Barmherziger ist gerechter

Eine Welle der Anteilnahme hat gestern die Nachricht ausgelöst, dass Rick Warrens jüngster Sohn sich das Leben genommen hat. Die Familie Warren, die für ihren Sohn lange gekämpft und mit ihm gelitten hat, hat das ebenso verdient wie viele andere, weniger bekannte Menschen, die mit dem Suizid eines Angehörigen zurecht kommen mussten und müssen. Die meisten von uns kennen betroffene Familien und wir alle ahnen, was für ein schwerer Schatten damit auf ihr Leben gefallen ist.

Freilich ist diese positive Anteilnahme in der Geschichte christlicher Moralvorstellungen ein relativ junges Phänomen. In früheren Zeiten wurden Selbstmörder nicht kirchlich bestattet oder zumindest nicht in „geweihter Erde“. Familien fürchteten die Schande und das böse Gerede der anderen und deshalb wurden viele Selbstmorde geleugnet oder vertuscht. Trauern musste man dann ganz heimlich. Heute schütteln wir – völlig zu Recht – darüber nur noch den Kopf.

Theoretisch kann man mühelos „biblisch“ begründen, warum es eine Sünde ist, sich das Leben zu nehmen. Aber wird man damit der konkreten Situation und vor allem Motivation dessen gerecht, dem seine Lage womöglich so ausweglos erscheint, dass er keine andere Lösung findet? Und hilft man mit der kategorischen Verurteilung und der sozialen Ächtung einer solchen Tat (und damit auch der Person, die sie begeht und sich nicht mehr von ihr distanzieren kann) denen, die mit den Folgen leben müssen und sich ohnehin oft genug schon mitschuldig am Tod des geliebten Menschen fühlen?

Wie gesagt, das alles muss man zum Glück kaum noch jemandem erklären. Die Frage wäre, ob man diesen Fortschritt nun noch auf ein paar andere Situationen übertragen könnte, wo das mit der Annahme und Barmherzigkeit und dem Aussetzen des Urteils noch nicht so gut funktioniert.

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8 Antworten auf „Barmherziger ist gerechter“

  1. Ich stimme dir völlig zu, aber zum letzten Absatz: Ich persönlich würde diesen traurigen Fall nicht schon wieder gleich instrumentalisieren.

    1. Ich „instrumentalisiere“ keinen „traurigen Fall“, sondern ich stelle einen erfreulichen Wandel fest, Johannes. Der darf meinetwegen auch gern noch weiter wirken, daher kann man das auch gar nicht genug loben.

      Hätte ich das instrumentalisiert, dann stünde oben eine Forderung. Stattdessen endet der Post mit einer Frage.

      Freu Dich doch über das vielleicht an dieser Stelle etwas ungewohnte Lob für Evangelikale 🙂

  2. Hehe! 🙂

    Ich denke, du weißt, was ich meine: Ein echtes Lob wäre es gewesen, wenn du dir den letzten Absatz verkniffen hättest.

    So klingt es nach: „Schön, dass ihr endlich eingesehen habt, wie es sein muss und euch unserem Verständnis angepasst habt. Jetzt macht das noch genauso mit den anderen Punkten, in denen ihr noch anders denkt wie die Emergenten, dann passt es“.

  3. Will nicht gleich das Thema wechseln, aber ich empfinde wie Johannes. Ein wirkliches Lob hätte anders ausgesehen wie für mich in „rhetorische Fragen“ verpackte Wertungen.
    Ist halt meine Interpretation aus dem Kontext heraus.
    Zuckerbrot und „Peitsche (natürlich als Frage)“ als pädagogische mittel für Evangelikale. Na jetzt nach Ostern will ich mich mal einfach über das Zuckerbrot freuen…

  4. Guten Morgen,

    Finde ich jetzt nicht so empfindlich. Das Sprichwort kam mir eben in den Sinn, deswegen auch die Anfuhrungszeichen. Du hast halt das von Dir vorgebrachte Lob betont und mir ist halt mehr die von Dir schön verpackte „Forderung“ aufgefallen. So wie ein Vater seine Tochter zum Beispiel für eine Mathearbeit lobt und dann kommt das berühmte …aber… (Oder vielleicht die Frage ob sich dies nicht in allen anderen Fächern möglich ist?)

    Na ja , sei’s drum. Ich will mich übers Lob freuen, obwohl die Trauer und der Schmerz überwiegen.

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