Segen (26.4.2015)

Gott der Schöpfer,
der die Berge hoch aufragen lässt
und die Bäume fest einwurzelt,
lasse dich stark werden im Glauben

Gott der Versöhner,
der sich zu den Ausgestoßenen gesellt
und den Aggressiven die Stirn bietet,
lasse dich wachsen in der Liebe

Gott der Vollender,
der den Verzagten Mut schenkt
und die Verstreuten sammelt,
lasse dich fröhlich bleiben in der Hoffnung

So segne dich der dreieinige Gott
der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

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Die Sicherheitslücke

Die Sicherheit hat dem Reichtum und dem Ruhm den ersten Rang unter den modernen Götzen abgelaufen. Die Nachrichten spiegeln das fast im Wochenrhythmus wider. Sicherheit ist die fixe Idee, von der die Moderne seit dem Erdbeben vom Lissabon beherrscht wird, hat Zygmunt Bauman in Collateral Damage geschrieben. Dafür ist uns kaum ein Opfer zu groß, bis heute. Wer radikale oder grausame Maßnahmen in der Politik durchsetzen möchte, muss die Bedrohung beschwören. Wer zur Macht aufsteigen möchte, muss sein Programm als Prävention von Risiken verkaufen.

Gestern hat sich nun herausgestellt, dass der BND im Auftrag der NSA nicht nur potenzielle Straftäter überwacht und ausgespäht hat, sondern auch Politiker und Unternehmen, und zwar ohne Kenntnis der (überforderten, inkompetenten oder desinteressierten?) Kontrollorgane, monatlich des Kanzleramtes. Für Kai Biermann von der Zeit ist das der Albtraum der Demokratie. Unterdessen fordern Politiker der GroKo seit Wochen weitere Befugnisse in der Überwachung (die Vorratsdatenspeicherung), obwohl sich die unkontrollierbaren Dienste jetzt schon an keine demokratischen Regeln mehr halten. Und der NSU-Prozess zeigt Woche für Woche, wie deutsche Sicherheitsbehörden sich, etwa mit ihren V-Leuten, im rechten Sumpf verstricken und ihn eher ausweiten, statt ihn trocken zu legen, weil sie selbst längst zur Parallelgesellschaft geworden sind.

Der Absturz von Germanwings 4U9525 hat gezeigt, wie eine Sicherheitsmaßnahme – die gepanzerte Cockpittüre – zur tödlichen Falle für 150 Menschen wurde. Ungeachtet dessen wurden umgehend neue Forderungen erhoben (Berufsverbote für psychisch Kranke), die völlig zu Unrecht Millionen von Menschen als gemeingefährlich stigmatisieren – und es um so wahrscheinlicher machen, dass Betroffene ihre Krankheit möglichst lange verheimlichen, statt sich behandeln zu lassen.

17209448546_f3f217e254_zDer Wahn, alles kontrollieren zu müssen, führt offenkundig dazu, dass wir immer mehr die Kontrolle verlieren. Hier nun schlicht und lapidar auf Gottvertrauen zu verweisen, ist nicht unproblematisch. Gott lässt sich sicher nicht als Garant für unsere Unversehrtheit unter allen Umständen in die Pflicht nehmen. Aber der Glaube, dass Gott auf der Seite der Leidenden steht und die Hoffnung darauf, dass er – spät vielleicht, aber doch – Trauer in Freude verwandeln wird, könnten in uns den Mut wachsen lassen, mit manchen Risiken zu leben.

Denn da, wo wir Risiken um jeden Preis ausschalten wollen, verspielen wir nicht nur unsere Freiheit, wir erschaffen womöglich auch noch schlimmere Gefahren als die, vor denen wir uns fürchten. Das wäre vielleicht der erste Schritt, um aus den Albträumen aufzuwachen.

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Sie erobern schon wieder…

Vorgestern war der 70. Jahrestag der Befreiung Nürnbergs durch die US-Armee. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass es der 20. April war, an dem sie nach 5 Tagen Kampf abgeschlossen wurde. Nürnberg hatte in den Augen der Amerikaner keine große strategische Bedeutung, aber einen hohen symbolischen Wert: Die Stadt der Reichsparteitage, die Stadt der Rassengesetze, die Hochburg des besonders fanatischen Gauleiters Julius Streicher. Später kamen noch die Nürnberger Prozesse dazu.

