Torn (7) Die Bombe im Gepäck

Je länger, je mehr hat Justin Lee den Eindruck, dass seine evangelikalen Mitchristen Fehlinformationen über Homosexualität aufgesessen sind, und dass aufgrund der Fehlinformationen nun wohlmeinende Menschen dazu beitrugen, dass die Fronten, zwischen denen er und andere sich wiederfanden, zunehmend härter und undurchlässiger wurden.

Er beschreibt eine Szene aus einem Actionfilm: Die Protagonisten verfolgen einen Lieferwagen, in dem Terroristen angeblich eine Bombe versteckt haben, quer durch einen belebte Stadt. Als sie den Wagen endlich einholen und nachsehen, stellen sie fest, dass er leer ist. Die Bombe befand sich schon die ganze Zeit in ihrem eigenen Auto, und nun haben sie selbst den Sprengsatz ans Ziel gebracht. Ein Bild für konservative Christen und ihren verbissenen, oft unbarmherzigen Kulturkampf, der viele vor den Kopf stößt:

Der Sauerteig der Fehlinformation über Homosexuelle hat sich in der ganzen Kirche ausgebreitet, und er hat die Kirche nicht nur zum mutmaßlichen Feind der Homosexuellen gemacht, sondern auch zu ihrem eigenen schlimmsten Feind.

Freilich betrifft das nicht alle Christen. Lee räumt ein, dass er den Begriff „Christen“ bis dahin für den Evangelikalismus als wichtigste Kraft im nordamerikanischen Protestantismus verwendet hat (was wiederum auch dem Sprachgebrauch vieler Evangelikaler entspricht). In theologisch liberalen Kreisen hat man als Homosexueller keine Probleme. Der Preis dieser Freiheit aber ist für ihn eine theologische Unverbindlichkeit und Schwammigkeit in ganz zentralen Glaubensfragen, etwa bei der Auferweckung Jesu von den Toten (theoretisch liegt zwischen diesen beiden Polen noch ein weites Feld, das kommt aber an dieser Stelle nicht in den Blick).

Er lernt parallel zu den christlichen Aktivitäten die Schwulen- und Lesbenszene kennen, die sich auch organisiert hat und sich zum Teil aggressiv gegen die „Christen“ positionierte. Dort wird er mit seinen eigenen Hemmungen und Verkrampfungen konfrontiert, der Fremdheit, die er aus seiner evangelikalen Kinderstube mitbringt. Zögernd begleitet er ein lesbisches Paar in eine Szenebar – es wird ein Kulturschock vor allem insofern, als er als braver Southern Baptist das Rauchen, den Alkohol und das Tanzen überhaupt nicht gewohnt und schon allein deshalb alles andere als entspannt war. Andererseits muss er sich dort keiner Avancen oder gar Übergriffe erwehren.

Die Spannung zwischen den beiden Welten, der verinnerlichte Kulturkampf, stürzt Justin Lee schließlich in eine tiefe Krise. Die Lösung findet er nicht in Medikamenten, sondern in dem Entschluss, sich nicht mehr zu fürchten und sich nicht mehr durch die bestehenden Konfrontationen definieren zu lassen. Um die Frage nach seinem weiteren Weg im Leben zu klären, greift er erneut zur Bibel.

(hier geht’s zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und Teil 6)

Share

14 Antworten auf „Torn (7) Die Bombe im Gepäck“

  1. Spannender? Es kommt genau das, was ich aufgrund des Buchtitels erwartet habe, inkl. aller Evangelikalen-Klischees. Spannend ist etwas anderes. Aber vielleicht werde ich doch noch eines besseren in den nächsten Fortsetzungen belehrt…

  2. Nach den konkreten Erfahrungen, die Lee beschreibt, und die ich ja nur sehr allgemein wiedergeben kann, lässt sich das m.E. nur schwer als „Klischees“ abtun. Aber lies ruhig selber.

  3. „Die Bombe befand sich schon die ganze Zeit in ihrem eigenen Auto, und nun haben sie selbst den Sprengsatz ans Ziel gebracht. Ein Bild für konservative Christen und ihren verbissenen, oft unbarmherzigen Kulturkampf, der viele vor den Kopf stößt:“

    Stimmt. Weniger Klischee, sondern eher pauschales Evangelikalen-Bashing.

    Sorry, ich wollte ja die Geschichte abwarten und zu Ende hören.

  4. Lee hat und bietet ein differenziertes Bild von Evangelikalen. Aber freilich spricht er auch die negativen Erfahrungen an, immer konkret. Wenn man nicht leugnen will, dass es die auch gibt, dann kann man ihm einen Vergleich gestatten, bei dem er von Menschen mit guten Motiven spricht, die mit ihren Aktionen das Gegenteil dessen erreichen, was sie sich wünschen. Was daran jetzt „bashing“ sein soll, erschließt sich mir nicht so recht.

    Aber die klischeehafte Beschreibung „liberaler“ Christen, die hat Dich jetzt nicht gestört?

