Authentisch glauben

To have faith does not mean, however, to dwell in the shadow of old ideas conceived by prophets and sages, to live off an inherited estate of doctrines and dogmas. In the realm of faith only he who is a pioneer is able to be an heir. The wages of spiritual plagiarism is the loss of integrity; self-aggrandizement is self-betrayal.

Authentic faith is more than an echo of tradition. It is a creative situation, an event. For God is not always silent, and man is not always blind.

Abraham Heschel

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Die guten Fragen bleiben

»Die interessanten Fragen bleiben immer Fragen. Sie bergen ein Geheimnis. Mann muss jeder Antwort ein ‚vielleicht‘ hinzufügen. Nur die uninteressanten Fragen habe eine endgültige Antwort.«

Eric Immanuel Schmitt, Oskar und die Dame in Rosa

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Weisheit der Woche: Erkennen

Für den Philosophen ist Gott ein Objekt, für betende Menschen ist er das Subjekt. Ihr Ziel ist nicht, ihn als Konzept des Erkennens zu besitzen, informiert zu sein über ihn, als wäre er eine Tatsache neben anderen. Sie sehnen sich danach, von ihm ganz in Besitz genommen zu werden, Gegenstand seines Erkennens zu sein, und das zu spüren. Die Aufgabe ist nicht, das Unbekannte zu kennen, sondern von ihm durchdrungen zu sein; nicht zu kennen, sondern von ihm erkannt zu werden, uns ihm auszusetzen, nicht ihn uns; nicht zu urteilen und sich zu behaupten, sondern zu hören und von ihm beurteilt zu werden.

Abraham J. Heschel, Man is not Alone, S. 128f.

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Alpha analysiert (3): Das „blaue“ Kreuz

In den letzten Jahren haben sich für mich eine ganze Reihe von Fragen an „Fragen an das Leben“ ergeben. Vor einigen Wochen habe ich begonnen, die in einer Serie von Blogposts etwas zu bearbeiten. Zum einen ist das eine Antwort auf etliche Anfragen, die mich zu den Themen des Kurses erreicht haben, zum anderen denke ich, dass von einer offenen Diskussion alle profitieren, auch wenn der eine oder andere Kommentar unten kritisch ausfällt. Die positiven Seiten habe ich übrigens hier gewürdigt.

Im zweiten Kapitel das Alpha-Kurses folgt der Christologie die Soteriologie, also die Lehre von der Erlösung. Auch hier ist der modernistische Charakter der Logik und Begrifflichkeit unübersehbar. Und wieder ist der Einstieg sehr direkt: Nicky Gumbel beginnt mit „dem Problem“ – Sünde – auf das dann „die Lösung“ – Kreuz – folgt.

Sünde wird klassisch als individuelle moralische Schuld verstanden, die jedem anhaftet, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Sie wird mit den Begriffen „Korruption“ (hier als Verunreinigung und Verderbnis verstanden) und „Kontrolle“ (Unfreiheit) bezeichnet, die „Kosten“ heißen Tod und die „Konsequenz“ ewige Trennung von Gott. Im theologisch konservativen Spektrum ist das nichts Ungewöhnliches, aber der soziale und strukturelle Aspekt fällt dabei ebenso unter den Tisch wie andere Vorstellungen, die nicht in Kategorien von Recht und Moral angesiedelt sind, etwa der Verlust der Gottebenbildlichkeit. Wieder kann man diskutieren: Notwendige Elementarisierung oder problematische Verkürzung? Ich tippe eher auf Verkürzung, das zeigt sich im weiteren Verlauf des Kapitels auch immer deutlicher.

