Der verfehlte Hass der (vermeintlich?) Ohnmächtigen

DSC01051.jpgZygmunt Bauman hat mit Collateral Damage keine schrille und leicht zu diskreditierende Apokalypse, sondern eine nüchterne, zutiefst beunruhigende, aber alles andere als leidenschaftslose Zustandsbeschreibung unserer westlichen Welt vorgelegt. Das grundsätzliche Lebensgefühl (Wolfgang Herles sprach es gestern bei Pelzig hält sich an) in einer fundamental unberechenbaren Welt ist das der Unsicherheit. Folglich nimmt das Bedürfnis nach Sicherheit dramatisch zu.

Aber wie gehen Bürger und Politiker nun damit um? Es werden immer mehr Versuche unternommen, bestimmte Risiken zu eliminieren, und diese Maßnahmen haben einen immens hohen Preis. Neben den monetären Kosten bleibt vor allem eine am Gemeinwohl orientierte Ethik auf der Strecke, wie Bauman treffend anmerkt. Im Namen der Sicherheit werden bestimmte „Risikogruppen“ pauschal entmenschlicht und ausgegrenzt:

What casts security and ethics in principled opposition to each other (an opposition excruciatingly difficult to overcome and reconcile) is the contrast between divisiveness and communion: the drive to separate and exclude which is endemic to the first versus the inclusive, unifying tendency constitutive of the second. Security generates an interest in spotting risks and sorting them out for elimination, and for that reason it targets potential sources of danger as objects of ‘pre-emptive’ exterminating action, unilaterally undertaken. The targets of this action are by the same token excluded from the universe of moral obligation. Targeted individuals and groups or categories of individual are denied human subjectivity and recast as objects pure and simple, located irrevocably at the receiving end of action.

Sicherheit und Ethik geraten in einen grundsätzlichen Gegensatz zu einander (der sich nur unter großen Anstrengungen überwinden und versöhnen lässt) durch den Kontrast zwischen Spaltung und Gemeinschaft: Der Drang zu trennen und auszuschließen, der in ersterer angelegt ist, gegen die einschließende, verbindende Tendenz, die die letztere konstituiert. Sicherheit führt zu einem Interesse daran, Risiken zu erkennen, sie zu kennzeichnen, um sie ausmerzen zu können, und aus diesem Grund nimmt sie potenzielle Gefahrenquellen als Objekte „präventiver“ Beseitigungsmaßnahmen ins Visier, die einseitig unternommen werden. Die Ziele diese Aktion sind im Gegenzug aus dem Universum moralischen Anspruchs ausgeschlossen. Den anvisierten Individuen und Gruppen oder Kategorien von Individuen wird es vorenthalten, ein menschliches Subjekt zu sein, sie werden schlicht und ergreifend zu Objekten reduziert, die unwiderruflich nur noch Betroffene dieser Maßnahmen sind.

Bauman erinnert daran, wie Juden und „Zigeuner“ im dritten Reich durch „sanitäre“ Maßnahmen beseitigt wurden. Von heutigen Sicherheitsdebatten unterscheidet sich der Rassenwahn von damals sehr wohl durch andere Auswahlkriterien, nicht aber darin, dass das subjektive Bedürfnis nach Sicherheit keine Grenzen kennt und die Angst zunimmt, je mehr man sich in Kokons abschottet und in „gated communities“ einmauert. Es sind weiterhin „die Fremden“ vor der eigenen Haustür, auf die man die Angst projiziert, deren eigentliche Ursachen oft hunderte oder tausende Kilometer entfernt liegen, wenn man ihnen überhaupt einen bestimmten Ort zuweisen kann. Und je länger man im Ghetto und der sehr exklusiven und noch oberflächlicheren Gemeinschaft derer zubringt, die genauso sind wie man selbst (und der man sich auch nur so lange aussetzt, wie man Lust darauf hat), desto mehr schwindet die Fähigkeit, mit Andersartigkeit überhaupt noch angstfrei klarzukommen:

The principal beneficiary is our fear: it thrives and exuberates as it feeds on our border-drawing and border-arming efforts.

