Ob rituelles Opfer, mythischer Kampf oder Lösegeld – traditionelle Sühnetheorien stehen nicht erst seit gestern schwer in der Kritik. Das entscheidende Problem dabei ist, dass sie ihre Plausibilität deshalb verloren haben, weil der Deutungsrahmen, dem sie entstammen, heute so nicht mehr existiert: Niemand (außer ein paar Voodoo-Freaks) tötet noch Tiere und verspritzt Blut, kaum jemand fühlt sich in unseren Breiten von böswilligen Geistern und Himmelswesen bedrängt, und metaphysische Transaktionen zur Lösung des Schuldproblems führen nur allzu leicht zu reichlich schrägen Gottesbildern.
Vor ein paar Monaten haben ich mit einer Gruppe einen ganzen Tag lag über diese Themen nachgedacht, wir haben einiges dekonstruiert oder – so muss man das vermutlich sagen – festgestellt, dass sich die klassischen Sühnetheorien eben selbst dekonstruiert haben. Sie waren zu erfolgreich! Und dann standen wir vor der Verlegenheit, wie man denn jetzt vom Kreuz reden soll, ohne auf die ausgelutschten Klischees zurückzugreifen.
Ich spürte in der Gruppe die Hoffnung, dass nun jemand eine neue Master-Metapher aus dem Hut zaubern könnte, an die wir uns ab jetzt halten und die wir in unseren Predigten und Gesprächen fortan benutzen können. Ich hatte nur leider keine auf Lager. Dass Jesus „für uns gestorben“ ist, zweifelt dabei ja kaum jemand an. Nur wie man sich die Wirkung dieses Todes erklären soll, das ist offener denn je.
Ich will nicht ausschließen, dass irgendein „Anselm reloaded“ demnächst einen Geniestreich landet und uns für die nächsten Jahrzehnte einen stabilen, stimmigen und universal gültigen Deutungsrahmen liefert. Momentan erscheint es mir aber unwahrscheinlich – unsere Welt ist viel zu uneinheitlich geworden, und was für den einen ganz selbstverständlich ist, findet der nächste schon völlig absurd.
Anstrengender, aber vielleicht unvermeidlich ist der Weg, den Andrew Perriman einschlägt: Solche Theorien und Master-Metaphern hinter sich zu lassen und die neutestamentlichen Texte Schritt für Schritt so nachzubuchstabieren, dass sie in unsere Situation wieder hineinsprechen:
We still come to God as sinners, trapped in a corrupted order of things from which we are powerless to escape. We may still need to say, quite simply, that Jesus died for our sins so that we may be part of a people reconciled to the God who brought it into existence to be “new creation”. Jesus’ death has opened up to me personally the possibility of being a player in God’s new world. But the continuing dependence of the people of God on the death of Jesus needs to be construed and explained not in abstract theoretical terms but narratively, historically—and of course, biblically.
Wir kommen immer noch als Sünder zu Gott: gefangen in einer verkommenen Ordnung der Dinge, ohnmächtig, ihr zu entkommen. Wir müssen vielleicht immer noch ganz einfach sagen, dass Jesus für unsere Sünden starb, damit wir Teil eines mit Gott versöhnten Volkes sein können, das er zu einer „neuen Schöpfung“ gemacht hat. Jesu Tod hat mir persönlich die Möglichkeit eröffnet, ein Akteur in Gottes neuer Welt zu werden. Aber die anhaltende Abhängigkeit des Volkes Gottes vom Tod Jesu darf nicht mit abstrakten theologischen Begriffen konstruiert und erklärt werden, sondern narrativ, historisch – und natürlich biblisch.
In der Bibel finden sich neben den erwähnten Metaphern viele Erzählzusammenhänge, die sich auf unsere Lebenswirklichkeit beziehen lassen, wenn man sich die Zeit nimmt, genau hinzuschauen. Sie lassen sich von den Evangelien über die Briefe bis ins Leben der alten Kirche weiterverfolgen, was den Vorteil bietet, dass sie nicht nur ein zurückliegendes Ereignis erklären, sondern auch zu einer bestimmten Lebensweise einladen. Recht gut gelungen ist das beispielsweise in Ted Jennings‘ Buch Transforming Atonement: A Political Theology of the Cross, das ich hier verschiedentlich schon erwähnt habe.
Wobei Perriman ja auch wieder ein Erklärungsmuster darlegt, sogar mit schematischen Zeichnungen 🙂 Wir Menschen brauchen so etwas ganz offensichtlich. Obwohl es eben einengt und so ein Modell nie das ganze Bild zeigen kann. Ich glaube, es läuft auf eine doppelte Haltung hinaus: Für sich selbst ein Muster finden, aber sich immer bewusst sein, dass dies nur ein Erklärungsmodell ist, dass für andere ein anderes gelten kann und für uns selbst wahrscheinlich irgendwann auch. Es ist eben ein großes Erlösungswerk, was Jesus da vollbracht hat. Das passt weder längs noch quer ganz in unseren Schädel.
Jeiiin – hier zu schnell wieder die Mysterienkarte zu spielen, finde ich auch nicht glücklich. Wir brauchen ja nicht nur für uns selbst eine Art Arbeitshypothese oder Deutungsansätze, sondern auch zur Verständigung mit anderen.
Perriman zeichnet ja kein Diagramm einer umfassenden Neudeutung, sondern er veranschaulicht die Schritte, die heutige Ausleger gehen müssen, um keine Kurzschlüsse zu bekommen.
Danke für deine Gedanken. Das Thema beschäftigt mich auch schon länger. Eine Station war für mich die Auseinandersetzung von Tony Jones mit dem Thema. Er hat seine Blog Beiträge auch als eBook veröffentlicht. http://www.amazon.de/Better-Atonement-Depraved-Doctrine-ebook/dp/B007MD0AK8
Perriman deutet den Tod Jesu aber öfter auch in den Narrativ Israels und damit nicht unbedingt als Tod für „mich/uns“. Jesus der eben hingerichtet wird, weil die Römer das konnten und die Priester das wollten. Da wird das Kreuz zum ohnmächtigen Ende eines machtlosen Wiederstandes gegen das System. Da ist Ohnmacht (und Selbstaufopferung) explizit Teil von Gottes Selbstoffenbarung.
Wichtiges Thema! Brian McLaren und Tom Wright adressieren es auch.
@Mik: Ja, und da gesteht Perriman dem Begriff der Sühne auch ein gewisses Recht zu, während er beim „für mich“ den Bogen weiter hält und Israel als heilsgeschichtlichen Faktor nicht überspringt.
@Peter: Genau, solche Arbeitshypothesen brauchen wir. Trotzdem funktionieren sie doch nur, wenn wir uns bewusst sind, dass sie nie wirklich allumfassend Gott und die Welt erklären können. Und dass wir selbst nie den Stein der Weisen gefressen haben können (oder wie hieß das? 😉 ) Alles andere führt nur zu (verbalem und manchmal auch ganz handgreiflichem) Krieg.
