Hin und wieder frage ich mich, ob bestimmte christliche Richtungen den Gruselfilmern nicht kräftig zuarbeiten, indem sie eine etwas plumpe Dämonologie pflegen, die “Geistern” ein hohes Maß an Individualität und Persönlichkeit zuschreibt und damit die Aufmerksamkeit in eine problematische Richtung lenkt. Das lässt sich zwar toll in irgendwelche Fantasiefratzen umsetzen, zumal man da beim Bildmaterial des Aberglaubens (wollen wir den wiederbeleben?) der verschiedensten volkstümlichen Überlieferungen Anleihen machen kann. Ob es aber dem Neuen Testament gerecht wird, ist eine andere Frage.
Besser scheint es mir, nach den Erfahrungen und Wirkungen zu fragen, die mit der Vorstellung des Dämonischen verbunden sind. Vielleicht sehen wir dann ganz andere Dinge und definieren dann auch “Befreiung” anders als wir das in Ghostbusters und neueren Imitaten dargestellt finden. Vielleicht können dann auch die über das Thema reden, denen die (berechtigte) Abgrenzung gegen die Horror-Variante das bisher nicht erlaubt hat:
Dämonisches Wirken führt Situationen herbei, in denen wir uns zu völliger Hilflosigkeit verdammt sehen, wo Geduld nichts nützt und die Zeit nichts heilt. Beschwichtigungs- und Ermutigungsfloskeln bleiben uns im Halse stecken. Ohnmachtsempfinden, Apathie und Ausbrüche von Angst und Verzweiflung wechseln einander ab. Durch dämonische Mächte werden Situationen herbeigeführt, die wir im Rückblick “hoffnungslos” oder “tragisch” nennen, die wir erleichtert durch den Tod abgelöst sehen oder die wir verdrängen, weil es unerträglich ist, in der Gegenwart des Grauens und der Grausamkeit zu leben. (M. Welker, Gottes Geist, S.204)
Vor allem hoffe ich, dass wir in Zukunft immer mehr Geschichten hören, wie Menschen konkret aus Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit befreit wurden.
Hm, aber bei den vielen Wahrsagern die es gibt, z.B. Astro TV im Fernsehen, denke ich schon dass neben Scharlatanen auch Leute mit echten Dämonen dort sitzen und wahrsagen unter Zuhilfenahme von diesen was eine Einmischung in den normalen Lebensalltag der Menschen (Manipulation) darstellt, aber nicht so extreme Auswirkungen wie Ohmacht, Apathie etc. unmittelbar nach sich zieht
-> Bitte nicht immer so starke Extreme benutzen …
Also ich hab mir die Sachen im Fernsehen mal angesehen und fand, dass die Leute da nur eine Show machen und mit den Anrufern nur ganz oberflächlich reden. Das reicht scheinbar auch, viele brauchen nur jemanden, der ihnen zuhört. Die Manipulation liegt in der Abzocke…
PS: Was war denn so extrem?
Was Extrem war ?
Zitat : völliger Hilflosigkeit verdammt sehen, wo Geduld nichts nützt und die Zeit nichts heilt. Beschwichtigungs- und Ermutigungsfloskeln bleiben uns im Halse stecken. Ohnmachtsempfinden, Apathie und Ausbrüche von Angst und Verzweiflung wechseln einander ab. Durch dämonische Mächte werden Situationen herbeigeführt, die wir im Rückblick “hoffnungslos” oder “tragisch” nennen, die wir erleichtert durch den Tod abgelöst sehen oder die wir verdrängen, weil es unerträglich ist, in der Gegenwart des Grauens und der Grausamkeit zu leben.
Das klingt nach schlimmster hoffnungslosester Situation und grossem Leid und riesen Problemen, dies als generelle Auswirkung von dämonischem Wirken zu bezeichnen ist etwas übertrieben finde ich
Ist es nicht oft so, dass Dämonen lediglich die Gotteserkenntnis zu unterdrücken versuchen und den Kontakt zu Gott versuchen zu behindern, ansonsten aber den Menschen oftmals Nichts Schlimmes antun ?
