Mehr oder weniger zufällig bin ich kürzlich auf ProphetCom gelandet und habe dort die latest prophecies nachgelesen. Nun kenne ich einige der Beteiligten dort persönlich und schätze sie und will niemanden hier in irgendeiner Weise schlecht machen. Bevor hier jemand etwas anderes vermutet: Ich glaube auch, dass es echte Propheten gibt und dass Gott heute noch reden kann und will, und habe es erlebt – zumindest hin und wieder. Und Achtung: Vor Ironie wird gewarnt…
Trotzdem fällt es mir schwer, dem zu folgen, was da auf ProphetCom steht. Es wird auch gerade überarbeitet, und zum Glück ist England weit genug entfernt, um mal einen nüchternen, postcharismatischen Blick darauf zu werfen: Ein Beitrag (vom Februar 2006) beschäftigt sich mit einer bevorstehenden Überschwemmung in London (die blieb wohl aus), ein anderer mit der Frage, ob der Wal in der Themse, der es letztes Jahr sogar auf unsere Titelseiten geschafft hat, eine besondere Bedeutung hatte. Im Stil von Stichwortassoziationen werden Querverbindungen hierhin und dahin gezogen: Jona zum Beispiel (aber war das nicht ein Fisch oder, so die Septuaginta, ein Seeungeheuer?).
Und ich frage mich: Könnte es sein, dass hier ein Muster vorliegt?
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Etwa so: Jemand sieht eine ungewöhnliche, Aufsehen erregende oder skurrile Sache. Naturkatastrophen sind sehr beliebt. Im nächsten Schritt unterstellt er, dies müsse eine tiefere Bedeutung haben. Im Falle des Wals werden wir also nicht über so offensichtliche Fragen wie Umweltgifte, Erwärmung der Meere oder Ähnliches reden, sondern eher mal die religiösen Verhältnisse in Großbritannien durchleuchten. Denn das wahrhaft geistliche, sprich: das Eigentliche, ist nur für die Eingeweihten erkennbar. So etwas heißt dann Spiritualismus.
Diese (im technischen Sinne: esoterische) doppelbödige Weltsicht findet man auch in der biblischen Apokalyptik. Aber wenn sie aus dem Kontext der Märtyrerkirche damals in unsere sensationsübersättigte Gegenwart 1:1 übernommen wird, hört sich das alles doch ganz anders an. Echte Apokalyptik öffnet die Augen für die tatsächlichen Machtverhältnisse und Konflikte. Sie ist subversiver Sprengstoff, sie gibt den Hoffnungslosen Hoffnung und Kraft zum Durchhalten mitten in dieser Welt und allem Elend. Hier besteht zumindest die Gefahr, sich in einem Raum ungebremster Subjektivität und hemmungsloser Spekulation zu verlieren. Leute, die zu oft an dem Himmel starren und die nächste Erleuchtung jagen, rütteln am Ende womöglich gar nicht mehr auf, sondern lenken eher ab vom Eigentlichen, weil es vielleicht zu banal und offensichtlich scheint.
Denn wenn etwas nicht wie erwartet eintrifft (und da kann es gut sein, dass ich diese Seite nun unfair überziehe), dann kann man ja beliebig lange an den Aussagen herum interpretieren, bis doch etwas Brauchbares herauskommt – vor allem, wenn man wie in mathematischen Gleichungen Bilder und Symbole in immer andere hinein ausflöst. Am Ende sollten der Wal und die Prophetie von der Flut nur sagen, dass Tony Blairs Partei bei der nächsten Wa(h)l untergeht? Zu dumm, dass dieser Schluss nur im Deutschen möglich ist.
Anders gefragt: Prüfen sich diese Propheten gegenseitig – und ist das so eine gute Idee? Und ganz hypothetisch gedacht: Wenn mal einer käme und sagte, dass das Quatsch ist – würde der nur das traurig-milde Lächeln der wahrhaft (oder wahnhaft?) Erleuchteten ernten oder wäre das in so einem Zirkel denkbar? Skepsis (altgriechisch sképthesthai = schauen, spähen) kann ja durchaus ihre guten Seiten haben. Mancher “Prophet” würde dem sofort zustimmen – doch leider nur so lange, wie es sich auf die Berichterstattung unserer Medien aus Israel bezieht 🙂
Ich kann, will und werde hier nicht ausschließen, dass in all dem auch Gutes und “Echtes” dabei ist. Ich weiß nur manchmal nicht, wie man das eine vom anderen so leicht unterscheiden soll. Um es mal positiv zu sagen: Manche Dichter und Denker, die sich selbst nie so eingeschätzt hätten und sich vielleicht gar nicht als Christen bezeichnen würden, finde ich viel prophetischer. Vielleicht auch deshalb: Sie versuchen gar nicht, hinter die Dinge zu sehen, aber sie finden mitten in ihnen überraschende, erhellende und nachvollziehbare Zusammenhänge und können lange vor allen anderen sagen, wohin sich eine Sache entwickelt. Von der Sorte Prophet hätte ich sogar gern ein paar mehr.
