Das Thema Macht lässt mir keine Ruhe, weniger wegen der (nun doch noch spannenden?) Wahl am Sonntag, sondern aus einem theopolitischen und soziospirituellen Interesse, das mich seit langem schon begleitet. Gestern habe ich dazu einen langen Post zu Zygmunt Baumans Analyse der Sicherheitsreflexe unserer verunsicherten Gesellschaft geschrieben – die sind im aktuellen Wahlkampf mit Händen zu greifen.
Einen anderen wichtigen Aspekt steuert dieser Artikel von Sven Stillich auf Zeit Online bei. Dort wird unter anderem beschrieben, dass das Bedürfnis, andere Menschen zu demütigen, bei Menschen mit niedriger Anerkennung und sozialem Status deutlich höher ist als bei den „wirklich“ Mächtigen (die Mächtigen mit hohem Status neigen „nur“ zu Überheblichkeit und werden einsam): „Menschen, die ihren eigenen Status als Erniedrigung auffassen, [lassen] bei Machtgewinn oftmals andere darunter leiden.“ Die Wärter von Abu Ghraib waren, so Stillich, Reservisten, auf die der Rest der Truppen im Irak herabsah.
Wer sich als Ohnmächtig erlebt, neigt also zum Missbrauch der wenigen Macht, die ihm noch bleibt. Das ließe sich nun an vielen Beispielen durchbuchstabieren, nicht nur in Syrien und Ägypten, sondern auch direkt vor unserer Haustüre.
Vielleicht ist aber eine andere Frage interessanter: Welche Art von innerer Veränderung ist nötig, damit die ehemals Ohnmächtigen tatsächlich mit Macht und Verantwortung umgehen können? Was lässt sich der perversen Logik der Despoten entgegensetzen, die behaupten, nach ihrer Entmachtung werde alles nur schlimmer?
Das ist auch, ja vor allem eine spirituelle Frage. Möglicherweise liegt hier das Potenzial des Evangeliums, das Menschen die Würde der Gotteskindschaft zuspricht, und das von einem wahrhaft Mächtigen handelt, der sich selbst erniedrigt. Der es nicht nötig hat und für nötig hält, andere seine Überlegenheit schmerzhaft spüren zu lassen. Wie lässt sich das nun so vermitteln, dass es sein revolutionäres Potenzial tatsächlich entfaltet und die Rache- und Gewaltphantasien schon im Keim erstickt?
Einen kleinen Hinweis darauf, wie es aussehen könnte, gibt dieser Bericht über die Arbeit der Franziskaner in der Bronx. Da gewinnen die Verlierer, ohne jemand anderen eine Niederlage beibringen zu müssen.