Also an dem Zitat von Welker kann ich ja nichts ändern. Es bezieht sich auf die Exorzismen Jesu in den Evangelien und für die dort geschilderten Fälle finde ich die Beschreibung eigentlich angemessen (das lohnt sich übrigens im Zusammenhang bei Welker nachzulesen).
Was du hier anschneidest, liegt eher auf der Linie von Paulus in 2. Kor 4,4. Das ist eine ganz andere Situation, die ja auch ganz anders bewältigt werden muss, denke ich.
Lese diesen Thread zwar mit fast zwei Monaten Verspätung, bin aber umso mehr interessiert an den aufgeworfenen Fragen…
Ein zusätzliche, mal ganz rundheraus gestellt: Gäbe es die Dämonenberichte im NT nicht – würden wir das ganze dann nicht für übelsten Aberglauben halten?
Und wie kommt es, dass es die Meinungen bei diesem Thema innerhalb des evangelikalen Lagers so krass divergieren? Den einen ist der Dämon erst klar, wenn es Schaum vorm Mund gibt – den anderen ist Geiz schon ein Zeichen für Besessenheit (oder Umstelltheit oder Beeinflussung oder oder).
Mich bechleicht dabei immer wieder das Gefühl, dass das Ganze einfach nicht in unsere Zeit passt und ähnlich wie die Höllenevangelisation eher pathologische Glaubensformen produziert.
Könnte eine Mitteleuropäer des 21. Jhdts mit rudimentärem medizinischem und psychologischem Hintergrundwissen überhaupt eine Dämonenaustreibung als solche anerkennen?
Und das zwei Tage vor Weihnachten… 🙂
Hi Alex,
zur letzten Frage: Wir müssen gute Wege finden, über Dämonen und entsprechende Phänomene zu reden. Mein Sohn war mit seinen Freunden im Exorzismus der Emily Rose. Ich habe den Film nicht gesehen und wieß nicht, ob ich sollte. Er zeigt aber, dass es ein Thema ist. Nur sind wir nach 200 Jahren reduktionistischem Aufklärungsdenken an einem Punkt, wo uns Wahrnehmung und Begriffe fehlen.
Gut finde ich die theologischen Arbeiten von Klaus Berger und Walter Wink, aber auch „People of the Lie“ von Scott Peck. Die zeigen wenigstens in Ansätzen, wie es geht und warum man die Vorstellungen wohl aktualisieren muss, aber nicht aufgeben.
Ein Freund kam aus Asien zurück und erzählte eine sehr bewegende Geschichte von einem Jungen, der in einem gänzlich unspektakulären „Exorzismus“ geheilt wurde von schlimmen Gewaltausbrüchen, die ihn zu einer Gefahr für seine Umwelt gemacht hatten und zu einer unerträglicheh Last für seine Familie. Das wäre genau, was Welker in der Theorie beschreibt. Aber bei uns eher selten, oder sind die Leute eben alle weggesperrt und medikamentös kaltgestellt?
Vielen Dank für die Literaturtipps. Werde ich mal einen Blick drauf werfen! Welches Buch von Welker würdest du besonders empfehlen?
„Nur sind wir nach 200 Jahren reduktionistischem Aufklärungsdenken an einem Punkt, wo uns Wahrnehmung und Begriffe fehlen.“
Ja, und vielleicht werden wir nie mehr in der gleichen Art darüber reden wie die Menschen in Palästina vor 2000 Jahren?
Und vielleicht entsteht aus dem krampfhaften Bemühen, Dinge mit der gleichen physischen und metaphysischen Brille wie zur damaligen Zeit zu sehen dieser seltsame moderne-und-gleichzeitig-vormoderne Aberglaubensmix den ich manchmal meine, bei mir und anderen Evangelikalen anzutreffen?
Ich finde das Anliegen jedenfalls gut, neue Formen der Beschreibung zu finden. Weder vernunft-versessen-reduktionistisch noch spekulativ-übernatürlich. Keine kleine Aufgabe. Aber in ihrem Profil (christlich-kritische Rezeption der Aufklärungsbewegung) wohl eine typisch postmoderne…