Wer kommt zu wem?

Gestern saß ich mit ein paar Theologen zusammen und wir sprachen unter anderem über Vorstellungen und Formulierungen, die in Gebeten und Liedern uns am Beginn so mancher Gottesdienste begegnet sind. DSCF1041.jpg

Da war zum Beispiel die Aufforderung oder Gewohnheit, Gott „willkommen zu heißen“. Wir waren uns schnell einig, dass Gott vermutlich schon deutlich länger „da ist“ als wir. All diese räumlichen Vorstellungen eines Herbeikommens hinken erheblich. Zudem liegt es dem christlichen Verständnis von Gottesdienst deutlich näher, zu sagen, dass wir die Gäste sind und Gott der Gastgeber, statt ihn umgekehrt irgendwohin „einladen“ zu wollen. Das klingt doch schnell etwas großspurig.

Es gibt freilich in der Schrift und der Tradition eine Bitte um das Kommen des Geistes, das (Wieder-)Kommen Christi und das Kommen des Reiches Gottes. Die bezieht sich aber weniger auf das Gelingen eines Gottesdienstes als vielmehr auf den Zustand unserer Welt, die Menschen in so vieler Hinsicht als gottverlassen erfahren. Im Gottesdienst hätte so etwas bei den Fürbitten einen guten Platz.

Auch etwas kontraproduktiv sind die beliebten Tempel-Analogien mit der Vorstellung, dass Gott an einem bestimmten Ort wohnt, vor allem deshalb, weil er dann anderenorts vermutlich schwerer zu erreichen wäre. Denn obwohl z.B. die Psalmen Gottes Gegenwart nicht exklusiv auf den Tempel beschränken, hat dieses Bild häufig eine solche Wirkung. Der eigentlich sakrale „Raum“ ist jedoch die versammelte Gemeinde, in der Gott in einer anderen Weise und Qualität gegenwärtig ist (oder besser: wirkt) als wenn sich jeder selbst genügen würde – das gilt selbst dann, wenn man miteinander „nur“ schweigt. Da wo die Tempelanalogie im Neuen Testament verwendet wird, in Epheser 4, ist wieder nicht vom Gottesdienst im engeren Sinn die Rede, sondern vom Leben der Gemeinde.

Leider etwas technisch und hölzern klingen Formulierungen, die Gottes grundsätzliche Anwesenheit voraussetzen, deren wir uns nun unsererseits bewusst werden. Tatsächlich geht es ja um ein inneres Ankommen und Gegenwärtigsein, um Aufmerksamkeit und eine Ausrichtung des Herzens.

Hilfreicher ist da vielleicht der etwas altmodisch klingende Begriff von Gottes „Angesicht“. Der setzt eine „räumliche“ Anwesenheit schon voraus, nun geht es um das gegenseitige Wahrnehmen und Erkennen, um die bewusste Zuwendung. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie meine Kinder ab und zu, wenn sie auf meinem Schoß saßen und mit mir reden wollten, mit ihren kleinen Händen erst mein Gesicht zu sich hindrehten um Blickkontakt zu bekommen, bevor sie losredeten. Sie wollten sich meiner ungeteilten Aufmerksamkeit versichern. Und tatsächlich wissen wir heute, dass sich das Selbstwertgefühl und das Ich-Bewusstsein eines Babys durch den Blick in das Gesicht seiner engsten Bezugsperson entwickelt.

Am Beginn eines Gottesdienstes geschieht etwas Ähnliches. Wenn wir „Gottes Angesicht suchen“ (Ps 27,8), dann wollen wir ihm begegnen, seine Zuwendung erfahren, erkannt (und durchschaut) werden, uns seiner ungeteilten Aufmerksamkeit bewusst werden. Umgekehrt müssen auch wir unsere ungeteilte Aufmerksamkeit auf Gott richten – in uns selbst, in den anderen. Wenn in der Bibel vom „Leuchten“ des göttlichen Angesichts die Rede ist, dann ist damit diese liebevolle, gütige und freundliche Zuwendung gemeint, die uns Frieden und Geborgenheit schenkt in einer chaotischen Welt, der wir aus eigener Kraft nicht Herr werden.

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