Verfahrene Situation

Dscf2692 Am Samstag löse ich ein Versprechen an meinen Sohn ein und fahre mit dem kleinen Autonarren auf die IAA. Von selbst wäre ich da nicht hin, aber so erweitern Kinder eben die Horizonte der Eltern. Vielleicht fallen mir deshalb die Messeberichte mehr auf als in den letzten Jahren. Vielleicht sind sie aber auch tatsächlich spannender geworden, seit die Klimadebatte so richtig läuft. In der Zeit kommt der Verkehrswissenschaftler Hermann Knoflacher zu Wort. Das Interview ist rasend interessant, weil er den Einfluss des Autos auf unser Bewusstsein analysiert:

Das Auto versetzt uns in ein Raum-Zeit-Gefüge der Verantwortungslosigkeit, das wir weder begreifen noch bewältigen können.

Vielleicht sollten die Bosse der hiesigen Autohersteller öfter einmal einen ausgedehnten Spaziergang machen, denn, so schreibt der Spiegel heute, sie könnten international den Anschluss verlieren wie die Kollegen aus den USA, nach denen dieses Jahr kein Hahn kräht:

Nachdem sich der Trockeneisnebel verzogen hat wird noch deutlicher, wie blank Mercedes-Benz und andere bei Themen wie Hybridantrieb, CO2-Emissionen oder Gewichtsreduktion tatsächlich sind. Die deutschen Konzerne werden etliche Jahre brauchen, um bei Öko-Autos wieder die Führung zu übernehmen. Wenn sie es überhaupt schaffen.

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Mystiker und Aktivisten

Beim Durchackern von Henri Nouwen, der ja nicht nur sieben Monate im Trappistenkloster gelebt und geistliche Literatur gelesen und verfasst hat, sondern sich auch der l’Arche in Rochmond Hill bei Toronto anschloss oder zuvor schon Gustavo Gutierrez und die Armen in Lateinamerika besuchte, bin ich wieder auf die Frage gestoßen, ob soziales Engagement und kontemplative Spiritualität (mehr als andere Prägungen?) in einem direkten und konstruktiven Zusammenhang stehen – etwa als Pole, die einander ergänzen oder auf einander bezogen sind.

Nouwen ist ja nicht der einzige. Welche Beispiele kennt Ihr noch?

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Geregeltes Leben

Auch Jason Clark denkt über eine Regel für seine Gemeinde nach. In einer Zeit des Wandels darf auch eine Spiritualität, die sich der Suche und dem Weg verschrieben hat, nicht auf eine gewisse Stabilität verzichten, um sich nicht in ziellosem und beliebigen Nomadentum zu verlieren.

Vor ein paar Wochen hat sich auch Alan Roxburgh anlässlich eines Besuchs in Lincolnshire über missionale Orden, notwendigen Rahmenbedingungen für geistliches Wachstum, Gastfreundschaft und lokales Verwurzeltsein geäußert, und im Oktober findet dazu in Seattle eine Konferenz von Allelon statt:

Conversations with leaders of the Northumbria Community more than a year ago revealed that increasing numbers of church leaders across the UK are entering into this ancient, well practiced way of the church. These practices of Christian life cross the boundaries of organized and ‘organic’ notions of church. The formation of an order provides the opportunity for many of us to move past the ideological divides so characteristic of recent conversations about the church and risk learning together about the way of formation for the sake of the church. It is this desire to invite leaders of all kinds to experiment together around a simple rule of life that lies at the basis of our desire to call leaders together to look at the form of such an order.

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Henry Nouwen – Reaching Out (3): Kreativ antworten

Die Bewegung von Einsamkeit zur Stille stellt keinen Rückzug von den drängenden Fragen unserer Zeit dar. Sie erlaubt es, unser ängstliches Reagieren in eine liebende Antwort umzuformen. So lange wir auf der Flucht vor unserer Einsamkeit sind, bleiben wir abhängig von der Aufmerksamkeit anderer, die unsere Welt zum Götzen macht. Viele unserer Aktivitäten sind nur Reaktionen auf ein launisches, sich ständig veränderndes Umfeld und wachsen nicht aus unserem Innersten heraus. Dort reift in der Stille und im geduldigen Hören auf unsere Welt eine Antwort.

Nouwen berichtet von einem Priester, der sein Zeitungsabo kündigte, weil ihn die vielen schlechten Nachrichten in seiner Andacht störten. Echtes geistliches Leben, so setzt er dagegen, kann mit diesem Nachrichten umgehen, sie werden Teil unserer Kontemplation und bringen eine angstfreie, liebende Antwort hervor. Unsere eigene Geschichte hört auf, eine Kausalkette oder eine bloße Abfolge von Ereignissen zu sein, sondern sie wird zum Ruf nach einem veränderten Herzen und Denken. Die Welt hört auf, diabolisch zu sein (indem sie uns ständig zwingt, für die eine und gegen die andere Seite Partei zu ergreifen) und wird symbolisch, indem wir lernen, innere und äußere Ereignisse, Persönliches und Politisches, zusammen zu bringen.

Ein Kollege erklärte Nouwen einmal, er habe sein ganzes Berufsleben über die ständigen Unterbrechungen seiner Arbeit durch andere geklagt, bis er am Ende erkannte, dass diese Unterbrechungen seine eigentliche Arbeit waren. Unerwünschte Ereignisse, die unsere Kreise stören, führen zu stillem Protest bis hin zu ohnmächtiger Wut dessen, sich sich als Opfer der anderen sieht. Wir könnten sie aber als Einladungen sehen, einen ausgedienten Lebensstil aufzugeben und neue Erfahrungen zu machen, weil sich dahinter nicht ein böser Zufall, sondern eine fürsorgliche Hand verbirgt.