Es folgen zwei deftig ausgemalte Hinrichtungsszenen: Pater Maximilian Kolbe, der in Auschwitz für einen Mithäftling stirbt, und die Kreuzigung Christi. Mit einem Zitat von Raniero Cantamalessa wird schließlich gesagt, dass Jesus stellvertretend für jeden einzelnen Menschen den Zorn Gottes erleidet. Ob und inwiefern irgendein Zusammenhang zwischen Leben und Verkündigung Jesu und diesem stellvertretenden Tod besteht, wird dabei mit keinem Satz bedacht. Die Problematik der Verbindung Gott-Zorn-Gewalt bleibt ebenfalls unkommentiert. Wie schon die Gestalt Jesu erscheint auch das Ereignis der Kreuzigung aus allen historisch-politischen Bezügen gelöst. Dabei hätte man wunderbar beschreiben können, wie seine Solidarität mit den ausgewiesenen „Sündern“ Jesus auch ganz konkret ans Kreuz brachte.

Vier Bilder – ein Muster

In Anlehnung an John Stott werden – und auch das hätte vom Ansatz her gut werden können – nun vier Metaphern für das Kreuz thematisiert: Aus dem Kultus der Begriff des Opfers, das Bild des Lösegeldes im Sinne des Freikaufs eines Sklaven oder Verschleppten, der Begriff des Freispruchs vor Gericht – der allerdings durch eine eilig angefügte Beispielgeschichte ad absurdum geführt wird, in der ein Richter die Strafe eines schuldig gesprochenen Delinquenten aus eigener Tasche bezahlt, ihn also gerade nicht freispricht und damit auch nicht „rechtfertigt. Viertens klappert das Thema „Versöhnung“ etwas nach, zu dessen Illustration der verlorene Sohn angeführt wird. Dass in dieser Geschichte überhaupt keine Transaktion „nötig“ war, die Vergebung des Vaters weder ein „Opfer“ noch einen „Preis“, ja nicht einmal eine Entschuldigung voraussetzte, bleibt auffällig unkommentiert.

Von den vier Bildern bleibt für die weitere Argumentation letztlich doch nur eben jene Kombination aus Opfer und Lösegeld übrig, die in den meisten zeitgenössischen Kolportagen von Anselms Satisfaktionslehre üblicherweise erscheint. Warum aber Gott einen Unschuldigen brutal töten muss, um mir vergeben zu können, bleibt unklar. Am Ende kommt die Zuspitzung im Sinne des augustinischen „Gott und die Seele“: Nicht nur gilt der Tod Christi jedem einzelnen, es geht auch, so muss man das wohl doch lesen, um nichts anderes als die Versöhnung des Individuums mit Gott.

Vereinfacht oder verengt?

Nun war die Vergebung individueller Schuld ja bereits unter den Bedingungen des „alten“ Bundes kein Problem – dafür gab es den Tempel, die Opfer, die Priesterschaft, die Kultvorschriften. In der Verkündigung Jesu erscheint dieser Aspekt als viel weniger problematisch, vielmehr tritt – je länger, je mehr – Gottes Gericht über sein Volk in den Vordergrund, dessen „Sünde“ nicht in moralischer Verkommenheit, nicht einmal in arroganter Leistungsfrömmigkeit bestand, sondern darin, dass es seinen geschichtlichen Auftrag aus dem Blick verloren hatte, die Spirale der Gewalt nicht bremste und so für den Rest der Welt weder Segen noch Licht mehr war. Deshalb wählt ja der Leidensmessias den Märtyrertod, um einen eschatologischen Neuanfang mitten in der gefallenen Welt zu setzen und einen neuen, gemeinschaftlichen Exodus aus der Herrschaft lebensfeindlicher Kräfte zu ermöglichen. Das Kreuz Christi ist nach Darstellung der synoptischen Evangelien Resultat eines politischen Prozesses und weder ein kultisches Ereignis noch eine Form von Satisfaktion. Ausgerechnet diese beiden Metaphern sind heute für viele Menschen ohne fromme Sozialisation unverständlicher denn je, taugen also nur sehr eingeschränkt.