  5. HI Peter, ich habe ja nicht von Lee gesprochen, denn sein Buch kenne ich nicht. Ich meine deine Zusammenfassung, in der Evangelikale immer schlecht wegkommen. Oder kannst du mir ein Beispiel aus deinen bisherigen 7 Teilen nennen, in denen das Bild der Evangelikalen differenziert geschildert wird?

    Lees Meinung ist klar, er hält Homosequalität in einer von lebenslanger Treue geprägten Partnerschaft nicht für Sünde. Andere sehen das anders. Und weil das so ist, ist das ein verbissener, unbarmherziger Kulturkampf? Hört sich nicht wirklich an, wie ich Gemeinde erlebe.

  6. Ich fände es schade, wenn die Diskussion in diesem Post sich (wieder einmal) auf die „E“-Frage einengen würde. Auch wenn dieses Stichwort mehrfach vorkommt, ist das eigentlich Interessante doch der Weg, den Lee gegangen ist. Und wie er in einem Umfeld, das ihm wenig Verständnis und hilfreiche Begleitung bietet, zu einem eigenen Verständnis findet.

    Da hat es sich jemand überhaupt nicht einfach gemacht und setzt sich so richtig zwischen die Stühle, die traditionell im Angebot sind. Das finde ich mutig und es ist etwas, das erst einmal honoriert gehört, bevor die Diskussion ins Prinzipielle (was ist Sünde und was nicht) oder sich entlang der bekannten kulturellen Konfliktlinien („E“ oder nicht) aufreibt.

    1. Ich sehen den Wert auch darin, sich auf die Geschichte einzulassen, statt irgendein Resultat vorwegzunehmen und, weil es einem nicht gefällt, nun schon das (ewig gleiche) Haar in der Suppe zu suchen, mit dem es sich diskreditieren lässt.

  7. @Johannes D, andere haben es sich auch nicht leicht gemacht und sind sehr schwere Wege gegangen. Diese werden hier leider nicht positiv hervorgehoben, sondern eher lächerlich gemacht, da einige tief gefallen sind. Wie so vieles liegt auch diese Sicht im Auge des Betrachters.

    @Peter, ich habe nicht die Absicht zu diskreditieren, meine ich auch nicht getan zu haben.

  8. @JohannesP: Sich einzulassen, bereit sein zu lernen und auf die eigenen Raster erst einmal zu verzichten, ist wahrscheinlich die beste Grundlage dafür, dass man nicht (sofort) „im Auge des Betrachters“ hängen bleibt.

    Aber lass uns doch einfach zum Thema zurückkehren. Und als Reaktion auf Lees Buch lieber (jetzt oder am Ende der Besprechung) hilfreiche Erfahrungen austauschen und neue Ideen entwickeln.

  9. Lieber @Johannes D., warum wird von uns Evangelikalen immer belehrend verlangt, „auf die eigenen Raster“ erst einmal zu verzichten und „neue Wege“ zu beschreiten. Merkst du nicht, wie arrogant das für andere klingen muss? Das ist keine Diskussion auf Augenhöhe!

  10. Lieber JohannesP, ich kann die Empörung verstehen, und das Bombenbild ist tatsächlich sehr aggressiv (und auch nicht stimmig, denn die Bombe wurden den Guten Jungs ja von den Bösen Jungs ins Auto geschmuggelt).

    Aber die Empörung beruht auch darauf, dass Du Lee und Aschoff das Evangelikalsein absprichst. Sieh sie doch 5 Minuten lang mal als „welche von uns“ an, und auf einmal reden sie sehr differenziert.

  11. @Andreas: Das Bild ist m.E. durchaus stimmig. Lee beschreibt damit Menschen, die (Labels mal beiseite gelassen, viele Katholiken würden auch drunter fallen) in der tiefsten Überzeugung, das Richtige zu tun, irrtümlich großes Unheil anrichten. Und er beschreibt mehr als eine Situation, auf die der Vergleich auch zutrifft. Zugleich macht er damit auch deutlich, dass das Unheil nicht beabsichtigt ist und kein böser Vorsatz besteht, ja dass viele auch sich selbst schaden.

    @JohannesP: Wir waren, glaube ich, schon mal weiter. Du fandest „evangelikal“ eine missverständliche Selbstbezeichnung, und das ist sie auch. Für die Kreise in den USA, die Lee hier beschreibt, gibt es leider keinen anderen Begriff. Dass es in Deutschland anders aussieht, mag durchaus sein, aber darum geht es in diesem Buch und in meinen Posts nicht. Warum also diese reflexartige Identifikation und die Reduktion eines komplexen und wichtigen Themas auf einen Lagerkampf?

  12. Wenn das tertium comparationis nur die gute Absicht und die böse Wirkung ist, passt der Vergleich. Wobei es dann passendere und weniger drastische gegeben hätte.
    Andere Aspekte der Szene (eben wer die Bombe reingeschmuggelt hat), wären dann nicht gleichnisfähig, aber da gibt es bei Jesus ja auch solche und solche Erzählungen.

Kommentare sind geschlossen.