Wölfe füttern

Ich hatte heute über den Teufel zu predigen, der (so der erste Petrusbrief) als brüllender Löwe sein Unwesen treibt. Nun gibt es ja Menschen, die sich den Teufel sehr „real“ vorstellen, als Individuum, als bösartige Persönlichkeit, als überdimensionalen Schurken, der quasi-transzendent, weil bekanntlich „immer und überall“ ist. Aber selbst aus dieser Gruppe erzählt eigentlich niemand von einer unmittelbaren Begegnung, sondern von eher indirekten Erfahrungen. Da liegt dann auch die Brücke zu allen, die sich den Teufel nicht so handfest und überdimensional vorstellen oder auf jede Art von Teufelsvorstellung verzichten. Denn auch sie machen Erfahrungen, die manchmal so verstörend sind, dass unwillkürlich Worte wie „teuflisch“ bemüht werden.

Also habe ich mich gefragt, wie sich der gemeinsame Nenner dieser Erfahrungen wohl beschreiben lässt, die irgendwie über den üblichen, banalen Allerweltsegoismus hinausreichen. Wahrscheinlich lässt sich das, was da als „teuflisch“ erlebt wird, schwer auf eine stimmige Formel bringen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass grundloser Hass und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit für viele ebenso dazugehören wie epidemisches, hochgradig infektiöses Misstrauen und die Dämonisierung anderer, und natürlich exzessive Brutalität samt deren spitzfindigen oder kruden Rechtfertigungen. Allerdings liegt darin womöglich auch ein Problem, wenn wir bestimmte Formen von Bosheit in menschlichem Verhalten als irgendwie unmenschlich und unverständlich oder unerklärbar einstufen. Das wäre dann quasi die Umkehrung mancher Gottesbeweise, die zur Erklärung der Welt etwas übernatürliches Gutes und Mächtiges heranziehen (beziehungsweise voraussetzen).

Vielleicht ist es aber gar nicht das Übermächtige und Exzessive, sondern die Art und Weise, wie uns manche Dinge unter die Haut gehen, das Klima unter Menschen vergiften und zu einer gefühlten (und damit irgendwann auch tatsächlichen) Ausweglosigkeit, Resignation und Ohnmacht führen, die alle Hoffnung dämpft und guten Antriebe lähmt, die wir als teuflisch erfahren. Dann ließen sich hier auch die ideologischen Verblendungen einbeziehen, die der Gewalt im Namen „guter“ Dinge (Nation, Ordnung, Sicherheit, rechter Glaube) legitimierend den Weg ebnen. Menschen, die die ersten Christen schikanierten und drangsalierten, durften sich damals ebenso als gute Römer und Patrioten fühlen wie alle, die heute Menschen aus anderen Kulturen und Religionen als Feinde betrachten, sich demonstrativ als Deutsche oder Abendländer oder sogar Christen gebärden.

Zum Glück ist der Teufel kein Glaubensgegenstand. In den altkirchlichen Bekenntnissen ist von ihm nicht die Rede, im Neuen Testament erscheint er nur sporadisch und eben indirekt – verhüllt in beklemmenden Erfahrungen und bedrohlichen Geräuschen, die einen vor allem dann zermürben können, wenn man ihnen zu viel Aufmerksamkeit schenkt.

Wolf by arne.list, on Flickr
Wolf“ (CC BY-SA 2.0) by arne.list

Wir haben hier keine Löwen, aber derzeit siedeln sich erfreulicherweise wieder Wölfe in Deutschland an. Damit das Zusammenleben mit Menschen gelingt, müssen sie „vergrämt“ werden. So lernen sie, Abstand zu Menschen und deren Siedlungen zu halten und jede Konfrontationen zu vermeiden. Auf keinen Fall, so die Tierschützer, darf man sie füttern.

Manchmal frage ich mich, ob wir im übertragenen Sinne nicht genau das tun – Wölfe füttern. Durch Sensationslust und Skandalisierungen, – die dunkle Seite der medialen „Hypes“ unserer Tage – und durch Verächtlichmachung von Personen statt Kritik an deren Positionen (etwa wenn Höcke die Kanzlerin als „Trulla aus der Uckermark“ beschimpft), durch die Verrohung des politischen und gesellschaftlichen Diskurses in sozialen Medien, die sich eigentlich kaum noch satirisch parodieren lässt, weil sich immer der schrillste Ton durchsetzt in der Stimmenvielfalt. Angst- und Zerrbilder rangieren ganz oben in der aktuellen Aufmerksamkeitsökonomie. Kein Wunder, dass der Pessimismus durch die reflexartige Fixierung auf das Negative stetig zunimmt.

Meine Tochter lebt in Würzburg, meine Schwiegereltern in Ansbach. Beides friedliche Orte, die vor ein paar Wochen unversehens zum Schauplatz des Terrors wurden. In den tagen danach fragten sich viele, ob man nun noch mit der Bahnfahren oder auf ein Fest gehen kann. Gegenkultur bedeutet in dieser Situation, die Wölfe (oder den Löwen) nicht zu füttern. Weder die Wölfe im eigenen Kopf, noch die in der öffentlichen Debatte. Daher heißt es im 1.Petrusbrief auch, wir sollen nüchtern und wachsam sein.

Nüchtern, damit nicht Furcht zu Panik wird, Ärger zu Hass oder Trauer zu Verzweiflung, weil wir den Bezug zur Wirklichkeit verlieren, die oft weit weniger schlimm ist als ihre Dramatisierungen in konfusen ARD-Brennpunkten und der Sensationspresse. Vorbildlich nüchtern war beispielsweise der Pressesprecher der Münchner Polizei nach dem Amoklauf im Juli.

Und Wachsamkeit ist nötig, weil wir den Balken im eigenen Auge so gern übersehen. Man muss nicht an der Teufel glauben, um das zu verstehen.

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