Nürnberg hat sich viele Gedanken gemacht, wie man mit diesem Erbe umgeht. Ein Dokuzentrum wurde errichtet, die Straße der Menschenrechte setzt einen anderen architektonischen und das Zentrum für Menschenrechte einen anderen inhaltlichen Akzent, allenfalls die Besucher des Norisrings und der großen Open-Air-Konzerte am Zeppelinfeld kommen den inzwischen maroden Bauten des dritten Reiches noch richtig nahe. Und Fanatismus wird allenfalls im Fußball noch toleriert. All das ließe sich als „taking back history“ beschreiben, nur orientiert man sich klugerweise nach vorn und an der Gegenwart.

Etwas ungeschickter lief die – zweifellos gut gemeinte – Bewältigung der düsteren Vergangenheit durch verschiedene christliche Initiativen aus dem pfingstlich-charismatischen Spektrum. Dort wurde der Verweis auf die NS-Zeit immer wieder recht zwiespältig interpretiert, indem man sich zwar klar vom Faschismus abgrenzte, aber das schloss den Eroberungsgedanken nicht ausdrücklich ein, vielmehr wurde dieser einfach umgedreht.

Nachdem damals die Bösen ihren Feldzug von hier aus angetreten hatten, so schien es, sollten das nun die Guten machen und die Stadt, das Land oder neuerdings eben auch den europäischen Kontinent erobern. Natürlich nicht für sich selbst, sondern „für Gott“, aber solche Aussagen klingen in den Ohren vieler, die sie hören und lesen, eben ausgesprochen zwiespältig. Zumal dann, wenn eine Bewegung, die in ihren Selbstbeschreibungen gern das Attribut „radikal“ im Mund führt, dezidiert laut und plakativ auftritt und womöglich auch mit dem für eine offene Gesellschaft typischen Pluralismus von Weltanschauungen und Lebensformen ihre Mühe hat (genau das nämlich verbirgt sich hinter dem Fundamentalisten-Schlagwort des „Säkularen Humanismus“), solche Rückeroberungsphantasien in die Welt setzt. Und wenn von nur noch 2% Christen in Europa die Rede ist, dann liegt der Aussage ganz offenkundig eine massiv verengte Definition von Christsein zugrunde.

Freilich waren es in der Regel nicht die Gemeinden aus Nürnberg oder der Region, die solche Parolen erfanden. Aber die Vorstellung, Ausgangspunkt einer gewaltigen Erweckung zu werden hat, zumal wenn man das immer wieder von Außen gesagt bekommt, ja auch etwas Schmeichelhaftes und Verlockendes. So ließe sich die Schmach der Vergangenheit vielleicht ja auch schneller und effektiver abschütteln oder kompensieren. Meine Frage an dieser Stelle ist allerdings, ob sich die Christen in der Region einen Gefallen tun, wenn sie die alten und überholten, vor allem in amerikanischen Köpfen aber immer noch dominierenden Zuschreibungen übernehmen, selbst wenn sie auf deren Umkehrung hoffen.

Anders gefragt: Muss denn der Segen, den wir uns wünschen, in einem spiegelbildlichen Verhältnis zum „Fluch“ des dritten Reiches stehen, oder darf er vielleicht ganz anders aussehen? Was für eine Geschichtstheologie wird denn da eigentlich bemüht in der Werbung für fromme Massenveranstaltungen? Ist Gott an solche Kontinuität gebunden, interessiert sie ihn oder ist er doch vielleicht völlig frei, in dem wo und wie er handelt? Und könnte man das den Initiatoren (fast hätte ich „Invasoren“ geschrieben…) künftig bitte freundlich, aber unnachgiebig ausreden?

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Das geteilte Haus

Hebron, heute eine Großstadt im Westjordanland. Hier liegen in der Höhle Machpela Abraham und Sara, Isaak und Rebekka begraben. Über der Höhle am Rande der Altstadt befindet sich ein Gebäudekomplex, der aus einer Moschee und einer Synagoge besteht. Die Abraham-Moschee ist eine ehemalige byzantinische Kirche, die Synagoge war schon immer Synagoge. Die Fundamente beider Gebäude ruhen auf einer Schicht, die noch von Herodes dem Großen stammt.