Ja, das ist ein komplexes Thema. Ich glaube nicht, dass es einfache Antworten gibt. Ein Grundproblem ist sicherlich, dass wir/manche dazu tendieren, spiritualistische Erklärungen als „geistlicher“ anzusehen als natürliche. Fiktives Beispiel.: Wenn Gott eine Themseflut schickt, weil die Homoehe legalisiert wurde, ist das der „geistlichere“ Erklärungsansatz als wenn eine Themseflut kommt, weil der Mensch das Land drumrum zu sehr zugebaut hat.
Der erste Erklärungsansatz benötigt eine spezielle „Offenbarungsgabe“ und verstecktes Wissen (Gnosis!?), der zweite eine spezielle Wahrnehmungsgabe (oder einfach jemanden, der nicht wegsieht).
Ich glaube, dass es letztendlich beides gibt – sowohl natürliche Erklärungen als auch Zusammenhänge, die sich uns nicht ohne weiteres erschließen und die nicht unbedingt logisch sind – und dass beides geistlich ist. Wie man manches interpretiert, ist dann allerdings oft auch eine Frage der eigenen Stärken und Schwächen. Ich tendiere z.B. dazu, bestimmte Speisegesetze aus dem AT im Kontext von Hygiene und Gesundheit zu interpretieren. Dadurch lässt sich z.B. ein Verbot von Schweinefleisch erklären. Für manche nimmt eine solche Erklärung aber etwas von der „Heiligkeit“ dieses Gesetzes weg (eben weil es ja erklärbar ist) oder setzt die Autorität Gottes herab (weil man Gott nicht „einfach so“ gehorcht, sondern weil es Sinn ergibt).
Was bedeutet „postcharismatisch“? Ich denke nicht, dass es sich dabei um einen Trend, eine Phase oder Modeerscheinung handelt. Oder doch?
Wohl schon. Die charismatische Bewegung ist eine unter vielen anderen, und wie immer hat sie Stärken und Schwächen. Sie hat vor allem in den Anfangsjahren (60er/70er) auf viele Bedürfnisse eine neue Antwort gegeben, aber eben auch etliche schwierige Aspekte hervorgebracht (s.o.).
In diesem Sinn ist sie dann auch ergänzungs- und korrekturbedürftig. Inzwischen gibt es ein paar Millionen Christen, die sich als „postcharismatisch“ bezeichnen. Sie sind dankbar für vieles Gute, aber es war eben auch nötig, manches an Stilformen und Ansichten wieder abzulegen.
Sehr nette und lustige Beobachtungen.
Was mich beschäftigt: Scot McKnight hatte die Tage ein interessantes Review über ein Buch,das sich aus theologischer Perspektive mit Katastrophen beswchäftigt. Er sagt da etwas in der Richtung: kann es sein, dass wir Angst haben vor den Auswirkungen unserer eigenen theologischen Aussagen? Also wenn wir sagen: wir müssen den Einfluss des Griechentums und der Aufklärung auslö… eh rausretuschieren aus unserm Christentum, und dafür kämpfen, dass Gott in der Welt vorhanden ist, dann ist das schön an Tagen wie heute, wenn man draußen spazieren geht. Aber was ist mit Tsunamis und Erdbeeben? Ist es nicht der große Vorteil des Deismus, dass er sagt: „die Welt ist nicht mehr Gottes Geschichte; wir sind verantwortlich“? Wenn man stärker die Verzahntheit von Himmel und Erde betont (was ist richtig finde), muss man Antworten auf die Frage finden: „inwieweit ist schlechtes von Gott bewirkt oder zugelassen“?
Meine vorläufige Antwort wäre: naja, Fluch ist nur die Abwesenheit von Segen. Katastrophen passieren dort, wo Gott sich aus Bereichen der Welt zurückzieht; sind also weniger Strafe und mehr Konsequenz.
Aber da hat man ein neues Problem: warum dauernd Indonesien und Afrika? Warum nie Europa und Amerika?