Großbritannien ist die Heimat des aggressiven Säkularismus, der bei uns zwar Bewunderer, aber keine gleichwertigen Vertreter hervorgebracht hat. Ganz anders als der von keine Zweifeln angenagte und alle Zwischentöne scheuende Richard Dawkins kommt die Church of England daher, wie Mary Ann Sieghart im Independent schreibt. Wenn nun ein ehemaliger Pfarrer Bundespräsident wird, lohnt sich der Blick auf die Argumente, warum mehr Kirche auch für ihre gesellschaftlichen Kritiker keine Bedrohung ist.
Man muss nämlich gar kein Christ sein, um deren positiven Beitrag zum öffentlichen Leben zu schätzen, sagt Sieghart: Die verfasste Kirche ist alles andere als eng und rechthaberisch, sie zwingt ihre Glaubensansichten und Lebensweisen niemandem auf und sie hilft Menschen egal welcher Weltanschauung in zahllosen kleinen und großen Projekten.
The Church is the largest voluntary organization in the country, the epitome of the Big Society. And in many rural villages and deprived parts of the inner cities, it is the only institution left. The pubs, the post offices, the shops, the schools, the banks have closed. But most of the churches and their priests remain. Social workers, teachers and doctors may commute into impoverished areas, but the vicar is often the only professional still living in the parish he or she serves. You don’t get more in touch than that.
Dawkins plumpe Polemik, so Peter Popham letzte Woche an gleicher Stelle in einer Abrechnung mit dessen Position, wurde durch den militanten Islamismus nicht nur zum öffentlichen Gesprächsthema, aber sie hat dieselben totalitären Untertöne wie dieser – oder wie andere materialistische Denksysteme des 20. Jahrhunderts, die zum Glück weitgehend überwunden sind:
the fanaticism of the Islamists has provoked an equally intolerant and intemperate reaction from secular and other quarters, with the ban on headscarves in France and on mosque-building in Switzerland and the rabid anti-Islam rhetoric in the Netherlands; while in Britain it has produced a sudden lurch of opinion among our noisiest public intellectuals against any and all religion.
Und dann folgert er, und das trifft sich mit Siegharts Standpunkt oben:
But, stripped of fanaticism and self-righteousness, religious faith can do what secularism cannot: open doors on to areas of human experience – compassion, altruism, serenity, even enlightenment – which have no meaning for the secularists.
Danke für den Artikel von Mary Ann Sieghart, Peter! Die CoE ist „broadly charitable, open, welcoming, tolerant, compassionate and undogmatic. (…) If anything, people criticise it for being too meek an mild“. Ich glaube, das steht in einem Zusmammenhang: volkskirchliche Strukturen gelten oft als (zu) tolerant, (zu) undogamtisch,… (zu) langweilig? Aber eben um den Gewinn, dass in ihnen fundamentalistische Positionen keinen Platz haben („Religionsmonitor 2008“, Gütersloh 2009, S. 551, bezogen auf Dtld.) – und das ist gesellschftlich viel wert! Und auch dass die Kirchengemeinden einer der wichtigsten Akteure vor Ort sind, stimmt. Daraus kann man viel machen (wenn man denn will – und sich dieser strategischen Position überhaupt bewusst ist). Kurze Anregung dazu von mir: http://diakonisch.wordpress.com/2010/10/29/wir-sind-da/ Wenn du auf ähnliche Artikel stößt, bin ich daran sehr interessiert, merci! Martin
@Martin: Das Thema Präsenz ist gut gewählt. In diesen Tagen denkt man bei der Aufzählung von damals natürlich unwillkürlich auch an Schlecker… Aber das zeigt ja auch, wie sehr es Menschen bewegt.