Ich störe mich an dem Zugang zum Kreuz Jesu durch den leblosen und auch im Grunde auch lieblos-abgestandenen Begriff der Sühnetheorie. Ist Sühne also Schuldübernahme nicht etwas äußerst praktisches und gerade nicht zuerst Theorie? Wer pleite ist, weiß die Sühne zu schätzen!
Also Beispiel: Wer übernimmt die Schulden Griechenlands? Wenn hier die wohl realistische Forderung nach einem Schuldenschnitt erhoben wird, heißt das doch, dass jemand anderes die Schulden dieses Staates bezahlen muss, weil er sonst pleite ist und in seiner Staatlichkeit zusammenbricht. Das ist doch recht verstanden Sühne also Schuldenübernahme, die andere Staaten oder die Gemeinschaft hier übernehmen müssen, soweit ok?
Jetzt auf unsere Gottesbeziehung übertragen, wir sind mit Riesenschulden bei Gott im Minus, wir haben massivst über unsere Verhältnisse gelebt und sind pleite. Wer übernimmt jetzt vor Gott unseren Schuldenschnitt? Wer zahlt unsere Schulden? Das macht Jesus, indem ER, der selber keine Schulden hat und nicht pleite ist mit seiner ganzen Liebe sich für uns investiert, und das geschieht durch Seine sühnende Hingabe am Kreuz, da zahlt ER den Preis, da geschieht unser existenzieller Schuldenschnitt.
Ich finde das – wenn ich das so unbedarft sagen kann – sehr einleuchtend und ganz großartig. Und darum danke ich meinem HERRN für Seinen mich freisetzenden Tod am Kreuz. ER reißt mich nicht nur aus meiner persönlichen Pleite heraus, um mich dann anschließend in einem neuen Bankrott versinken zu lassen, ER schenkt mir sogar eine neue Existenz, die nicht mehr durch Schulden sondern durch Überfluss qualifiziert ist.
Peter Knauer mit seiner ökumenischen Fundamentaltheologie hat mich auf die Idee gebracht, das ‚für uns gestorben‘ so aufzufassen:
Für mich ist das Leben Jesu das Angebot der Gemeinschaft mit Gott gewesen, die Ablösung der Herrschaft der Angst durch die Herrschaft der Liebe. Die Reaktion der angstgetriebenen Welt war, ihn zu kreuzigen. Wenn er geflohen wäre oder gekämpft hätte, hätte er die Herrschaft der Angst und des Todes anerkannt und sich ihrer Logik unterworfen. Er hat es nicht getan, hat sich für seine Botschaft und seine Anhänger (für uns, für mich) kreuzigen lassen, und dieser Tod ist, wie es so schön heißt, verschlungen in den Sieg.
Die Sühnetheologie dagegen kann ich keinem, auch nicht mir selber, überzeugend erklären.
@Burkard Hotz: Es lässt sch schwerlich verleugnen, dass dies eben eine Theorie (oder, wenn der Begriff nicht gefällt: eine Metapher) ist. Jesu Tod am Kreuz war eine Hinrichtung, ein Justizmord. Den nun als Schuldentilgung zu interpretieren mag dem einen mehr gefallen und dem anderen weniger.
Aber Jesus ist auf keine Bank marschiert und hat dort etwas einbezahlt. Ob es angemessen ist, dies so zu übertragen, darum geht die Diskussion. In dem Fall beglichener Schulden stellt sich ja die Frage: Bei wem sind wir verschuldet und was hätten wir aufgrund dieser Schulden zu befürchten? Und da kommt diese Metapher vom Schuldenschnitt ganz schnell an bestimmte Grenzen, weil sie eine abstrakte Transaktion beschreibt: Geld ist ja etwas sehr Unpersönliches. Geht es bei der Versöhnung zwischen Gott und Mensch nicht um ganz andere Dinge – Liebe und Hass, Vertrauen und Furcht, Hoffnung und Verzweiflung?
@Thomas Jakob: Das Motiv der Liebe reicht für heutige Menschen sicher tiefer und weiter und es kommt mit weniger Hilfskonstruktionen aus. Bei Perriman fand ich den messianischen Aspekt noch ganz wichtig, dass durch Jesu Tod die blockierte Heilsgeschichte für Israel (und damit dann auch für die Welt) wieder in Gang kommt und ihren Höhepunkt erreicht.
Ich würde gern als orientierendes Bild zum Thema die Traumatherapie einbringen (wobei wahrscheinlich ein viel höherer Prozentsatz von psychischen Leiden mit Traumata zu tun hat, als man klassisch angenommen hat): wenn man einem traumatisierten Menschen helfen will, neues Vertrauen ins Leben und überhaupt neue Lebensmöglichkeiten zu finden, dann bleibt man dabei selbst nicht außen vor. Man hört schreckliche Sachen über Missbrauch, Folter, Vernachlässigung … und das bleibt einem ja nicht äußerlich (oder man würde seine Menschlichkeit verlieren). Man kann selbst krank werden, wenn man da zu viel abbekommt und aus irgendeinem Grund selbst verletzlich ist (oder nicht gut für sich sorgt).
D.h. man tut sich den ganzen Dreck an, den Eltern, Vergewaltiger, Büttel … in die Menschen gekippt haben, über die sie Macht hatten. Aber die haben das ja auch nicht erfunden, sondern oft ist ihnen auch so etwas angetan worden. Es zirkuliert also eine gewaltige Menge an Gewalt- und Traumamasse in der Welt, die sich reproduziert, vermehrt, in andere Formen transformiert. Das ist meiner Ansicht nach der reale Kern des theologischen Themas der Sühne.
Die antiken Imperien haben nicht anders als die entsprechenden Regimes heute mit massiven Traumatisierungen (bzw. Traumatisierungsandrohungen, die ja auch entsprechend wirken) gearbeitet, um ihre Sozialordnung zu stabilisieren. Im Imperium Romanum waren das Kreuz und die Auspeitschung die zentrale Werkzeuge dafür.
Die Praxis Jesu kann man in weiten Teilen als ein Heilen von primären und sekundären Traumatisierungen verstehen. Und so, wie es heute etwas kostet, traumatisierten Opfern beizustehen, hat auch ihn das einen Preis gekostet. Wahrscheinlich schon lange vor seiner Kreuzigung, aber spätestens dann.
Wenn man das ein Opfer nennt, hat das den Vorteil, dass es darauf verweist, dass die antiken Opfer vermutlich auch teilweise der Auseinandersetzung mit Traumata dienten. Der Nachteil ist, dass es heute keiner mehr versteht.
Egal, wie man das jetzt theologisch löst: die Frage, wie man mit der zerstörerisch durch die Welt vagabundierenden Gewalt- und Traumamasse umgeht, ist durchaus von Relevanz.
