(Blech-)kleider machen Leute

Die Urlaubszeit bringt es mit sich, dass man mehr auf Autobahnen unterwegs ist. Ich wenigstens. Man trifft dort eine Menge Leute, aber in ganz eigenartigere Perspektive. Sie sind hinter wärmeschutzverglasten Karosserien und Nummernschildern verschwunden und zu bloßen Typen geworden – diesen zum Beispiel:

“Sportliche” Audi- und BMW-Fahrer, denen in der Eile und beim Bemühen um ein gutes Stundenmittel häufig das Gefühl für eine gesunde Distanz abhanden kommt. Lassen kein Angebot zu einem kleinen Rennen aus. Praktisch nur Männer, geben das Auto auch nur ungern ihrer Frau. Deutlich häufiger in Süddeutschland anzutreffen, wo die Karossen gebaut werden. Im Unterschied dazu sind echte Sportwagenfahrer richtig gemütlich unterwegs.

Mercedesfahrer, die entweder in dieses soziale Segment fallen oder aber gemütliche Opas mit Hut sind, die mit der Oma auf dem Beifahrersitz plaudern und alle halbe Stunde mal in den Rückspiegel gucken. In beiden Fällen aber möglichst links fahren, wenn man politisch schon eher rechts wählt.

Familienkutscher mit Kombis und Vans. In der Regel friedlich, aber hin und wieder unberechenbar. Erstaunlich locker auch die echten Sportwagenfahrer.

Wohnmobilfahrer (Steigerung: Wohnwagen. Superlativ, gestern gesehen: Wohnwagen von einem Dacia Logan gezogen – darf der das überhaupt?). Sie überholen am liebsten auf zweispurigen Autobahnen bergauf einen LKW (oder ein anderes Gespann), der 60 fährt. Dazu fahren sie erst einmal bis zur Mitte der Steigung mit 60 hinterher, um dann mit 61,075 km/h während der gesamten zweiten Hälfte des Anstiegs vorbeizukrabbeln. Es muss da einen geheimen Wettbewerb geben: Wer die längste Schlange hinter sich herzieht, hat gewonnen. Oder so ähnlich.

Ältere Kleinwagen mit Einheitstempo 120. Das wird auch an Baustellen mit erlaubten 80 km/h fast unverändert durchgezogen. Lediglich bergab sind sie etwas flotter.

Dienstwagen mit und ohne Chauffeur, dunkle Prestigemarke: Fahren beim schönsten Sonnenschein noch mit Abblendlicht, um den Platzhirsch zu unterstreichen. Wenn man Blaulicht kaufen könnte, sie würden jeden Preis bezahlen. Drängeln eher dezent, weil sie schon zu viele Punkte in Flensburg haben oder weil sie gerade telefonieren.

Esjuwis. Aufgrund der hohen Bodenfreiheit blenden die Scheinwerfer den Normalautobesitzer im Rückspiegel. Sie werden überdurchschnittlich oft von Frauen gelenkt, die nie auf die Idee kämen, mit dem Gerät über das Terrain zu brettern, auf dem die Werbung es dauernd zeigt. Von daher täuscht das stämmige Äußere.

Es gibt noch viele andere: Fahranfänger mit Papis altem Wagen und der Clique auf dem Rücksitz, Oldtimerliebhaber, tieferlegte, bespoilerte und mit Chrom verzierte Allerweltskisten, die vom Rückstoß der Basskanone des Audiosystems angetrieben werden.

Nicht alle verhalten sich natürlich entsprechend der Klischees, die ihr Blechkleid vermittelt. Daneben macht das Autokennzeichen noch eine Aussage darüber, mit wem man es zu tun hat. Großstädter stehen eher im Ruf, rücksichtslos zu fahren, und in dieser Hinsicht gibt es auch ein Süd-/Nord-Gefälle mit dem Epizentrum Stuttgart, wo man keine Zeit zu verlieren hat, denn die ist bekanntlich Geld. Landeier dagegen neigen zu gewagten Überholmanövern auf unübersichtlichen Straßen. Und die Farbe: Das allgegenwärtige Silber dient eher als Tarnung, schwarz kommt außer bei Kleinwagen eher aggressiv rüber und bei lila oder türkiser Metalliclackierung sollte man genau hinsehen.

Man kann also bei einem Blick aus dem Fenster oder in den Rückspiegel schon ahnen, was da auf einen zukommt. Würde man die Leute ohne fahrbaren Untersatz sehen, wäre das vermutlich viel schwerer. Aber in dem Moment, wo einer seinen Zündschlüssel umdreht (oder den Startknopf drückt), findet eine magische Verwandlung statt. Man wird zum Exemplar einer Gattung, zum Angehörigen eines Stammes und selbst manche friedliche Natur entwickelt kriegerische Züge. Schon eigenartig…

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Eine Antwort auf „(Blech-)kleider machen Leute“

  1. Sehr fein beobachtet und beschrieben. Und wohl auch so eine Art literarischer Frustabbau … aber das kann ich nach eigenen langen Fahrten in diesem Sommer durchaus nachvollziehen 🙂

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