Herzen und Häuser

Es genügt nicht, nur von dir zu predigen, mein Gott, man muss dich im Herzen der anderen erst aufspüren. Man muss den Weg zu dir erst freilegen, mein Gott, und dazu muss man das menschliche Gemüt genau kennen. (…)
Manchmal kommen mir die Menschen vor wie Häuser mit offen stehenden Türen. Ich gehe hinein, sehe mich in den Gängen und Zimmern um, jedes Haus ein wenig anders eingerichtet und doch gleichen sie einander. Man sollte aus jedem Haus eine Wohnung machen, die dir geweiht ist, mein Gott. Und ich verspreche dir, dass ich in so vielen Häusern wie möglich Wohnung und Unterkunft für dich suchen werde, mein Gott.

Etty Hillesum, 17.09.1942

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Düstere Visionen

Die SZ gehört ja normalerweise nicht zu den schwarz-weiß-Malern im Land. Um so interessanter, dass man die alarmierende Analyse des Holcaust-Forschers Daniel Goldhagen zum Thema “Politischer Islam” dort veröffentlicht. Er hält das Selbstmordattentat für den “Grundtypus des Völkermords”. Mit seinem Todeskult findet der politische Islam seine nächste Parallele im ebenso totalitären und wahnwitzigen Nationalsozialismus. Goldhagen warnt eindringlich vor Verharmlosung. Kein heiterer Lesestoff.

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Rutschpartien

In letzter Zeit habe ich mit ganz unterschiedlichen Leuten über – sagen wir ruhig: sektiererische – Tendenzen in manchen charismatischen Gemeinden gesprochen. Das eigentlich Traurige ist nicht, dass hier Leute auf einer bestimmten Seite vom Pferd fallen und Spaltungen hervorrufen, sondern dass ein ganzes Spektrum so anfällig dafür ist. Ein Schneebrett auf losem Untergrund, dass nur einen kleinen Anstoß brauchte, um ins Rutschen zu kommen und alles mögliche mit sich zu reißen. Da haben doch auch viele, die sich jetzt distanzieren, kräftig dazu beigetragen.

Ein Gesprächspartner meinte heute, die charismatische Bewegung sei längst am Ende. Mag sein. Ich denke, viele müssen sich nun entscheiden, ob man sich weiter um die Bedürfnisse (und manchmal Wehwehchen) oder auch nur die Langeweile der eigenen Klientel drehen will (und damit zur perfekten, Inkulturation des Christentums in der Spaß- und Konsumgesellschaft wird) oder ob man die eigenen Interessen hinten anstellt und fragt, was Gott eigentlich in dieser Welt vor hat (außer, wie es so oft triumphalistisch heißt, uns bzw. unsere Gemeinden schön, groß und stark zu machen) und wie wir darin eine konstruktive Rolle spielen können. Und zur Abwechslung mal Schmerz, Mühe und (jawoll) Langeweile, Durststrecken eben in Kauf nimmt. Die sind nämlich keineswegs ein Indiz dafür, das man nicht auf den richtigen Weg ist.

Genau das wäre ein Schritt zurück für viele Gruppen und Gemeinden, die schon auf dem anderen Weg fortgeschritten waren. Aber ein notwendiger, wenn nicht der nächste, der allzu vollmundig “biblische” Verheißungen proklamiert, die nächste Lawine lostreten soll. So wie es jetzt ist, wird es nicht bleiben können.

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Alan Hirsch

Er ist gelandet – heute nachmittag habe ich mit Alan Hirsch einen Cappuccino getrunken, mit anderen zusammen die Lorenzkirche, den Hauptmarkt und die Burg kurz besichtigt und geredet, geredet, geredet.

Er ist ein kleiner, lebhafter Typ mit leichtem Bierbauch, angegrauten schulterlangen Locken, der aus dunklen Augen verschmitzt hinter seiner kleinen Brille hervor blinzelt. Seine Vorfahren väterlicherseits sind aus Deutschland (kleine Fußnote: auf der Fleischbrücke haben sie ausgerechnet Hirschsalami verkauft…). Ab und zu raucht er eine Zigarette und erkundigt sich vorsichtig, ob das verpönt ist hier.