Ich merke gerade, dass das von der Länge her gerade ein eigener Post wird, deswegen nur kurz: ich denke, dass wir weiterdenken müssen an der Beschreibung des Weges, wie Jesus daran gearbeitet hat, dieses Gewalt- und Traumapotential aufzulösen bzw. in Leben umzuwandeln. Das ging anscheinend nicht, ohne dass er selbst dabei auch traumatisiert wurde. Und laut Paulus hat er ja auch der Kirche da noch Arbeit übrig gelassen.
Wenn es nur ein tragischer Justizmord war und wenn dieser Tod, des Sohnes Gottes nur geschah um zu zeigen, dass die Gewalt der Imperien nicht das letzte Wort hat, warum heißt es dann, dass Jesus wegen unserer Schuld zerschlagen wurde und er die Strafe auf sich nahm (vergl. Jes 53,5)? Soll dies (wie auch die deutliche Aussage in Römer 3,25 etc.) nur als Allegorie verstanden werden?
Die Frage hier hängt davon ab, ob man Jesus als Gott oder nur als Prophet sieht, ob sein Tod geplant war oder nicht….
Wenn Jesus nicht Gott ist und das Sterben nicht geplant war, ist deine Theorie zu beführworten….
@Johannes: Es wäre schön, wenn Du uns diese falschen Alternativen ersparen könntest. Ich habe weder gesagt noch impliziert, dass es „nur“ ein Justizmord war und schon gleich gar nicht dass Jesus „nur“ irgendein Mensch wäre.
Im Römerbrief sehen wir, wie Paulus für die Leser seiner Gemeinde(n) die Bedeutung unter Bezug auf das Sühneopfer beschreibt. Das ist heute zumindest schwer erklärungsbedürftig. In jedem Fall ist es natürlich eine metaphorische Redeweise. Das priesterliche Opfer wird als Deutung herangezogen. In Wirklichkeit haben nicht die Priester Jesus getötet, sondern die Soldaten.
Wenn wir also Menschen unserer Zeit die Bedeutung dieses Todes für sie bzw. für die Welt (!) erklären wollen (oder uns das selbst sagen), dann müssen wir die konkreten geschichtlichen Ereignisse ernst nehmen und zugleich wie Walter oben aktuelle Analogien finden.
Wenn Du hier den „Plan“ ins Spiel bringst, bewegst Du Dich auf dünnem Eis, denn dann landest Du sehr schnell bei einem Gott, der aktiv Gewalt übt. Das Thema hatten wir hier ja neulich schon.
Mit dem Plan Gottes befinden wir uns sicherlich nicht auf dünnem Eis, sondern die Bibel trifft diese Aussage: „diesen, der nach Gottes festgesetztem Ratschluß und Vorsehung dahingegeben worden war…“ Apg 2,23 vergl. auch V. 30 u. 31….
Des weiteren findet sich im Römerbrief kein Hinweis auf ein metaphorisches Verständnis. Das Jesus durch die Soldaten starb ist Fakt, dies aber als Argument gegen das Sühneverstänis einzusetzten ist nicht stichhaltig, es klingt eher simplistisch, als ob Gott von Priestern abhängig wäre um seinen Plan durchzuführen.
Die Frage ob es heute schwer Erklärungsbedürftig ist, dürfte nicht als Argument dienen, entscheident ist was der Schriftbefund aussagt (es steht außer Frage das Jesus nicht nur die Sünde gesühnt hat, sondern durch seien Sieg auch Juden und Heiden miteinander versöhnt hat Eph 2,17). Im Übrigen haben die Menschen auch in unseren Breitengraden, einen Gerechtigkeitsinn, dass sie verstehen können, das Falsche Handlungen Konsequenzen haben, somit auch die Sünde, welche das Grundproblem der Menscheit ist.
… Ich glaube, wir reden hier aneinander vorbei, nicht zum ersten Mal.
Es ist doch unsinnig anzunehmen, dass Paulus vor jeder Metapher für Leser, die das sonst übersehen (oder leugnen) würden, „Achtung, Metapher!“ schreiben müsste. Aber freilich benutzt er Metaphern, und zwar unter anderem eben an diesen Stellen, wo er Opferterminologie aufgreift. Ein „Opfer“ findet am Kreuz also bestenfalls in einem übertragenen Sinn statt. Würde er sagen „es ist so wie“, dann wäre es streng genommen schon keine Metapher mehr, sondern ein Vergleich.
Ratschluss und Vorsehung lassen sich ganz unterschiedlich verstehen. Freilich wollte Gott nicht, dass Jesus dem drohenden Leid ausweicht. Wer mehr und detailliertere „Planung“ dahinter vermutet, der landet ganz schnell (das war mit dem „dünnen Eis“ gemeint, wieder so eine Metapher…) bei einem Gott, der auf das Vergießen von Blut und die Ausübung von Gewalt nicht verzichten kann. Das wäre für mich eine Perversion des Evangeliums, um es ganz klar zu sagen.
Spannende Diskussion, die ich auch sehr wichtig finde! Bei allem, finde ich, darf man nicht vergessen, dass das Kreuz ein Ärgernis und eine Torheit bleibt, also nie zufriedenstellend theoretisch erklärt werden kann. Ich glaube, es geht nur narrativ. Für mich etwa so:
Am Kreuz war Gott nicht der Täter, sondern das Opfer. Dort hat sich Gott dem Bösen ausgeliefert. An machtgierige Politiker, die Angst vor einem Aufstand der verarmten jüdischen Bevölkerung hatten. An feige Kollaborateure, die ihre eigene Haut retten wollten. An verrohte Soldaten, die ihren Sadismus an einem hilflosen Verurteilten ausließen. Am Kreuz sehe ich Gott. Gott, der das Böse in der Welt nicht bekämpft, sondern sich ihm aussetzt – bis zur letzten Konsequenz.
Das versteht keiner. Ich auch nicht.
Das Böse muss man doch bekämpfen! Und wenn schon nicht mit Soldaten, dann wenigstens mit Boykotten, Gesetzen, politischen Aktionen! Gott hätte die Macht, das Böse einfach auszurotten. Aber er tut es nicht. Stattdessen lässt er sich vom Bösen die schlimmstmögliche Niederlage zufügen. Am Kreuz stirbt Gott einen gottverlassenen, grässlichen Tod. Das Böse hat gesiegt.
Doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende.
Jesu Tod war ein Tod, an dem der Tod sich vergriffen hat. Das Böse hat über Gott gesiegt – aber genau deshalb hat es verloren, endgültig, ein für allemal. Das ist die Botschaft der Auferstehung – dass das Böse überwunden ist, die Sünde erledigt, der Tod entmachtet.
Predigen kann ich das nur auf Hoffnung hin: Denn sichtbar ist das nicht. Auch heute werden im Ostkongo wieder Frauen brutal vergewaltigt, verhungern in Somalia Kinder, ertrinken Flüchtlinge im Mittelmeer. Und trotzdem will ich daran festhalten: Dass die Wunden geheilt, die Tränen abgewischt werden. Dass Unrecht und Bosheit nicht das letzte Wort haben. Dass die Sieger nicht bestimmen, wie die Geschichte zu lesen ist. Dass es am Ende nicht egal ist, wie ich gelebt habe. Dass die Liebe übrig bleibt.
