Widersprüchliche Jesusbilder

Der Religionswissenschaftler Reza Aslan ist vor einiger Zeit durch ein Fernsehinterview, das auf Youtube die Runde machte, groß herausgekommen – was allerdings nicht an ihm, sondern an der selten dämlichen Journalistin von – wie könnte es anders sein? – Fox News lag.

Nun hat Zeit Online es besser gemacht. Spannender als den Inhalt seines Jesus-Buchs „Zealot“ (seinen Kurzfassungen konnte ich noch nichts bahnbrechend neues entnehmen) fand ich beim Lesen seine Biographie: Aslan hat eine Jesuitenschule besucht, wurde als Jugendlicher begeisterter Christ, und es war ausgerechnet das Bibelstudium, das ihn ins Zweifeln brachte:

Ich bin aus der Kirche ausgetreten, nachdem ich begann, die Bibel zu studieren. Plötzlich wurde mir klar, dass Jesus sich selber nie als Gott sah. Wenn er sagt: „Ich bin der Messias!“, dann heißt das: Ich bin ein Nachkomme König Davids! Kein Jude würde das übersetzen mit: Ich bin Gott! Das ist eine rein christliche Interpretation.

Mit diesem Satz hat er natürlich recht. Anscheinend hatte er mit einem Frömmigkeitstyp und in einem Milieu zum Glauben gefunden, wo ein unkritisches, dogmatisches Jesusbild so dominierte, dass der Zweifel daran auch zum Bruch mit dem christlichen Glauben führen musste. Als ihm dann im Studium auffiel, dass der Jesus des Evangelien sich zwar in der Rolle des Messias sieht, aber (wenn man die Texte aus ihrem geschichtlichen Zusammenhang heraus versteht) nicht den Anspruch erhebt „Gott zu sein“, wandte der gebürtige Iraner sich wieder dem Islam zu.

Die evangelische Theologie hat die Frage seit dem Fragmentenstreit intensiv beackert, wie sich die altkirchlichen Bekenntnisse (das trinitarische Dogma und die „Zweinaturenlehre) und die historische Jesusüberlieferung zu einander verhalten. Dass man sie nicht, wie bis zur Aufklärung geschehen, naiv miteinander identifizieren kann, ist den meisten klar. Die Folgerung, dass sich das christliche Bekenntnis zu Jesus als dem menschgewordenen Gott – von Paulus über Johannes und weiter bei den Kirchenvätern – und die Selbstaussagen Jesu in den synoptischen Evangelien gegenseitig ausschließen, ist andererseits aber auch keineswegs zwingend.

Freilich muss man sich die Zeit nehmen und die Mühe machen, beides sauber und ohne historische oder dogmatische Kurzschlüsse zusammenzudenken. Ein guter Ansatzpunkt dafür ist von der neutestamentlichen Seite her N.T. Wrights gründliche und umfangreiche, aber durchaus auch für Nichttheologen lesbare Untersuchung Jesus und der Sieg Gottes. Wenn einiges davon sich unter frommen Verkündigern herumspräche, wären solche Konflikte, wie Aslan sie erlebte, vielleicht seltener.

Gern werden solche Episoden als Beleg dafür herangezogen, vor dem Theologiestudium zu warnen, weil man da angeblich seinen Glauben verliert. Ich denke, es wird allerdings auch andersherum ein Schuh draus, dass nämlich in vielen Gemeinden so selten, so denkfaul und so angepasst über theologische Schlüsselthemen diskutiert wird, dass sich manch einer regelrecht betrogen vorkommt, wenn er entdeckt, was ihm dort alles verschwiegen wurde. Dass dann mit den allzu simplen und naiven Theologumena auch noch die Kirchenzugehörigkeit über Bord geht, ist kein großes Wunder.

Reza Aslan bezeichnet sich übrigens immer noch als Jesusnachfolger:

But I am a follower of Jesus, and I think that sometimes, unfortunately — I think even Christians would recognize this and admit it — those two things aren’t always the same, being a Christian and being a follower of Jesus.

Share