Es ist tragisch zu sehen, wie das religiöse Empfinden im Westen so individualisiert worden ist, dass Konzepte wie ein “zerknirschtes Herz” sich nur noch auf persönliche Schulderfahrung bezogen werden und die Bereitschaft, dafür Sühne zu leisten. Das Bewusstsein unserer Unreinheit in Gedanken, Worten und Taten kann uns tatsächlich in eine reumütige Stimmung versetzen und Hoffnung auf eine vergebende Geste wecken. Aber wenn die Katastrophen unserer Tage, die Kriege, Massenmorde, ungezügelte Gewalt, überfüllten Gefängnisse, Folterkammern, der Hunger und die Krankheit von Millionen Menschen und das unbeschreibliche Elend eines Großteils der Menschheit in sicherem Abstand zur Stille unserer Herzen gehalten wird, dann bleibt auch Reue bloß ein frommes Gefühl. (S. 31)

Sünde und Bosheit, Heilung und Vergebung haben ganz andere Dimensionen als nur die unserer Innerlichkeit. Aber wie lebt man mit der Last solcher schrecklichen Nachrichten und Ereignisse? Manche von uns sind darüber zu unbequemen Mahnern geworden, die andere in ihrer bequemen Ruhe der Selbsttäuschung stören und uns helfen, in unsere Verantwortung für die Welt hinein zu wachsen. Hält uns die Angst vor unserer eigenen Ohnmacht davon ab, nicht nur die Wunden zu betrachten, die wir auch heilen können? Sind wir lieber blind und taub als anzuerkennen, dass nicht wir die Herren des Universums sind?

Viele Aktivisten sind daran gescheitert, dass ihr Protest nicht tief genug ging. Dann droht Kritik selbstgerecht zu werden und der Druck, zu schnellen Lösungen zu kommen, wächst. Nur wenn sich der Verstand hinunter begibt in das Herz ist unsere Antwort tief genug verwurzelt, um nicht bitter und zynisch zu werden, wenn der erwartete Erfolg ausbleibt. Echter Protest verlangt von uns, dass wir zugeben, dass die Probleme der Menschheit auch mit uns zu tun haben. Wir haben sie vielleicht nicht verursacht, aber wir sind gerufen, darauf eine Antwort zu geben.

Thomas Merton hat von der “Wüste der Barmherzigkeit” geschrieben, in der Wasser aus dem dürren Land hervorbricht und die Armen alles besitzen werden. Je mehr Merton die Stille seines Herzens kultivierte, desto mehr wurde er in seiner barmherzigen Solidarität mit den Leidenden zum zum Wortführer für viele, wenn er schreibt:

nun ist es transparent offenbar geworden, dass eine automatische “Zurückweisung der Welt” und “Missachtung der Welt” tatsächlich gar keine Entscheidung ist, sondern ein Ausweichen wor der Entscheidung. Der Mensch, der meint, er könne Auschwitz oder Vietnam den Rücken kehren und so tun, als gäbe es das nicht, blufft einfach. Ich denke, sogar Mönche räumen das im Allgemeinen ein.

Barmherzigkeit, die in der Stille geboren wurde, macht uns unsere Geschichtlichkeit bewusst. Die aktuellen Manifestationen des Bösen und des Todes sind keine lästigen Unterbrechungen mehr, sondern ein Ruf zur eigenen Umkehr und zur Veränderung der Herzen, so dass sie eine unerschöpfliche Quelle von Großzügigkeit, Hoffnung und neuem Leben werden.

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Henry Nouwen – Reaching Out (2): Empfängliche Stille

Immer wieder haben sich in der Kirchengeschichte Menschen zurückgezogen, um sich zu sammeln. Viele zieht es zumindest zeitweise an solche stillen Orte. Aber Stille ist vor allem eine Sache des Herzens, die vom äußeren Rahmen nicht unbedingt abhängt. Wer sie gefunden hat, wird nicht mehr von allen möglichen Reizen hin- und hergerissen. Wer diese aufmerksame Ruhe kennt, fühlt sich auch nicht mehr leer und einsam.

 Cms Uploaded Assets Henri Nouwen Op Skatebord 515051916Aber meistens schwanken wir uns zwischen diesen Polen von Einsamkeit und gefasster Stille. Und das innere Gleichgewicht können wir nur bedingt beeinflussen. Alles spirituelle Leben beginnt mit dieser Achtsamkeit, mit der wir auf die Stimmen aus uns selbst hören. Oft gehen wir mit unseren Fragen ratsuchend zu anderen, um Antworten zu bekommen. Aber manchmal müssen wir lernen, erst einmal uns selbst wirklich wahrzunehmen und unsere tiefsten Wünsche und Sehnsüchte richtig kennen zu lernen.
In der Verwandlung von Einsamkeit in Stille beginnen wir, die Stimme unserer Berufung zu hören. Unsere Fragen, Anliegen und Probleme müssen diesem Test ausgesetzt werden, um zu reifen, wie Rilke schrieb:

Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.

In der Stille werden wir für uns selbst gegenwärtig und beginnen, wirklich im hier und jetzt zu leben. Das war auch die Erfahrung von Thomas Merton: Die Stille öffnete ihn erst für andere. Jenseits aller Unterschiede verbindet uns die Tatsache, dass wir Gott gehören, mit allen anderen Menschen – und mit Gott selbst, der Mensch geworden ist um unseretwillen. Menschliche Sorgen und Kummer erscheinen in einem anderen Licht. Wir sind uns die Stille also auch um der anderen willen schuldig. Denn ohne sie erleben wir andere nicht als von uns selbst verschieden, als eigenständige Wesen, sondern nur als Verlängerung unseres Ego, die der Erfüllung unserer (verborgenen?) Wünsche dient.

Das Mysterium der Liebe ist, dass sie das Alleinsein des anderen achtet und ihm den Raum lässt, aus seiner Einsamkeit in eine schließlich gemeinsame Stille zu finden. Dann entdecken wir die Gegenwart Christi in der Gegenwart des anderen – auf diesem “heiligen Boden” entsteht wahre Gemeinschaft. Solche tiefen Begegnungen erweitern die Kapazität unserer Stille, so dass daraus wieder mehr Raum für Gemeinschaft mit anderen entsteht. Für diese Art von Freundschaft spielt dann auch die räumliche Nähe nur noch eine untergeordnete Rolle. Manchmal fühlt man sich anderen sogar näher, wenn sie abwesend sind.

Gemeinsames Leben kann eine große Freude sein, aber nur, wenn es nicht zum Selbstzweck wird, aus dem wir unseren Wert und unsere Zufriedenheit beziehen. Wenn Besuche und Anrufe nötig sind, um die Panik der Einsamkeit fern zu halten, sind wir Opfer unseres Jammerns geworden. Freundschaft und Gemeinschaft sind nicht planbar, machbar und können nicht eingefordert werden, aber wenn wir uns – auch inmitten quälender Einsamkeit – innerlich dafür bereit machen, werden sie uns vielleicht geschenkt.

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Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe…?