Und ich verliere die Hoffnung nicht, weil ich in Jesus, der seine Gottverlassenheit am Kreuz herausschreit, Gott finde. Den Gott, der die Schmerzen der vergewaltigten Frauen, den Hunger der Kinder, die Verzweiflung der Ertrinkenden in sich selbst spürt. Der den Dreck und das Elend dieser Welt trägt, damit sie anders wird. Der die Welt so liebt, dass er sich dafür selbst aufs Spiel setzt.
Das alles ist weder einladend noch einleuchtend. Aber es trägt mein Leben, und das vieler Menschen, die ich kenne. Mehr haben wir nicht zu bieten.
@Claudia Währisch-Oblau: „Mehr haben wir nicht zu bieten“ – der Ansatz gefällt mir sehr gut. Theorien versuchen eben oft noch etwas „mehr“ zu leisten und scheitern meistens daran.
Und viele dieser Theorien (vor allem die vom Opfer und vom Lösegeld/“Preis“/Schuldenschnitt) können den Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung nicht erhellen, der in diesem Narrativ und Bekenntnis unverzichtbar ist. Wenn mit dem Tod alles bereinigt ist, wenn alles, was Gott zur Besänftigung seines Zornes (oder warum auch immer) „brauchte“, die Vernichtung eines sündlosen Lebens war, dann klappert das Osterevangelium ganz merkwürdig nach.
Ich habe mit der Sühnetheorie im wesentlichen zwei Probleme:
Wenn ich diese Deutung zu sehr personalisiere muss ich den Menschen immer erst einreden, wie schlecht sie eigentlich sind. Dann entsteht schnell der Eindruck, dass wir Gott, so wie wir sind, eigentlich nicht genug sind.Das steht irgendwie im Widerspruch zu Johannes 3,16.
Zum anderen passen Tod und Auferstehung bei der Lösegeldmetapher nicht gut zusammen. Das wäre doch dann so, als ob ich dass Lösegeld bezahle, in dem Wissen es nachher wiederbekommen zu können.
@Peter
Diese sogenannte Pervesion ist ein hingeben des eigenen Lebens aus Liebe. Das Kreuz ist der Ort wo Liebe und Gerechtigkeit aufeinandertrifft. Gott ist auch ein Gott der zornig über Sünde ist und Sünde trennt auch von Gott. – Anderfalls musst du die Bibel umschreiben (!)…
Es ging Jesus nicht darum einfach auch der Erde bisschen soziale Gerechtigkeit zu schaffen (auch wenn sich jeder Christ dafür einsetzen sollte)…
@toex
das musst du dem Mensch nicht einreden, jeder ist es…
@Johannes: Mit solchen Standardfloskeln kommen wir nicht weiter. Die stehen ganz nebenbei auch so nicht in der Bibel, wie Du das hier suggerierst.
Und nochmal: kannst Du bitte solche unsäglichen Unterstellungen bleiben lassen wie die, dass irgendein Gesprächsteilnehmer hier nur auf „ein bisschen soziale Gerechtigkeit“ aus wäre? Wenn Du nicht zuhören kannst, solltest Du auch nicht kommentieren. Das ist einfach nur peinlich, am meisten für Dich selber.
Nun wenn du hierin eine Unterstellung siehst liegt es an deinem subjektiven empfindlichen Wahrnehmungsvermögen. Aber ich bewundere immer wieder deine faszinierende Fähigkeit dich sachlich auszudrücken und die Fähigkeit deine Hypothesengebäude mit biblische Argumente darzulegen… (oder sagen wir eher Auslegungsakrobatik dazu??)
Jaja, schon gut
Ich bin fest davon überzeugt, dass der Vater seinem geliebten Sohn den Kreuzestod erspart hätte, wenn es einen anderen Weg gegeben hätte, die Menschheit zu *erlösen* (=freizukaufen) Solche „Standardfloskeln“ finde ich allerdings schon in der Bibel, z. B. Römer 5.9:
„Vielmehr nun, da wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt sind, werden wir durch ihn gerettet werden vom Zorn.“
„Zorn“ (Gottes auf uns) und „durch sein Blut“. Mir ist klar, dass ich hier niemanden überzeugen kann.
Mich würde allerdings interessieren, ob es deine Privatmeinung ist, dass das veraltet ist, für heutige Menschen zu ärgerlich und zu dumm („führen nur allzu leicht zu reichlich schrägen Gottesbildern“) oder ob das von Emergent insgesamt vetreten wird.
@Zeder: Es gibt viele Möglichkeiten, den Begriff „Zorn“ zu füllen. Nicht jede davon finde ich gelungen oder überzeugend, und zwar sowohl im Blick auf die innerbiblischen Zusammenhänge wie auf unsere heutigen Vorstellungen. Und die Kurzformel „gerechtfertigt durch sein Blut“ steht ja für eine lange Kette von Ereignissen und in einem weiten Zusammenhang, nämlich Gottes Bund mit Israel. Wunderschön nachzulesen etwa bei Tom Wright im Römerkommentar oder seinem Buch über Rechtfertigung. Warum also nicht mal eine andere Deutung ernsthaft in Betracht ziehen?
Von „dumm“ war nirgends die Rede. Ich habe mich auf Gottesbilder bezogen, die Gott als gewalttätig erscheinen lassen. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Eindruck entsteht, dass Gott es fordert oder aus irgendeinem Grund nötig hat, dass Blut fließt, sprich: auf der Seite der Gewalttäter erscheint. Das wird in der Bibel so nirgends gesagt. Und aus der Tatsache, dass es so kam, dass Jesus gekreuzigt wurde, nun rückzuschließen, dass es so und nur so kommen musste, ist für meinen Geschmack pure Spekulation.
Bei „Emergent“ gibt es kein Glaubensbekenntnis (geschweige denn Pläne für ein solches), dafür aber viele Leute, die allesamt selber denken und für sich selber sprechen können. Es empfiehlt sich immer, im Einzelfall genau hinzuhören und zu lesen und nicht gleich weitreichende Rückschlüsse aus der Tatsache zu ziehen, dass ein paar Schlüsselwörter fehlen oder konventionelle Denkmuster in Frage gestellt werden. Dass diese Denkmuster vielen Zeitgenossen unzugänglich sind, ist doch kein Geheimnis. Die meisten Leute sagen Dir das rundheraus, wenn Du sie mal fragst. Es gibt meterweise Bücher, die das dokumentieren. Und dann ist es eben keine Lösung, auf den herkömmlichen Metaphern zu beharren oder diese gar kurzerhand für heilsnotwendig zu erklären, wenn die ihnen nichts sagen.