Ich freue mich auf das lange Wochenende mit ihm und hoffe, dass dieser australische Querdenker uns kräftig zum Nachdenken bringt. Wir haben uns über ein paar Beobachtungen und Trends ausgetauscht und uns auf Anhieb super verstanden. Bücherwürmer unter sich 😉

(Wer spontan noch kommen möchte – wir beginnen morgen Abend um 19.00 und Samstag morgen dann um 10.00 Uhr im Gemeindehaus am Bohlenplatz)

Gemeindehaus am Bohlenplatz.kmz

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Geschichte machen

Lesslie Newbigin bringt die Dinge immer wieder schön auf den Punkt, etwa wenn er geschichtslose – pietistische wie hinduistische – Herzensfrömmigkeit in Frage stellt:

Die Frage ist: Ist diese Beziehung zu Gott unabhängig von deiner Teilnahme am fortlaufenden Leben der Welt, deiner Familie, deines Volkes in der Völkergemeinschaft? Hast oder suchst du eine Beziehung zu Gott, in der du all diesen Beteiligungen den Rücken kehren kannst? Oder ist deine Beziehung zu Gott notwendigerweise verknüpft damit, dass du die Rolle annimmst, die Gott dir in seinen Absichten für diese Welt zugedacht hat? Wenn letzteres der Fall ist, dann ist deine Beziehung zu Gott nicht zu trennen von den Akten, in denen Gott sich offenbart und durch die er seine Absicht mit dieser Welt wirksam werden ließ. Dein Leben der Hingabe an Gott wird sich darin ausdrücken, dass du an der Geschichte mitwirkst, deren Teil du bist. Du wirst dein Leben als Teil einer Geschichte verstehen, die du dir nicht ausgedacht hast.

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Die Übermenschen kommen…

Betetst Du noch oder proklamierst Du schon? Manche Formen des Christentums erinnern mit Vorstellungen wie “Bewusstseinszeitalter” mehr an Scientology als an das Neue Testament, selbst wenn (anders als bei Scientology) ständig Bibelverse zitiert werden. Aber das hatten wir ja schon bei Bernardo Provenzano, dass das nicht viel bedeuten muss.

“Übernatürlich” und “übermenschlich” (wo bitte steht das in der Bibel?) sich von Sieg zu Sieg schwingen – wer’s braucht…

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Zu faul für Kinder?

Die Rheinische Post bringt eine Vorschau auf den Familienbericht der Bundesregierung. Demnach geht die Diskussion über finanzielle Anreize oder die Problematik von Kind und/oder Karriere zum Teil am Problem vorbei. Denn die im Vergleich seltener berufstätigen Mütter bei uns verbringen deswegen nicht mehr Zeit mit ihren Kindern (Schnitt: 2,18 Stunden/Tag), sondern mit Freizeitaktivitäten. Mehr Kinder würden beim Reisen, Cocktail Schlürfen oder den Wellness-Angeboten stören. Die Männer stört’s übrigens noch mehr! Daher liegt schon der Kinderwunsch in Deutschland weit unter dem unserer Nachbarländer:

Galt lange Zeit die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf als wichtiger Grund, warum die Menschen ihre Kinderwünsche nicht realisieren, sehen die Experten nun mit Sorge, dass auch der Wunsch nach Kindern sinkt.

Das Thema beschäftigt mich jetzt seit fast einem Jahr. Irgendwie geht es dabei nämlich um die Grundwerte, nach denen diese Gesellschaft funktioniert – oder eben nicht mehr richtig funktioniert. Da müssen wir uns intensiv Gedanken machen.

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Das Leben als Ganzes

Etty Hillesum ist nicht gerade kompatibel zur leidensscheuen Spaßgesellschaft. Im Juli 1942 schreibt sie folgende Sätze in ihr Tagebuch, die mich in meinen Gedanken zum “Kleingedruckten” berühren:

In letzter Zeit kommt es immer häufiger bei mir vor, dass ich bis in meine kleinsten täglichen Verrichtungen und Empfindungen einen Anflug von Ewigkeit verspüre. Ich bin nicht die einzige, die müde oder krank oder traurig oder ängstlich ist, sondern ich teile das Los von Millionen anderer Menschen aus vielen Jahrhunderten. All das ist ein Teil des Lebens und trotzdem ist das Leben schön und sinnvoll noch in seiner Sinnlosigkeit, wenn man nur allen Dingen einen Platz im Leben einräumt und das ganze Leben als Einheit in sich aufnimmt, so dass es dennoch zu einem geschlossenen Ganzen wird. Und sobald man Teile davon ausschließt und ablehnt, sobald man eigenmächtig und willkürlich dies eine vom Leben annimmt, jenes andere aber nicht, ja, dann wird es in der Tat sinnlos, weil es nun kein Ganzes mehr ist und alles willkürlich wird.