Vor ein paar Jahren war ich auf einer Tagung und habe dort über die verschiedenen Farben der „Spiral Dynamics“ gesprochen und wie das Evangelium auf den unterschiedlichen Frequenzen ganz unterschiedlich erscheint. Am Nachmittag sprach mich eine Teilnehmerin auf den zweiten Abend des Alpha-Kurses an uns sagte, der sei ja tiefblau. Ich denke, sie hat das ganz richtig beobachtet. In der Art und Weise, wie das Kreuz hier thematisiert wird, findet nicht nur eine notwendige Zuspitzung, sondern eine hinderliche Verengung statt, die es manchen Hörern eher erschweren dürfte, einen Zugang zu finden – wenn sie nämlich nicht aus dem Milieu der Traditionalisten und Corporate Achievers stammen, wie John Drane es nannte, wo die Logik von Schuld und Strafe, beziehungsweise die Ökonomie der Transaktionen, weitgehend unhinterfragt gilt.

Man könnte die Perspektive aber auch ganz anders wählen. Slavioj Žižek hat das in Die gnadenlose Liebe recht anregend getan, wenn er schreibt:

Das Opfer Christi ist daher in einem radikalen Sinne sinnlos: kein Tauschakt, sondern eine überflüssige, exzessive, ungerechtfertigte Geste, die Seine Liebe zu uns, zur sündigen Menschheit beweisen soll. Es ist so, wie wenn wir in unserem Alltagsleben jemandem »beweisen« wollen, dass wir ihn/sie wirklich lieben, und dies nur mittels einer überflüssigen Geste der Verausgabung tun können. Christus »zahlt« nicht für unsere Sünden; Paulus hat deutlich gemacht, dass eben diese Logik der Bezahlung, des Tausches, gewissermaßen die Sünde selbst ist und die Wette von Christi Tat darin besteht, zu zeigen, dass diese Kette des Tausches durchbrochen werden kann.

Christus erlöst die Menschheit nicht dadurch, dass er den Preis für unsere Sünden entrichtet, sondern indem er uns zeigt, dass wir aus dem Teufelskreis von Sünde und Vergeltung ausbrechen können. Statt für unsere Sünden zu bezahlen, löscht Christus sie buchstäblich aus und macht sie durch seine Liebe rückwirkend »ungeschehen«.

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Alpha analysiert (2): Der dekontextualisierte Jesus

Viele andere Glaubenskurse schlagen erst einen weiten anthropologischen („Der Sinn des Lebens“) und theologischen („Gibt es einen Gott?“) Bogen, bevor sie „zur Sache“ kommen und von Jesus reden. Der Mut, mit Jesus einzusteigen, hat mir bei Alpha immer gefallen. Auch deswegen, weil ich denke, alles christliche Reden von Gott und vom Sinn des Lebens muss sich schon vom ersten Ansatz her an Jesus orientieren. Sonst landet man schnell bei philosophischen Gottesbildern, die – etwa weil sie leidensunfähig sind – sich mit der Geschichte des leidenden Messias nicht mehr in Einklang bringen lassen.

In der konkreten Umsetzung jedoch stellt uns Nicky Gumbel vor ein großes Problem, indem er sein Jesuskapitel unter die Perspektive der Zweinaturenlehre stellt. Die erkenntnisleitende Fragestellung lautet, ob Jesus nur ein guter/interessanter/naiver/wichtiger Mensch war, oder der Sohn Gottes. Denn wäre es das nicht, so sagt Gumbel mit C.S. Lewis, dann war er ein Irrer oder ein Verführer. Und so werden die Evangelien nach Hinweisen auf alles abgeklopft, was Jesus von gewöhnlichen Menschen unterscheidet; neben den Wundern gehören etwa die „Ich-bin-Worte“ aus dem Johannesevangelium zu den Belegen. Die komplexe johanneische Frage wird jedoch nirgends aufgeworfen. Die Implikation ist, dass Jesus in seiner Verkündigung neben Aussagen zur Ethik und zum Heilsweg vor allem die eigene gottmenschliche Person thematisiert.