Simon hat ein neues Fass aufgemacht und nach Beiträgen gefragt. Ich habe den folgenden Text vor ein paar Jahren zum Millennium geschrieben, aber das ist ja universalgeschichtlich gesehen nur ein Klacks, also sollte das meiste noch aktuell sein…

Ob christlich oder nicht: Unsere Vorstellung von den „letzten Dingen“ prägt unser tägliches Verhalten weit mehr, als uns bewusst ist. Sie ist nämlich immer eine Aussage, über das, was Gott eigentlich und wirklich will und was demzufolge ewigen Bestand hat, auch wenn alles andere vergeht. Wer also für die Endzeit vor allem die Rache Gottes an den Gottlosen erwartet, der neigt heute schon zumindest zu verbalen Ausrutschern gegen Andersdenkende. Manch einer sichert sich seinen Platz im Himmel durch ein Selbstmord-Attentat, weil Allah Märtyrer bevorzugt. Wer an ein vorbestimmtes Schicksal glaubt, liest lieber Horoskope, statt selbst Verantwortung zu übernehmen. Ein Christ in Neuseeland bekannte gar in einem Interview, er kümmere sich nicht um das Problem der Ozonschicht und Treibhausgase, weil er hoffe, dass Jesus rechtzeitig zurückkomme. Klar: Wenn ich damit rechne, dass Gott nur „Seelen” rettet und den alten Globus in die Luft jagt, warum heute überhaupt einen einzigen Gedanken an die Erhaltung der Schöpfung verplempern?

So gedeiht eine Art „Horoskop-Christentum“: Ich lese die Bibel wie andere ihren Nostradamus. Dann beobachte ich, wie sich der „Plan Gottes” erfüllt, den mir christliche Endzeitautoren spitzfindig aus der Bibel herausdestilliert haben. Jede weitere Katastrophe bestätigt mich in dem wohlig-schaurigen Bewusstsein, dass das Ende naht. Aber nachdem das alles so kommen muss, und um dem Willen Gottes nicht zu widerstehen, werde ich kaum noch mitleiden, kaum noch beten, und schon gar nichts mehr ändern wollen.

Problematische Denkmuster
Es gibt eine Reihe verbreiteter, aber nicht unbedingt passender Endzeit-Vorstellungen, die uns den Zugang zu den biblischen Aussagen verstellen. Ein paar möchte ich kurz umreißen:

a) Das Verfallsschema: Es sieht vor, daß sich zwischen erstem und zweitem Kommen Christi alles zuspitzt und verschlechtert, als würde die Welt und die Kirche auf einer Rutschbahn mit steigendem Tempo nach unten rasen. Vorboten des Antichristen allenthalben, Verführer und Irrlehrer in der Kirche, der große Abfall steht unmittelbar bevor. Die Logik ist: je verzweifelter die Lage, desto näher das Ende.

b) Die umgekehrte Denkbewegung beschreitet der Triumphalismus: Hier mag es in der Welt auf und ab gehen, aber die Christenheit geht unaufhaltsam der einen großen und weltumspannenden Erweckung und dem apokalyptischen Showdown entgegen.

c) Das vor allem im Bereich des christlichen Fundamentalismus beliebte Schema des „Dispensationalismus“ geht von einer Abfolge verschiedener Zeitalter aus, die jeweils einen ganz eigenen Charakter haben und streng unterschieden werden. Die bekannteste Schlussfolgerung lautete, dass Wunder und Geistwirkungen in unserer Zeit nicht dem Plan Gottes entsprechen. Wenn daher wirklich Wunder geschehen, war es vermutlich Schwindel oder gar der Teufel.

d) Die Entwicklung Israels ist ein weiterer Sonderfall. Israel wird gelegentlich als „Zeiger an der Weltenuhr Gottes” bezeichnet. Nach fast 1900 Jahren Stillstand scheint er sich nun also wieder zu bewegen. Jesus und das gesamte Neue Testament dagegen schweigen sich demonstrativ aus, wenn es um eine Verbindung zwischen dem Ziel der Menschheit und dem national-politischen Schicksal Israels geht. Die Heidenvölker werden weder unterworfen, noch pilgern sie zur Wohnstätte Gottes auf dem Zion, wie es Jesu jüdische Zeitgenossen erwartet hatten. In das neue Jerusalem der Offenbarung des Johannes ziehen alle Völker gemeinsam ein, es steht kein Tempel mehr dort, es gibt keine herausgehobene Priesterschaft. Israels endzeitliche Rolle ist darin erfüllt, dass aus seiner Mitte der Messias für die ganze Welt gekommen ist. Jetzt steht nur noch aus, dass auch Israel dies mehrheitlich begreift (Römer 11,25ff).

Das Problem der apokalyptischen Bildersprache
Viele eigenartige Endzeit-Lehren beruhen auf einem Missverständnis. Sie nehmen die bildhaft-symbolische Sprache apokalyptischer Texte in der Bibel zu wörtlich, etwa im Buch Daniel oder der Offenbarung des Johannes, aber auch bei Jesus oder Paulus. Immer wieder werden dort Aussagen über Gottes Handeln wie auf eine gewaltige kosmische Leinwand projiziert. Die Weltreiche der Antike geben ein Drama mit grotesken Gestalten und bissigen Karikaturen ab. Plötzlich, so scheint es, handelt und richtet Gott nicht mehr nur durch geschichtliche Ereignisse, sondern die Elemente der Welt spiegeln das Ringen wider und scheinen in der Glut zu zergehen (2.Petrus 3,12f).

Interessant ist, wie die ersten Christen dies verstanden: Wir denken unwillkürlich an das Weltende, wenn wir in Joel 3,1ff vom „Tag des Herrn“ lesen. Als aber Petrus in seiner Pfingstpredigt diesen Abschnitt zitierte, setzte er offensichtlich voraus, dass sie erfüllt war – obwohl die kosmischen Zeichen am Himmel (die er selbst erwähnt!) weit und breit nicht zu sehen waren. Die Bildersprache der Apokalyptik verschlüsselte also Aussagen über Gottes Handeln an seinem Volk und in der Welt in dramatischen Bildern, weil die Sache an sich – nämlich dass Gott selbst kommt! – so neu, so unvorstellbar, so grandios war, dass dürre Worte und gängige theologische Begriffe einfach nicht ausreichten. Es geht um das, was sich im Verhältnis zwischen Gott und Menschheit end-gültig abspielt, nicht aber um das buchstäbliche Ende in einer kosmischen Katastrophe. Auch die Offenbarung des Johannes ist kein Fahrplan für die Endzeit, in dem ein Ereignis nach dem anderen programmgemäß abläuft, und in dessen Koordinaten man auch noch alttestamentliche Prophetien beliebig einfügen könnte. Eher schon ist sie ein surrealistisches Theaterstück auf mehreren parallelen Ebenen. Was tatsächlich wann und wie passieren wird, können wir aus diesen Metaphern nie genau ableiten.