Der hauptsächliche Nutznießer ist unsere Angst: sie blüht und gedeiht durch unsere Bemühungen, Grenzen zu ziehen und uns zu wappnen.

Existenzielle Angst und die Suche nach Sicherheit, der Hang zur Ausgrenzung und der Hass auf Fremde und Schwache sind zentrale Themen der biblischen Überlieferung und der christlichen Theologie. Um so interessanter ist es, wie Bauman die Lösungsstrategien der Gegenwart beschreibt und bewertet:

Über kurz oder lang führt der Sicherheitswahn zum Verlust jeglichen Vertrauens innerhalb einer Gesellschaft: Verdächtigungen, Abgrenzungen, Feindseligkeit, Aggression und das Verkümmern moralischer Hemmungen. Und diese Phänomene sind keineswegs nur das Problem rechtspopulistischer Rattenfänger. Der wahre Grund der Unsicherheit der Mittelschicht sind nicht die Armen, sondern die alles andere als unbegründete Angst vor dem plötzlichen und unwiderruflichen Absturz, dem Verlust sozialer Privilegien und dem Ausschluss aus einer immer unsolidarischeren Gemeinschaft. Dagegen bieten auch Familie und Partnerschaft kaum noch Schutz, sie sind selbst brüchig geworden unter der Dauerbelastung unsicherer Arbeitsverhältnisse und ausgebluteter Sozialsysteme: Die Profiteure dieser Entwicklung, die ständig reicher werdenden Milliardäre, werden als Helden verehrt und bewundert. Das Vermögen der reichsten 400 US-Amerikaner (und das ist durchaus repräsentativ für die Superreichen weltweit) hat sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt, allein im vergangenen Jahr stieg es um über 300 Milliarden auf nun 2 Billionen, schrieb Forbes diese Woche.

Dass Baumans Analyse brandaktuell ist, zeigt ein kurzer Blick in die Tagespresse: Nils Minkmar weist aktuell in der FAZ auf eine Studie des Rheingold-Instituts hin, die zeigt, dass in der „Beschaulichkeit des Merkelschen Neobiedermeier“ eine neue Qualität des Hasses auf Randgruppen und der Ausgrenzung heranwächst:

In einer Aggressivität, die in den letzten 25 Jahren in Rheingold-Studien noch nicht beobachtet wurde, wird angeprangert, dass „das eigene Geld im Süden versickert“; dass Zuwanderer und soziale Randgruppen „Geld von Vater Staat geschenkt bekommen“. Im Fokus des Hasses sind Hartzer und Sozialschmarotzer, die Faulenzer im Süden, die üblichen Verdächtigen. In der Studie heißt es dazu: „Die Angst vor der eigenen Ohnmacht beschwört die Sehnsucht nach eigener Tatkraft und der verlorenen Gewissheit, Herr im eigenen Haus zu sein.“

Und er lastet diese Entwicklung der Politik und Wahltaktik der Kanzlerin direkt an, wenn er weiter folgert:

Das ist die Gefahr, welche die Kanzlerin heraufbeschwört, wenn sie den Eindruck erweckt, man könne nichts machen und müsse das ja auch gar nicht; welche auch die Medien befördern, wenn sie die Möglichkeit einer anderen Politik als von vorneherein chancenlos und daher irrelevant karikieren; und die jene Intellektuelle in Kauf nehmen, die erklären, man könne ebenso gut auch nicht zur Wahl gehen. Es gibt in diesem Land eine manifeste Gefahr von Rechts, die sich ermutigt fühlt, je mehr alle anderen das Vertrauen in die Politik verlieren. Zudem ist der Eindruck, dass die Wahl entschieden sei, oder irrelevant und bloße Therapie, völlig falsch. Fast meint man, jemand habe ein Interesse daran, eine Macht, die alle teilen, permanent klein zu reden. Es ist aber echte und große Macht.

Da kommt also noch einiges auf uns zu…

(Wer möchte: hier geht’s zu Teil 1, Teil 2 und Teil 3 der Bauman-Reihe)

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