Angst vor dem Kontrollverlust

Der britische Dramatiker Simon Stephens spricht diese Woche mit der Süddeutschen über seine Kritik am Europa-Kurs der Tories, der die Schlagzeilen in den letzten Tagen beherrschte. Es geht viel um die Angst vor dem „Anderen“ und deren Missbrauch.

Dabei ärgert ihn besonders die scheinheilige Argumentation über mangelnde demokratische Legitimierungen von Entschlüssen der EU – ein Argument, das man hier ja auch ab und zu hört. Stephens‘ Antwort lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Vielleicht ist der Ärmelkanal ja doch nicht endgültig breiter geworden:

Der öffentliche Diskurs über die EU in Großbritannien ist geprägt von dem Widerwillen, sich den Launen und Entscheidungen einer Institution zu beugen, über die wir nur begrenzte demokratische Kontrolle haben – warum sollten wir tun, was Europa uns sagt? Das scheint auch der Grund für die Popularität von Camerons Blockade zu sein. Aber dieselben Leute haben anscheinend keine Probleme mehr damit, sich den Launen und Entscheidungen einer deutlich weniger legitimierten Institution zu beugen, nämlich der sogenannten City.

… Die Heuchelei von Leuten wie Cameron und Johnson ist, dass sie sich jetzt, heimlich oder öffentlich, die Hände reiben und sich über die Krise des Euro freuen. Dabei war es ja nicht der Euro, der die europäischen Volkswirtschaften hat kollabieren lassen, sondern die Art von Bankgeschäften, die diese Politiker selbst so eifrig beschützen.

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8 Antworten auf „Angst vor dem Kontrollverlust“

  1. Meine englischen (!) Kollegen haben mir gestern Abend deutlich gesagt, dass sie sich nicht von Frankreich rumkommandieren lassen wollen. Warum schreibe ich Engländer? – weil die Schotten im Team das anders sehen und das Problem in London ausmachen.
    Die Aussagen treffen genau das Thema – Angst vor dem Anderen und Kontrollverlust (bei gleichzeitiger Pflege lieb gewordener Feindbilder).

  2. Die Angst vor dem „Anderen“ ist hier ja auch sehr beliebt, wenn man die pauschalen Vorurteile betrachtet, mit denen vor allem die Griechen immer wieder bedacht wurden, und wie ungern wir darüber reden, dass „die anderen“ ja zum Teil auch deshalb Schulden gemacht haben, weil sie bei uns so viel einkaufen…

  3. Ja, absolut. Xenophobie ist unserem „nationalen“ Charakter nicht unbekannt. Etwas Zurückhaltung und Hilfsbereitschaft stände uns allen in der EU gut zu Gesicht. Aber das lässt sich scheinbar nicht in Wählerstimmen umwandeln.
    Reale Erfahrungen der Texte Prediger 11,1 und Sprüche 11,24f sind selten. Das Umsetzungskonzept dazu wird sich in keinem Partei-Programmn, wahrscheinlich nicht mal in einer Gemeinde-Ordnungen verankern lassen. Der Zeitgeist prägt mich leider auch oft gegenteilig.

  4. @si. Kurz ein Randthema: Gibt es eigentlich eine Erklärung dafür, warum Nazi-Kostüme anscheinend recht populär sind in England? Will man die Erinnerung wach halten – und an was genau?

  5. So recht weiß ich das auch nicht. Ich schaffe in einer nordenglischen Firma und stehe permanent mit meinen englischen sowie schottischen KollegInnen in Kontakt. Schottland taktet meines Erachtens etwas anders. Speziell in England jedoch kommt man nur sehr schwer mit dem Bedeutungsverlust innerhalb des Commonwealths klar. Die Faszination der Nazi-Kostüme erkläre ich mir so, dass es Spass macht, den Starken zu markieren, insbesondere vor der Tatsache, dass dieser Starke ein besiegter Gegner ist. Man macht so seinen Spaß mit dem, wovor man eigentlich Angst hat(te) und wertet dabei das eigene Selbstwertgefühl enorm auf. Wenn die Gefühle anderer dabei verletzt werden ignoriert man das, der persönliche Benefit ist größer.
    Das ist meine Beobachtung, ob sie wissenschaftlicher Analyse standhält, weiß ich nicht.

  6. „Wir leben in Zeiten des Ad Hoc, der aufgeregten Reaktion auf jede Schlagzeile der Gegenwart. War da nicht etwas mit den Briten vor einigen Tagen? Ein Veto des Premierministers David Cameron gegen den europäischen Versuch einer Lösung der Eurokrise? Schande über diesen Kerl, schimpfte die uniforme Meinung. Niemand versuchte eine tiefer gehende Analyse und unternahm es, hinter den Vordergrund zu schauen….“

    Hier mal ein Mund der nicht ins Mainstream-Horn gegen die bösen Engländer bläst:

    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/themenderwoche/1631047/

    oder als Audio:

    http://www.dradio.de/aodflash/player.php?station=1&broadcast=213891&datum=20111217&playtime=1324124465&fileid=fd1746f8&sendung=213891&beitrag=1631047&/

    1. @Andreas: Wie zu jedem Thema gibt es natürlich auch hier verschiedene Standpunkte, daher habe ich ja bewusst den eines Briten und nicht den der aufgehetzten Kontinentalpresse (?) gewählt…

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