Wenn man überhaupt nach einem Kriterium sucht, um unsere endzeitliche „Position” zu bestimmen, dann vielleicht dieses: Das Evangelium von der Herrschaft Gottes wird allen Völkern bekannt gemacht. Zu diesem Punkt finden wir in der Schrift ganz konkrete und eindeutige Formulierungen (vgl. Mt 24,14). Es mag noch einigen Aufwand erfordern, aber wir können diesen Faktor zumindest aktiv beeinflussen: Durch Gebet, indem wir gehen, und indem wir ganzheitliche Mission vor Ort und in aller Welt fördern: All das, was den passiven „Horoskop-Christen“ kaum noch gelingt, weil sie lediglich das persönliche Plätzchen im Himmel anstreben.

Wann kommt das Weltende?
Für Jesus und die Autoren des Neuen Testaments gab es nur zwei unterscheidbare Zeiten: den jetzigen und den kommender „Äon” (griechisch: „Aion“ für Zeit, Welt, Weltzeitalter). Deswegen laufen all die gelehrten Theorien des Dispensationalismus ins Leere, die ein System verschiedenster Zeitalter konstruieren. Noch ein wenig komplizierter wird die Sache dadurch, dass alter und neuer Äon sich überlappen: Wer unter Gottes Herrschaft lebt, lebt schon jetzt unter den Bedingungen der neuen Zeit, während im alten Äon das „Fleisch”, die Sünde und der Tod regieren. Für die jüdischen Zeitgenossen Jesu und der Apostel war es enorm schwer zu verstehen, dass nicht der „Tag des Herrn“, wie sie immer angenommen hatten, der alten Weltzeit ein radikales Ende setzt und die neue einläutet, sondern dass sich der neue Äon in der Person Christi und im Wirken des Geistes mitten in den alten sozusagen hineingemogelt hat. Jesus selbst spricht von Geburtswehen: Der Einbruch des Neuen verursacht erhebliche Spannungen. Es kommt, es ist sogar schon da, aber noch nicht in allen Einzelheiten sichtbar – wie in einer Schwangerschaft. Die Auswirkungen sind verwirrend: Mal erleben wir Wunder und Heilungen, mal bleiben sie unerklärlich aus. Einerseits kennt die Kirche Jesus als den Sieger, gleichzeitig leidet sie an so vielen Orten unter den schon besiegten, aber nicht völlig entwaffneten Mächten der Welt, die kopflos um sich schlagen.

Deshalb war die Botschaft Jesu nicht: „Werdet anständige Christen, dann kommt ihr auch später in den Himmel.” Er ließ keinen Zweifel daran, dass der Himmel hier und heute zu ihnen gekommen war: Durch Vergebung der Sünden, Heilung von Krankheit, wiederhergestellte Würde und soziale Beziehungen. Für jeden, der sich der Herrschaft Gottes öffnet, hat der Himmel, hat die neue Schöpfung schon begonnen (2.Korinther 5,17). Das Ende der alten Weltordnung steht jedoch noch aus bis zur Wiederkehr des Auferstandenen. Und zwischen diesem ersten und dem zweiten Kommen des Messias Jesus liegen „die letzten Tage“, wie Petrus in Apg 2,17 sagt. Diese Zeit ist durch kein anderes Ereignis qualifiziert als diese beiden Pole. Solange sie aber andauert, ist christliche Nah-Erwartung immer ein Kennzeichen lebendigen Glaubens (Philipper 4,4f).

Vollendung oder Vernichtung?
In vielen unserer Bibelübersetzungen verstecken sich hinter dem deutschen Wort „Welt” die griechischen Begriffe „Aion“ und „Kosmos”; der erste bezieht sich auf „Welt“ in ihrer geschichtlich-zeitlichen, der zweite auf Welt in ihrer räumlich-materiellen Dimension. Wenn nun (wie in Matthäus 28,20) vom „Ende der Welt” die Rede ist, steht dort „Aion“; die Aussage bezieht sich also auf das Ende des gegenwärtigen Zeitalters der Unterdrückung und Zerstörung, nicht aber auf ein Ende dieser Erde.

Der Kosmos, unsere geschaffene Welt, geht also nach Paulus nicht keinem gigantischen „End-Knall” entgegen, sondern wird von seiner Verfallenheit an den Tod und die Vergänglichkeit erlöst (Römer 8,19ff). Hand in Hand mit dieser Erwartung der Vollendung der Welt geht der Gedanke der leiblichen Auferstehung. Und beides trägt die Handschrift Gottes, der schon Noah zugesagt hatte, dass er seine Schöpfung nicht der Vernichtung preisgeben würde, und dem sogar die Tiere Ninives leid taten. Die populären christlichen Szenarien vom globalen Super-GAU haben also keine tragfähige biblische Grundlage. Ihre Denkrichtung widerspricht dem Wesen Gottes zutiefst. Die Lust am Untergang, die aus vielen Passagen dieser Schriften spricht, ist eher eine traurige Perversion des Evangeliums vom menschgewordenen Gott, der sich mit seiner Schöpfung so total identifiziert.

Vollendung statt Vernichtung bedeutet, dass Gemeinschaft und Beziehungen unter neuen, erlösten Bedingungen fortdauern und wir frei werden von Krankheit, Verfall und Tod (Auferstehung). Es bedeutet die Durchsetzung von Gerechtigkeit und Befreiung von der Macht, den Folgen und der Gegenwart von Sünde in der Welt (Gericht). Die Schöpfung erhält ihre ursprüngliche Herrlichkeit zurück. Gott wird alles in allem sein.

Wer hat an der Uhr gedreht?
Uns allen läuft die Zeit in Sekunden, Stunden und Jahren unaufhaltsam und unumkehrbar davon. Gott aber hat eine andere Zeitperspektive als wir, viel weniger linear und gleichmäßig. Lange passiert scheinbar nichts, dann alles auf einmal. Tausend Jahre sind wie ein Tag (2. Petrus 3,8ff) – das ist kein neuer Umrechnungsfaktor (etwa für das „tausendjährige Reich“…?), sondern es bedeutet: unsere Kategorien spielen bei ihm keine Rolle.