In der Moschee ist gerade noch das Mittagsgebet, also gehe ich zuerst in die Synagoge. Ich passiere zwei Kontrollposten des Militärs und werde auf der Treppe erneut von einem Schwerbewaffneten angesprochen: Where you from? Germany. What do you want? I am a tourist and I want to see the tomb of Abraham. You Muslim? No. You can go in.

Drinnen sitzen in einem Vorraum überwiegend Frauen in einer Tischrunde. Sie winken mit fröhlich zu und eine bringt mir einen Teller mit süßem Gebäck. Ich bedanke mich und nehme einen Happen. Weiter im inneren sitzen hinter einer spanischen Wand Männer und studieren Bücher. Dann erreiche ich den Innenhof. Ein dem Aussehen nach charedischer Jude begrüßt mich und fragt, woher ich komme. Er spricht gebrochen Englisch, aber ich spüre kein Ressentiment, als er hört, dass ich Deutscher bin.

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SynagogeHebron.jpgDann erklärt er mir, dass auf der anderen Seite die Muslime seien und Juden nicht in die Moschee dürfen. Dass der Ausschluss umgekehrt auch gilt, hatte ich ja schon erlebt. Als ich vorsichtig andeute, dass ein Frieden zwischen den Lagern doch im Sinne aller wäre, winkt er ab. Ihr Christen und wir Juden sind friedlich, gibt er mir zu verstehen, aber die Muslime wollen uns alle töten. Ich widerspreche vorsichtig – die Muslime, dich ich bisher getroffen habe, sind friedliche Menschen, die auch viel erduldet haben. Dann wird es schwierig, seiner Antwort sprachlich zu folgen, denn er setzt zu einem Redeschwall an. So viel habe ich dann doch verstanden: Wenn die Palästinenser aus dem Gazastreifen eine Rakete auf uns schießen, dann schießen wir zehn oder hundert zurück. Und dann ist es uns egal, ob und wie viele Frauen und Kinder dort sterben.

Ich frage, ob er sich vorstellen kann, dass es eines Tages Frieden gibt. Ja, sagt er, wenn der Messias kommt.

 

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Ich setze meinen Rundgang fort. Die Grabmale der Patriarchen kann man durch ein offenes Fenster sehen, sie sind mit Tüchern bedeckt. Von der angrenzenden Moschee aus gibt es auch jeweils ein Fenster. Sie sind aber so angelegt, dass man nicht hinübersehen kann. Und vor allem nicht schießen. Das nämlich tat Baruch Goldstein, der 1994 in die voll besetzte Moschee stürmte, 29 Menschen tötete (darunter auch den Imam) und 125 weitere verletzte. Die Muslime zeigen mir ein paar Augenblicke später die notdürftig verspachtelten Einschusslöcher in der Wand ihres Gotteshauses. Sie zeigen mir auch, wo man in die Höhle hinuntersehen kann, und den uralten Gebetsstuhl aus einem einzigen Holzstock, der ein Geschenk Saladins war.

In Hebron schützt die israelische Armee heute mit massiver Präsenz nicht nur die (überwiegend radikalen und militanten) jüdischen Siedler vor den arabischen Nachbarn, sondern inzwischen nolens volens auch die palästinensischen Kinder auf ihrem Schulweg entlang der jüdischen Siedlungen. Mitten in der arabischen Altstadt haben Siedler ein Haus über den Marktgassen besetzt und aufgestockt, auch dort schiebt das Militär nun Wache; und die Händler schützen sich mit Maschendraht über ihren Köpfen gegen den Unrat, der von oben herabgeworfen wird.

Die Organisation Breaking the Silence – ehemalige Soldaten der IDF, die sich kritisch mit ihrer Besatzerrolle auseinandersetzen – bietet Führungen durch Hebron (mit Transfer ab Tel Aviv) an, um die Übergriffe der Siedler zu zeigen: Steinwürfe, faule Eier, Beschimpfungen übelster Art. Yehuda Shaul von Breaking the Silence hat die Zustände hier vor ein paar Jahren schon als Apartheid bezeichnet. Diese eindrückliche Bildstrecke von Christian Peacemakers International zeigt die gegenwärtige Lage sehr anschaulich. Freilich gab es früher, deutlich früher, auch Gewalt von Muslimen gegen Juden, aber seit mehr als 30 Jahren scheint die handfeste Aggression in Hebron doch eher nur in eine Richtung zu verlaufen.