Um es in die Terminologie der Mächte zu packen: Ein Gott, der seinen Zorn (und damit seine Macht) so gewaltsam ausleben muss, dass nur ein menschlicher Blitzableiter (um mal die Metapher zu wechseln) die Welt vor der pauschalen Vernichtung bewahrt, sähe auch dann noch den imperialen Monstern erschreckend ähnlich, wenn er den Blitzableiter selbst aus dem Hut zaubert. Er wäre auch nicht der, der sich glaubhaft an die Seite der Opfer von Gewalt und Unrecht stellt und eben auf Vergeltung verzichtet.
Und noch unappetitlicher:
„Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blute“ (Offenbarung 1.5b)
„und sie haben ihre Gewänder gewaschen und haben sie weiß gemacht in dem Blute des Lammes.“ (Offenbarung 7.14c)
Ja, klar ist das unangenehm und ärgerlich, wenn ich erfahre, dass ich auf Grund meiner Schuld verloren bin und nicht auf Grund meiner Verdienste gerettet werde, sondern nur, weil ein anderer die Schuld bezahlt hat. Das ist aber gar kein Problem des modernen Menschen und von „Das versteht doch heute niemand mehr“ und „Das kann man den Menschen heute doch nicht mehr zumuten.“ Sondern „früher“ (TM) war auch nicht alles besser, sondern es war ganz genauso. Das hält Paulus aber nicht davon ab, ganz bewusst zu predigen, was für die einen dumm und für die anderen ein Skandal ist. Er will ja auch nicht überzeugen. Wir können niemanden von Christus überzeugen (ein entspannender und erleichternder Gedanke). Sondern der Geist Gottes ist, der überführt.
Erstens: Auch das ist metaphorische Rede bzw. in diesem Fall Poesie. Zweitens bestreite ich gar nicht, dass im NT solche Bilder vorkommen. „Waschen im Blut“ ist in einer Gesellschaft, die u.a. den Mithraskult kannte, auch noch viel verständlicher als bei uns heute. Aber freilich ist nicht dieser Kult gemeint, sondern Taufe („waschen“) und Abendmahl („Blut“). Beide Sakramente greifen die Exodustradition auf: Die Befreiung aus der Sklaverei, den Bund zwischen Gott und seinem Volk. Dort steht das Motiv der Bereinigung individueller Schuld übrigens ganz im Hintergrund.
Der letzte Kommentar ist keine Antwort auf Deinen, sondern wir haben gleichzeitig geschrieben.
Ich sehe es nicht als Bilder an. Ich sehe es umgekehrt: Unsere Schuldverhältnisse wie auch menschliche Herrschaftssysteme sind Abbilder der Realität Gottes. Natürlich durch die Sünde entstellte, pervertierte. – Denn auch im Reich Gottes gibt ja Herrschaft, Macht. Aber „unpervertierte“ Die Herrschaft Gottes. Und Macht heißt dort Vollmacht. – So wie auch der Mensch selbst ein durch die Sünde entstelltes, verdorbenes Bild Gottes ist. Wir und unsere schäbigen, armseligen Beziehungen zu unseren Mitmenschen sind das Abbild, Gott ist die Realität. Weil das so ist, entsteht auch ein stimmiges Bild, wenn Jesus an die Stelle „des Kaisers“ gesetzt wird, der sich an die Stelle Gottes gesetzt hat. Als Negation der Negation sozusagen. Dass Gott uns überhaupt als Gewalttäter oder auch als „blutrünstig, Opfer zur Besänftigung verlangend“ erscheint, liegt daran, dass wir auf ihn übertragen, wie wir unsere eigenen Götzen erleben. Satan, Baal, Domitian, Nero, Mammon oder wie auch immer er gerade genannt wird, ist blutrünstig und fordert Opfer. Gott fordert nicht, Gott gibt. Sich selbst. Das Opfer zu unserer Erlösung haben nicht wir gebracht, weil Gott es gefordert hätte. Gott selbst hat es gebracht. Freiwillig. Nicht auf Verlangen, sondern aus Liebe.
@Zeder: Sprachlich und logisch sind es bildhafte Begriffe, mit denen wir eine Realität beschreiben, die wir überhaupt nur metaphorisch erfassen können. Aber ich finde Deine Begrifflichkeit hier insgesamt etwas diffus. Beispiel: Gott hat zweifellos Macht. „Vollmacht“ ist Macht, die man anvertraut bekommt, übertragene und uneigentliche Macht. Da fällt Gott nun gerade nicht drunter.
Dass Gott sich selbst aus freien Stücken gibt, darin sind wir uns ja ganz einig. Wenn man das „Opfer“ nennen möchte, meinetwegen. Dann folgt er aber gerade nicht einer sachlichen, außerhalb seiner selbst liegenden „Notwendigkeit“, auch keinen Regeln, wie sie das kultische Opfer befolgen muss. Freiheit und Notwendigkeit sind logische Widersprüche. Im Übrigen würde ich dann auf Deinen Vorschlag eingehen und sagen, Gottes freies Geschenk ist unendlich viel mehr als nur die Kompensation irgendeiner Schuld. Es sprengt die Logik des Ausgleichs.
Mir ist gerade etwas erst bewusst geworden: Das Opfer Jesu ist dasjenige Opfer (im religiösen Sinn), mit dem ich mich überhaupt als erstes bewusst und reflektierend auseinandergesetzt habe. Dass es früher oder irgendwo in der weiten Welt Menschen gab un gibt, die Göttern irgendwelche Opfer bringen, hatte ich wohl schon mal gehört, aber mich nie weiter damit befasst. Erst viel später wurde mir klar, dass der Opferkult im Alten Testament ein Bild und heidnische Opferkulte Karrikaturen davon sind. Vielleicht habe ich deshalb kein Problem mit dem Begriff Opfer. Für mich galt immer, seit dem ich davon erfahren habe: Menschwerdung Gottes, Hingabe Jesu bis zur letzten Konsequenz, bis zum Tod = Opfer, (kultische) Opferhandlungen durch Menschen = untaugliche Abbilder, Karrikaturen, Nachahmungen und/oder Perversionen der Tat Jesu. Ich habe also schon immer die Defintion umgedreht, was mir aber eben erst bewusst geworden ist: Nicht der Begriff Opfer definiert, was Jesus getan hat, sondern was Jesus getan hat bestimmt den Begriff Opfer. Machen das denn nicht alle Christen so?
Ja, natürlich ist die Erlösung (der „Loskauf“) durch Jesus kein bloßer Ausgleich, sondern unendlich viel mehr. Er ist Gott und wenn Gott sein Blut gibt, dann ist das unendlich viel wert, es würde auch für das Millionen- und Milliardenfache an Menschen ausreichen. War mir jetzt nicht klar, dass das nicht jedem klar ist. 🙂 Auch, dass es selbstverständlich viel mehr ist, als *nur* die Kompensation *der* Schuld (nicht „irgendeiner“).