Da ist es nicht weiter verwunderlich, wenn es von Jesus heißt, dass er Alpha und Omega ist, Anfang und Ende. In Jesus nämlich hat Gott mitten in der Geschichte das getan, was alle erst am Ende der Geschichte erwartet hatten: Das Problem der Sünde und des Bösen gelöst, Gottes Herrschaft in Kraft gesetzt, sein Volk befreit von diesen seinen wahren Feinden. In Jesus, dem Erstgeborenen von den Toten, ist die erlöste neue Schöpfung schon sichtbare Wirklichkeit geworden. Für uns steht die Vollendung noch aus, aber im Heiligen Geist haben wir die unwiderrufliche „Anzahlung” und den definitiven Vorgeschmack schon jetzt. Ein Freund von mir sagte daher: „Jede Generation steht mit dem Gesicht zur Ewigkeit.“ In bestimmter Hinsicht sind wir alle der Vollendung gleich nah.

Vermutlich aber sollten wir noch einen Schritt weitergehen und sagen: Wir leben nicht in den letzten Tage des alten Zeitalters, zumindest nicht in dem Sinn, wie es das Judentum zur Zeit Jesu sich das Ende weithin als Zuspitzung der Geschichte und Abrechnung Gottes mit den Heidenvölkern vorstellte. Stattdessen erleben wir die ersten Tage der neuen Welt! Wir blicken bereits zurück auf den alles entscheidenden Wendepunkt: Das Kreuz und das leere Grab. Die größte Revolution der Weltgeschichte hat ihren entscheidenden Durchbruch bereits erzielt, das alte System ist überwunden, auch wenn noch erbitterte Rückzugsgefechte stattfinden.

Das bedeutet, dass wir in eine Zukunft gehen, die nicht immer einfach, aber die offen ist. Es gibt keinen in allen Einzelheiten festgefügten Plan, nach dem die Weltgeschichte unweigerlich abläuft. Diese Vorstellung würde uns nur ein in falscher Sicherheit wiegen, weil die Welt berechenbar scheint. Wir brauchen also weder wie gebannt auf immer schlimmere Katastrophen zu warten, noch können wir uns darauf verlassen, dass die globale Erweckung von selbst kommt. Es liegt auch nicht alles an Israel und unserer Einstellung gegenüber dem Judentum. Vielmehr ist die Frage, ob wir wach genug sind, jede Gelegenheit zu nutzen, um hier und heute mit Gott Geschichte zu machen. Die Verantwortung liegt bei uns. In den ersten Tagen der neuen Schöpfung zu leben bedeutet: Die Zukunft hat eben erst begonnen.

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Henry Nouwen – Reaching Out (1): Einsamkeit, die erstickt

Ich hatte vor einer Weile ein paar Zitate aus Henri Nouwens Klassiker Reaching Out gepostet, hier nun eine etwas systematischere Zusammenfassung in mehreren Teilen. Sie beginnt mit einer Grundbewegung des Lebens aus dem Geist: Von der Einsamkeit zur Stille (from loneliness to solitude).


Zwischen Konkurrenz und Miteinander
Einsamkeit ist eine Erfahrung, die man unweigerlich macht, aber auch scheut: Heimweh und Unverstandensein als Kind oder Teenager, von anderen ignoriert zu werden, auf Parties, in Sitzungen, während der Arbeit oder allein beim vergeblichen Versuch, ein Buch zu lesen. Gesteigert wird das alles durch die Anonymität unserer Städte und den Konkurrenzdruck der Leistungsgesellschaft. Sie führt nicht selten in alle möglichen Formen von Sucht und Abhängigkeit.

Selbst bei geselligen Anlässen bleiben die höflichen Gespräche an der Oberfläche, nichts entsteht an Beziehung, was den Augenblick überdauert. Die Sprache verrät den Wunsch nach Nähe, aber den Schmerz der Einsamkeit kann sie nicht heilen. Er sitzt zu tief.

Das Meiden der schmerzhaften Leere
Wir scheuen die Konfrontation mit unserer eigenen Einsamkeit und verdrängen unseren Schmerz, indem wir in Aktivität, Zerstreuung und Betriebsamkeit flüchten. Aber jede Form von Kreativität setzt voraus, dass wir uns unserer Einsamkeit stellen und die Oberflächlichkeit durchbrechen.

Stattdessen warten wir auf Anrufe, e-mails und Nachrichten, die uns versichern, dass wir nicht einsam sind: “In dem Maß, wie unser inneres Leben versagt, gehen wir immer regelmäßiger und verzweifelter zum Postamt. Sie können darauf zählen, dass der arme Kerl, der mit den meisten Briefen herauskommt, stolz auf seine ausgiebige Korrespondenz, schon lange nichts mehr von sich selbst gehört hat.” (Henry David Thoreau)

Die Gefahr endgültiger “Lösungen”
Die Flucht vor unserer Einsamkeit kann fatale Folgen haben. Ein Ort ohne Schmerz, das Gefühl von Fremdheit und Unruhe existiert nur als Wunschtraum, den uns niemand erfüllen wird. Und wenn wir uns in dieser irrigen Erwartung an andere klammern, zerstören wir die Beziehung zu ihnen, die die Freiheit braucht, sich einander zu nähern und von einander auch wieder zu entfernen. Manchmal meinen wir, jetzt endlich diese Beziehung oder dieses Umfeld gefunden zu haben, nur um dann bitter enttäuscht zu werden.

Aus dieser Sehnsucht nach völliger Geborgenheit entsteht daher ungewollt Gewalt – in Gedanken der Rache, verletzenden Worten oder Taten. Eine Spirale der Zerstörung setzt ein. Bei allem, was man an Einfühlsamkeit und Offenheit in Beziehungen immer auch dazulernen kann, bleiben wir ein unauflösliches Geheimnis für uns selbst und andere. Echte Intimität lässt dieses Geheimnis bestehen.

Auch die Forderung nach totaler Offenheit führt nicht zum Ziel. Alles ans Licht zu zerren oder auszusprechen, kann mehr schaden als nützen, und auch schrecklich trivial werden, so dass gemeinsames Schweigen manchmal mehr Nähe schafft als ständiges Geplapper. Viele Ehen leiden unter der Erwartung, einer könne den anderen aus seiner Einsamkeit retten und eine völlig Harmonie sei erreichbar. Khalil Gibran setzt dagegen:

Singt und tanzt zusammen und seid fröhlich, aber lasst jeden von euch allein sein,
So wie die Saiten einer Laute allein sind und doch von derselben Musik erzittern.
(…)
Und steht zusammen, doch nicht zu nah:
Denn die Säulen des Tempels stehen für sich,
Und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten der anderen.

