Wenn die Zukunft dir abhanden kommt

In der CDU wird gerade mächtig über die Zukunft gestritten. Das ist ja kein völlig anderes Milieu als das der großen Kirchen, und es scheint etliche Parallelen zwischen Volksparteien und Volkskirchen zu geben.

Tobias Hans, Ministerpräsident des Saarlandes, wird aktuell mit folgender Erkenntnis zitiert: „In den vergangenen Jahren sind wir dem Trugschluss aufgesessen, dass Jugendliche mit fortschreitendem Alter von alleine zu den Volksparteien kommen. Das ist fatal.“

Der Satz kam mir so bekannt vor, weil er in kirchlichen Diskussionen auch immer wieder als Placebo auftaucht. Kirchen schwinden, so heißt es dann, aufgrund stabiler soziologischer Gesetzmäßigkeiten, nicht etwa weil sie selbstgenügsam und oft ein bisschen träge den Wandel verschlafen. Und dieselben Gesetzmäßigkeiten würden die Kirchen danna auch wieder irgendwie vor der Bedeutungslosigkeit retten. Auf jeden Fall sei Alarmismus unangebracht.

Und klar, natürlich ist nicht jede Kritik intelligent und informiert und längst nicht jeder Lösungsvorschlag innovativ. Aber soll man deshalb die Kirche den Fachleuten überlassen?

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Ein paar Episoden aus der vergangenen Woche fallen mir ein: Der Jugendreferent, der von einer schon etwas zurückliegenden Synode erzählt, auf der der Traditionsabbruch schöngeredet wurde und die eingeladenen Fachleute den versammelten Funktionären bestätigten, dass es ja um Qualität gehe, nicht um Quantität, und dass die Qualität ja auch vorhanden sei.

Ein paar Stunden später sitze ich mit einer Neunzigjährigen beim Tee. Sie erzählt ihr Leben mit einer ganzen Serie von Schicksalsschlägen. Mit leuchtenden Augen sagt sie, wie ihr das Gebet und ihr Glaube immer wichtiger wurden. Und zugleich sagt sie: „Ich bin keine Kirchgängerin.“ Bei uns hat sie nichts gefunden, was ihr hilft und was sie hält.

Schön, könnte ich jetzt sagen, sie kommt ja auch so klar. Aber nur einen Tag später fragt eine Konfirmandenmutter beim Elternabend, ob die Gottesdienste nicht etwas interessanter sein könnten für die Altersgruppe. Und es ist deutlich herauszuhören, dass auch die Eltern der Konfirmanden unsere Liturgie und Liedgut schon nicht mehr so richtig prickelnd finden.

Ich hätte jetzt abwiegeln können – wie die CDU oder die Referenten auf der Synode, von der ich gehört hatte. Aber ich fand es ehrlicher und sinnvoller, der Mutter Recht zu geben und offen einzuräumen, dass wir noch längst nicht alle Mittel und Ideen ausgeschöpft haben, um Gottesdienst- und Aktionsformen zu finden, die mehr als nur einem kleinen Segment der Menschen im Stadtteil gerecht werden.

Egal, was man von der CDU hält: Dieser Auflösungsprozess, das plötzliche Sichtbarwerden der schleichenden Entfremdung und die Hilflosigkeit der Akteure angesichts derselben, gibt zu denken. Kein Grund zur Panik, gewiss. Aber erst recht kein Grund, sich nochmal eine Runde Sand in die Augen zu streuen. Wenn sie nichts mehr von uns erwarten, werden sie auch nicht mehr zurückkommen.

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