Auf dem Rückweg nach Jerusalem frage ich mich, ob sich Abraham und Sara, die ihr Leben als Fremdlinge führten und kein Land besaßen, im Grab umdrehen würden, wenn sie wüssten, was sich über ihren Gräbern abspielt; und was der Messias wohl sagen und tun wird, wenn er kommt.

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Ein stiller Augenblick

Nablus im Westjordanland, wir haben mit den Frauen vom Bait al Karama Slow Food gekocht und gemeinsam zu Mittag gegessen. Nun wandern wir gemeinsam durch die Gassen der Altstadt. Wir besuchen einen Gewürzladen und auf dem Weg dorthin kommen wir an einem rußgeschwärzten Gebäude vorbei, das seit einem Angriff der Israelis ausgebrannt ist.

An anderen Stellen wird die historische Bausubstanz renoviert und dann sieht man, wie wunderschön diese Stadt sein kann. Westliche Besucher sind hier selten, aber wir werden überall sehr freundlich empfangen. Auf einem der engen Plätze stehen Kinder. Ein kleiner Junge kommt auch mich zu. Es gestikuliert, dass ich ein Foto von ihm machen soll.

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Und dann schaut er ganz still in meine Kamera. Unsere ganze Gruppe hält den Atem an. Ich gehe in die Knie, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein, und löse aus. Auf dem jungen Gesicht leuchtet die ganze Würde dieses Menschenkindes auf. Wortlos bestaunen wir die Offenheit und Verletzlichkeit. Ich zeige ihm das Bild, bedanke mich und wir verabschieden uns. Aber die kurze Begegnung geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

Ich habe das Foto ein paar Tage später an eine unserer Begleiterinnen geschickt. Vielleicht erreicht es den Jungen ja irgendwie. Ich hoffe, er erfährt, dass wir an ihn denken. Und dass wir nicht vergessen, in welcher schwierigen wirtschaftlichen und politischen Lage seine Familie und seine Stadt sich befinden.

Es ist jener stille Moment, der mich vielleicht mehr als alles andere verändert hat auf dieser Reise. Wir sind alle verletzliche Menschen. Wir werden alle mit einer Sehnsucht danach geboren, in Frieden zu leben und offen für einander zu sein.

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Auf dem Weg

Am Damaskustor steigen wir in die Jerusalemer Straßenbahn und fahren nach Nordosten. In der Shufat Street 108 liegt Sabeel, das ökumenische Zentrum für Befreiungstheologie. Sabeel ist das arabische Wort für „Weg“. Wir sind rechtzeitig zum Mittagsgebet dort.

Neben den Leuten, die dort arbeiten, treffen wir zwei Freiwillige des ökumenischen Programms EAPPI, das unter anderem an den israelischen Checkpoints im Westjordanland Beobachter aufstellt, die Schikanen und Menschenrechtsverletzungen der IDF dokumentieren – beziehungsweise durch ihre Anwesenheit möglichst verhindern.

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Wir sprechen gemeinsam die Liturgie auf Englisch und bekannte Teile, wie das Vaterunser, parallel in den jeweiligen Muttersprachen, wir tauschen uns aus über einen provozierenden Bibeltext (Jesus vor Pilatus), wir feiern die Eucharistie unter der Leitung von Naim Ateek, der das Zentrum gegründet hat.

Naim erinnert in den Fürbitten an das Massaker von Deir Yasin: Am 9. April 1948 (auf den Tag vor 47 Jahren) wurden dort etwa 120 Einwohner (von denen nur eine kleine Minderheit bewaffnet war) von jüdischen Untergrundkämpfern getötet, der Rest der 600 Menschen vertrieben. Innerhalb der nächsten Wochen (und noch vor Beginn des sogenannten Unabhängigkeitskrieges) flohen 200.000 bis 300.000 Palästinenser aus ihren Dörfern. Auf dem Gebiet von Deir Yasin steht heute Giv’at Shaul, ein westlicher Stadtteil von Jerusalem. Wir sind nur wenige Kilometer entfernt.

Dann essen wir gemeinsam zu Mittag, erzählen einander, wo wir herkommen und warum wir hier sind. Ich frage Naim, welches von den vielen Büchern dort er mir am meisten empfehlen würde, und er zeigt auf A Palestinian Christian Cry for Reconciliation. Das Vorwort ist von Desmond Tutu. Naim ist anglikanischer Pfarrer und stammt aus Beisan, später lebte er in Nazareth und promovierte in San Francisco. Sein Buch Justice and only Justice gilt als Wegbereiter für das Kairos-Dokument, das vom Ökumenischen Rat unterstützt wird. Es ruft zum gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzung und zur Versöhnung unter den Ethnien und Religionen auf, aber auch dazu, das Schweigen in den Kirchen, der Politik und den Medien zu brechen.