Von der Wüste zum Garten
Statt vor unserer Einsamkeit zu fliehen, sollten wir sie lieber kultivieren und fruchtbar machen. Mit Mut und Beharrlichkeit lässt sich die Wüste zum Garten umgestalten.

Die Bewegung von der Einsamkeit zur Stille jedoch ist der Anfang allen spirituellen Lebens, weil sie eine Bewegung ist vom ruhelosen Gefühl zum ruhenden Geist, vom Verlangen, das um sich greift zu einer Suche, die nach innen dringt, vom ängstlichen Klammern zum furchtlosen Spiel. (S. 13)

Ein guter geistlicher Begleiter ist jemand, der uns in diesem Prozess helfen kann, uns der eigenen Einsamkeit zu stellen und durch sie hindurch mit Geduld in eine Tiefe hinein zu finden, in der wir unsere Selbsttäuschungen verlieren und neue Quellen von echter Freude und wahrem Frieden finden.

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Weise werden – die Quintessenz

Vielleicht war manchen der Post von gestern zu lange und kompliziert. Ich habe es hier nun noch einmal kurz und knapp und ohne Fachchinesisch versucht:

Weisheit hat mit der von Gott gegebenen (und auf Gott gerichteten) Sehnsucht der Menschen zu tun, intim und ganzheitlich zu erkennen und selbst erkannt zu werden. Letzteres ist zugleich auch eine beängstigende Sache, die das Streben nach Weisheit erschwert und Wachstum zum Stillstand bringen kann.

Sie ist daher mehr als “objektives Wissen”, das den Wissenden nicht verändert und ihm lediglich Macht über den Gegenstand seiner rationalen Erkenntnis vermittelt. Der Geist Gottes nimmt dieses “natürliche” Bedürfnis nun auf und gibt ihm eine neue Qualität: Angesichts eines unendlichen Gegenübers wird unser endliches Erkennen relativiert. Man könnte in Abwandlung des Sprichworts auch sagen: “Wissen ist Ohnmacht”, aber die Ohnmacht des Gekreuzigten ist der endlichen und instrumentellen Weisheit der Welt überlegen.

Für menschliche Identität bedeutet das Befreiung in mehrfacher Hinsicht: Sie ist gehalten von Gottes ewiger Treue, sie wird geöffnet für Gottes hoffnungsvolle Zukunft und damit für ein unbegrenztes geistliches Wachstum (das auch die verschiedenen Formen rationalen Lernens und Erkennens im Dialog mit der Weisheit der Welt einschließt), sie kann anderen Geschöpfen Raum und Freiheit schenken und muss diese nicht zur Bestätigung des eigenen Egos versklaven.

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Transforming Spirituality (2): Weise werden

Die versprochene Fortsetzung hat doch länger gedauert, als ich dachte. Eigentlich wollte ich Kapitel für Kapitel lesen und zusammenfassen, nun habe ich aber doch den ganzen theologischen Teil am Stück gelesen, um mich besser hineinzufinden. Da schon das Buch recht dicht formuliert ist, wird es in dieser (nicht gerade kurzen) Zusammenfassung auch recht anspruchsvoll. Aber vielleicht wirft es ja doch einige Denkanstöße ab oder animiert manche(n) zum Selberlesen:

Die theologischen Kapitel sind parallel aufgebaut: LeRon Shults verfolgt hier das Verlangen nach Weisheit zuerst kurz und knapp durch die Schrift, dann durch die christliche Tradition. Daraufhin fragt er nach dem Beitrag von Philosophie und Naturwissenschaft im Dialog mit Schrift und Tradition und zieht die Schlussfolgerungen in Anlehnung an die Grundgedanken des Wachstumsmodells, das Spiritualität als Intensivierung und fortschreitende Differenzierung der Persönlichkeit im Gegenüber zum Nächsten und zu Gott versteht.

“Spirituelle Transformation” setzt an bei dem menschlichen Verlangen, zu erkennen und erkannt zu werden und zielt ab auf ein “Teilnehmen an der ewigen Intimität, die das Leben des dreieinigen Gottes ist”. Sehnsucht nach Weisheit hat nicht nur den kognitiven Aspekt, sondern mit der Qualität gelebter Beziehungen.

In der Schrift begegnet die Weisheit in personifizierter Gestalt und sie lädt den Menschen ein, ihr leidenschaftlich auf der Spur zu bleiben. Die Weisheit hat eine enge Bindung an die göttliche Kreativität und Vorsehung, wer Anteil an ihr hat, kommt in das rechte Verhältnis zu Gott. Umgekehrt zeigt die Geschichte von Sündenfall, dass Weisheit (und mit ihr viel praktisches Wissen und Fertigkeiten) an die enge Beziehung zu Gott gebunden ist und nicht an Gott vorbei erreicht werden kann. Dies wird im Neuen Testament christologisch interpretiert. Weisheit (und Wahrheit) wird nicht einfach rational erkannt, sondern offenbart sich relational als befreiende Gegenwart Gottes.

In der christlichen Tradition kontemplativer Spiritualität ging es immer darum, Gott zu erkennen und von ihm erkannt zu werden, allerdings waren die anthropologischen und kosmologischen Denkvoraussetzungen hier und da problematisch. Augustinus stellt fest, dass Menschen dieses intime gegenseitige Erkennen (und die Wahrheit, auf die menschliches Denken immer schon gerichtet ist) einerseits ersehnen, andererseits fürchten. Die apophatische Theologie betont, dass der endliche Verstand den unendlichen Gott als Gegenstand des Wissens nicht fassen kann. Nikolaus von Cues kann so ein unendliches Wachsen der Gotteserkenntnis annehmen, das dennoch immer die Demut “gelehrter Unwissenheit” bewahrt. Bonaventura schließlich sieht das Einssein mit Gott und mystische Weisheit als Resultat eines Sterbens des eigenmächtigen Intellekts an. Während die Reformation viele dieser Ansätze noch bewahrte, brachte die Aufklärung eine Trennung zwischen objektivem Wissen und subjektiver Spiritualität. In jüngerer Zeit hat unter anderem diesen Dualismus Gustavo Gutierrez kritisiert und ein Verständnis von intellektuellem und spirituellem Erkennen eingefordert, das in der Spannung von Verheißung und Erfüllung diejenigen befreit, “deren persönliche Beziehungen schmerzhaft gebunden sind”.

