Die Gemeinschaft der offenen Fragen

In der letzten Woche habe ich mit ein paar anderen Leuten aus unserem Lukas-10-Experiment die Northumbria Community in Felton/GB besucht. Vor ein paar Jahren war ich ja schon einmal da, inzwischen ist das „Mutterhaus“ Netter Springs umgezogen, weiter weg von Lindisfarne und näher Richtung Newcastle. Die Unterbringung in dem neuen Gebäude ist deutlich komfortabler, die zugige (oder bei angenehmen Temperaturen wie diesmal: luftige) Kapelle habe ich allerdings schon vermisst.

Das Haus wird von einem fünfköpfigen Team geführt, dazu kommen Gäste – dieses Jahr offenbar besonders viele Deutsche. Die Tagzeitengebete sind mir inzwischen schon sehr vertraut, also stand diesmal das Gespräch mit den Leuten vom Haus im Mittelpunkt. Uns interessierte, wie diese ökumenische Gemeinschaft funktioniert, die nicht unter einem Dach, sondern in der Zerstreuung lebt – so gesehen war das, was wir erlebten, die verdichtete Ausnahme.

Vieles hat mit der Lebensregel zu tun, die sich um die zwei Brennpunkte von Verletzlichkeit und Verfügbarkeit dreht. Unter den vielen unterschiedlichen Ausprägungen des New Monasticism fällt dabei vor allem die große Gestaltungsfreiheit (und damit verbunden die große Eigenverantwortung) ins Auge. In den konkreten Umsetzung vor Ort kann das nämlich so verschieden aussehen, dass es für uns erst einmal schwer zu greifen war. Doch je länger wir redeten und je mehr verschiedene Gesprächspartner wir bekamen, desto spürbarer war auch die Verbundenheit in vielen Dingen.

Nicht die einheitliche, gemeinsame Dogmatik bestimmt den Kurs (da gibt es eine ganz große Weite), sondern die Anteilnahme am – möglicherweise ganz anderen – Weg des anderen und die gemeinsame Praxis des achtsamen Hörens auf Gottes Führung. Zu den rund 350 Companions, die sich jeweils für ein Jahr verpflichten, gesellen sich in den Community Groups und darum herum weltweit noch einmal rund 3.000 Freunde, so weit ich das verstanden habe.

Nicht die Antworten, sondern die Fragen weisen den Weg, was sowohl Gesetzlichkeit als auch Beliebigkeit verhindert. Rowan Williams hat einmal gesagt, dass Christus nicht nur unsere Fragen beantwortet, sondern auch unsere Antworten hinterfragt. Und so lauten die Leitfragen, bei Alan Roxburgh würden sie als god questions firmieren:

  • Wen suchen wir? (vgl. Joh 18,7)
  • Wie sollen wir also leben?
  • Wie können wir ein Lied für den Herrn auf fremdem Boden singen? (Ps. 137,4)

Aber nicht nur die umsichtige Zurückhaltung (man kann auch sagen: die keltische Liebe zur Unordnung) bei Strukturen und verpflichtenden Inhalten, sondern auch der Umgang mit Gästen und Gesprächspartnern hatte auf Anhieb einen gewissen intuitiven Wiedererkennungs-Effekt, sie riefen ein für mich fast überraschendes Gefühl der Verwandtschaft auf beiden Seiten hervor.

In den letzten Monaten hatte ich mit etlichen Leuten Gespräche über solche dezentralen und weitmaschigen Formen der Weggefährtenschaft geführt. Das Thema scheint viele zu beschäftigen, und vielleicht gibt es in solchen Bewegungen auch Dinge, die in den meisten Ortsgemeinden irgendwie untergehen oder zurückbleiben, wo Programme und Projekte, Personal und Struktur und nicht zuletzt Immobilien die Tagesordnung oft so gründlich dominieren.

Ich denke, wir führen das Gespräch über die Fragen und das Ethos vor Ort fort und werden auch die Verbindung über den Kanal weg halten. Es ist eine sehr spannende Spur, auf die wir hier gestoßen sind.

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