Gestärkt stürzen wir uns wieder ins Getümmel der Altstadt am letzten Tag des Pessach-Festes und am Gründonnerstag der orthodoxen Christen. Orthodoxe Popen mit singenden Pilgergruppen und orthodoxe Juden umgeben von ihren vielen, vielen Kindern wetteifern um die wildeste Bartmode. Wer religiösen Pluralismus studieren möchte, kommt hier voll auf seine Kosten. Wer Ruhe und Besinnung sucht, braucht ein dickes Fell.

Naim Ateek spricht am 5. Juni auf dem evangelischen Kirchentag in Stuttgart. Am Tag danach findet unter dem Motto „Gerechtigkeit schafft Frieden“ ein Studientag von Pax Christi statt, der auch von der ACK in Baden-Württemberg getragen wird und auf dem auch jüdische Aktivisten vertreten sind. Die Veranstaltung ist hochkarätig besetzt und wer eh in der Nähe ist, sollte die Gelegenheit – diesen Kairos – nutzen. Für manche Dinge muss man nicht – jedenfalls nicht immer – nach Jerusalem reisen.

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Koscherer Wein: Eine Preisfrage

Auf dem Berg Garizim, der sich über Nablus im Westjordanland erhebt, liegt eine jüdische Siedlung, mit Schlagbaum und Stacheldraht abgegrenzt. Einer der Siedler führt uns durch seinen Weinberg. Er trägt eine Kippa unterm Käppi und sagt anfangs in jedem dritten Satz „Praise the Lord“. Er liebt seinen Wein und das Land, das – so sagt er – Gott ihnen gegeben hat. Im Buch Jeremia sei doch schon angekündigt, dass sie in Samaria wieder Wein anbauen würden.

Jedes Jahr kommen christliche Freiwillige aus den USA und helfen bei der Lese. Wir bekommen die gekühlten Tanks gezeigt und machen eine kleine Weinprobe. Der Wein ist gut, aber er kostet auch ein kleines Vermögen. Ich frage noch einmal nach dem Land. Er versichert mir, dass die Siedler sich das Land nicht etwa genommen hätten, sondern die Regierung habe es ihnen legal zugeteilt. Ich frage nicht mehr, wie das gehen kann, wenn ein Territorium besetzt ist und das Land anderen Menschen gehört hat, die für den Bau dieser Siedlung enteignet wurden. Oder ob man so mit der Bibel umgehen darf.

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Der Wein ist koscher, erklärt er. Ich erkundige mich nach den Kriterien für koscheren Wein und höre, dass er von Juden gemacht sein muss, die den Sabbat einhalten. Ich frage zurück nach den Erntehelfern, die sind doch keine Juden. Na, was draußen auf den Feldern passiert, zählt nicht. Aber ab der Kelter ist die Produktion ganz in jüdischer Hand. Ich weiß nicht, wann und wo dieser Regeln erfunden wurden (in der Bibel stehen sie, so weit ich weiß, ja nicht). Aber so kann man einen ganzen Wirtschaftskreislauf und eine Wertschöpfungskette durch religiöse Vorschriften nach außen abschließen, eine Art geistig-ökonomischer Stacheldraht.

Ich frage die palästinensischen Christen, wie es ihnen damit geht, dass christliche Zionisten aus den USA die Siedler und damit auch die Politik der Enteignung und den Bruch des internationalen Rechts unterstützen. Sie seufzen, ein bisschen resigniert. Die meisten Amerikaner wissen vermutlich nicht, dass es unter den Palästinensern auch Christen gibt und dass diese Christen genauso wie ihre muslimischen Nachbarn und Freunde unter der systematischen Zerstückelung ihres Landes und den vielen Demütigungen der Besatzungsmacht leiden.

Ich kaufe zögernd eine kleine Menge von dem teuren Stoff. Aber ich weiß, den eigentlichen Preis für das Trinkvergnügen haben andere bezahlt.