Philosophisch brachte die Aufklärung die Lösung der Wahrheitsfrage von ihrem Bezug auf das Göttliche, die konsequente Trennung von Glauben und Wissen, und die Erfolge der Naturwissenschaften führten zu einer optimistischen Einschätzung menschlich-rationaler Erkenntnisfähigkeit. Spät- bzw postmodern wird dies in Frage gestellt. Paul Ricoeur plädiert für ein narratives Verstehen, das eine größere Nähe zu praktischer Weisheit und ethischem Urteil pflegt. Wahrheit und Erkennen haben neben der rationalen auch eine soziale Dimension, menschliche Identität (individuell und kollektiv) hängt eben an Geschichten.

Naturwissenschaftlich lässt sich menschliches Denken von körperlichen Vorgängen und Empfindungen nicht trennen (daher ist der neoplatonische Ansatz so problematisch), kann aber auch nicht auf diese reduziert werden. Der Gedanke der Evolution macht es möglich menschliches Werden als ein ausgerichtet Sein auf die Gottes Zukunft zu denken, der dann nicht mehr in einem zeitlosen “oben” residiert.

Alles Erkennen ist geistlich, weil es seinen Grund in Gott hat, von dem, durch den, und auf den hin alle Dinge sind. Insofern ist die Suche nach Weisheit und Erkenntnis dem von Gott geschaffenen menschlichen Geist schon mitgegeben. Sie wird aber intensiviert, indem der Mensch durch den Geist Gottes Anteil bekommt an der Erkenntnis Christi. An dieser Stelle bringt Shults das Konzept einer dialektischen Identität ins Spiel, die mit Paulus sagen kann “ich, aber nicht ich, sondern Christus”. Der menschliche Geist wird vom Geist Gottes weder strikt getrennt noch geht er in diesem auf oder unter. Menschliche Identität setzt immer schon eine Gegenüber voraus. Sie entsteht im Ringen darum, von diesem Gegenüber weder erdrückt noch verlassen zu werden. Die Gegenwart des Geistes, der mehr als ein endliches Gegenüber und uns damit näher ist, als wir selbst und andere es sein können, öffnet uns für eine Erkenntnis unserer wahren Identität. Biblische Weisheit entsteht in der innigen Beziehung zum trinitarischen Wesen und Leben Gottes, und nicht mehr in der defensiven Abgrenzung gegenüber allem Andersartigen, sondern in der Versöhnung der Unterschiede. Der Erwartung und Sehnsucht des werdenden menschlichen Geistes entspricht die Zukünftigkeit des göttlichen Kommens. Geschöpfliches Wissen erinnert sich an die Vergangenheit und ist durch den Geist Gottes auf die Zukunft hin orientiert. In diesem Sinn eröffneter Zukunft bedeutet Gott zu erkennen auch ewiges Leben (Joh 17,4).

Geistliches Erkennen bedeutet, an der Gotteserkenntnis Christi und am Leben des dreieinigen Gottes (2. Petr.1,4) teilzuhaben. Es geht damit über die Zustimmung zu Satzwahrheiten weit hinaus. Die Ostkirche hat das mit dem Begriff der Vergöttlichung des Menschen beschrieben, die christologisch und pneumatologisch vermittelt wird. Wenn das Wesen Gottes in diesem intimen, gegenseitigen trinitarischen Erkennen und Erkanntwerden besteht, hebt sie die geschöpfliche Endlichkeit nicht auf und verwischt die Differenz zum Schöpfer nicht, öffnet sie aber für dessen Wirken. In diesem relationalen Sinn bedeutet Glauben (und damit das rechte Verhältnis zu Gott), sich an Gottes Treue und die Treue zum Nächsten zu binden. Identität und Persönlichkeit wird dadurch nicht ausgelöscht, sondern entsteht so erst richtig. Und auf Pilatus‘ Frage nach der Wahrheit antwortet Jesus nicht mit Worten, wohl aber mit seiner gesamten Passion und Auferstehung, in der sich Gottes Ziel für seine Schöpfung offenbart.

Identität bildet sich in Beziehungen aus und das natürliche Verlangen nach Intimität, das menschliches Erkennen antreibt, wird in und durch die Beziehung zum Geist Gottes umgestaltet, der alle Dinge erhält. In diesem Vertrauen und der bewussten Abhängigkeit von Gott wächst eine neue Identität heran (vgl. Kol 1,9f; 2,16; 3,10.16). Zweifel ist dabei nicht das Gegenteil des Glaubens, sondern häufig ein Zeichen dafür, wie sich eine Spannung entwickelt, die ein tieferes Erkennen und erkannt Werden nach sich zieht. Möglich wird dies durch die Erfahrung der Nähe und Treue Gottes. Der menschliche Geist wird so (1.) geläutert von der Neigung, andere manipulativ an sich zu binden, um so das eigene Ego als Schutzfunktion der verletzlichen Identität zu sichern und das Wagnis des Vertrauens und die eigene Angst vor Nähe und Intimität zu umgehen. Das wiederum ermöglicht eine erleuchtete Sicht auf die Welt und den Empfang einer neuen Identität, für die auch die Nähe Gottes keine Bedrohung mehr darstellt. Der menschliche Geist findet zur Ruhe in Gott und zur Einheit mit dem Geist Gottes.

Konkret verwirklicht sich diese Transformation im Gebet, das wie die Weisheit eine Intensivierung der innigen Erfahrung des Geistes darstellt. Dazu muss das Gebet die Funktion der reinen Bitte überwinden, die oft noch narzisstisch gefärbt ist, und sich auf den Schmelztiegel der Intensivierung einlassen und so von der Sorge um diesen oder jenen Gegenstand hin zur (kontemplativen) Freude am Erkennen und erkannt Werden finden. Damit wird Gebet vom isolierten Akt zur grundsätzlichen Äußerung eines andauernden Lebens im Geist.

