Diese Frage haben mir in den letzten Monaten verschiedene Leute gestellt. Vielleicht ist das bloß ein Kommentar auf meine unbeholfenen Erklärungsversuche. Doch abgesehen davon, dass der Begriff “emerging church” natürlich recht schillernd ist und sich allzu engen Definitionen hartnäckig entzieht, ist das eine gute Frage.
Allerdings ist das oft auch ziemlich modern gedacht – wo man “neu” mit “besser” identifiziert hat. Vielleicht ist eben ein Aspekt, der tatsächlich (relativ gesehen) neu ist, genau der: Das man aufhört, in Kategorien von alt und neu zu denken. Dann wird – erst einmal postmodern-eklektisch und nach ästhetischen Gesichtspunkten, aber hoffentlich im Laufe der Zeit mit einem immer tieferen Verständnis für die Sache – manches in großer Freiheit wieder ausgemottet, was frühere Modernisierer weggepackt hatten: Geistliche Übungen, liturgische Formen, die Weisheit vorangegangener Generationen – was Jason Clark mit Andrew Walker etwa als “Deep Church” bezeichnet.
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Die plumpen Kontrastierungen, die es immer wieder einmal gibt, scheitern oft an diesem Punkt: dass “Neu” manchmal älter ist als “Alt”. Vielleicht ist gerade das neu, dass man das Alte nicht einfach verdrängt und wegwirft, sondern es einfallsreich integriert. Aber hier mal die Frage in die Runde der geneigten Leser: Wo seht Ihr (bei aller Problematik des Begriffs) denn nun noch das eigentlich Neue?
Und noch eins – manchmal hatte ich nämlich das Gefühl, wenn man eine möglichst atomisierende Betrachtungsweise hat, dann ist gar nichts neu: Wir haben halt nur 12 Töne auf der Tonleiter und 26 Buchstaben im Alphabet. So gesehen ist jede Komposition und jeder Text “kalter Kaffee”…
Was neu ist, hängt von dem ab, was der Betrachter schon kennt. Manche Dinge, diez.B. Peter Rollins in seinem Buch anspricht, sind neu für mich, obwohl er sich da z.B. aus Meister Eckhart beruft. Neu ist vielleicht eher die Tatsache, das Diskussionen überhaupt wieder geführt werden. Die setzte natürlich ein gewisses Geistesklima vorraus, das ich mal mit Postmodern abkürzen möchte. Gleichzeiting ist die EmCh-Diskussion auch eine Reaktion auf das Geistesklima der PoMo, denn das ist m.W. bislang noch nicht in dieser Form dagewesen.
Für mich persönlich ist die ganze emerging-Diskussion besonders in seiner Kritik des manchmal problematischen Miteinanders von Moderne und Kirche hilfreich und hat mir da einige Augen geöffnet. Ich weiß selbst gar nicht, ob ich mitsamt meines Umfelds so besonders postmodern und emerging bin – ich habe auch für mein nach wie vor modernes Leben einfach viel dazu gelernt durch die ganze Diskussion. Ich könnte mir vorstellen, dass richtige Emerging-Leute mit Stolz sagen würden, dass bei Ihnen gerade nix „neu“ im Sinne von „nie dagewesen“ ist. Weil wir aber das Alte ja so wenig kennen, wirkt es natürlich neu. Vielleicht ist das gerade die Errungenschaft – Altes zur rechten Zeit auszugraben.
Wie ich es sehe, kommen unter „emerging church“ verschiedene Strömungen aus den letzten 40 Jahren zusammen, ohne sich wieder gegeneinander ausspielen lassen zu wollen: politische und ökologische Ansätze und ihre theologische Verarbeitung (Moltmann z.B.), die Wiederentdeckung einer lebendigen Spiritualität (Richard Foster z.B.), die Gemeindeaufbaubewegung, die charismatische Bewegung, eine Erneuerung im evangelikalen Bereich (AufAtmen z.B.), auch Willow Creek (und sicher noch viel mehr). Das alles gemischt mit neuen Gemeindeerfahrungen vor allem im englischsprachigen Raum. Die manchmal etwas heftigen Abgrenzungen können über die Nähe nicht wegtäuschen.