Weitgehend auf der Strecke bleibt dabei Jesus, der jüdische Prophet, die unbestreitbar politische Dimension seiner Reich-Gottes-Verkündigung und die Kontroversen um seinen messianischer Anspruch, wie sie N.T. Wright und andere herausgearbeitet haben. Von da aus ließe sich dann sehr wohl begründen, warum die Alte Kirche Jesus mit Gott in einer ganz bestimmten Weise identifiziert hat und wie die Vorstellung von der Dreieinigkeit Gottes entstehen konnte. Im jüdischen Kontext wurde der Begriff „Sohn Gottes“ damals ohne solche metaphysischen Konnotationen verwendet. Wenn Kaiphas Jesus in Markus 14 fragt: „Bist Du der Sohn des Hochgelobten?“ dann zielt das auf den Anspruch Jesu, der messianische König der Juden zu sein.

Denn die Auffassung, Jesus sei durch Palästina gezogen und hätte ständig von sich als der zweiten Person Gottes geredet, ist historisch absurd, wie Wright immer wieder betont. Das ist vor allem ein nachösterliches Thema. Erst im Rückblick auf die Auferweckung wird das analogielose Verhältnis Jesu zum Vater im Neuen Testament zum Thema (vgl. Römer 1,4) und der jüdische Monotheismus behutsam erweitert. Man kann die Christologie des 4. und 5. Jahrhunderts nicht einfach in die Evangelientexte zurückprojizieren. Freilich hat die christliche Kirche genau das Jahrhunderte lang getan und die meisten konservativen Evangelikalen tun es bis jetzt. Und so trifft Wrights Urteil nicht nur, aber auch den Alpha-Kurs, wenn er schreibt:

Für viele konservative Theologen würde es ausreichen, wenn Jesus (irgendwann im Verlauf der menschlichen Geschichte und vielleicht aus irgendeiner Rasse) von einer Jungfrau geboren worden wäre, ein sündloses Leben geführt hätte, einen Opfertod gestorben und drei Tage später von den Toten auferstanden wäre (N.T. Wright, Jesus and the Victory of God. Christian Origins and the Question of God Vol. 2, Minneapolis 1996, S.14)

Wright hat in Simply Christian gezeigt, dass man die Frage „Wer war Jesus“ auch anders beantworten kann. Nicky Gumbel dagegen verweist zum Ende (aber eben nicht zu Beginn) seines Plädoyers (das Schlüsselwort heißt evidence) für die Göttlichkeit Jesu Christi auf die Auferstehung. Damit stellt er seine Zuhörer vor die schroffe Entscheidung nach dem Alles-oder-Nichts-Schema, wenn er schreibt:

Zum Schluss stehen wir also, wie es C. S. Lewis ausgedrückt hat, „vor einer erschreckenden Alternative“. Entweder war (und ist) Jesus der, der er zu sein behauptete, oder er war verrückt oder noch Schlimmeres. C. S. Lewis erschien es offensichtlich, dass Jesus weder verrückt noch vom Teufel besessen war, und er schlussfolgerte: „[…] das bedeutet dann aber, dass ich anerkennen muss, dass er Gott war und ist – auch wenn mir das seltsam oder furchterregend oder einfach unwahrscheinlich vorkommt.

In Wirklichkeit gab und gibt es unter Christen eine Vielzahl von Perspektiven auf Jesus mit ganz unterschiedlicher Nuancierung. Allein der Satz „Jesus war Gott“ wurde und wird unterschiedlich verstanden und ausgelegt. So aber fällt nicht nur das Jüdische an Jesus weitgehend heraus (welch eine Ironie, wenn man bedenkt, dass Nicky Gumbels Vater als gebürtiger Jude aus Stuttgart emigrierte!), es kann auch durch diese unnötige Verengung des Horizontes schon zu Beginn des Kurses ein gewisser Druck entstehen. Gute MitarbeiterInnen werden es verstehen, ihren Gästen diesen Druck wieder zu nehmen. Besser wäre es für meinen Geschmack, wenn sie das gar nicht müssten.