Ich würde z. B. nicht formulieren, „Es sprengt die Logik des Ausgleichs“, sondern: „Unsere Logik des Ausgleichs (z. B. bei religiösen Opferritualen oder auch bei Bilanzen, buchhalterisch oder im übertragenen Sinn, kann nicht im entferntesten die Realität und die Fülle Gottes erfassen. Sie ist ein allzu billiger und entstellter Abklatsch davon.“
Mit Vollmacht dachte ich an Menschen. Nicht selbst genommene Macht (interessant, die Nazis verwendeten das Wort „Machtergreifung“), sondern von Gott verliehene, nicht eigen-mächtig, sondern im Willen Gottes.
So ganz trifft das immer noch nicht, was ich meine. Der Begriff „dialektische Aufhebung“ beschreibt vielleicht ganz gut das Verhältnis des Werkes Jesu zu alttestamentarischen oder heidnischen Opfern:
http://de.wikipedia.org/wiki/Dialektische_Aufhebung
Die Dialektik der Philosophen ist auch nur ein Abklatsch der biblischen.
Denkst du wirklich das ist überholt?
Geh mal ins Kino oder schau Fernsehen, da sieht man ständig wie sie Helden opfern für die Gute Sache, einen anderen Menschen etc.
Ich denke auch in der heutigen Kultur kann man den Opfertod verständlich machen, wir müssen nur wirklich den biblischen Kontext weiter erklären.
@JUK: Ich spreche hier von einer anderen Art des Opfers, das NT im Übrigen auch, da wo der Begriff erscheint, nämlich dem kultisch-rituellen (Sühne)Opfer. Das ist etwas anderes als wenn sich (in unserem gegenüber dem „biblischen Kontext“ weitgehend säkularisierten Sprachgebrauch) jemand für irgendwas oder irgendwen „opfert“. Das heroische „Opfer“ hat dann in der Regel ja weniger mit Schuld zu tun, eher mit Bedrohung und Gefahr.
@ JUK: Opfer und Sühnopfer sind nicht dasselbe! Z.B. in Clint Eastwoods Gran Torino: Eastwoods Selbstopferung geschieht nicht, weil er für jemanden Schuld übernimmt, sondern weil nur so die böse Gang endlich von der Polizei aus dem Verkehr gezogen werden kann.
Dass Gott sich in Christus für mich/für die vielen geopfert hat, um das Böse zu entmachten — das kann man Leuten heute sehr gut verständlich machen.
Ich bin gerade in Goma in der Republik Kongo — hier flackert immer wieder mit unendlicher Gewalt Krieg auf. Angesichts des himmelschreienden Elends hier kann ich sehr viel mit dem Kreuz anfangen — ich sehe Gott, der sich dem Leid nicht enzieht, sondern es in sich aufnimmt und überwindet, in dem er es bis zur letzten Konsequenz erleidet. Nur das kann hier Hoffnung begründen.
Die Thematik ist äußerst interessant und es stimmt, das die traditionellen Sühnetheorien nicht für jeden einleuchtend sind.
Zu dieser Thematik gibt es einen äußerst interessanten Vortrag vonDr. Thomas Breuer vom 9. Juni 2012, den er im Rahmen des Worthaus-Seminars gehalten hat.
Dieser Vortrag geht ca. 1:30 h, man muss also etwas Zeit mitbringen. Jedoch ist das Thema so zentral und historisch gewachsen, dass man für eine fundierte, seriöse Darlegung der Sachverhalte nicht in 10 min fertig ist:
http://worthaus.org/video/2-4-1-kreuzestod/
Besten Gruß,
Ruwen
Dass der Deutungsrahmen, dem traditionelle Sühnetheorien entstammen, nicht mehr existiert, ist aber doch nicht erst heute so. Auch vor 200 oder 500, ja selbst vor 1000 Jahren lebten die Menschen (zumindest in Europa) nicht mehr in einer Welt, in der Blut verspritzt und Tiere getötet wurden, um irgendwelche Götter versöhnlich zu stimmen. (De facto ist es sogar das Christentum selbst, das diesen Deutungsrahmen abgeschafft hat!) Und trotzdem wurde von diesen Menschen erwartet, dass sie sich den Tod Jesu als Opfertod oder Sühnetod vorstellen.
Umgekehrt hielten viele Menschen, die durchaus in dem beschriebenen Deutungsrahmen lebten, das „Wort vom Kreuz“ schon vor 2000 Jahren für „Torheit“ (1Kor 1,18.23). Warum sollten wir das Evangelium also ausgerechnet heute verändern?
Na, was heißt denn hier bitte „verändern“? Der eigentliche Anstoß des Evangeliums liegt doch nicht in den verwendeten Metaphern, sondern in dem Ruf zur Umkehr.
Anders gesagt: Man muss das „Wort vom Kreuz“ erst mal verständlich machen, bevor es angenommen oder zurückgewiesen werden kann. Paulus war da deutlich variabler als viele Konservative heute, die sich auf ihn berufen, um nur nichts verändern zu müssen.
Für die „Toren“ aus 1Kor 1 lag der Anstoß des Evangeliums aber nicht in dem „Ruf zur Umkehr“, sondern in dem gekreuzigten Christus (V. 23). Und auch heute ist der Ruf zur Umkehr nicht das Zentrum des Evangeliums, sondern der Glaube an den für uns gekreuzigten und auferstandenen Christus. „Umkehren“, seinem Leben eine neue Richtung geben, ja sogar sich am Vorbild des historischen Jesus orientieren kann auch ein agnostischer Humanist.
Au weia, was ist denn das für ein Verständnis von Umkehr? Die Umkehr des Gottesbildes gehört doch zur Umkehr dazu – seit wann sind das zwei verschiedene Dinge?
OK, so verstanden kann ich mit dem Ausdruck „Umkehr“ leben. Ich hatte darunter etwas eher Äußerliches verstanden, eine Änderung des Lebenswandels. Die folgt natürlich normalerweise aus dem Glauben, aber erst an zweiter Stelle.
Umkehr heißt ja nicht umsonst auf Griechisch „metanoia“ – da steckt „nous“ drin, das Wort für Denken und Vernunft. Um nochmal auf Dein Argument zurückzukommen: Der Anstoß liegt ja in der Sache (wie kann ein Gekreuzigter der Messias sein?), nämlich in der Art und Weise bzw. dem Faktum dieses Todes und seiner Verbindung zu Gottes Handeln („Gott war in Christus…“), also gar nicht in dessen Interpretation als Sühneopfer. Daher ist es völlig legitim, andere Interpretationen zu versuchen.
@Peter, hab mir das hier heute mal komplett in Ruhe durchgelesen. Außer dem Bedürfnis, heute andere Interpretationen des Kreuzestodes zu finden, da die althergebrachten „Theorien“ heute nicht mehr zufriedenstellen, kann ich nichts finden, was für eine andere Auslegung spricht.
