Torn (6): Vom braven zum bösen Buben

Die Geborgenheit, die Justin Lee nach seinem Entschluss, Gott bedingungslos zu vertrauen, erlebt, muss sich wenig später in verschiedenen Situationen bewähren. Davon handeln die nächsten beiden Kapitel von Torn. Rescuing the Gospel from the Gays-vs.-Christians Debate.

Justin meldet sich bei einem Pastor seiner Baptistengemeinde zu einem Seelsorgegespräch an. Dort beschreibt es seine Situation: Er ist homosexuell und die Ex-Gay-Geschichte ist nicht sein Fall. Auf die Frage, was er nun tun solle, antwortet sein Gegenüber, so lange er sich auf kein Verhältnis mit einem anderen Mann einlasse, dürfe er gern weiter zum Gottesdienst kommen. Andernfalls freilich nicht. Er wird, so kommt das an, ab sofort lediglich unter Vorbehalt geduldet.

An der Uni sind inzwischen Gerüchte im Umlauf, er sei schwul. Fromme Kommilitonen fangen in scheinbar unverfänglichen Gesprächen plötzlich an, einschlägige Bibelstellen zu zitieren. Trost findet Justin derweil in einer christlichen Online-Community, in der er unter einem Pseudonym angemeldet ist und so einfach ein Christ unter anderen sein kann. Über sein Privatleben teilt er dort nur wenigen Leuten irgendetwas mit. Um so überraschter ist er, als er von einer Sekunde auf die andere ausgeschlossen wird. Irgendwoher wissen die Administratoren, dass er homosexuell ist, und das allein reicht für den sofortigen Rauswurf.

Seine christliche Unigruppe organisiert kurz darauf ein Seminar unter dem Titel: „Homosexualität – Barmherzigkeit und Wahrheit“. Der Hauptreferent ist jemand aus der Ex-Gay-Szene. Er nimmt Kontakt auf und bekommt von dem Experten sinngemäß die Auskunft, er müsse seine sündige Orientierung ändern und es sei seine eigene Schuld, dass er sich zu Männern hingezogen fühle. Er versucht, mit dem Leiter der Unigruppe ins Gespräch zu kommen, um eine weitere Belastung des Verhältnisses zwischen Christen und Homosexuellen abzuwenden, die dann droht, wenn diese Positionen öffentlich und als offizielle Doktrin verkündet würden. Der Leiter interessiert sich weder für Justins Sorgen, noch für seine Lebensgeschichte und nicht für seine Argumente. Stattdessen hält er ihm eine Predigt über das Gräuel der Homosexualität, und Justin Lee weiß: Er ist vom „guten Jungen“ nun endgültig zum Häretiker geworden.

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9 Antworten auf „Torn (6): Vom braven zum bösen Buben“

  1. Allein Deine Zusammenfassungen sind spannend zu lesen, und auch wenn ich gern Englisch lese, ist eine Übersetzung vielleicht eine gute Idee für unser Land. Er würde wohl bei allen Lesergruppen auf gleich viel Unverständnis stoßen.

    Allerdings frage ich mich schon länger, wann die Auflösung des sprachlichen Dualismus „Christen und Homosexuelle“ kommt. Ist die so von Lee? Immerhin ist er doch beides.
    Zitiert er mit der Formulierung seine Umgebung? Ist er allein mit dem „beides-sein“? Ist dieser Dualismus, diese anscheinende Unvereinbarkeit genau sein Empfinden von „Torn“?

    Bin gespannt!

  2. Ja, ich denke, eine Übersetzung würde sich wirklich lohnen.

    Für ihn ist es das Empfinden, einer der ganz wenigen Schnittpunkte zweier Welten zu sein, die einander aus vielerlei Gründen vehement abstoßen – daher der Titel. Und anfänglich ist er damit noch ganz allein.

  3. Dieses Empfinden scheint es mir in der christlichen Szene Deutschlands nicht unbedingt geben zu müssen. Es gibt mehrere Menschen, die sich als homosexuell und christlich verstehen, auch verschiedene Organisationen, etwa Zwischenraum oder HuK. Zwei Welten unter dem Namen „christlich“ und „homosexuell“ scheint es hier nicht zu geben (außer man leugnet das Selbstverständnis anderer und versteht beide Begriffe in einem bestimmten Sinn).
    Das Provokative an dem Buch wäre in Deutschland eher, dass er zu seinen Empfindungen steht, aber (nach Deinen Referaten bisher) der Meinung ist, ein enthaltsames Leben ist Gottes Plan für ihn. Mit dieser Einstellung wäre er auch in Deutschland zwischen vielen Stühlen, auch wenn die andere Namen hätten.

  4. „Christlich“ hießt natürlich bei Lee „evangelikal“, da sind die Spannungen auch hier schon noch höher. Aber warten wir doch erst mal ab, wo die Geschichte endet.

  5. Erstmal:Danke für die äußerst spannende Rezension – Reihe, ich freue mich auf den Rest! Und ich glaube, ich muss das Buch selbst mal lesen.

    Mir stellen sich die Haare zu Berge, wenn ich solche Geschichten von Gemeinden lese, die meinen, biblisch zu handeln, aber m. E. Völlig vergessen, was Jesus selbst wichtig war. Hat Jesus Menschen nur unter Vorbehalt angenommen und geliebt? Was für eine absurde Vorstellung angesichts des Neuen Testaments!

    @Andreas: leider könnte ich dir auf Anhieb mehrere deutsche Gemeinden nennen, in denen ich mir gut vorstellen könnte, dass es genau dieselben Probleme geben würde. Da gibt es nicht nur Spannungen, sondern tatsächlich die „Unvereinbarkeit“.

  6. Hi Fabian! Die Gemeinden kenne ich auch. Die Frage ist bei mir eher das Verständnis der Vokabel „christlich“, die in Deutschland ganz unterschiedlich gefüllt sein kann, so dass ein Titel wie „Schwule gg. Christen“ kaum durchkäme.
    Dass einige Gemeinden das Wort so füllen wie im Untertitel von „Torn“, weiß ich auch, aber im Rahmen von Lees Selbstverständnis irritiert es mich. Peter hat es ja schon ein bisschen aufgelöst. Jetzt warten wir auf die Fortsetzung.

  7. @ Andreas: Ah ja, ok. Das hatte ich missverstanden. Danke für die Aufklärung – ich stimme dir voll zu!

  8. @Andreas: Justin ist nicht der Meinung, ein enthaltsames Leben wäre Gottes Plan für ihn. Er ist allerdings noch Single und Sex gehört für ihn in eine Beziehung.

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