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Alpha analysiert (1): Kochbuch-Methodismus und Zahlenverliebtheit

Zur Erinnerung: Ich hatte neulich meine positiven Erfahrungen mit Alpha und die guten Seiten dieses Konzepts gründlich beleuchtet. Jede Stärke hat freilich auch ihre Schattenseite, und auch die lässt sich klar benennen. Ich versuche das hier mal aus meiner begrenzten Perspektive.

1. Die quasi „magische“ Rezeptur:

Zugegeben, Alpha hat eine beeindruckende Erfolgsgeschichte geschrieben. Auf die statistische Seite komme ich später noch zurück, den ökumenischen Aspekt habe ich schon erwähnt. Da liegt es nahe, nach dem Grundsatz „never change a winning team“ zu verfahren, zumal sich auch bald herausstellte, dass viele eigenwillige Adaptionen (wir lassen ein paar Abende/Themen weg, wir verzichten auf das Wochenende etc.) keineswegs Verbesserungen darstellten.

So darf es durchaus inhaltliche Elementarisierungen wie Jugend-Alpha geben, und jede(r) Referent(in) vor Ort kann eigene Beispiele und Erfahrungen in seine Kursvorträge einbauen, man verzichtet auch auf „Zertifizierungen“ oder „Lizenzierungen“ (das gibt es bei anderen Konzepten durchaus auch). Der Freiheit des Anwenders entspricht aber eine starke Betonung der Werktreue. Nicky Gumbels Questions of Life ist unter der Hand zu einer Art sacred text geworden. Verständlicherweise: Man kann durchaus, vor allem wenn man in London lebt, wo gefühlt alle Welt Englisch zu sprechen scheint und die Interessenten aus aller Herren Länder einem die Tür einrennen (während man die Skeptiker und die Enttäuschten nie zu Gesicht bekommt), den Eindruck gewinnen, dass Alpha ohne jede mühsame „Portierung“ immer und überall „funktioniert“.

Das klappt bei Coca-Cola ja auch bestens: die geheimnisvolle Rezeptur verkauft sich überall auf der Welt so gut, dass man sie möglichst unangetastet lässt. Also hat nach 20 Jahren selbst Nicky Gumbel seinen Text nur ganz leicht bearbeitet. Ausgetauscht wurden ein paar Zitate und Beispiele, gleich blieb die modernistische Apologetik á la C.S. Lewis und Nicky Gumbels Rhetorik im Stile des After-Dinner-Talks. Bei Schulungen und Trainingstagen wird – mit einem gewissen Recht – dann auch empfohlen, sich zunächst einmal möglichst so genau ans „Rezept“ zu halten, wie man das als Laie bei einem Kochbuch von Jamie Oliver tun würde.

Eine (nicht nur mir) aus hunderten von Gesprächen mit Leuten an der „Basis“ bekannte Tatsache ist aber auch, dass dieser Ansatz viele überfordert. Intuitiv merken „Anwender“, dass Stil und/oder Inhalt gewisse Inkompatibilitäten mit dem eigenen Kontext aufweisen. Und dann entstehen aus der Verlegenheit heraus problematische Adaptionen, die wiederum nur den Appell zu größerer „Werktreue“ verstärken. In der Schweiz hatte der katholische Pfarrer Leo Tanner das Problem schnell erkannt und das Material für seinen Kontext bearbeitet. Es war und blieb jedoch ein inoffizieller Schritt, dem keine weiteren mehr folgten.

Angesichts der Tatsache, dass unsere Gesellschaft seit Anfang der Neunziger viel postmoderner geworden ist, dass Deutschland mit seinem Drittelmix aus Protestantismus, Katholizismus und Atheismus in Glaubensdingen anders „tickt“ als die Briten, und angesichts der spürbaren Veränderungen, die der 11. September 2001 in der öffentlichen Debatte über Religion in der Gesellschaft ausgelöst hat, hätte hier gedanklich mehr investiert werden müssen. Nicky Gumbel dagegen ist keiner, der unentwegt theologisches und gesellschaftliches Neuland erkundet, sondern ein Meister des Recyclings. Egal ob er auf Dawkins oder den Da Vinci Code antwortet, er greift immer wieder auf seine eigenen Argumente zurück, die er in Why Jesus, einer Auskopplung aus Questions of Life, vor gut 20 Jahren geschrieben hat.