Dieser Weg, das eigene Selbst mit Gottes versöhnender Treue zu identifizieren, verändert unsere Antwort auf die bei Evangelikalen übliche Frage: “Wie viele Menschen hast Du diese Woche zum Herrn geführt?” So erkundigt man sich in der Regel nach der Zahl der Menschen, die ein bestimmtes formelhaftes Gebet nachgesprochen haben. Aber wenn wir Gebet als ein Teilnehmen an der Treue Gottes verstehen, als eine befreiende Erfahrung, wie unsere Absichten (“intentionality”) durch die erleuchtende Gegenwart göttlichen Lebens verwandelt werden, dann werden wir diese Frage ganz anders beantworten. Eine Person zum Herrn führen heißt, sie einzuladen zu einer neuen Weise des Wollens (intending) und Umsorgtseins (being-tended-to) in ihrer Beziehung zu Gott durch Christus im Geist. In diesem Modell können wir hoffentlich die Anfrage so beantworten: “Ich habe jede Person, der ich diese Woche begegnet bin, zum Herrn geführt, nicht nur die am Rande meines Lebens, mit denen ich kurz gesprochen habe, sondern auch meine Familie und meine Mitchristen.” (S. 91/92)

Gottes Gegenwart zu praktizieren (um Bruder Lorenz‘ Formulierung zu verwenden) bedeutet, selbst treu für andere gegenwärtig zu werden. Diese Art von Weisheit ist offen für andere Menschen und andere Formen des Erkennens – also für das Lernen von Philosophie und Naturwissenschaft.

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(Blech-)kleider machen Leute

Die Urlaubszeit bringt es mit sich, dass man mehr auf Autobahnen unterwegs ist. Ich wenigstens. Man trifft dort eine Menge Leute, aber in ganz eigenartigere Perspektive. Sie sind hinter wärmeschutzverglasten Karosserien und Nummernschildern verschwunden und zu bloßen Typen geworden – diesen zum Beispiel:

“Sportliche” Audi- und BMW-Fahrer, denen in der Eile und beim Bemühen um ein gutes Stundenmittel häufig das Gefühl für eine gesunde Distanz abhanden kommt. Lassen kein Angebot zu einem kleinen Rennen aus. Praktisch nur Männer, geben das Auto auch nur ungern ihrer Frau. Deutlich häufiger in Süddeutschland anzutreffen, wo die Karossen gebaut werden. Im Unterschied dazu sind echte Sportwagenfahrer richtig gemütlich unterwegs.

Mercedesfahrer, die entweder in dieses soziale Segment fallen oder aber gemütliche Opas mit Hut sind, die mit der Oma auf dem Beifahrersitz plaudern und alle halbe Stunde mal in den Rückspiegel gucken. In beiden Fällen aber möglichst links fahren, wenn man politisch schon eher rechts wählt.

Familienkutscher mit Kombis und Vans. In der Regel friedlich, aber hin und wieder unberechenbar. Erstaunlich locker auch die echten Sportwagenfahrer.

Wohnmobilfahrer (Steigerung: Wohnwagen. Superlativ, gestern gesehen: Wohnwagen von einem Dacia Logan gezogen – darf der das überhaupt?). Sie überholen am liebsten auf zweispurigen Autobahnen bergauf einen LKW (oder ein anderes Gespann), der 60 fährt. Dazu fahren sie erst einmal bis zur Mitte der Steigung mit 60 hinterher, um dann mit 61,075 km/h während der gesamten zweiten Hälfte des Anstiegs vorbeizukrabbeln. Es muss da einen geheimen Wettbewerb geben: Wer die längste Schlange hinter sich herzieht, hat gewonnen. Oder so ähnlich.

Ältere Kleinwagen mit Einheitstempo 120. Das wird auch an Baustellen mit erlaubten 80 km/h fast unverändert durchgezogen. Lediglich bergab sind sie etwas flotter.

Dienstwagen mit und ohne Chauffeur, dunkle Prestigemarke: Fahren beim schönsten Sonnenschein noch mit Abblendlicht, um den Platzhirsch zu unterstreichen. Wenn man Blaulicht kaufen könnte, sie würden jeden Preis bezahlen. Drängeln eher dezent, weil sie schon zu viele Punkte in Flensburg haben oder weil sie gerade telefonieren.

Esjuwis. Aufgrund der hohen Bodenfreiheit blenden die Scheinwerfer den Normalautobesitzer im Rückspiegel. Sie werden überdurchschnittlich oft von Frauen gelenkt, die nie auf die Idee kämen, mit dem Gerät über das Terrain zu brettern, auf dem die Werbung es dauernd zeigt. Von daher täuscht das stämmige Äußere.

Es gibt noch viele andere: Fahranfänger mit Papis altem Wagen und der Clique auf dem Rücksitz, Oldtimerliebhaber, tieferlegte, bespoilerte und mit Chrom verzierte Allerweltskisten, die vom Rückstoß der Basskanone des Audiosystems angetrieben werden.

Nicht alle verhalten sich natürlich entsprechend der Klischees, die ihr Blechkleid vermittelt. Daneben macht das Autokennzeichen noch eine Aussage darüber, mit wem man es zu tun hat. Großstädter stehen eher im Ruf, rücksichtslos zu fahren, und in dieser Hinsicht gibt es auch ein Süd-/Nord-Gefälle mit dem Epizentrum Stuttgart, wo man keine Zeit zu verlieren hat, denn die ist bekanntlich Geld. Landeier dagegen neigen zu gewagten Überholmanövern auf unübersichtlichen Straßen. Und die Farbe: Das allgegenwärtige Silber dient eher als Tarnung, schwarz kommt außer bei Kleinwagen eher aggressiv rüber und bei lila oder türkiser Metalliclackierung sollte man genau hinsehen.

Man kann also bei einem Blick aus dem Fenster oder in den Rückspiegel schon ahnen, was da auf einen zukommt. Würde man die Leute ohne fahrbaren Untersatz sehen, wäre das vermutlich viel schwerer. Aber in dem Moment, wo einer seinen Zündschlüssel umdreht (oder den Startknopf drückt), findet eine magische Verwandlung statt. Man wird zum Exemplar einer Gattung, zum Angehörigen eines Stammes und selbst manche friedliche Natur entwickelt kriegerische Züge. Schon eigenartig…

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Todesfall in der Familie

Heute morgen verstarb unser Meerschwein Pearly, ganz friedlich und im gesegneten Alter von 7 Jahren. Sie war nicht nur ein ausgesprochen hübsches Tier, sondern auch ein geliebtes Familienmitglied, das sich gerne streicheln ließ und uns jeden Morgen fröhlich begrüßte.

Wir alle hoffen, dass Gott sich bei der Wiederbringung aller Dinge (Apg. 3,21) auch an sie erinnert. Trotzdem herrscht hier erst einmal Trauer…

Dscf1159-1

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