Was mich aber betroffen gemacht hat, ist deine arrogante Art und Weise, mit den Diskutanten hier umzuspringen. An erster Stelle, wie du Johannes (Namensgleichheit mit mir rein zufällig) abgekanzelt hast, obwohl er sehr sachlich geblieben ist. Ich kann das nicht nachvollziehen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie hier mit Mitchristen aus dem „konvervativen“ bzw. „evangelikalen“ Lager umgesprungen wird. Es scheint fast, dass du mehr Gemeinsamkeiten mit Nichtchristen hast als mit Brüdern und Schwestern, die deiner Interpretation nicht folgen können/wollen. Sehr schade.
@Johannes (vielleicht kannst Du beim Benutzernamen einen Zusatz wählen, dann kennt man Euch auseinander) – Deine Bewertungen sind Dir freigestellt. Aber auch hier haben wir wieder das Problem miteinander: Manche Leute haben Fragen und die herkömmlichen Antworten sind für sie unbefriedigend. Für andere ist das keine Frage. Das ist völlig legitim. Ich verstehe nur nicht, warum man sich dann in die Diskussion in der Weise einmischen muss, dass man aus dem Vorhandensein dieser Fragen ständig auf Defizite im Glauben derer schließt, die sie stellen. Und daher geht mir ab und zu die Geduld aus, das gebe ich zu.
@Peter, so, ab jetzt heiße ich JohannesP! 🙂
Wo hat Johannes denn Defizite im Glauben festgestellt?
Das Schwierige in der Diskussion ist doch oft folgendes:
Ein Glaubensgrundsatz (ich nenne es ungern „Theorie“) ist als Antwort unbefriedigend. Deswegen werden andere Interpretationen geäußert, die, wie soll ich es sagen, befriedigender / schlüssiger aus heutiger Sicht klingen.
Diese werden über Blogs oder Bücher verbreitet.
So weit, so gut.
Leider ist das Ganze scheinbar sehr stark mit der Abgrenzung zum evangelikalen Lager verbunden. Es wird argumentiert mit „so kann man das heute nicht mehr sehen“, und es werden Begriffe wie „herkömmliche Interpretation / Theorie“ etc. verwendet. Angeblich sei Gott nach alter Interpretation ein zorniger Gott, der Blut sehen will usw. usf. Das gleiche gilt für angeblich „überkommene“ Moralvorstellungen. Kurzum: Weiter Horizont (neu) gegen engen Horizont (alt). Also statt ein Miteinander der Christen eher ein gegeneinander. Wir sind postmodern, wir überlegen uns neue Denkansätze über die interpretation des christlichen Glaubens, während jene da unreflektiert ihre alte überkommene Sicht haben.
Das regt doch förmlich zum Widerspruch an! Und wenn nun die andere Sicht dargelegt wird, dann ist dies, nun ja, nicht gern gesehen.
Ich habs schon ein paarmal gesagt: Christen sollten viel mehr miteinander praktizieren als sich gegenseitig abzugrenzen. Damit nehme ich mich selbst nicht aus. Das heißt auch, sich gegenseitig stehen zu lassen, aber auch, die eigene Meinung / Erkenntnis leidenschaftlich zu vertreten.
Glaubensgrundsätze sind doch nichts Zeitloses! Schon das Neue Testament hat durchaus unterschiedliche Deutungen des Kreuzestodes Jesu. Die große Petruspredigt in Apg. 2 zum Beispiel deutet den Tod Jesu nicht in den Kategorien von Sühnopfer. Ich finde es wichtig, wahrzunehmen, dass auch die Bibel schon vielstimmig spricht, aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Milieus und jeweils auch dort hinein.
Deshalb geht es für mich in dieser Diskussion überhaupt nicht um „Althergebracht“ gegen „Modern“. Aber ich möchte das Neue Testament nicht mehr nur zwingend mit der Brille der Theologie des Anselm von Canterbury lesen (und es ist dessen vom germanischen Ehrbegriff geprägte Sühnopfervorstellung, die evangelikales Denken prägt!), die in der Tat eine alte Brille ist, die Menschen unserer Kultur am Sehen und Verstehen hindert.
Ist dies die Woche der Debatten um alte Äußerungen? 😉
In der Abendmahlsliturgie haben wir die schöne Formulierung, dass wir „durch seinen Tod Vergebung der Sünden und durch seine Auferstehung das Leben“ haben. Erklärt wird da nichts.
Die Worte und Modelle, die das Neue Testament dafür hat, Stellvertretung, Loskauf, Sühne, Opfer etc. kennen wir sonst aus (um „kommen aus“ zu vermeiden) ganz unterschiedlichen Kontexten. Zusammen passen sie nur, wenn von Jesu Tod die Rede ist. Da aber passen sie zusammen.
Wenn sie heute nicht mehr verständlich sein sollten und wir zur Veranschaulichung neue Worte brauchen, ist das besser, als es gar nicht erklären zu wollen.
Wenn ich den Tod Jesu „erkläre“, dann benutze ich meist diese alten Worte genauso wie neue Versuche. Und dann sage ich, der Tod Jesu ist mehr als das alles.
Die Versuchung beim Finden neuer Bilder / Theorien / Grundsätze ist, diese so misszuverstehen, als müssten die alten abgelegt werden. Was Jesus am Kreuz für uns getan hat, geht über alle unsere Sprache hinaus. Auch über die, in der Gott in der Bibel mit uns redet. Alte wie neue Bilder sollten beibehalten werden in dem Bewusstsein, dass sie zwar zutreffen, aber das, was in Jesu Tod passiert ist, noch mehr ist als das.
(Ich hab jetzt nicht andauernd „m.E.“, „ich denke“, „ich finde“ etc. geschrieben. Dass es sich hier um meine Meinung und nicht um die Bibel handelt, ist doch auch so klar, oder? 🙂 )
„Glaubensgrundsätze sind doch nichts Zeitloses!“
Wieso nicht? Sie sind etwas Zeitloses, wenn du mit Glaubensgrundsätzen das gleiche meinst wie ich, nämlich die Grundlage meines Glaubens. Die ziehe ich aus der Bibel.
Emergent Church sieht sich oft gerne als diejenigen, die die Bibel völlig neu lesen und ganzheitlich und in ihrer ursprünglichen Intention verstehen. Dabei wird auch da oft und sehr gerne aus den Büchern der verschiedensten Vertreter dieser Bewegung zitiert und übernommen, besonders gerne Brian McLaren.
„nur zwingend mit der Brille der Theologie des Anselm von Canterbury“
Da ist es wieder, das Argument, dass man ja nur einer bestimmten (überkommenen) Interpretation / Theologie, gar Theorie nachhänge, die heute völlig überholt sei und die Menschen unserer Kultur am Sehen und Verstehen hindert. Erstens interessiert mich Anselm von Canterbury nicht. Ich nehme mir das Recht heraus, meine Glaubensgrundsätze wie hoffentlich jeder Christ direkt aus der Bibel zu lesen. Außerdem ist mir wichtig, dass Glauben keine Wissenschaft ist. Gott hat sich uns in Jesus offenbart und liebt uns so sehr, dass er seinen Sohn für uns zur Vergebung unserer Schuld gegeben hat.