Dieser Hang zum Methodismus und die Konzentration auf eine zentrale Figur zeigen sich auch an anderer Stelle: Die Einheit der Kirchengemeinde Holy Trinity Brompton mit ihren vielen Gottesdiensten, die etwa in der Frage von Uhrzeit, Musikstil und Ambiente durchaus eine gewisse Vielfalt aufweist, hängt vor allem am Aushängeschild oder der Galionsfigur des Predigers, und so muss Nicky sich gelegentlich aus einem laufenden Gottesdienst ausklinken, um rechtzeitig am nächsten Veranstaltungsort zu erscheinen, wenn er nicht gleich per Video als digitale Konserve dort eingespielt wird. Oder darin, dass neben Alpha alle möglichen Kurse entwickelt und von einem engagierten Vertriebsteam verbreitet worden sind: Allen voran der Marriage Course (das Gesamtprogramm Ehe und Familie firmiert unter „Relationship Central„), dazu kommt zum Beispiel „Worship Central“ oder „God at Work“ aus der Feder des Investment-Bankers und HTB Ken Costa, der zwar einen ethischen Kapitalismus möchte, aber eine europäische Bankensteuer vehement ablehnt.

Der Begriff „Zentrale“ fällt keineswegs zufällig, er spiegelt eine bestimmte Mentalität wider: Vor zwei Jahren traf ich den Leiter des missionarischen Amtes einer deutschen Landeskirche, der gerade aus London zurückkam und etwas konsterniert bemerkte, dort werde ja für jede Lebenslage ein Kurs angeboten. Ich bin sicher, dass viele Menschen von diesen Kursen profitieren. Zugleich entsteht aber auch der Eindruck, dass da im Prinzip schon alle Antworten irgendwo vorfabriziert und abrufbar sind. Es kommt viel heraus aus diesem Pool, aber man ist (wie bei so manchen Megachurches) nicht immer sicher, ob da auch noch viel von Außen hineingeht.

Zurück zu Alpha: Ich vermute ja, dass weniger der theologische Gehalt der Vorträge den Kurs so populär gemacht hat als vielmehr der informelle Stil, die schon lobend erwähnte Kultur der Gastfreundschaft und – sofern er live oder (in vielen Kursen außerhalb von London) via DVD erscheint – die sympathische Ausstrahlung von Nicky Gumbel.

2. Verliebt in Zahlen

In den ersten Jahren verlief das Wachstum von Alpha spontan und tatsächlich exponentiell. Natürlich hält eine solche Entwicklung nie unbegrenzt, und so begannen die Kurven flacher zu werden. Nun könnte man sich damit begnügen, die guten Erfahrungen der Gemeindebasis weiterhin für sich selbst sprechen zu lassen. Dann hätte sich ein verzweigtes, aber vielleicht auch etwas unübersichtliches Netzwerk entwickelt. In den letzten Jahren wurde allerdings die Tendenz immer deutlicher, aus Alpha eine Art Franchise-System zu machen: Man lizensiert ein Erfolgskonzept an einen regionalen oder nationalen Vertriebspartner, der vor Ort zwar selbständig agiert, aber mit sehr klaren Vorgaben und Erwartungen.