Und das Ganze geschieht in einer Situation, in der mindestens in den westlichen Industrieländern die etablierten Kirchen mit ihrem konstantinischen Grundschema in die Krise gekommen sind. Auch das wird in der ec wahrgenommen und artikuliert.
Soll man es auf einen Satz bringen, dann würde ich sagen: Gott hat in den vergangenen Jahrzehnten die Bausteine vorbereitet, um in der Krise des bisherigen Kirchenmodells etwas Neues und Besseres zu schaffen, und die ec ist der Ort, wo endlich zusammenwächst, was zusammengehört.
den letzten satz von walter würde ich gerne aufnehmen und aus meinem blickwinkel heraus (der noch seeeehr klein ist) bestätigen. momentan mache ich ja mein lehrvikariat. als einen schwerpunkt (aber auch wunsch meiner lehrpfarrerin) werde ich mich um einen „zweitgottesdienst“ kümmern, den wir ins leben rufen wollen. ich habe mich deswegen ein wenig mit der emerging church befasst und sehe es genau so wie walter: das ZUSAMMENWACHSEN ist meines erachtens „neue“. blickt man die jahre zurück gab es immer wieder erneuerungsbestrebungen, die jedoch stark von der „abgrenzung“ lebten. das ist – zumindest ist das mein eindruck – eben genau nicht der „wunsch“ der emerging church.
und: der mensch in seiner ganzheit wird wesentlich ernster genommen als in den erneuerungsversuchen der letzten jahre/jahrzehnte.
ich bin gespannt, wie unser zweit-godi unter „emergenten gesichtspunkten und gestaltungsmöglichkeiten“ anläuft – und wäre ebenso dankbar für jede menge tipps. 🙂
Neu ist meiner Ansicht nach:
– das Zulassen von Fragen, ohne sie sofort beantworten zu müssen
– die Erkenntnis, selbst nicht alle Erkenntnis zu haben
– die Bereitschaft, sich von allen Traditionen der weltweiten, historischen und zeitgenössischen Kirche bereichern zu lassen
Das parallele ernsthafte Nachdenken über Ekklesiologie, Eschatologie, Missiologie, Theo-Logie, Spiritualität, Leiterschaft, Skriptologie, Ethik etc. führt zu einem Mosaik, das als solches neu ist. Neu sind nicht unbedingt die einzelne Glasteile, neu ist aber die Zusammensetzung und das Gesamtbild, welches sich daraus ergibt.
Danke für die Beiträge! Das könnte man ja fast als Meta-Bewegung bezeichnen, was aus all den Richtungen zusammenfließt…
Ich will nicht zu genau sein und es stimmt auf jeden Fall, dass ganz verschiedene Strömungen zusammenlaufen (in den USA sind das nochmal andere als in UK oder in Deutschland), aber Willow Creek als einen Strom auszumachen, überrascht mich doch etwas, weil Willow als Megagemeinde ja nun genau für das Paradigma steht, gegen das sich die allermeisten emerging-Gemeinden (mit Ausnahme von Mosaic oder Mars Hill etc.) abgrenzen wollen.
Innerhalb der emerging-Community ist ja auch wiederholt betont worden, dass es um mehr gehen muss als nur Abgrenzung und Kritik von anderen (im wesentlichen der evangelikalen Bewegung). Aus meiner Sicht passiert das auch mehr und mehr, aber es ist doch auch einfach natürlich, dass es bei der Trennung von Altem auch einen Prozess der Ablösung gibt.
Hallo haben Peter, Sie gesehen dem neuen Buch ‚ der tiefen Kirche ‚, das von Andrew Walker redigiert wird, und Luke Bretheron, denke ich, daß Sie es sehr viel genießen würden. Jason