@ JohannesP: Nein, die Grundlage meines Glaubens ist nicht ein zeitloser Satz. Die Bibel ist ein durch und durch zeitgebundenes und kontextuelles Dokument, das mit ganz unterschiedlichen Stimmen spricht. Ich lese sie täglich, gern und sorgfältig, und möchte immer noch genauer hinhören. Aber genau dann komme ich am Ende nicht zu zeitlos abstrakten Sätzen/Theorien. Gottes Geschichte mit den Menschen kann man erzählen, aber nicht zu abstrakten, zu allen Zeiten gültigen und unveränderbaren Sätzen zusammen fassen.
Ich glaube an Gott, der lebendig ist und kein zeitloses Prinzip. Ich folge Jesus, in dem Gott um die Zeitenwende herum ein jüdischer Mann wurde. Und ich vertraue auf den Heiligen Geist, der mir diesen Gott täglich nahe bringt.
Liebe Claudia,
„zeitlos abstrakten Sätzen/Theorien“
Das ist ein Missverständnis. Ich denke, uns geht es immer um die praktische Seite unseres Glaubens. Und die Grundlagen dazu sind sicher etwas Zeitloses. Das Ganze muss anschließend aber praktisch werden, sonst hat es keinerlei Wet. Kann ich wieder erhobenen Hauptes durch die Welt gehen? Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um? Bin ich bereit zur Vergebung? Helfe ich, wo Not am Mann bzw. Frau ist?
„Ich glaube an Gott, der lebendig ist und kein zeitloses Prinzip. Ich folge Jesus, in dem Gott um die Zeitenwende herum ein jüdischer Mann wurde. Und ich vertraue auf den Heiligen Geist, der mir diesen Gott täglich nahe bringt.“
Dazu kann ich vorbehaltlos JA sagen. Ich folge keinem „zeitlosen Prinzip“.
@JohannesP: Ich glaube, unsere Diskussion scheitert immer wieder daran, dass in Deinem Hinterkopf ständig ein Gegensatz „Evangelikal“/“Emergent“ steht, und zwar recht holzschnittartig, den Du überall hineinliest. Wenn Du mal oben in meinen Text schaust, dann findest Du weder das eine noch das andere Wort.
Durch diese Überlagerung und Dein Bedürfnis, diesen Konflikt, der Dich augenscheinlich sehr bewegt, an jedem beliebigen Thema von Neuem grundsätzlich auszutragen, wird jedes Gespräch unendlich mühsam.
Lieber Peter,
meinst du z.B. diesen Text hier:
„Ob rituelles Opfer, mythischer Kampf oder Lösegeld – traditionelle Sühnetheorien stehen nicht erst seit gestern schwer in der Kritik. Das entscheidende Problem dabei ist, dass sie ihre Plausibilität deshalb verloren haben, weil der Deutungsrahmen, dem sie entstammen, heute so nicht mehr existiert: Niemand (außer ein paar Voodoo-Freaks) tötet noch Tiere und verspritzt Blut, kaum jemand fühlt sich in unseren Breiten von böswilligen Geistern und Himmelswesen bedrängt, und metaphysische Transaktionen zur Lösung des Schuldproblems führen nur allzu leicht zu reichlich schrägen Gottesbildern.“
Ja – was soll ich dazu sagen? Die Sühne“theorien“ haben ihre Plausibilität verloren. Stattdessen muss etwas anderes her. Prima. Gut, wenn das also der holzschnittartige Gegensatz in meinem Hinterkopf ist, so sei es. Es ist nun mal, das lässt sich nicht wegleugnen, ein Gegensatz zu dem, was ich glaube und aus der Bibel lese. Wir können über Details reden, aber das ist ja „unendlich mühsam“, wie du sagst, weil ich wohl dein Verständnisniveau noch nicht erreicht habe. Und auf dieser Ebene magst du nicht diskutieren?
Schade, dass du mich dabei hübsch in eine Schublade einsortierst. Wohl ein Unverbesserliche von Gestern.
Dieser vorgegebene Gegensatz zwischen evangelikal und emergent kommt übrigens nicht aus meiner Feder, sondern findet sich in zahlreichen Blogs bunt verteilt über die emergente Landschaft.
@Johannes(P – oder?): So kommen wir nicht weiter. Tut mir leid.
Oh, sorry, das P kam mir wieder abhanden…
Warum nicht?
Die Verständigung zwischen uns funktioniert – zumindest mit diesem Medium – offenbar nicht.
Naja, es ist immer besser, ein Gespräch zu führen, da bekommt man die Rückmeldung sehr zeitnah und kann viel besser aufeinander eingehen. Das funktioniert in der Kommentarfunktion bei Blogs naturgemäß nicht.
Dennoch bin ich immer wieder baff, mit welcher Selbstverständlichkeit du hier auf meine Aussagen ein „mit dir funktioniert die Verständigung hier nicht“ antwortest. Das war jetzt schon zum wiederholten Male. Und warum? Weil ich nicht so antworte, wie du erwartest? Weil ich Argumente von dir missverstanden habe? Na und? Das passiert doch laufend. Auch ich bekomme nicht die Antworten, wie ich sie erwarte, sondern gezielt nur Antworten darauf, was man beantworten kann/möchte.
Ich habe immer noch nicht verstanden, warum Jesu Tod am Kreuz als Sühnetod zur Vergebung unserer Schuld heute nicht mehr zeitgemäß ist, und warum sie duch Neues ersetzt werden soll. Und ich frage hier so penetrant nach, weil, konsequent zu Ende gedacht, immer mehr der Grundfesten ins Wanken geraten, und ich frage mich, wo da das Ende ist. Brian McLaren hat schon einiges geschrieben, das mehr als grenzwertig ist, und er ist sicher noch lange nicht am Ende, denn (aus dem Gedächtnis zitiert) „wir sind in einem neuen Interpretationsprozess mit ungewissem Ausgang“. Ja – ein bekannter Fußballkaiser würde da sagen :“Schaun mer mal, was da rauskommt“.
JohannesP, die Vehemenz, mit der Du Antworten auf Fragen einforderst, die ich nicht gestellt habe und die zwar Dich, aber nicht mich interessieren, die macht das Gespräch unter anderem so unerfreulich. Und da nehme ich mir die Freiheit, eben nicht darauf zu antworten oder wie jetzt wieder zu erklären, wo meine Grenzen sind: Ich bin der Blogbetreiber, Du der Gast. Ich bin Dir keine Rechenschaft schuldig. Die meisten Leute, mit denen ich hier kommuniziere, verstehen das ganz gut und respektieren das auch.
Ich verstehe, dass kritische Fragen hier nicht gern gesehen sind.
Da du nun auf dein Hausrecht pochst, werde ich dich nicht weiter belästigen auch wenn mcih noch vieles interessiert hätte.
Ich wünsche dir noch viel Glück mit diesem Blog!
LG Johannes