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Das Kleingedruckte

Momentan kommt mir mein Leben so vor, als würde ich das “Kleingedruckte” lesen – den trockenen und manchmal auch beunruhigenden Teil, wo die Dinge erörtert werden, die sich eigentlich niemand wünscht, über die man aber doch irgendwann mal reden muss, weil man sie nicht ausschließen kann und sie halt doch dazu gehören.

Folglich überlesen wir das gerne hastig, wenn wir bei Gott “unterschreiben” und freuen uns auf ein einfacheres Leben mit ihm als Garanten von Glück und Sicherheit. Ähnlich wie wir bei Internet-Einkäufen auch die Seite mit den AGB’s – wenn überhaupt – nur überfliegen. Irgendwann tauchen dann erste Fragen auf…

Werde ich am Ende, in besserer Kenntnis der Pflichten und möglichen Komplikationen, wieder ein uneingeschränktes “Ja” zu dem Ort, an den Gott mich stellt, und vor allem zu den konkreten Menschen, zu denen er mich stellt, haben? Ich merke, dass es auf jeden Fall ein Ringen und ein Stück Arbeit ist. Aber das muss kein Schaden sein.

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Noch eine Woche zum Innovationsforum

Unser Wochenende mit Alan Hirsch und Gerard Kelly und vielen interessanten Leuten aus dem In- und Ausland rückt näher und es ist noch Platz für Zauderer und Kurzentschlossene. Vielleicht kann Gerard etwas Spoken Worship mitbringen, wir kriegen das schon irgendwie übersetzt.

Es wird übersichtlich genug sein, um viel Raum zur Diskussion zu bieten. Auch eine tageweise Teilnahme wird möglich sein. Hier findet Ihr einen aktuellen Überblick über die inhaltlichen Schwerpunkte. Zur Information und wenn gewünscht Anmeldung geht es hier.

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Wie eine Firma?

Ein Freund sagte jüngst über eine Gemeinde, die relativ schnell sehr groß geworden war, dass er selbst und viele andere nach einer gewissen Zeit ausgestiegen waren, weil sie merkten, dass es im Grunde eine “Firma” geworden war. Ob das nun größenabhängig ist, ist vielleicht zweitrangig. Ihm ging es darum, dass der einzelne Mensch aus dem Blick geraten war und nur die Leistung und der messbare Erfolg zählte. Leute schienen austauschbar.
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Wie ein Virus…

Die SZ stellt fest, dass unsere Wirtschaft beginnt, ganz anders zu ticken. Das Ende der großen Marken und Superstars hat begonnen. Sehnsucht und Leidenschaft zählt, aber viele haben es noch nicht verstanden. Ein Konzern muss sich “wie ein Virus immer wieder verändern und neu inkarnieren” – interessante Wortwahl, oder? Die Begründung sieht so aus:

Weil aber auch noch neue Technologien Kultur und Marktgeschehen verändern, führt das zu einem System der immerwährenden Beschleunigung, in dem es keine gemeinsamen Nenner und deswegen auch keine Marken, Stars und verlässlichen Leitmotive geben kann. (…) Deswegen muss sich nicht nur die Wirtschaft von traditionellen Parametern verabschieden, sondern auch die Gesellschaft damit abfinden, dass es bald keine kulturellen Selbstverständlichkeiten mehr geben wird.

Pop wird von Leidenschaften und Sehnsüchten gesteuert, die sich keinen historischen Kontinuitäten und gesellschaftlichen Normen unterordnen. In einem Wirtschaftssystem, in dem Angebot und Nachfrage durch Leidenschaft und Sehnsucht ersetzt wurden, werden Produzenten künftig gezwungen sein, eine Vision zu entwickeln, die kulturelle Relevanz vor kaufmännisches Denken stellt.

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