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Alltägliche Absurdität

Die ganze Doppelbödigkeit dessen, wie Israel mit den Palästinensern umgeht, zeigte sich mit heute am Beispiel der Mietwagenfirma Budget. Mit meinen Vertragsunterlagen habe ich eine Karte bekommen, auf der die besetzten Gebiete überhaupt nicht als solche gekennzeichnet sind; es sieht da vielmehr so aus, als beginne Israel auf dem Golan und erstrecke sich dann zwischen Jordan und Mittelmeer bis zum Negev.

Gleichzeitig steht im Kleingedruckten meines Mietvertrages, dass ich unter gar keine Umständen mit diesem Auto in Gebiete fahren darf, die der palästinensischen Autonomiebehörde unterstellt sind. Ich wusste das zum Glück schon vorher, sonst hätte ich es vielleicht nicht zur Kenntnis genommen.

Vielleicht ist das Logik-Budget der Verantwortlichen einfach zu knapp gewesen, um diesen Widerspruch zu bemerken?

Andererseits: Vielleicht bemerkt ihn hier aber auch nur deshalb niemand, weil diese absurde Situation schon so lange gewohnter Alltag ist.

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Palästinenser

Als ich das erste Mal das Wort „Palästinenser“ hörte, war ich sieben Jahre alt. In München hatte ein Terrorkommando während der Olympiade 11 Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln genommen, und im Verlauf der Gefechte mit der Polizei kamen schließlich alle Geiseln ums Leben. Ich lernte also, dass das schlimme Leute waren und dass sie zu allem Unglück auch noch gegen Israel waren – gegen das Volk Gottes und die Opfer (so viel wusste ich schon mit sieben) der Nazis. Dass die Mehrheit der Palästinenser friedlich war, hatte niemand erwähnt. Es folgten die heftigen RAF-Jahre, und wer da für Palästinenser war, galt als Sympathisant des Terrors (apropos Terror – der Anschlag in München wurde von deutschen Neonazis unterstützt, aber das blieb ganz lange geheim).

Über die Jahre lernte ich noch einiges dazu, aber es blieb immer ein unangenehmes Thema, weil ein Konflikt im Raum stand, an dem die Welt sich die Zähne auszubeißen schien und von den es tausend widersprüchliche Darstellungen gab. Man kann sich da als Nicht-Experte eigentlich nur die Finger verbrennen, oder?

Seit einem Jahr beschäftigt mich die Frage neu. Als die Situation in und um Gaza letztes Jahr wieder eskalierte, da wollte ich es genauer wissen. Ich näherte mich dem Thema aus der Ferne literarisch durch den Roman „Während die Welt schlief“ von Susan Abulhawa, der ebenso traurig wie schön und versöhnlich ist. Ich bin normal gar nicht nahe am Wasser gebaut, aber diesmal war ich froh, wenn Taschentücher in Reichweite waren.

Das Buch schildert die letzten knapp 70 Jahre Geschichte des palästinensischen Volkes am Beispiel der Familie von Amal, die in Flüchtlingslagern aufwächst, später in die USA zieht und dann wieder zurück kommt nach Palästina. Ohne Hass auf Israel, aber der Schmerz und die Ohnmacht der Vertriebenen und Enteigneten werden beim Lesen verständlich. Und alles, was ich in den letzten Tagen bei verschiedenen Begegnungen gelernt habe, passt dazu.

Israel stellt an manchen Ortschaften auf der Westbank rote Schilder auf, die seine Bürger warnen, diese gefährlichen Gebiete zu betreten. So ein Schild hatte ich offenbar im Kopf. Nach vierzig Jahren ist es nun ausrangiert und ein neues beginnt sich zusammenzusetzen. Es besteht aus anderen Geschichten und Gesichtern. Ein paar davon werde ich in den nächsten Wochen vorstellen. Ich hoffe auf reges Interesse. Nicht meinetwegen, sondern um der Menschen und des Friedens willen.

Wer mag, kann ja schon mal mit Während die Welt schlief anfangen.

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Die Tür zur Freude

Eine vertraute Gestalt am fernen Ufer,
eine vertraute Geste am Küchentisch,
eine Anwesenheit inmitten von Zweifeln,
O Auferstandener Christus
du kommst, um uns zu überraschen und froh zu machen,
du öffnest die Tür zur Freude weit;
voller Hoffnung verehren wir dich;
zögerlich beten wir an.

aus: Kate McIlhagga, Dawn’s Ribbon of Glory

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