Wenn „richtig“ nicht mehr reicht…

Letzte Woche hatte ich das Vergnügen, Alan Roxburgh auf dem IGW-Kongress in Rotkreuz/CH zu übersetzen. Er hat engagiert und komprimiert seine wichtigsten Thesen zum Thema Missionale Gemeinde vorgetragen und dann ging es in eine Runde „World Café“ mit 30 kleinen Gruppen, in denen alle gemeinsam Thesen zur „Kirchenreform“ erarbeiteten.

Das klingt nach einem hehren Anspruch – es ist ja nicht so, dass es zu diesem Thema bisher noch nichts gäbe – und in folgenden Plenum wurden die wichtigsten Gedanken kurz vorgestellt. für mich am Interessantesten war Alans Experten-Feedback. Er sortierte die Antworten beim Zuhören in verschiedene Kategorien, die unterschiedlichen Reflexen oder Standard-Voreinstellungen entsprechen. Soll heißen: Immer, wenn wir nicht weiter wissen, suchen wir unbewusst zuerst entlang solcher vorgegebener Linien nach der Lösung:

  1. „Pietismus“: Eine Jesus-bezogene Herzensfrömmigkeit führt zu Antworten wie: Wenn wir Jesus nur tief genug lieben (und unsere Mitmenschen auch), dann würde sich alles andere von allein regeln. Daher muss der Ansatz eine Erneuerung der Herzensbeziehung sein: Buße und Vergebung etwa, darauf hinwirkende Inhalte von Predigt und Verkündigung, mehr Gebet oder „Stille Zeit“. In der Regel ist damit auch eine Spitze gegen Strukturen und Institution verbunden, und das führt zum nächsten Reflex, dem
  2. Problematisieren: Wir suchen nach dem Punkt, wo es technisch „klemmt“. Der Gottesdienst (oder ein anderer Programmpunkt der Gemeinde) frisst zu viele Ressourcen, die Ausbildung der Pfarrer liegt im Argen, man braucht gar kein bezahltes Personal und keine Gebäude und so weiter
  3. Projekte: Wir veranstalten eine Konferenz oder entwerfen ein Schulungsprogramm, wir machen neue Gottesdienstangebote oder krempeln Kleingruppen und Hauskreise um, wir stellen anderes Personal ein, unternehmen eine Gebetsaktion oder lesen alle ein bestimmtes Buch.

An diesen Dingen ist nichts falsch. Allerdings bewegen wir uns auf diesen Linien eben immer noch im Bekannten und Vertrauten, das Problem ist also gerade ihrie „Richtigkeit“. Diese Reflexe so stark, weil wir das Heft in der Hand behalten. Nur sind wir ja möglicherweise gerade wegen dieser Standardreflexe an unsere Grenzen gestoßen! Glauben hat aber gerade mit dem Wagnis zu tun, sich auf Ungewissheiten einzulassen.

Ein paar der vorgetragenen Thesen gingen dann auch den einen, entscheidenden Schritt weiter: Damit sich wirklich etwas ändern kann, müssen wir erstens unsere Ratlosigkeit eingestehen und zweitens danach fragen, was eigentlich Gott in unserer Umgebung tut. Das setzt theologisch voraus, dass der Heilige Geist in der Gesellschaft wirkt und handelt und dass wir gemeinsam in der Lage sind, dieses Wirken zu entdecken. Hier kommt dann das gemeinsame Lesen der Bibel (Lectio divina oder auch „Bibel Teilen“) ins Spiel, ebenso wie das Warten auf Gott in Gebet und Stille und die aktive Kontaktpflege in der Nachbarschaft (nicht um dort gleich schon wieder etwas „an den Mann zu bringen“, sondern um Neues zu entdecken und zu lernen).

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8 Antworten auf „Wenn „richtig“ nicht mehr reicht…“

  1. Ist der „God in the Neighborhood“-Ansatz mittlerweile nicht ebenso bereits eine vorgenommene Standardeinstellung?

  2. Naja, wir fragen ständig nach Programmen und inneren Einstellungen und Frömmigkeiten. Viele Büchern ermutigen und ermahnen uns, tiefen Glauben zu schaffen. Mach dieses oder jenes, dreh hier ein wenig und dort auch noch…. Doch trotz aller Programme und Ideen werden die schlechten Nachrichten über die Zukunft der Kirche immer lauter und immer hektischer formuliert. Auch aus den ach so christlichen USA kommen dunkle Prognosen über wegbrechende Generationen und christlichem Leben außerhalb von „Kirche“ usw… Mein Ansatz ist ein ganz einfacher: ich frage: Was sagt Gnade hier? Hier in dieser Situation? Hier in dieser Welt? Jetzt und ganz konkret. Ich will nicht so sein wie Jesus. Ich will tun, was er tun würde. Und mir geht es nicht um dogmatische Richtigkeiten oder neue Programme, ich folge den Spuren der Gnade. Jetzt kann man einwenden: Na, das ist ja auch eine Art Programm!

    Von mir aus.
    Wir wissen vielfach christlich/kirchlich nicht mehr weiter. Im Gegenteil, viele versteigen sich in Grabenkämpfe. Irgendwie befinden wir uns doch in der Panikzone. Fern von jedem Komfort zumindest (und ich hab das Gefühl, die Komfortzone wird auch noch gänzlich schlecht gemacht. Welch Irrtum!). Es geht viel um Strukturen, schwarz/weiß, richtig/falsch. Dabei lautet nach meiner Meinung die entscheidende Frage: Was würde denn Gnade gerade jetzt tun oder sagen? Welche Prioritäten setzen? Welche Entscheidungen fällen? Was tun und was lassen?

  3. Mir gefällt der Gedanke von „Standardreflexen“. Es fällt schwer, sich Kirche anders vorzustellen, als in Formen, die wieder in Gottesdiensten, Büchern, Projekten oder Programmen enden. Steht Innovation nicht in der Spannung zu quantitativem Erfolg? Was ist, wenn Gott in der Umgebung so kleine Dinge tut, die sich nicht in einer Konferenz verkaufen lassen? Die Spitzen gegen die Institutionen hat es ja zur Genüge gegeben. Ist das aber nicht alles der Versuch „outside the Box“ zu denken? Das Problem mit diesem Denken ist ja, dass man sich immer noch auf die „Box“ bezieht. Ist die große Herausforderung für die Zukunft der Kirche nicht der Bezug auf die Art von Kirche, die scheinbar im Sterben liegt?

  4. Es war mit Händen zu greifen, wie viele versuchten, die Impulse in ihren bestehenden Denkrahmen einzupassen oder wenigstens innerhalb desselben Ähnlichkeiten und Anknüpfungspunkte zu suchen. Letzten Endes greift es aber doch zu kurz.

  5. Hallo Peter,

    zu erst hatte ich bei schnellen überfliegen beidem Punkt „2. Problematisieren“ wegen meiner Legasthenie „Problemanästhesie“ gelesen. Manchmal kann ich mich über meine Behinderung auch amüsieren. Wahrscheinlich auch eine auch eine versteckte Erwartungshaltung von mir. Also also für das deutsche Koma-Quakertum würde ich noch den Punkt 3: „Problemanästhesie“ aufnehmen! Das ist schon seid über einen halben Jahrhundert ein Reflex oder Standard-Voreinstellungen. Achja, und die Klagen darüber sind kaum jünger und weniger Reflex oder Standard-Voreinstellungen. 😉

    Gruß

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