St. Patrick und die Krise Europas

Die schlichten und ausgrenzenden Antworten auf Fragen der Identität ist ein Markenzeichen der Rechtspopulisten. Michael Thumann schrieb am Tag nach dem Brexit in der Zeit:

Die Kampagnen von Donald Trump und des Chaostandems Farage/Johnson ähneln sich vor allem in der Frage: „Wer sind wir?“ und „Was wird aus uns?“ Es sind dieselben Fragen, die die Pegida-Demonstranten auf die Straßen treiben. Daraus sprechen Unsicherheit, Angst – und ein rabiater Nationalismus. Im Umkehrschluss wächst die Forderung nach Abschottung, Erlösung in der Gemeinschaft der Gleichgesinnten und Gleichgeborenen. Die ganze britische Kampagne ist wie Trumps Propaganda von der Identitätsfrage vergiftet. Sie beruht auf der Lüge, dass es eine idealenglische Gesellschaft gäbe, die von Europa und Zuwanderern bedroht wäre.

Als ich mich auf den Bodenseekirchentag am letzten Wochenende vorbereitete, fiel mir auf, dass wir dort ein Musterbeispiel für eine genuin christliche Antwort auf diese Debatten finden, und zwar in der Gestalt des Heiligen Patrick, Apostel der Iren.

Seine ethnisch-nationale Identität kann man nur als „gebrochen“ bezeichnen: Er wuchs auf als romanisierter Brite, im einer von Kelten besiedelten und von Römern militärisch und kulturell beherrschten Britannien. Dann wird er von Iren verschleppt, flieht und kehrt aufgrund eines Traumes wieder zurück, diesmal als Missionar (mit meiner Mischung aus ostkirchlicher und lateinischer Tradition im Gepäck). Am Ende ist er etwas von allem und nichts in Reinform.

Und just als solcher legt er den Grundstein für eine indigene Kirche, die ihrerseits in den nächsten drei Jahrhunderten überall in Europa Klöster und Gemeinden gründet und das, was wir heute „christliches Abendland“ nennen, überhaupt erst möglich gemacht hat. Leider haben das viele vergessen, die meinen, jenes christliche Abendland retten oder verteidigen zu müssen, weil sie daraus eine Identität gezimmert haben, die wieder nur in Abgrenzung funktioniert, in der alles Gute schon da ist und durch das, was von Außen kommt, nur noch Schaden nehmen kann. Eine Logik, die so sesshaft ist, dass sie sich am liebsten einmauern möchte.

Die Nachfolger des Patrick, die bis Bregenz und Bobbio, Würzburg und Wien zogen, verkörpern die wahre Geschichte der europäischen Kultur: Sie ist eine Kultur der Begegnung, die von der Freiheit lebt, sich zu bewegen, Grenzen abzubauen, immer neue Mischungen aus Vorhandenem und Neuem zu schaffen, eine Kultur der Gastfreundschaft und des Entdeckergeistes.

Natürlich müssen die Kirchen und die einzelnen Christen Identitäre und Rechte mit ihrer vergifteten Propaganda kritisieren und ihre falschen Versprechungen als Lügen entlarven. Noch wichtiger wäre es aber, sich ein Beispiel an den Pioniermissionaren unserer Länder zu nehmen und aus Unbeweglichkeit, Mut- und Erwartungslosigkeit aufzubrechen (es geht ja gerade nicht um „Erlösung in der Gemeinschaft der Gleichgesinnten und Gleichgeborenen“). Diese verwandten Denk- und Lebensmuster machen den Rattenfängern das Spiel viel zu leicht. Die Wahrheit ist, Kirche wird sich nicht nur ein bisschen verändern müssen, weil die Welt sich so dramatisch verändert. Wer den eigenen Leuten das nicht sagen will, traut entweder ihnen nichts zu, oder Gott, oder beiden.

Die Legende erzählt, Patrick habe die giftigen Schlangen aus Irland vertrieben. Ich denke nicht, dass das in erster Linie eine zoologische Aussage ist. Auf unserem Kontinent wäre eine Entgiftung derzeit jedenfalls hochwillkommen.

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