die nächsten beiden Kapitel von Torn. Rescuing the Gospel from the Gays-vs.-Christians Debate.

Justin meldet sich bei einem Pastor seiner Baptistengemeinde zu einem Seelsorgegespräch an. Dort beschreibt es seine Situation: Er ist homosexuell und die Ex-Gay-Geschichte ist nicht sein Fall. Auf die Frage, was er nun tun solle, antwortet sein Gegenüber, so lange er sich auf kein Verhältnis mit einem anderen Mann einlasse, dürfe er gern weiter zum Gottesdienst kommen. Andernfalls freilich nicht. Er wird, so kommt das an, ab sofort lediglich unter Vorbehalt geduldet.

An der Uni sind inzwischen Gerüchte im Umlauf, er sei schwul. Fromme Kommilitonen fangen in scheinbar unverfänglichen Gesprächen plötzlich an, einschlägige Bibelstellen zu zitieren. Trost findet Justin derweil in einer christlichen Online-Community, in der er unter einem Pseudonym angemeldet ist und so einfach ein Christ unter anderen sein kann. Über sein Privatleben teilt er dort nur wenigen Leuten irgendetwas mit. Um so überraschter ist er, als er von einer Sekunde auf die andere ausgeschlossen wird. Irgendwoher wissen die Administratoren, dass er homosexuell ist, und das allein reicht für den sofortigen Rauswurf.

Seine christliche Unigruppe organisiert kurz darauf ein Seminar unter dem Titel: „Homosexualität – Barmherzigkeit und Wahrheit“. Der Hauptreferent ist jemand aus der Ex-Gay-Szene. Er nimmt Kontakt auf und bekommt von dem Experten sinngemäß die Auskunft, er müsse seine sündige Orientierung ändern und es sei seine eigene Schuld, dass er sich zu Männern hingezogen fühle. Er versucht, mit dem Leiter der Unigruppe ins Gespräch zu kommen, um eine weitere Belastung des Verhältnisses zwischen Christen und Homosexuellen abzuwenden, die dann droht, wenn diese Positionen öffentlich und als offizielle Doktrin verkündet würden. Der Leiter interessiert sich weder für Justins Sorgen, noch für seine Lebensgeschichte und nicht für seine Argumente. Stattdessen hält er ihm eine Predigt über das Gräuel der Homosexualität, und Justin Lee weiß: Er ist vom „guten Jungen“ nun endgültig zum Häretiker geworden.

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Fataler Griff zur Flasche

Der Livestream von kirchehochzwei war nicht aktiv, aber auf meiner Suche nach beruflicher Fortbildung wurde ich dann doch noch fündig. Redner aller Art, natürlich auch Prediger, können am folgenden Beispiel wunderbar verfolgen, wie man mit ein paar nervösen Kleinigkeiten die Rede seines Lebens so vermasseln kann, dass der Inhalt völlig egal ist. Und Stephen Colbert zeigt dann, wie es professionell geht. Viel Vergnügen beim Zuschauen:

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Weisheit der Woche: Erfolg haben

Oft und viel zu lachen; sich die Achtung intelligenter Menschen und die Zuneigung von Kindern zu verdienen; von ehrlichen Kritikern geschätzt zu werden und den Verrat falscher Freunde auszuhalten; Schönheit zu schätzen zu wissen; das Beste in anderen zu entdecken; die Welt ein bisschen besser zurückzulassen, sei es durch ein gesundes Kind, ein Stück Garten, ein gelöstes soziales Problem; zu wissen, ein Mensch atmete auf, weil man gelebt hat. Das bedeutet es, erfolgreich zu sein.

Ralph Waldo Emerson via minemergent

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Warum ich nicht ans Aufhören denke

Wolfgang Michal schreibt bei Der Freitag über die Krise der Blogger. Durch Facebook & Co ist es stiller geworden in der Blogosphäre, man kann sich schützen und muss keine ganz öffentliche Debatte führen oder sich mit grenzwertigen Kommentaren abmühen. Man exponiert sich weniger:

Auf Facebook oder Google+ ist es auch nicht nötig, eine eigene Form oder einen eigenen Stil zu finden, denn alles ist vorgegeben. Die Einstiegs-Hürden und Anforderungen sind niedrig. Das kommt den Couch-Potatoes des Internets in ihrem Neobiedermeier entgegen. Ein Blog gleicht eher einer zugigen Haltestelle als einer Wohlfühlnische.

Blogs zeichnen sich aus durch „persönliche Färbung, Offenheit, Mut und die Bereitschaft zum Konflikt“. Ich finde es extrem schade, dass viele heute so still geworden sind, die vor ein paar Jahren noch mutig und munter Stellung bezogen haben. Manche Freunde hätte ich anders nie kennengelernt. Die herzliche Abneigung mancher wäre mir auch verborgen geblieben. Unterm Strich aber zählen die Freunde mehr.

