Wink schon wieder

… aber er ist einfach gut:

In der geistlichen Renaissance, die wie ich glaube im Entstehen ist, wird es nicht die Botschaft des Paulus sein, die die Herzen zusammenschweißt, wie in der Reformation und der wesley’schen Erweckung, sondern die menschliche Gestalt Jesu. Und unter den Lehren Jesu werden die Aussagen zur Gewaltlosigkeit und der Liebe zu den Feinden einen zentralen Raum einnehmen. Nicht weil sie wahrer wären als alle anderen, aber weil sie der einzige Weg sind, Unterdrückung zu überwinden ohne neue Unterdrückung zu schaffen.

Ich gebe zu bedenken, dass die entscheidende religiöse Frage heute nicht mehr die Frage der Reformation sein sollte, „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ sondern vielmehr „Wie finden wir Gott in unseren Feinden?“ Was die Schuld für Luther war, ist für uns der Feind geworden: der Stecken, der uns zu Gott treiben kann. Was oft eine reine Privatangelegenheit war – Rechtfertigung aus Gnade durch Glauben – ist in unserem Zeitalter so groß geworden, dass es die Welt umgreift. Wie John Stoner anmerkte, können wir uns vor unseren Feinden ebenso wenig retten wie vor unseren Sünden, aber Gottes erstaunliche Gnade rettet uns vor beidem.

Tatsächlich gibt es für unsere Zeit keinen anderen Weg zu Gott als durch unseren Feind, denn den Feind zu lieben ist zum Schlüssel geworden, sowohl für das Überleben der Menschheit im Atomzeitalter als auch für persönliche Veränderung. Heute müssen wir, mehr als je zuvor, uns dem Gott zuwenden, der die Sonne über den Bösen und den Guten aufgehen lässt, oder wir haben gar keine Sonnenaufgänge mehr.

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Offene Wunden

Gestern abend bekam ich eine e-Mail von einem Freund aus Winnenden, der die Betroffenheit in der Nachbarschaft und unter den Freunden seiner Kinder (bzw. deren Familien) beschrieb. Ich war erleichtert, dass seine Familie verschont geblieben ist, aber der Amoklauf hat die ganze Stadt natürlich traumatisiert, schreibt er.

Noch ein Gedanke ließ mich den ganzen Tag nicht los, nämlich der an die Eltern des jugendlichen Täters. Über ihre möglichen Fehler will ich bewusst nicht spekulieren. Aber während alle anderen Eltern, die um ihre Kinder trauern, sich der grenzenlosen Solidarität aller sicher sein können, hat dieses Paar Hausdurchsuchungen, Vernehmungen und Verdächtigungen (von denen manche zutreffen mögen und andere nicht) ertragen müssen. So mancher, der schon mal ein Problem mit ihnen hatte, wird sich bestätigt fühlen. Reporter werden aus den Nachbarn pikante Details herauskitzeln, aus denen sie uns ihren eigenen auflagenträchtigen Aufguss der Geschichte servieren. Wer aber hört ihnen einfach einmal zu, ohne zu urteilen? Wer gesteht ihnen das Recht und den Raum zu, selbst zu trauern, wer nimmt die Tragik der Situation, die auch sie überrollt hat, ernst? Und wenn es jemand wagt, ihnen beizustehen, was wird er sich so alles anhören dürfen?

Selbst wenn die Untersuchungen später einmal mit einer Entlastung enden sollten, die Familie wird immer mit der Bluttat identifiziert werden. Eigentlich kann man in einer solchen Situation nur noch wegziehen und seinen Namen ändern. Und dann lebt man in der Fremde mit einem dunklen Geheimnis, denn die Bilder gingen ja um die ganze Welt. Es sei denn, das Unmögliche gelingt in Winnenden, freilich nicht über Nacht: dass die Eltern der Opfer ihnen die Hand zur Versöhnung reichen. So etwas kann man nicht fordern. Aber es ist auch nicht undenkbar.

Deutschland, so las ich gestern in einem der vielen Berichte, ist nach den USA das Land mit den meisten Amokläufen in den letzten Jahren. Das will so gar nicht zu unserem kollektiven Selbstbild passen. Die Antwort auf dieses Rätsel werden wir nur finden, wenn wir nicht einfach mit dem Finger auf den einzelnen Täter und sein unmittelbares Umfeld zeigen.

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