Der überraschende Anfangserfolg wie die beschriebene Entscheidung zur Vertriebsstruktur bedingen eine gewisse Zahlenverliebtheit, die bis heute ein hervorstechendes Merkmal der Öffentlichkeitsarbeit von Alpha ist, wie das Video oben zeigt. Wenn aber das Selbstbild mit der ansteigenden Kurve gekoppelt ist, kann das zur Falle werden. Zum einen wecken diese Kurven unrealistische Erfolgserwartungen bei Leuten, die Kurse anbieten wollen. Zum anderen wirken sinkende Zahlen nach innen verunsichernd, weil sie vom System her nicht vorgesehen sind, das sich auf die Geschichten von Wachstum und Erfolg spezialisiert hat, die sich in Zahlen darstellen lassen. Als wir die Statistik für Deutschland vor ein paar Jahren kräftig nach unten korrigierten – nicht aufgrund eines echten Rückgangs, sondern weil Kurse, deren Daten in den letzten 12 Monaten nicht aktualisiert wurden, jetzt automatisch nicht mehr erschienen – hat das reichlich Unruhe ausgelöst auf beiden Seiten des Ärmelkanals.

Es ist gewiss auch gesunder Pragmatismus, wenn man versucht, immer auf das Positive zu sehen, die Erfolge zu feiern, sich mit Problemen und Niederlagen nicht lange und schon gar nicht allzu öffentlich aufzuhalten. Statt lange über die Gründe des Scheiterns zu philosophieren, steht man lieber auf, blickt nach vorn, beschreitet andere Wege oder findet neue Partner. Geht man diesen Schritt aber zu schnell, dann verpasst man die Gelegenheit, über tiefere Fragen nachzudenken als die Arithmetik der Kennzahlen – und dabei etwas über sich selbst zu lernen, das einen schließlich auch verändern kann. Erfolge zu feiern und über Niederlagen zu trauern ist kein Widerspruch, sondern nur ein gesundes Gleichgewicht. Mit der sprichwörtlichen britischen stiff upper lip funktioniert das für mein Empfinden eher schlecht.

Der britische Theologe John Drane hat schon 2008 recht scharf formuliert:

Alpha is highly rationalized, and though to some people the label of ‚McDonaldization‘ is a bad thing, ab by-word for oppressive structures, narrow-mindedness and personal exploitation, Nicky Gumbel repeatedly cites the business model associated with this label as a way of justifying the imposition of a rigid form of control that insists that Alpha must conform to a particular scheme wherever it is delivered, regardless of the local cultural context. … In spite of the fact that discussion and questioning appears to be encouraged, the reality is that Nicky Gumbel always ha the right answer. Alpha tries to address this criticism though its informal style, the emphasis on meals, time spent in groups, and going away for weekends. … To use a communal model effectively, we need to trust the process, and Alpha (at least in its official formulations) fails to to this because all the outcomes need to be tidy.

Ich weiß nicht, ob etwa Graham Tomlin auf Dranes Bedenken irgendwo geantwortet hat. An anderer Stelle (vgl. z.B. den Godpod des St. Paul’s Theological Centre, wo auch Jane Williams – die Frau von Rowan Williams – mitwirkt) wird ja durchaus offen und mit weitem Horizont diskutiert. Vielleicht wirkt sich das irgendwann auch einmal auf andere Bereiche des HTB-Kosmos aus.

Mir geht es mit diesem Zitat nur darum zu zeigen, dass eben immer wieder dieselben Punkte hinterfragt werden. Und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass solche Kritik organisationsintern auf den internationalen Alpha-Treffen, an denen ich teilgenommen habe, nirgendwo diskutiert wurde. Man breitet einfach den Mantel des Schweigens darüber – vielleicht auch nur aus Hilflosigkeit. Aber manchmal ist keine Antwort für das Gegenüber eben auch eine Antwort. Im Alpha-Kurs, das habe ich gleich zu Beginn gelernt und seither auch immer beherzigt, sind alle Fragen erlaubt. Meine Hoffnung ist, dass die Organisation, die daraus entstanden ist, das auch eines Tages noch lernt.

Mehr als das Hochglanz-Marketing, schreibt John Drane am Ende des oben zitierten Artikels, ist vielleicht ja die ehrliche Verletzlichkeit derer, die im Alpha-Kurs mitarbeiten, das Geheimnis seines offensichtlichen Erfolges.

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