Wie gut tut Wut?

Morgen werde ich über den Schluss der Jonageschichte predigen. Das Buch fällt völlig aus dem Rahmen der alttestamentlichen Prophetie, weil es eine Lehrerzählung ist und keine Sammlung von Prophetenworten. Jona ist nicht die einzige Gestalt, die in der Bibel mit Gott hadert, aber vermutlich die Absurdeste. Sogar Bileam kommt besser weg. Freilich ist alles karikiert: Der bockige Bote ist für Gott der harte Brocken, das vermeintlich so böse und große Ninive dagegen erweist sich als unglaublich harmlos.

Gottes entscheidende Frage an Jona (und der steht natürlich gleichnishaft für viele) lautet in dieser Geschichte jedoch: „Ist es recht von Dir, zornig zu sein?“ Jona gibt keine Antwort, und als Leser muss ich mich dieser Frage wohl auch stellen: Worüber rege ich mich denn gerade wirklich auf und wem nützt das überhaupt?

Vor ein paar Jahren habe ich den folgenden Text geschrieben – ich hänge ihn mit ein paar Änderungen hier einfach mal an:

Ich bin vom Typ her jemand, der gerne lacht, öfter mal melancholisch ist, selten wirklich traurig und niedergeschlagen. Ab und zu werde ich wütend. Damit bin ich in guter Gesellschaft. Für immer mehr Menschen scheint es die beherrschende Grundstimmung zu sein. Inzwischen treibt auch bei uns der unbeherrschte Zorn an den Schulen gewalttätige Blüten, die man vor kurzem nur in Amerika für denkbar hielt. Apropos Schule: Mein Zorn ist natürlich immer nur gerechter Zorn. So wie vor ein paar Jahren, als eines unserer Kinder vom Personal seiner Schule unfair oder wenigstens sehr ungeschickt behandelt wurde. Ich bat als besorgter Vater bei der Schulleitung um einen Gesprächstermin, nannte sachlich den Grund und bekam dann zu hören: „Ich sitze doch nicht hier herum und warte darauf, dass jemand mit mir reden will.“

Ich war im Bruchteil einer Sekunde von Null (ok: Siebzig) auf Hundertachtzig. Zorn ist im ersten Augenblick ein natürlicher und gesunder Impuls – ein Alarmsignal auf drohende Gefahr oder wenn ich verletzt werde. Der Affekt hat allerdings die Tendenz, sich (mit moralischen Urteilen zementiert) als Haltung festzusetzen und eine dauerhafte Quelle von Aggression zu werden, und genau da liegt das Problem, für das ich die Verantwortung trage: Zorn will verletzen und verletzt meistens auch schon allein dadurch, dass wir ihn mit entsprechender nonverbaler „Begleitmusik“ äußern. Daher sagt Paulus wohl auch in Eph 5,26: „Wenn ihr zornig seid, sündigt nicht“ – es passiert eben so schnell.

Benjamin Franklin hat einmal festgestellt: „Wir sind nie grundlos zornig, aber selten aus einem guten Grund.“ Zorn macht süchtig und ist ansteckend. Durch die Wucht der Aggression fühlt man sich plötzlich stark. Zorn nährt sich aus inneren, selbstgerechten Monologen unseres verletzten Egos. Solche sich selbst verstärkenden, negativen Gedankengänge haben insofern etwas „teuflisches“ (Eph. 5,27 ), als dieser in der Bibel eben als der Ankläger erscheint. Wir „geben ihm Raum“, indem wir uns in Vorwürfe gegen andere hineinsteigern und oft genug versäumen, das eigene Urteil, das dem Zorn zugrunde liegt, kritisch zu prüfen. Wir suchen nur noch selektiv nach dem, was ihn weiter nährt.

„Gerechter“ Zorn reduziert Hemmungen und schafft eine explosive Grundstimmung, die sich nur allzu häufig an der falschen Stelle entlädt: Ich komme frustriert von der Arbeit und kritisiere meine Frau oder schreie ein Kind wegen einer Kleinigkeit an. Die Bewältigung von Zorn ist aus biblischer Sicht ein Hauptproblem familiärer Beziehungen (Kol 3,19, Eph. 6,4). Denn Zorn bringt immer wieder Zorn hervor – gerade unter Menschen, die sich nahestehen.

Längst nicht alle werden offen aggressiv. Vielmehr macht sich kalter Zorn breit. Der Konflikt bleibt dennoch nicht sachlich, sondern bekommt eine persönliche Komponente: Verachtung. Mir ist es egal, ob der andere verletzt wird. Daher versteht Jesus an diesem Punkt schon längst keinen Spaß mehr. Den Ausdruck „Raka“ – das klingt wie das Räuspern, bevor man ausspuckt – nennt er einen ein Fall für den hohen Rat (Mt 5,22a), eine Form von Körperverletzung. Verachtung ist Gift für jede Beziehung.

Wer abfällig denkt und redet, wird früher oder später ausfällig. Mit dem vernichtenden Urteil „Gottloser Narr“ (Mt 5,22b) zerschneidet einer das Tischtuch zwischen sich und dem anderen, es ist eine Art eigenmächtige Exkommunikation – die Beziehung ist nach einer solchen tödlichen Bemerkung kaputt. Paulus verlangt wohl auch deshalb von den Ephesern, nicht zornig zu Bett zu gehen (und dort noch, wie ich beinahe, im Geist Beschwerdebriefe ans Schulamt zu verfassen). Ich werde nicht in jedem Fall eine Aussprache mit einem Konfliktpartner noch am selben Tag schaffen. Aber ich kann mich selbst belauschen und verhindern, dass ich meinen Zorn immer weiter anheize. Ich kann dem anderen vor Gott vergeben und mich bewusst bemühen, ihm auch im Falle eines offensichtlichen Fehlers das Beste und nicht das Schlimmste zu unterstellen. Das dämpft den Zorn.