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Ausgeschwiegen

Ich hatte das Thema der Märtyrer im Zusammenhang von Offenbarung 12-13 kürzlich erwähnt. Insofern (und aufgrund anderer Berichte) war ich schon sensibilisiert, als Jörg Lau bei Zeit Online über „Die letzten Jünger“ bloggte. Seinen Beitrag über die Not der traditionellen Kirchen des Nahen Ostens fand ich schon großartig, weil er eine selten gute Mischung von innerem Engagement und unaufgeregter Sprache enthält, wenn er die Geschichten aus Ägypten, dem Irak oder Palästina erzählt – bei dem Thema werden die Töne ja oft schrill.

Sie wurden es dann auch, und hier antwortet Lau wütenden Kritikern, die ihm beispielsweise „ideologischen Hass und Kriegstreiberei“ vorwarfen. Auch das ist wieder lesenswert. Nicht jeder, der Christenverfolgung thematisiert, ist auf der Suche nach Vorwänden für Kriege und Interventionen.

Heute dann entdeckte ich diesen Bericht auf Spiegel Online, wo der Christenverfolgungsindex von Open Doors ganz sachlich aufgegriffen wurde, auch das ja keine Selbstverständlichkeit. Ganz oben auf der Liste steht Nordkorea. Da ist derzeit ja von einer Öffnung des Landes die Rede. Das scheint bislang aber nur für die Wirtschaft zu gelten. Dass eines das andere nicht notwendig einschließt, zeigt die Nummer zwei auf der Liste: Saudi Arabien.

Aber gut, dass es eine neue Offenheit für diese Themen in unseren Medien gibt. Und wenn Verschweigen und Vergessen keine Option mehr sind, vielleicht rücken eines Tages auch Lösungen näher.

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Auf die Schrippe nehmen

Nach ein paar Tagen medialem Schrippenkrieg stellt sich mir die Frage: Muss ich mich jetzt auch aufregen, weil beim Bäcker jemand Brötchen statt Semmeln kauft? Und wäre „Semmeln“ nicht zu bayerisch, müsste man also doch bitteschön auf „Weggla“ bestehen und den Brötchenkunden oder Schrippenkäufer im Laden so lange zappeln lassen, bis er die richtigen Worte findet?

Liebe Berliner, von denen nicht gerade wenige in den letzten Jahrzehnten nach Erlangen oder München gezogen sind: Willkommen in unserer Welt! Unsere Städte bestehen schon seit Jahrzehnten hauptsächlich aus Zugereisten, die ihre Sprachgewohnheiten ungefragt mitbringen und verbreiten. Wir leben eigentlich ganz gut damit, als Eingeborene in der Minderheit zu sein. In München etwa spricht noch ein Prozent der jungen Leute Dialekt, hieß es vor zwei Jahren. In Erlangen dürfte sich die Mundartkompetenz entsprechend im Promillebereich bewegen.

Aber vielleicht braucht es ja ein paar Schwaben, um aus der Berliner Seele den Spießer hervorzulocken, den dort niemand vermutet hätte – schon gar nicht die Berliner selbst. Nehmt Euch doch mal wieder selbst auf die Schrippe! Oder tut Euch mit den Schweizern zusammen, die sind Euch in Sachen Schwabenpolemik ein Stück voraus und freuen sich über unerwartete Schützenhilfe.

Freilich hat die östliche Schweiz im Mittelalter lange zum Herzogtum Schwaben gehört und die preußischen Könige und Erbauer des modernen Berlin sind Hohenzollern. Deren Stammsitz steht …im tiefsten Schwaben.

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Ausgefragt

Christian Döring hat schon vor ein paar Tagen auf seinem Blog ein kleines Interview mit mir über „Von der Ausgrenzung zur Umarmung“ veröffentlicht. Wer sich dafür interessiert – hier klicken.

Bei der Gelegenheit fällt mir ein: Wer hat das Fragezeichen erfunden?

Hier steht die Antwort.

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„Nur die Fakten, bitte…“

… las ich auf einer Website, die sich mit christlicher Mission in Osteuropa beschäftigte. Was dann folgte, waren aber keineswegs Fakten, sondern Meinungen, und zwar recht fragwürdige noch dazu. Angeblich gebe es unter 300 Millionen Osteuropäern nur eine Million Jesusnachfolger. Ich habe keine Ahnung und konnte dem Text auch nicht entnehmen, wie diese Zahl denn ermittelt wurde, außer dass sie aus der „World Christian Encyclopedia“ stammen soll. Immerhin sind 87% der Polen nominell katholisch und 60-80% der Russen bezeichnen sich selbst als Orthodoxe Christen. Selbst wenn da auch Halbherzige, Mitläufer und Opportunisten mitgezählt werden – sollten nicht deutlich mehr ernsthafte „Jesusnachfolger“ darunter sein?

Mein Verdacht ist daher, dass Katholiken und Orthodoxe bei solchen Erhebungen kategorisch ausgeblendet werden. Was die Frage aufwirft, ob das Wort Encyclopedia in diesem Falle von „Zyklop“ abgeleitet ist, den sagenhaften einäugigen Riesen, die deshalb eine recht eindimensionale Weltsicht hatten. So oder so – das Ganze ist wieder ein Beleg dafür, dass man ganz besonders kritisch hinschauen muss, wenn jemand behauptet, „Fakten“ zu nennen. Allzu oft sind die vermeintlichen „Fakten“ nur verabsolutierte Meinungen und Vorurteile.

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