Täuferblut in meinen Adern

Die Gedenkfeier im vergangenen Jahr hatte ich nicht mitbekommen, dafür erfuhr ich am Rande eines Familienfestes, dass eine direkte Vorfahrin, Susanna Daucher aus Augsburg, dort im April 1528 in Abwesenheit ihres Ehemannes Hans, aus der Stadt vertrieben wurde und ihre beiden Söhne zurücklassen musste. Ihr Verbrechen: Sie hatte in ihrem Haus eine Täuferversammlung abgehalten.

Auf der Website der Mennonitengemeinde heißt es dazu:

Susanna und ihre Schwester Maxentia Wissinger waren sich keiner Schuld bewußt. In den Versammlungen sei nur „das Wort Gotte» vorgelesen und gelehrt worden“, heißt es in den Verhörprotokollen. Laut ihrer Aussage wurde wie im November 1527 im Haus von Felicitas und Conrad Huber getauft. Wohl zum Schutz der Hausbesitzer sagt sie, das Ehepaar sei bei der Taufe abwesend gewesen. Auch an einem Treffen der Wiedertäufer in Radegundis bei Wellenburg habe sie teilgenommen. Sie habe nicht gewußt, daß Treffpunkte der Täufer in Augsburg mit einem Kreis markiert worden seien. Sie bleibe standhaft und weigere sich ihrem Glauben zu wiederrufen.

Die Lebenswege ihrer Kinder, die sie in Augsburg bei einem Vormund lassen musste, lassen sich nachverfolgen. Sie selbst könnte nach Stuttgart gegangen sein, wie andere Augsburger Täufer.

Ihr Ehemann war von den Ereignissen überrascht worden und durch den Verlust wirtschaftlich und wohl auch psychisch so schwer getroffen, dass er sich davon nicht wieder erholte, sein Geschäft aufgab und 1537 verarmt starb. Letztes Jahr wurde eine Tafel am Haus der Familie in der Augsburger Schleifergasse 10 angebracht.

In den letzten Jahren haben die Großkirchen begonnen, dieses düstere Kapitel aufzuarbeiten. Mit einer echten Freigabe des Taufalters tun sie sich aber nach wie vor schwer – wenn kirchliche Angestellte Nachwuchs bekommen, drängt die Institution oft auf einen umgehenden Vollzug der Taufe. Dass ein bewusster evangelischer Glaube auch ohne Säuglingstaufe möglich ist, dass ein Aufschub der Taufe auf einen späteren Zeitpunkt kein Ausdruck von Sektierertum und pauschaler Kirchenkritik und damit kein Alarmsignal fehlender Loyalität sein muss, scheint sich zumindest noch nicht überall herumgesprochen zu haben.

Bislang dachte ich, meine Ahnengalerie bestünde weitgehend aus mehr oder weniger braven Lutheranern und dem einen oder anderen Reformierten. Nun weiß ich:  auch die traumarisierte Daucher-Sippe gehört zum „Erbe“. Um so mehr freut es mich, dass es uns als Gemeinde (wie auch vielen anderen) gelungen ist, solche Konflikte zu entschärfen. Neulich hatten wir eine Säuglingstaufe und zwei Kindersegnungen im gleichen Gottesdienst. Ich habe dabei einen etwas hemdsärmeligen Vergleich riskiert: Früher konnte man Kinder im Reisepass der Eltern eintragen lassen (das wäre die Parallele zur Segnung), oder man kann ihnen einen Kinderpass ausstellen lassen (das ist die Parallele zur Taufe). Irgendwann bekommen sie einen „richtigen“ Pass – das wäre dann die Taufe bzw. die Konfirmation. Im Ziel eines Lebens in der Nachfolge Christi sind sich alle einig, und das ist entscheidend.

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