Heute bin ich heilfroh, dass mir das damals gerade noch so gelungen ist. Das Gespräch in der Schule kam zustande, als ich ein paar Tage später hartnäckig, aber freundlich nachfragte. Mein Gegenüber entpuppte sich als etwas schrulliger, aber freundlicher Mensch, der auch Kinder hat, die ihm gelegentlich Sorgen machen. Und meinem Kind hatte ich damit vermutlich den allergrößten Gefallen getan.

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8 Antworten auf „Wie gut tut Wut?“

  1. Spannende Gedanken zum menschlichen Zorn!
    Was ist allerdings mit Gottes bzw. Jesus‘ Zorn, da passen diese Gedanken doch nicht sonderlich, oder? Meinst du, das ist eine andere Kategorie? Zorn in beherrschter Form, der Ungerechtigkeit nicht passiv hinnimmt, aber um seine Grenzen weiß? Zorn, der entsteht, wenn es nicht um meine Anliegen, sondern, um Anliegen anderer geht? Zorn, der Ungerechtigkeit auch in Gottes Hand legen kann?
    Ich weiß nicht so recht, irgendwie fehlt mir der Durchblick! 😉

    1. @Paul: Ich kann bei Jesus kaum wütende Reaktionen (Zorn und Wut und die dazugehörigen Adijektive sind Begriff, die sich im Deutschen von der Bedeutung her weitgehend überschneiden) entdecken.

      Falls Du auf die „Tempelreinigung“ anspielst, dann war das kein Wutausbruch, sondern eine kalkulierte symbolische Provokation, die auch so verstanden wurde. Jesus wurde ja nicht wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung angeklagt.

  2. Ein israelischer Philosoph (oder sowas, kam mal im Radio …) hat einmal einen Unterschied zwischen Wut und Zorn gemacht:
    Zorn entsteht, wenn ein konkreter Grund dafür vorliegt. Sobald der Grund beseitigt ist, ist auch der Zorn weg.
    Wut kommt ohne solche Gründe aus und ist deswegen auch nicht unbedingt zu besänftigen. (Blinde Wut)
    Aus der Geschichte hat dieser die Nazis angeführt, welche eine Wut auf die Juden selbst hatten und nicht unbedingt einen Zorn wegen etwas.
    Diese Definitionen scheinen nicht sehr weit hergeholt (allerdings auch nicht direkt biblisch) und können durchaus helfen, beides nicht zu verwechseln und zu falschen Schlüssen zu kommen.
    Deswegen ist die Frage Gottes, ob es von Jona aus Recht ist zornig zu sein durchaus interessant — „Gerechter Zorn“ braucht schlichtweg gute Gründe. Im Gegensatz zu einem heiligen und vollkommenem Gott ist das menschliche Herz allerdings alles andere als grundsätzlich gut und davon bleibt wohl auch der menschliche Zorn nicht verschont.
    Wenn Gott also in der Bibel öfters als zornig bezeichnet wird, ist es offenslichtlich etwas ganz anderes als unser vorwiegend menschlicher Zorn, der sich eben manchmal mit Wut mischt und so auch zerstörerisch wirkt. Und trotz allem kann man schon manchmal einen zornigen von einem wütenden Menschen unterscheiden. Ich treffe nach dieser Betrachtung also lieber auf einen zornigen als auf einen wütenden Menschen!

    1. @Matthias: Begrifflich lässt sich beides nicht trennen, man kann freilich so eine „technische“ Unterscheidung einführen, aber andere halten sich dann nicht dran und im Griechischen/Hebräischen wäre das vielleicht auch wieder anders (auf die Nazis lässt sich das m.E. gar nicht anwenden, weil Antisemitismus viel komplexer ist als Wut oder Zorn. Da war ja auch der kühl-rationale Gedanke, man müsse eine Art Geschwür entfernen).

      Zurück zu uns: Wer zornig ist, da liegt das Problem, fühlt sich praktisch immer im Recht. Aber Zorn, und deswegen fällt Jona aus dem Rahmen, ist eben nicht die angemessene Grundstimmung der jüdischen Propheten. Daniel Golemans „Emotionale Intelligenz“ zeigt ein paar schöne Aspekte dazu auf.

      1. Tatsächlich gebrauche ich „Zorn“ und „Wut“ auch stark überschneidend, so wie wohl die meisten. Dennoch finde ich eine Unterscheidung gerechtfertigt, wenn ich mir einmal die dazugehörigen Verben ansehe, zürnen und wüten.
        Wenn ich zürne, kann das dazu führen, dass ich auch wüte. Muss es aber nicht. Und manchmal wüte ich, ganz ohne zu zürnen (etwa, wenn ich es mit dem Aufräumen übertreibe.)
        Da würden wir vielleicht zu anderen Unterscheidungen kommen als Matthias‘ Philosoph, aber auch das Deutsche scheint beides nicht deckungsgleich zu

        1. Bei den Verben mag das zutreffen. Dennoch wäre mir das zuwenig, zu sagen, dass Zorn ok sei und Wut nicht. Dann sind eben plötzlich alle nur noch „zornig“ und fühlen sich besser deswegen. Die Frage an Jona war ja eben die, ob sein Zorn angebracht ist.

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